Amnesty Report Russische Föderation 24. April 2024

Russland 2023

Das Foto zeigt vier wartende uniformierte Polizisten am Rande einer Straße. Zwei von ihnen sind mit Sturmgewehren bewaffent.

Zwei Verkehrspolizisten und zwei Angehörige der Spezialeinheit OMON bei einer Verkehrskontrolle in der russischen Hauptstadt Moskau am 24. Juni 2023

Berichtszeitraum: 1. Januar 2023 bis 31. Dezember 2023

Russland setzte 2023 seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine fort und ließ seine Streitkräfte ungestraft Kriegsverbrechen begehen. Gleichzeitig verschlechterte sich die Menschenrechtssituation in Russland weiter. Die Rechte auf Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit wurden noch stärker eingeschränkt. Regierungskritiker*innen waren willkürlicher Strafverfolgung, langen Gefängnisstrafen, Repressionen und gewaltsamen Angriffen ausgesetzt, die nicht geahndet wurden. Die Behörden griffen auf weit gefasste Gesetze gegen Terrorismus und Extremismus zurück, um gegen Oppositionelle, religiöse Gruppen, Regimekritiker*innen und Rechtsbeistände vorzugehen. Folter und andere Misshandlungen in der Haft waren weit verbreitet und blieben meist ungestraft. Gerichtsverfahren waren unfair, insbesondere solche, die politische Fälle oder ukrainische Kriegsgefangene betrafen. Ein neues transfeindliches Gesetz trat in Kraft, und die sogenannte "internationale LGBT-Bewegung" wurde als "extremistisch" eingestuft. Russland weigerte sich, mit internationalen Menschenrechtsinstitutionen zusammenzuarbeiten, und stellte die Unterstützung internationaler Organisationen unter Strafe, nachdem der Internationale Strafgerichtshof einen Haftbefehl gegen Präsident Wladimir Putin erlassen hatte. Die Behörden unternahmen nichts, um antisemitische und flüchtlingsfeindliche Gewalt zu verhindern. Die Maßnahmen zur Bekämpfung der Klimakrise waren unzureichend, und zwei große Umweltschutzorganisationen wurden verboten. 
 

 

Hintergrund

Russland beging 2023 in der Ukraine zahlreiche Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht (siehe Länderkapitel Ukraine), während der russische Vormarsch weitgehend zum Stillstand kam. Die militärischen Angriffe der Ukraine betrafen vermehrt russisches Hoheitsgebiet, und die russischen Behörden meldeten Dutzende Opfer unter der Zivilbevölkerung. Informationen über den Krieg wurden von der Regierung weiterhin massiv kontrolliert und manipuliert. Schätzungen über die Verluste der russischen Streitkräfte gingen von Hunderttausenden Getöteten und Verletzten aus. Es gab Berichte über Dutzende Brandanschläge auf Einberufungszentren und andere staatliche Einrichtungen im ganzen Land. Am 23. und 24. Juni 2023 unternahm Jewgeni Prigoschin mit dem von ihm gegründeten privaten Militärunternehmen Wagner-Gruppe einen Putschversuch, den er abbrach. Er entging der Strafverfolgung, kam aber am 25. August unter verdächtigen Umständen bei einem Flugzeugabsturz ums Leben.

Russland war nach wie vor weitgehend international isoliert. Im September 2023 sprach die neu ernannte UN-Sonderberichterstatterin für die Menschenrechtssituation in der Russischen Föderation von einer "zunehmend härteren Unterdrückung der friedlichen Ausübung der Menschenrechte". Die russischen Behörden erkannten ihr Mandat nicht an und verweigerten ihr den Besuch im Land. Im November 2023 trat Russland endgültig aus dem Vertrag über konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE-Vertrag) aus.

Obwohl sich Russland weigerte, mit UN-Menschenrechtsgremien zusammenzuarbeiten, strebte das Land eine Rückkehr in den Menschenrechtsrat an, erhielt aber bei der Abstimmung in der UN-Vollversammlung im Oktober 2023 nicht die nötigen Stimmen. Die Behörden ignorierten weiterhin Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Verstößen gegen die Europäische Menschenrechtskonvention, die Russland verübt hatte, als es noch Vertragsstaat war.

Recht auf freie Meinungsäußerung

Jede Art von Kritik an staatlichen Stellen wurde 2023 massiv unterdrückt. Im Zuge immer neuer strafrechtlicher Bestimmungen wurden Medienunternehmen, Soziale Medien und Einzelpersonen als "ausländische Agenten" eingestuft oder wegen "Extremismus", "Rechtfertigung von Terrorismus", "Verbreitung wissentlich falscher Informationen", "Diskreditierung", "Aufwiegelung zu Hass" oder "Propaganda" für lesbische, schwule, bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Menschen (LGBTI+) mit hohen Bußgeldern, willkürlichen Sperren, Strafverfolgung und anderen Repressalien überzogen.

Am 29. März 2023 wurde der US-amerikanische Journalist Evan Gershkovich wegen fragwürdiger Spionagevorwürfe festgenommen. Sein Verfahren war am Jahresende noch anhängig. 

Am 4. Mai 2023 nahmen die Behörden die Theaterregisseurin Evgenia Berkovich und die Dramatikerin Svetlana Petriychuk fest und erhoben den absurden Vorwurf der "Rechtfertigung von Terrorismus" gegen sie. Grund war ihr preisgekröntes Theaterstück Finist Yasny Sokol über Frauen, die nach Syrien ausgereist waren und Mitglieder bewaffneter Gruppen geheiratet hatten. Ende 2023 befanden sich beide Frauen noch in Untersuchungshaft.

Menschen, die sich kritisch über die Militärinvasion in die Ukraine, die dort von Russland verübten Verstöße oder den Krieg allgemein äußerten, wurden besonders massiv verfolgt. Mindestens 140 Personen wurden 2023 wegen Aussagen, Protesten oder anderer Aktivitäten gegen den Krieg zu Gefängnisstrafen verurteilt. 2022 waren es noch 22 Personen gewesen.

Im April 2023 verurteilte ein Gericht den Oppositionellen und Menschenrechtsverteidiger Wladimir Kara-Mursa  auf Grundlage konstruierter Vorwürfe wie "Hochverrat", "Verbreitung falscher Informationen" über die Streitkräfte und "Zusammenarbeit mit einer unerwünschten Organisation" zu 25 Jahren Haft.

Alexej Moskaljow, ein Geschäftsmann und alleinerziehender Vater aus der Region Tula, wurde am 27. Februar 2023 wegen "Diskreditierung der Streitkräfte" festgenommen, weil er den Krieg gegen die Ukraine in den Sozialen Medien kritisiert hatte. Die Behörden brachten seine 13-jährige Tochter in ein Waisenhaus und übergaben sie erst nach dem Start einer Online-Petition an andere Familienangehörige. Im Dezember 2023 wurde die zweijährige Haftstrafe gegen Alexej Moskaljow aufgehoben und ein Wiederaufnahmeverfahren angeordnet. Moskaljow blieb jedoch in Haft.

Am 13. April 2023 bestätigte ein Gericht das Urteil gegen Vladimir Rumyantsev, einen Heizer aus der Stadt Wologda, der zu drei Jahren Haft verurteilt worden war, weil er "wissentlich falsche Informationen über die russischen Streitkräfte" verbreitet haben soll. Vladimir Rumyantsev hatte als Amateurfunker aus seiner Wohnung Berichte über den Krieg gesendet, die von unabhängigen Medien und Blogger*innen verfasst und von den Behörden verboten worden waren.

Der bekannte Menschenrechtsverteidiger Oleg Orlow stand vor Gericht, weil er in einem Artikel Russlands Einmarsch in die Ukraine kritisiert hatte.

Berichten zufolge wurden zahlreiche Universitätsdozent*innen und Lehrer*innen entlassen, die Kritik an den Behörden oder an der Invasion in die Ukraine geübt hatten. Am 11. Oktober 2023 kündigte die Staatliche Universität Sankt Petersburg der Sprachwissenschaftlerin Svetlana Drugoveyko-Dolzhanskaya, nachdem sie sich als Expertin im Verfahren gegen die gewaltlose politische Gefangene Aleksandra Skochilenko zugunsten der Angeklagten geäußert hatte.

Einige der Inhaftierten waren mit neuen Anklagen konfrontiert, während sie ihre Strafe verbüßten. So wurde der gewaltlose politische Gefangene und einstige Moskauer Kommunalpolitiker Alexej Gorinow, der 2022 zu sieben Jahren Haft verurteilt worden war, weil er in einer Gemeinderatssitzung die Invasion in die Ukraine kritisiert hatte, im Oktober 2023 wegen "Rechtfertigung von Terrorismus" angeklagt.

Im November 2023 ergingen gegen eine weitere gewaltlose politische Gefangene, die Journalistin Maria Ponomarenko, neue zweifelhafte Anklagen wegen "Körperverletzung" gegen zwei Wächter in einer Strafkolonie. Maria Ponomarenko war im Februar 2023 bereits zu sechs Jahren Haft verurteilt worden, weil sie in den Sozialen Medien darüber informiert hatte, dass russische Streitkräfte im März 2022 das Theater in der ukrainischen Stadt Mariupol bombardiert hatten.

Recht auf friedliche Versammlung

Das Recht auf Versammlungsfreiheit wurde 2023 weiter unterdrückt. Die entsprechenden Gesetze waren unangemessen restriktiv und so vage formuliert, dass sie willkürlich ausgelegt werden konnten. Sie verboten spontane Versammlungen und Proteste in der Nähe von Regierungsgebäuden und an vielen anderen Orten und enthielten zahlreiche weitere Einschränkungen für Versammlungsorte und Organisator*innen. Die Behörden nutzten ihre weitreichenden Befugnisse, um Genehmigungen zu verweigern, und die Polizei zeigte keinerlei Toleranz gegenüber "nicht genehmigten" Versammlungen, wie klein und selten sie auch sein mochten.

In einigen Landesteilen blieben friedliche Versammlungen unter dem Vorwand von Coronamaßnahmen verboten. Die Einschränkungen waren oft diskriminierend. So verboten die Moskauer Behörden am 29. September 2023 eine Mahnwache zum Gedenken an die Opfer der Repression in der Sowjetzeit, während sie eine große Kundgebung zur Unterstützung der Regierung und des Kriegs in der Ukraine am selben Tag genehmigten. 

Recht auf Vereinigungsfreiheit

Die Behörden griffen weiterhin auf die umfangreiche repressive Gesetzgebung zurück, um Menschenrechtsgruppen und andere zivilgesellschaftliche Organisationen zu unterdrücken. Im Jahr 2023 wurden 54 Organisationen und 172 Personen auf die Liste der "ausländischen Agenten" gesetzt und weitere 56 Organisationen als "unerwünscht" eingestuft.

Führende Menschenrechtsgruppen, darunter die Moskauer Helsinki-Gruppe, das Sacharow-Zentrum und das Sowa-Zentrum, wurden unter dem Vorwand, sie hätten gegen Vorschriften für "ausländische Agenten" oder gegen Formalitäten verstoßen, 2023 offiziell aufgelöst.

Die Behörden leiteten mehrere politisch motivierte Strafverfahren gegen Mitglieder von Memorial ein, der ältesten Menschenrechtsorganisation des Landes, die 2022 aufgelöst worden war. Ihnen wurde u. a. "Diskreditierung der russischen Streitkräfte" und "Rehabilitierung des Nationalsozialismus" zur Last gelegt. Am 5. Mai 2023 wurde das Memorial-Mitglied Aleksandr Chernyshov festgenommen. Man warf ihm "Schmuggel von Kulturgütern" vor, weil er versucht haben soll, das Archiv von Memorial außer Landes zu bringen. Ende 2023 befand er sich immer noch in Haft.

Grigorij Melkonyants, der Co-Vorsitzende von Russlands führender Wahlbeobachtungsgruppe Golos, wurde am 17. August 2023 wegen Zusammenarbeit mit einer "unerwünschten" Organisation festgenommen. Die Vorwürfe bezogen sich auf ein internationales Netzwerk aus Wahlbeobachtungsorganisationen. Er kam in Untersuchungshaft.

Gruppen und Einzelpersonen, die Kritik an staatlichen Stellen übten, wurden wegen "Extremismus" angeklagt. Am 17. Mai 2023 bestätigte ein Gericht die willkürliche Einstufung der prodemokratischen Jugendbewegung Vesna als "extremistisch" und das gegen sie verhängte Betätigungsverbot. Sechs Personen, denen vorgeworfen wurde, Vesna anzugehören, befanden sich Ende 2023 noch in Haft.

Gegen den bekannten Oppositionellen Alexej Nawalny und seine Mitarbeiter*innen wurden weitere Anklagen wegen "Extremismus" erhoben, die sich auf von ihm gegründete Organisationen bezogen. Am 4. August wurde Alexej Nawalny, dem 2021 willkürlich die Freiheit entzogen worden war, erneut zu einer politisch motivierten Strafe verurteilt, wodurch sich seine Haftstrafe auf insgesamt 19 Jahre verlängerte. Ende 2023 waren seine Mitarbeiter*innen Lilia Tschanyschewa (Chanysheva), Ksenia Fadeeva, Daniel Kholodny und Vadim Ostanin festgenommen, vor Gericht gestellt und verurteilt worden oder verbüßten Haftstrafen. Auch Personen, die Geld gespendet hatten, wurden strafrechtlich verfolgt, selbst wenn es sich nur um geringe Beträge handelte. So war z. B. der Aktivist Gleb Kalinychev wegen einer mutmaßlichen Spende in Höhe von 30 US-Dollar (etwa 28 Euro) an Nawalnys Stiftung für Korruptionsbekämpfung inhaftiert und wartete auf sein Verfahren. 

Eine Änderung des Strafgesetzbuchs im August 2023 machte die "Ausübung von Aktivitäten" ausländischer NGOs ohne eingetragenen Sitz in Russland strafbar. Damit wurde faktisch jede Art von Zusammenarbeit mit den meisten zivilgesellschaftlichen Gruppen im Ausland kriminalisiert.

Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit

Die Behörden setzten die unbegründete Verfolgung der Zeugen Jehovas fort, die 2017 mit dem willkürlichen Verbot der Glaubensgemeinschaft begann. Im Dezember 2023 befanden sich mehr als 100 Zeugen Jehovas in Gewahrsam. 

Mitglieder der islamischen Bewegung Hizb ut-Tahrir und anderer muslimischer Gruppen wurden wegen ihrer religiösen Ansichten verfolgt und wegen Anklagen, die sich auf "Extremismus" und "Terrorismus" bezogen, in unfairen Verfahren vor Gericht gestellt.

Rechte von Militärdienstverweiger*innen

In einem seltenen Präzedenzfall gestattete ein Gericht am 16. März 2023 Pavel Mushumansky, einem gläubigen Christen, der für den Krieg Russlands gegen die Ukraine eingezogen worden war, stattdessen einen Zivildienst abzuleisten. Für fast alle anderen Militärdienstverweiger*innen war diese Möglichkeit jedoch weiterhin unerreichbar.

Folter und andere Misshandlungen

Folter und andere Misshandlungen in Gewahrsam waren nach wie vor weit verbreitet. Die dafür Verantwortlichen gingen straflos aus oder wurden zu milden Strafen verurteilt. Nur in einem Fall kam es zu einer Verurteilung gemäß einem Paragrafen, der 2022 in das Strafgesetzbuch aufgenommen worden war und Folter unter Strafe stellte.

Die Behörden gingen gezielt gegen bestimmte Gefangene wie Alexej Nawalny vor und misshandelten sie, u. a. durch Verweigerung einer angemessenen medizinischen Versorgung, willkürliche Unterbringung in Strafzellen (oft für mehrere aufeinanderfolgende Zeiträume), psychischen Druck, Drohungen und den Einsatz tätlicher Gewalt.

Am 14. Juni 2023 wurde der Antikriegsaktivist Anatoly Berezikov einen Tag vor seiner geplanten Freilassung in einer Hafteinrichtung in der Stadt Rostow am Don tot aufgefunden. Er war dort nach einem zweifelhaften Verwaltungsverfahren inhaftiert worden und hatte kurz zuvor seiner Anwältin und einem Gericht mitgeteilt, dass er Angst um sein Leben habe, nachdem Angehörige des russischen Geheimdiensts ihn bedroht und mit Elektroschocks gefoltert hätten. Die Behörden ignorierten die Vorwürfe, und die Polizei begründete seinen Tod mit Suizid. Die Anwältin von Anatoly Berezikov und eine Menschenrechtsverteidigerin, die ihn unterstützt hatte, mussten das Land verlassen, nachdem die Polizei ihre Wohnungen durchsucht hatte.

Unfaire Gerichtsverfahren

Die Strafgerichte waren Angeklagten gegenüber stark voreingenommen. Nur in 0,4 Prozent der Fälle wurden Angeklagte freigesprochen oder die Strafverfolgung durch die Gerichte eingestellt. Richter*innen akzeptierten Beweise der Staatsanwaltschaft routinemäßig und unhinterfragt, darunter auch unter Folter erpresste Aussagen, während sie stichhaltige Beweise für die Unschuld der Angeklagten zurückwiesen. Die Öffentlichkeit war häufig von Prozessen ausgeschlossen, insbesondere in Fällen, in denen die Anklagen auf "Terrorismus", "Extremismus" oder "Hochverrat" lauteten.

Rechtsbeistände, die in prominenten politischen Fällen tätig waren, wurden unter Druck gesetzt und schikaniert. Dies galt vor allem für Fälle, in denen Angeklagten "Terrorismus" oder "Extremismus" vorgeworfen wurde. Am 13. Oktober 2023 nahmen die Behörden drei von Alexej Nawalnys Rechtsbeiständen fest und legten ihnen wegen ihrer beruflichen Tätigkeit "Beteiligung an einer extremistischen Vereinigung" zur Last. Ende 2023 befanden sie sich noch in Haft und warteten auf ihren Prozess.

In Tschetschenien wurden die Journalistin Elena Milashina und der Rechtsanwalt Aleksandr Nemov am 4. Juli 2023 auf dem Weg zu einer Gerichtsverhandlung von mehreren Unbekannten brutal angegriffen, erniedrigt und schwer verletzt. Der Angriff wurde nicht angemessen untersucht. 

Die Behörden unterzogen ukrainische Kriegsgefangene und Zivilpersonen unfairen Gerichtsverfahren. Am 22. August 2023 bestätigte ein Gericht in Moskau eine 13-jährige Haftstrafe gegen den ukrainischen Kriegsgefangenen und Menschenrechtsverteidiger Maksym Butkevych. Er war wegen Kriegsverbrechen schuldig gesprochen worden, die er nicht begangen haben konnte, da er sich zum betreffenden Zeitpunkt nachweislich an einem anderen Ort befand. Es ist davon auszugehen, dass man ihn gezwungen hatte, ein "Geständnis" vor einer Kamera abzulegen.

Auch Aktivist*innen und Andersdenkende waren unfairen Verfahren ausgesetzt. Am 12. September 2023 verurteilte ein Gericht den dagestanischen Journalisten Abdulmunin Gadhziev wegen konstruierter Terrorismusvorwürfe zu 17 Jahren Haft. Am selben Tag wurde Zarema Musayeva, die Mutter des tschetschenischen Menschenrechtsverteidigers Abubakar Yangulbaev, zu fünfeinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Der gegen sie erhobene konstruierte Vorwurf lautete auf Gewaltausübung gegen einen Polizisten.

Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans- und Intergeschlechtlichen (LGBTI+)

Am 24. Juli 2023 unterzeichnete Präsident Putin ein transfeindliches Gesetz, das geschlechtsangleichende Behandlungen und Änderungen des Geschlechtseintrags in offiziellen Dokumenten verbot. Das Gesetz annullierte Ehen, die trans Personen vor der Geschlechtsangleichung geschlossen hatten, und verbot die Adoption von Kindern durch trans Personen.

Am 30. November erklärte der Oberste Gerichtshof die "internationale öffentliche LGBT-Bewegung" zu einer "extremistischen Organisation" und verbot ihre Aktivitäten. Zahlreiche LGBTI-Organisationen und Aktivist*innen mussten in der Folge ihre Arbeit einstellen bzw. das Land verlassen. Unmittelbar nach dem Urteil durchsuchte die Polizei in mehreren Städten Clubs, die von LGBTI+ besucht wurden, fotografierte die Ausweise der Gäste und schüchterte sie ein. 

Die Behörden verhängten Dutzende Bußgelder gegen Streamingdienste, denen sie vorwarfen, auf ihren Plattformen "LGBT-Propaganda" zuzulassen. Zahlreiche Filme und Fernsehsendungen wurden zensiert, um jeglichen Bezug zu gleichgeschlechtlichen Beziehungen zu entfernen.

Recht auf Bildung

Am 1. September 2023 führten die Behörden in Russland sowie in den russisch besetzten Gebieten der Ukraine ein neues, "einheitliches" Geschichtsbuch für den Sekundarunterricht ein, das die Schüler*innen ganz offensichtlich indoktrinieren sollte und damit gegen ihr Recht auf hochwertige Bildung verstieß. Darin wurde versucht, die historische Menschenrechtssituation in Russland und in der Sowjetunion sowie die Kolonialpolitik zu beschönigen. Ebenso falsch war die Darstellung des russischen Angriffskriegs in der Ukraine als Akt der Selbstverteidigung. 

Straflosigkeit

Am 17. März 2023 erließ der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) Haftbefehle gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin und dessen Kinderrechtsbeauftragte Maria Lwowa-Belowa wegen des mutmaßlichen Kriegsverbrechens der rechtswidrigen Verschleppung von Kindern aus den besetzten Gebieten der Ukraine nach Russland. Die Regierung verweigerte die Zusammenarbeit mit dem IStGH und stellte es unter Strafe, internationale Organisationen oder ausländische Regierungen bei der Strafverfolgung russischer Staatsbediensteter oder Militärangehöriger zu unterstützen. Die russische Ermittlungsbehörde leitete Ermittlungen gegen mehrere Richter*innen und den Chefankläger des IStGH ein, weil diese "eindeutig unschuldige" Personen verfolgen würden. Im Juli 2023 entschied Präsident Putin, nicht am Gipfel der BRICS-Staaten in Südafrika teilzunehmen, kurz bevor ein südafrikanisches Gericht entschied, dass man ihn bei seiner Ankunft verhaften würde.

Rechte von Flüchtlingen und Migrant*innen

Diskriminierung und Gewalt gegen Migrant*innen, auch durch die Polizei, waren nach wie vor weit verbreitet. Im Mai 2023 nahm die Polizei bei landesweiten Razzien Hunderte Migrant*innen fest, die mutmaßlich keine gültigen Papiere hatten. Viele von ihnen berichteten über körperliche und seelische Misshandlungen in Gewahrsam.

Die Behörden setzten Täuschung und Druckmittel ein, um ausländische Migrant*innen für den Militärdienst zu rekrutieren.

Diskriminierung

Am 29. Oktober 2023 stürmten Hunderte Menschen den Flughafen von Machatschkala in Dagestan im Nordkaukasus, um jüdische Personen ausfindig zu machen, von denen sie annahmen, dass sie mit einem Flugzeug aus Israel angekommen seien. Die Polizei griff erst Stunden später ein, um die Ordnung wiederherzustellen. Ähnliche antisemitische Vorfälle gab es auch in anderen Teilen des Nordkaukasus.

Recht auf eine gesunde Umwelt

Russland war auch 2023 ein führender Produzent und Exporteur fossiler Brennstoffe sowie einer der größten Verursacher von Treibhausgasemissionen. Das Land unternahm aber keine wirksamen Schritte, um die dadurch verursachten Umweltschäden zu minimieren. Stattdessen plante die Regierung eine massive Steigerung der Produktion und des Exports von Kohle und Gas und investierte weiterhin in neue Förderanlagen im Ausland. Das unabhängige Analysetool Climate Action Tracker bezeichnete die russischen Emissionsziele, politischen Maßnahmen und Finanzmittel zur Bekämpfung der Klimakrise als "völlig unzureichend".

Von Mai bis September 2023 sorgten Waldbrände, die durch die globale Erwärmung verschärft wurden und oft wochenlang unkontrolliert wüteten, für einen weiteren Anstieg der Treibhausgasemissionen und reduzierten die Fähigkeit der Wälder, Kohlenstoff zu speichern.

Im Mai und Juli 2023 stuften die Behörden die beiden großen Umweltorganisationen Greenpeace und World Wildlife Fund als "unerwünscht" ein und verboten damit deren Tätigkeit im Land. Greenpeace hatte bis dahin eine wichtige Rolle bei der Bekämpfung der Waldbrände in Russland gespielt.

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