Aktuell Russische Föderation 23. Januar 2023

Russland: Zwei Jahre nach der Festnahme von Alexej Nawalny wird die Opposition weiterhin unterdrückt

Das Bild zeigt einen TV-Bildschirm, der in einem Gerichtssaal steht. Darauf zu sehen, ein Mann hinter Gittern.

Vor zwei Jahren inhaftierten die russischen Behörden den prominenten Oppositionellen Alexej Nawalny. Bei den darauf folgenden regierungskritischen Protesten wurden hunderte Demonstrant*innen festgenommen. Seither versuchen die russischen Behörden unerbittlich, die Oppositionsbewegung zu zerschlagen und Menschenrechtsverteidiger*innen einzuschüchtern.

Am 24. Februar 2022 begann Russland den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Amnesty International hat seitdem zahlreiche Menschenrechtsverletzungen und mutmaßliche Kriegsverbrechen durch die russischen Angriffe dokumentiert. Aber auch innenpolitisch geht die Regierung weiterhin mit aller Härte gegen politische Gegner, unabhängige Medien und zivilgesellschaftliche Organisationen vor.

Die russischen Behörden nutzen repressive Gesetze, um Verhaftungen und Strafverfolgungen unter fadenscheinigen Anschuldigungen zu veranlassen und langjährige zivilgesellschaftliche Organisationen zu liquidieren. Diese können anschließend ihre wichtige Arbeit nicht fortführen.

"In den vergangenen zwei Jahren hat die russische Regierung ihre Hexenjagd auf Organisationen der Opposition und der Zivilgesellschaft nur weiter verschärft. Regierungskritiker*in, Menschenrechtler*in oder unabhängige Medienschaffende sind vor Verfolgung, Repressalien und Unterdrückung nicht sicher," sagte Natalia Zviagina, für Russland zuständige Direktorin bei Amnesty International.

"Auf den Giftanschlag gegen Alexej Nawalny im Jahr 2020 und seine Inhaftierung im Jahr 2021 folgten zahlreiche Versuche der russischen Behörden, die Meinungsfreiheit im Land vollständig einzuschränken. Diese schnelle und rücksichtslose Niederschlagung der Opposition ermöglichte es ihnen, Proteste gegen den Angriff auf die Ukraine ein Jahr später ebenso schnell zu beenden." 

Repressives Vorgehen gegen Nawalny und seine Verbündeten 

Am 2. Februar 2021 entschied ein Gericht in Moskau, Nawalnys Strafe ohne Freiheitsentzug durch eine Gefängnisstrafe von zwei Jahren und acht Monaten zu ersetzen. Diese wurde später um zwei Monate verkürzt. Kurz darauf begannen die russischen Behörden mit der Auflösung der von Nawalny gegründeten Stiftungen gegen Korruption und zum Schutz der Bürger*innenrechte und ließen ihre Büros schließen. Am 9. Juni 2021 wurden beide Organisationen offiziell als extremistisch eingestuft und willkürlich verboten.

Die Zahl der von Russlands Angriffen auf die Meinungsfreiheit Betroffenen scheint endlos. Trotzdem setzen sich russische Aktivist*innen im Land und international weiterhin für die Menschenrechte ein und verurteilen Russlands Invasion in der Ukraine.

Natalia
Zviagina
für Russland zuständige Direktorin bei Amnesty International

Im März 2022 wurde Nawalny schließlich in Kombination mit seiner vorangegangenen Strafe zu neun Jahren Gefängnis verurteilt, unter anderem wegen der politisch motivierten Anklage des "Betrugs in besonders großem Ausmaß". Doch ihm droht eine noch viel längere Haftstrafe. Im September 2021 wurde er zusätzlich wegen "Gründung und Leitung einer extremistischen Gemeinschaft" angeklagt.  

Im Oktober 2022 wurde ein weiteres strafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen Nawalny wegen mutmaßlicher "Förderung des Terrorismus", "Finanzierung und Förderung des Extremismus" und "Rehabilitierung des Nazismus" eingeleitet. Falls Nawalny tatsächlich wegen dieser politischen motivierten Anschuldigungen verurteilt wird, könnte seine Haftstrafe insgesamt bis zu 30 Jahre betragen. 

"Organisationen, die mit Alexej Nawalny in Verbindung stehen, gelten als Erzfeinde der Behörden und sind zur Zielscheibe umfassender Repressionen geworden. Infolgedessen mussten die meisten von Nawalnys Mitarbeiter*innen das Land verlassen," so Natalia Zviagina. 

Den Aktivist*innen, die in Russland bleiben, drohen Verfolgung und weitere Vergeltungsmaßnahmen. Einige von Nawalnys Kolleg*innen und Unterstützer*innen wurden wegen "Verstoßes gegen gesundheitliche und epidemiologische Vorschriften" schuldig gesprochen, nachdem sie zu friedlichen Protesten aufgerufen hatten.  

Lilia Tschanyschewa (Chanysheva) wurde im November 2021 wegen "Gründung und Leitung einer extremistischen Gemeinschaft" festgenommen. Sie ist die ehemalige Leiterin von Nawalnys Büro in Ufa, einer Stadt 1.400 Kilometer östlich von Moskau. Derzeit befindet sie sich noch immer in Untersuchungshaft. Ihr drohen bis zu 18 Jahre Haft.  

Das Bild zeigt Polizisten in schwerer Ausrüstung, wie sie eine Personen an Händen und Füßen davontragen.

Bei einer Demonstration in Solidarität mit dem russischen Oppositionspolitiker Alexej Nawalny am 21. April 2021 in Sankt Petersburg nehmen Polizisten einen Demonstrierenden fest. 

Im Dezember 2021 wurden Tschanyschewas Kolleg*innen Vadim Ostanin aus Barnaul und Ksenia Fadeeva aus Tomsk in Westsibirien wegen der "Gründung einer extremistischen Gemeinschaft" und "einer gemeinnützigen Organisation, die in die Persönlichkeit und die Rechte der Bürger*innen eingreift", angeklagt. Der letztgenannte Vorwurf bezieht sich auf einen selten genutzten Artikel des Strafgesetzbuchs, der jetzt häufiger gegen Nawalnys Anhänger*innen verwendet wird.

Im März 2022 kam Vadim Ostanin in Untersuchungshaft, wo er sich bis heute befindet. Der ehemalige technische Direktor des YouTube-Kanals Navalny Live, Daniel Kholodny, wurde zur gleichen Zeit festgenommen und befindet sich noch immer wegen "Beteiligung an einer extremistischen Gemeinschaft" in Haft. 

Im Dezember 2022 wurde Zakhar Sarapulov, der ehemalige Leiter von Nawalnys Büro in Irkutsk, zu einem Jahr auf Bewährung verurteilt. Im Januar 2023 wurde gegen Elizaveta Bychkova und Yegor Butakov, ehemalige Koordinator*innen von Nawalnys Bewegung in Archangelsk, eine einjährige Einschränkung ihrer Bewegungsfreiheit verhängt. Die Strafe wurde jedoch gemildert, nachdem sie sich bereit erklärt hatten, bei den strafrechtlichen Ermittlungen zu Nawalnys Aktivitäten zu kooperieren. 

Strafverfolgung droht auch noch im Exil 

Verbündeten Nawalnys, denen die Flucht aus Russland in andere europäische Staaten gelungen ist, droht bei ihrer Rückkehr nach Russland die Strafverfolgung. Leonid Wolkow, der Nawalnys regionale Organisation bis zu ihrer Auflösung im April 2021 leitete, sieht sich zahlreichen Anklagen gegenüber, die von der "Bildung einer extremistischen Gemeinschaft" über die "Rechtfertigung von Terrorismus" bis hin zur "Beteiligung Minderjähriger an gefährlichen Handlungen" reichen.

Amnesty-Video über Alexej Nawalny:

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Auch der ehemalige Leiter von Nawalnys Antikorruptionsstiftung, Ivan Zhdanov, sieht sich mit zahlreichen Anklagen wegen "Extremismus" konfrontiert. Darüber hinaus verhafteten die Behörden im März 2021 seinen Vater Yuri Zhdanov, einen ehemaligen Beamten der Oblast Archangelsk, wegen "Amtsmissbrauchs". Im Februar 2022 wurde er zu drei Jahren Haft verurteilt. 

Viele weitere Verbündete Nawalnys, darunter seine Sprecherin Kira Yarmysh, Lyubov Sobol, Georgy Alburov, Ruslan Shaveddinov und sein Anwalt Vyacheslav Gimadi, werden wegen "Beteiligung an einer extremistischen Gemeinschaft" und anderer mutmaßlicher Straftaten gesucht. Einigen von ihnen wird zudem die "vorsätzliche Verbreitung falscher Informationen über die russischen Streitkräfte" und die "Rechtfertigung von Terrorismus" vorgeworfen.

Neben der Zerschlagung von Nawalnys Bewegung haben die russischen Behörden auch die Bewegungen "Offenes Russland" und "Vesna" (Frühling) ins Visier genommen, prominente Oppositionelle und Kriegsgegner*innen festgenommen und inhaftiert und die Menschenrechtsgruppe Memorial, die symbolisch für die Menschenrechtsbewegung in Russland steht, aufgelöst. Darüber hinaus haben die Behörden die Helsinki-Gruppe Moskau angegriffen, unabhängige Medienhäuser geschlossen und die Zensur sowie die Verbreitung militaristischer Rhetorik in Bildung und Kultur vorangetrieben.

"Die Zahl der von Russlands Angriffen auf die Meinungsfreiheit Betroffenen scheint endlos. Trotzdem setzen sich russische Aktivist*innen im Land und international weiterhin für die Menschenrechte ein und verurteilen Russlands Invasion in der Ukraine," sagt Natalia Zviagina. 

"Die Vorwürfe gegen Alexej Nawalny und seine Verbündeten, deren Freiheit ihnen nur aufgrund von friedlichem Aktivismus entzogen wird, müssen fallen gelassen werden. Sie müssen umgehend und bedingungslos freigelassen werden. Die internationale Gemeinschaft muss die russische Zivilgesellschaft, die trotz dieser Verletzungen immer wieder ihre bemerkenswerte Widerstandskraft, ihren Mut und ihr Durchhaltevermögen beweist, noch stärker unterstützen." 

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