Pressemitteilung Aktuell Russische Föderation 20. Juli 2023

Russland: 20.000 Aktivist*innen sind wegen Kritik am Krieg schweren Strafmaßnahmen ausgesetzt

Das Bild zeigt zwei schwer bewaffnete Polizisten, wie sie eine Person festhalten und den Kopf zu Boden drücken.

Russische Polizeikräfte nehmen eine Person fest, die in Sankt Petersburg gegen den russischen Angriffskrieg in der Ukraine protestiert (6. März 2022).

Die russischen Behörden gehen immer schärfer gegen Personen vor, die in Russland den Angriffskrieg gegen die Ukraine anprangern. Eine neue Veröffentlichung von Amnesty International deckt auf, wie in Russland die Anti-Kriegsbewegung durch verschiedene Gesetze und Praktiken unterdrückt wird, wodurch bereits mehr als 20.000 Menschen schweren Vergeltungsmaßnahmen ausgesetzt sind.

Amnesty International hat in einer neuen Veröffentlichung die Gesetze und Methoden offengelegt, die Russland einsetzt, um die Anti-Kriegsbewegung im Land zu unterdrücken. "Die Unterdrückung in Russland ist tiefgreifend. Eine ganze Bandbreite von Maßnahmen wird eingesetzt, um Kritik am russischen Angriffskrieg zum Schweigen zu bringen. Friedliche Demonstrant*innen, die gegen den Krieg in der Ukraine protestieren, und diejenigen, die kritische Informationen über die russischen Streitkräfte weitergeben, werden mit schweren strafrechtlichen, administrativen und anderen Sanktionen belegt. Neue, absurde Gesetze wurden verabschiedet und sofort in Kraft gesetzt, um diejenigen zu kriminalisieren, die ihre Meinung frei äußern. Kritiker*innen werden mit Hilfe des Strafrechtssystem zum Schweigen gebracht, sobald sie auch nur die geringste abweichende Meinung äußern. Die äußerst unfairen Prozesse in diesem System führen zu Gefängnisstrafen und hohen Geldstrafen für Antikriegsaktivist*innen", erklärt Julia Duchrow, stellvertretende Generalsekretärin von Amnesty International in Deutschland.

Menschen, die gegen den Krieg protestieren, werden oft mit Verwaltungsverfahren überzogen, da diese faktisch ohne Verfahrensgarantien durchgeführt werden. Vor Gericht werden von der Verteidigung angeführte schlüssige Indizien häufig nicht zugelassen. Stattdessen stützen sich Richter*innen ausschließlich auf – manchmal offenkundig unwahre – Polizeiberichte. Protestierende werden dann wegen Verstößen gegen Versammlungsregeln oder absurden neuen "Diskreditierungs"-Gesetzen schuldig gesprochen, zu hohen Geldstrafen oder Verwaltungshaft verurteilt. 

Das Bild zeigt mehrere Menschen mit Plakaten in der Hand, darauf zu lesen "Het Bonhe""

"Nein zum Krieg": Demonstration gegen den Angriffskrieg in der Ukraine in der russischen Stadt Sankt Petersburg am 27. Februar 2022.

Im Jahr 2022 wurden in Russland mehr als 21.000 Personen wegen derartiger "Vergehen" bestraft – 2.307 von ihnen mit Verwaltungshaft und der Rest mit hohen Geldstrafen. Grund war vor allem die Teilnahme an friedlichen kriegskritischen Protesten oder die Äußerung von Kriegskritik im Internet. 

Seit Beginn des Einmarsches in die Ukraine wurden in Russland die Straftatbestände "Verbreitung wissentlich falscher Informationen über den Einsatz der Streitkräfte" und "wiederholte Diskreditierung der Streitkräfte oder staatlichen Einrichtungen" eingeführt. Mehr als 150 Personen sind auf dieser Grundlage strafrechtlich verfolgt worden. Viele sind bereits schuldig gesprochen und zu langen Gefängnisstrafen verurteilt worden. Diese Straftatbestände ziehen Haftstrafen von bis zu 15 beziehungsweise sieben Jahren nach sich.

Zu den Betroffenen zählt Vladimir Rumyantsev aus Wologda im Norden des Landes. Er wurde zu drei Jahren Gefängnis verurteilt, weil er von seiner Wohnung aus als Amateurfunker Berichte über den Krieg gesendet hatte, die von unabhängigen Medien und Blogger*innen verfasst und von den Behörden verboten worden waren. Amnesty International betrachtet Vladimir Rumyantsev als gewaltlosen politischen Gefangenen, der lediglich aufgrund der friedlichen Wahrnehmung seines Rechts auf freie Meinungsäußerung verurteilt wurde. Er muss umgehend und bedingungslos freigelassen werden. 

Darüber hinaus setzen die Behörden auf Schikanen, um Kritiker*innen zu drangsalieren, einzuschüchtern und unter Druck zu setzen. So werden beispielsweise Personen aus dem Dienst entlassen, Konzerte oder andere öffentliche Veranstaltungen mit Beteiligung von Kriegskritiker*innen abgesagt, und erzwungene "Entschuldigungen" auf Video aufgezeichnet. 

Amnesty International hat zudem die immer gängigere Praxis dokumentiert, bekannte Personen als "ausländische Agent*innen" zu bezeichnen, weil sie sich öffentlich gegen den Krieg ausgesprochen haben. Dadurch werden diese Menschen häufig stark in ihren privaten und beruflichen Aktivitäten eingeschränkt oder verlieren gar ihre Arbeit, und werden durch die Einstufung als "Spion*in" beziehungsweise "Verräter*in" stigmatisiert.

Amnesty International fordert die russischen Behörden auf, diese repressiven Gesetze aufzuheben und umgehend alle diejenigen freizulassen, die sich nur aufgrund der friedlichen Äußerung ihrer Ansichten in Haft befinden. Die Behörden müssen zudem dafür sorgen, dass das Recht auf freie Meinungsäußerung geschützt wird.

"Wir fordern die internationale Gemeinschaft auf, die russischen Behörden auf diese Fälle anzusprechen, verfolgte Aktivist*innen in Russland und anderswo unter anderem durch Anwesenheit bei Gerichtsverfahren zu unterstützen, für faire und wirksame Asylverfahren zu sorgen und die internationalen Mechanismen zur Bekämpfung von Menschenrechtsverletzungen in Russland zu stärken", sagte Oleg Kozlovsky, Experte für Russland bei Amnesty International.

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