Amnesty Report Äthiopien 29. April 2025

Autoritäre Praktiken auf dem Vormarsch: Eine Analyse der globalen Menschenrechtslage 2024

Das Foto zeigt Demonstrierende in Kitteln am Rande einer Straße. Die meisten lächeln. Vor ihnen steht ein Demonstrant mit einem Megafon, durch das er Slogans ruft.

Angestellte im Gesundheitswesen demonstrieren in Mosambiks Hauptstadt Maputo nach der Präsidentschaftswahl gegen Menschenrechtsverletzungen und den Abbau der Demokratie (5. November 2024).

Das Jahr 2024 war weltweit von Menschenrechtsverletzungen geprägt. Zu beobachten waren insbesondere Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht in bewaffneten Konflikten, die Unterdrückung von Andersdenkenden, Diskriminierung, wirtschaftliche Ungleichheit, Klimaungerechtigkeit und die Verletzung von Rechten durch den Missbrauch von Technologie. Zwar gab es auch eine Handvoll positiver Entwicklungen, doch im Großen und Ganzen verdeutlichen diese Menschenrechtstrends Rückschritte, die sich im Jahr 2025 und weiter in der Zukunft noch zu verschärfen drohen. Denn insbesondere die mächtigen Staaten untergraben weltweit weiterhin die regelbasierte Weltordnung, und autoritäre Praktiken sind auf vielen Kontinenten auf dem Vormarsch. 

Menschenrechtsverstöße in bewaffneten Konflikten

In verschiedenen Ländern wurden im Jahr 2024 Kriegsverbrechen gegen die Zivilbevölkerung begangen. Im Gazastreifen wurde Völkermord verübt. Diese völkerrechtlichen Verbrechen setzen sich auch 2025 noch fort. Während die internationale Gerichtsbarkeit in manchen Fällen wichtige Fortschritte bei der Aufarbeitung von Verbrechen erzielte, blockierten mächtige Regierungen wiederholt Versuche, wirksame Maßnahmen zur Beendigung von Gräueltaten zu ergreifen.

Völkerrechtliche Verbrechen

Weltweit herrschten bewaffnete Konflikte, die verheerende Folgen für Millionen Menschen mit sich brachten, z. B. in Äthiopien, Burkina Faso, Israel und dem besetzten palästinensischen Gebiet, Kamerun, Libyen, Mali, Mosambik, Myanmar, Niger, Nigeria, Somalia, Syrien, Ukraine, der Zentralafrikanischen Republik (ZAR), der Demokratischen Republik Kongo (DR Kongo) sowie im Irak, Jemen, Südsudan und Sudan. Die Konfliktparteien – sowohl Regierungstruppen als auch bewaffnete Gruppen – waren für Kriegsverbrechen und andere schwere Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht verantwortlich. Hierzu zählten u. a. direkte Angriffe auf Zivilpersonen und zivile Infrastruktur sowie wahllose Angriffe, bei denen Zivilpersonen verletzt und getötet wurden. 

Viele Menschen konnten ihre Rechte auf Bildung, Nahrung, Wasser, angemessenen Wohnraum, Gesundheitsversorgung und Sicherheit nicht wahrnehmen, besonders wenn sie ausgegrenzten Gemeinschaften angehörten. Im August 2024 erklärten die Vereinten Nationen eine Hungersnot für das Lager Samsam im Sudan, in dem damals mehr als 400.000 Binnenvertriebene lebten. Mit insgesamt mehr als elf Millionen Binnenvertriebenen war der Sudan im Jahr 2024 Schauplatz der größten Vertreibungskrise weltweit. In der Ukraine griff das russische Militär weiterhin die Zivilbevölkerung und die zivile Infrastruktur in besiedelten Gebieten mit Raketen und Drohnen an. Die Lebensbedingungen wurden deswegen für die ukrainische Zivilbevölkerung immer untragbarer, und schutzbedürftige Gruppen wie Kinder und ältere Menschen waren besonders stark betroffen. Gefangengenommene ukrainische Zivilpersonen sowie Kriegsgefangene wurden in Russland gefoltert und anderweitig misshandelt oder fielen dem Verschwindenlassen zum Opfer.

Israels Vorgehen im Gazastreifen hatte katastrophale Folgen für die palästinensische Zivilbevölkerung und kam einem Völkermord gleich. Gleichzeitig setzte Israel im Westjordanland das System der Apartheid und rechtswidrigen Besetzung weiterhin gewaltsam durch: Willkürliche Inhaftierungen, rechtswidrige Tötungen und staatlich unterstützte Angriffe israelischer Siedler*innen auf palästinensische Zivilpersonen nahmen dort 2024 stark zu.

 

Mehrere Personen gehen auf einer Straße, die gesäumt ist von zerbombten Häuserruinen.

Trümmerwüste: Zivilpersonen in Chan Yunis im Gazastreifen inmitten von Gebäuden, die durch israelische Luftangriffe zerstört wurden (7. April 2024).

 

Sexualisierte Gewalt in Verbindung mit bewaffneten Konflikten nahm in manchen Ländern alarmierende Ausmaße an. In der ZAR wurden in der ersten Jahreshälfte 2024 mehr als 11.000 Fälle von geschlechtsspezifischer Gewalt bekannt. Im Sudan stellte die Unabhängige Internationale Untersuchungskommission der Vereinten Nationen fest, dass Mitglieder der paramilitärischen Rapid Support Forces (RSF) in großem Umfang sexualisierte Gewalt verübt hatten.

Frauen und Mädchen waren von manchen Menschenrechtsverstößen in bewaffneten Konflikten unverhältnismäßig stark betroffen. Im Gazastreifen führten die wiederholten Vertreibungswellen zu menschenunwürdigen Bedingungen für mehr als eine Million Palästinenser*innen, besonders betroffen waren jedoch schwangere und stillende Frauen. Im Nordosten Syriens werden seit mehr als fünf Jahren Tausende Frauen und Mädchen ohne Anklage oder Gerichtsverfahren in Lagern oder Hafteinrichtungen festgehalten, weil ihre männlichen Verwandten im Verdacht stehen, der bewaffneten Gruppe Islamischer Staat anzugehören.

Systemischer Rassismus spielte in zahlreichen Konflikten eine Rolle. In Israel verwendete die politische Führung entmenschlichende Rhetorik gegen Palästinenser*innen. In Myanmar waren die Rohingya weiterhin rassistischen Angriffen ausgesetzt, was viele dazu veranlasste, aus ihrer Heimat im Bundesstaat Rakhine zu fliehen. Im Sudan war Rassismus der Grund für manche Angriffe der RSF auf Zivilpersonen. Und in der Ukraine ging Russland dazu über, die demografische Struktur der besetzten Gebiete zu verändern und die ukrainische und andere lokale Sprachen und Kulturen zu unterdrücken.

Rund um den Globus protestierten Millionen Menschen gegen völkerrechtliche Verbrechen in Konflikten. Multilaterale Institutionen, insbesondere der UN-Sicherheitsrat, waren jedoch häufig nicht in der Lage oder nicht willens, Druck auf Konfliktparteien auszuüben, damit diese das humanitäre Völkerrecht einhalten und/oder sicherstellen, dass die humanitäre Hilfe dem Bedarf der Zivilbevölkerung entspricht. In der Folge gab es immer größere Zweifel an der Legitimität und Funktionsfähigkeit dieser Institutionen.

Weltweit ergriffen im Jahr 2024 weder die internationale Staatengemeinschaft noch einzelne Länder wirksame Maßnahmen, um die Gräueltaten in Konflikten zu stoppen. Die USA, Großbritannien und viele EU-Mitgliedstaaten stellten sich offen hinter das Vorgehen Israels im Gazastreifen. Die USA missbrauchten monatelang ihr Vetorecht, sodass der UN-Sicherheitsrat keine wirksamen Schritte einleiten konnte und erst am 25. März 2024 infolge einer Abstimmung, bei der sich die USA enthielten, eine sofortige, wenn auch begrenzte Waffenruhe forderte. Selbst nach der Verabschiedung dieser Resolution untergruben die USA den Sicherheitsrat, indem sie die Resolution als "nicht bindend" bezeichneten. Die UN-Generalversammlung ergriff hingegen energischere Maßnahmen, indem sie im September 2024 eine Resolution annahm, die den Rückzug Israels aus dem palästinensischen Gebiet innerhalb von zwölf Monaten forderte. Im Dezember wurden in zwei weiteren Resolutionen eine permanente Waffenruhe im Gazastreifen, die Freilassung aller Geiseln sowie ein baldiger, umfassender, sicherer und uneingeschränkter humanitärer Zugang zum Gazastreifen gefordert. Auch sprach die Generalversammlung ihre volle Unterstützung für das UN-Hilfswerk für Palästinaflüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) aus. Im November 2024 legte Russland sein Veto gegen eine Resolution des UN-Sicherheitsrats ein, die ein Ende der Angriffe auf die Zivilbevölkerung im Sudan forderte und die Sicherstellung von humanitärer Hilfe für Millionen Menschen vor Ort verlangte.

Die Regierungen sollten den UN-Sicherheitsrat reformieren, damit Ständige Mitglieder ihr Vetorecht nicht einsetzen können, um Maßnahmen zur Beendigung und Aufarbeitung von Gräueltaten zu blockieren. Sie sollten auch mehr humanitäre Hilfslieferungen für Zivilpersonen sicherstellen, die von Konflikten betroffen sind.

Rechenschaftspflicht

Während der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) in manchen Ländern wie Afghanistan und Nigeria bei Verstößen gegen die Menschenrechte nicht hinreichend eingriff, unternahm er in Israel und dem besetzten palästinensischen Gebiet sowie in Libyen und Myanmar wichtige Schritte hin zur Aufarbeitung von Menschenrechtsverstößen. Im Oktober 2024 erließ der IStGH Haftbefehl gegen sechs Mitglieder der bewaffneten Gruppe al-Kaniat, denen in Libyen Kriegsverbrechen vorgeworfen werden. Im November beantragte der Chefankläger des IStGH einen Haftbefehl gegen den myanmarischen Armeechef Min Aung Hlaing. Ihm werden Verbrechen gegen die Menschlichkeit an den Rohingya während der Militäreinsätze im Jahr 2017 vorgeworfen. Am 21. November erließ der IStGH zudem Haftbefehl gegen israelische Regierungsangehörige und einen Anführer der Hamas wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Collage mit den drei Porträtbildern von Benjamin Netanyahu, Yoav Gallant und Mohammed Deif.

Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) hat im November 2024 Haftbefehle erlassen gegen den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu, den ehemalige israelischen Verteidgungsminister Yoav Gallant und den Hamas-Führer Mohammed Deif (Archivaufnahmen).

 

Einige Staaten machten deutlich, dass sie die Haftbefehle des IStGH gegen israelische Regierungsangehörige vollstrecken würden, sollten diese im Land sein. Zahlreiche Verbündete Israels teilten hingegen mit, dass sie dem nicht nachkommen würden. In einem ähnlichen Fall ignorierte die Mongolei im September 2024 ihre Verpflichtungen gemäß dem Römischen Statut, als sie den russischen Präsidenten Wladimir Putin bei einem Besuch im Land nicht festnehmen ließ, obwohl der IStGH im März 2023 wegen Kriegsverbrechen einen entsprechenden Haftbefehl ausgestellt hatte.

Nachdem Südafrika ein Verfahren gegen Israel wegen Verstoßes gegen die Völkermordkonvention angestrengt hatte, ordnete der Internationale Gerichtshof (IGH) 2024 drei Mal einstweilige Maßnahmen an, um einen Völkermord im Gazastreifen zu verhindern, und bezeichnete in einem Gutachten die israelische Besatzung des palästinensischen Gebiets für völkerrechtswidrig. Einige Länder wie Belgien und Spanien kamen der Forderung von UN-Expert*innen nach, Waffenlieferungen nach Israel auszusetzen. In Ländern wie Dänemark, Frankreich, Großbritannien und den Niederlanden zogen zivilgesellschaftliche Akteur*innen vor Gericht, weil ihre jeweilige Regierung Waffen lieferte. Die USA lieferten weiterhin die allermeisten Waffen nach Israel. Einige europäische Staaten wie Tschechien, Frankreich und Deutschland führten 2024 ihre Rüstungsexporte in Länder fort, in denen frühere Menschenrechtsverstöße nicht aufgearbeitet worden waren und wo ein erhebliches Risiko bestand, dass die Waffen für schwere völkerrechtliche Verstöße eingesetzt werden bzw. solchen Verstößen Vorschub leisten könnten – darunter Israel, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate.

Die Regierungen sollten den IStGH unterstützen und den Gerichtshof und seine Mitarbeiter*innen vor Sanktionen und anderen Bedrohungen schützen. Zudem sollten sie die von ihm ausgestellten Haftbefehle vollstrecken und unverantwortliche Rüstungsexporte einstellen.

Unterdrückung Andersdenkender

In unterschiedlichen Ländern griffen die Behörden 2024 auf autoritäre Praktiken zurück und führten neue Maßnahmen zur Einschränkung der Rechte auf Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit ein. Diese Maßnahmen sowie bestehende Gesetze und Vorschriften wurden dann wahlweise dazu genutzt, um gegen Menschenrechtsverteidiger*innen, Kritiker*innen und Gegner*innen vorzugehen oder sich von jeglicher Verantwortung zu befreien und die eigene Macht zu festigen.

Recht auf Versammlungsfreiheit

Im Jahr 2024 wurden in Argentinien, Georgien, Nicaragua, Pakistan und Peru neue restriktive Verordnungen angenommen oder vorgelegt, mit denen das Recht auf Protest eingeschränkt wurde. Die Behörden einiger Länder wie z. B. der Türkei sprachen gar Pauschalverbote für Protestveranstaltungen aus. 

In vielen Ländern lösten Sicherheitskräfte Demonstrationen brutal und manchmal sogar unter Anwendung tödlicher Gewalt auf. Auch nahmen sie Menschen willkürlich und massenhaft fest oder ließen sie verschwinden, um Proteste zu unterbinden. Zu den Ländern, in denen im Jahr 2024 unzählige Protestierende festgenommen und/oder getötet wurden, gehörten Ägypten, Bangladesch, Georgien, Guinea, Indien, Indonesien, Jordanien, Kenia, Mosambik, Nepal, Nigeria, Pakistan und der Senegal. In Bangladesch wurden Streitkräfte gegen Proteste von Studierenden eingesetzt und angewiesen, auf Menschen zu schießen, was knapp tausend Tote und unzählige Verletzte zur Folge hatte.

Weltweit begegneten die Behörden in verschiedenen Ländern wie Ägypten, Fidschi, Finnland, Deutschland, Indien, Italien, Kanada, Malaysia, den Malediven und den USA jenen Menschen, die ein Ende des Kriegs im Gazastreifen forderten und für die Rechte der Palästinenser*innen eintraten, mit Gewalt, Schikanen und/oder Festnahmen.

Rund um den Globus führte auch 2024 der Einsatz von tödlichen und weniger tödlichen Waffen gegen Demonstrierende zu Toten und Verletzten. Gleichzeitig gelang es der globalen zivilgesellschaftlichen Bewegung für ein internationales und rechtsverbindliches Abkommen zur Kontrolle des Handels mit Folterwerkzeug, ihre Reichweite auszubauen und Staaten auf die Notwendigkeit eines solchen Abkommens aufmerksam zu machen. Auch eine Reihe von Mandatsträger*innen der UN-Sonderverfahren unterstützte öffentlich diese Kampagne.

In einem positiven Schritt entschied der Gerichtshof der Wirtschaftsgemeinschaft der westafrikanischen Staaten im Juli 2024, dass Nigeria die Rechte der #EndSARS-Demonstrierenden verletzt hatte. Und im Mai 2024 wurde in Großbritannien ein 2023 verabschiedetes Gesetz für rechtswidrig erklärt, das der Polizei größere Befugnisse zur Einschränkung von Protesten eingeräumt hatte.

Als im Dezember 2024 in Südkorea der Präsident das Kriegsrecht ausrief und die Grundrechte einschließlich des Rechts auf Versammlungsfreiheit aussetzte, gingen die Menschen erfolgreich dagegen auf die Straße. Die Nationalversammlung machte die Maßnahme schnell wieder rückgängig und enthob den Präsidenten seines Amtes.

Die Regierungen sollten den rechtswidrigen Einsatz tödlicher und weniger tödlicher Waffen gegen Demonstrierende einstellen und sich stärker um die Aushandlung und Verabschiedung eines UN-Abkommens zur Kontrolle des Handels mit Folterwerkzeug bemühen.

Rechte auf Meinungs- und Vereinigungsfreiheit

In mehreren Ländern unternahmen die Behörden 2024 den Versuch, das Recht auf freie Meinungsäußerung stärker einzuschränken. Staaten wie Afghanistan, Bangladesch, Belarus, Burkina Faso, China (einschließlich Hongkong), Äquatorialguinea, Gambia, Georgien, Deutschland, Indien, Kirgisistan, Lesotho, Moldau, Pakistan, Papua-Neuguinea, Russland, Sri Lanka, Tadschikistan, Usbekistan und Vietnam brachten Gesetze oder Gesetzentwürfe ein, mit denen die freie Meinungsäußerung unterdrückt werden könnte oder Medienkanäle verboten werden könnten. 

 

Protestierende Frauen vor einer Reihe von Polizisten mit Helmen und Schilden

Protestierende und Polizeikräfte am Rande einer Demonstration am "International Safe Abortion Day" in Mexiko-Stadt (28. September 2024)

 

Die Behörden in Äthiopien, Côte d'Ivoire, Georgien, Guinea, Kirgisistan, Nicaragua, Paraguay, Russland, Ruanda, Tadschikistan, Thailand, Tunesien, Uganda, Ungarn, Venezuela und anderen Ländern ergriffen neue Maßnahmen zur Einschränkung der Vereinigungsfreiheit. Unter anderem wurde NGOs oder politischen Parteien vorübergehend die Lizenz entzogen, oder diese Organisationen wurden gleich ganz aufgelöst oder als "extremistisch" gebrandmarkt.

Insgesamt kamen die Rechte auf Meinungs- und Vereinigungsfreiheit 2024 rund um den Globus weiterhin stark unter Druck. Zum Arsenal an Unterdrückungsmethoden der Regierungen zählten willkürliche Inhaftierung, Folter, die ungerechtfertigte strafrechtliche Verfolgung von Kritiker*innen und Gegner*innen sowie der Einsatz von Spionagesoftware. In manchen Ländern wurden Kritiker*innen rechtswidrig getötet oder zum Tode verurteilt, oder sie fielen dem Verschwindenlassen zum Opfer. Ins Visier gerieten dabei Journalist*innen, Menschen, die online ihre Ansichten äußerten, Gewerkschafter*innen und Menschenrechtler*innen – darunter auch Personen, die sich für die Rechte von Frauen, LGBTI+ oder ausgegrenzten Gemeinschaften stark machten. Im Jahr 2024 wurden Menschen in Ländern wie Belarus, China, Kirgisistan, Russland, Saudi-Arabien, Tadschikistan und der Türkei in unfairen Verfahren wegen "Terrorismus" oder "Extremismus" zu Gefängnisstrafen verurteilt, nur weil sie ihre Rechte auf freie Meinungsäußerung und Vereinigungsfreiheit wahrgenommen hatten, auch online.

Die Regierungen sollten Gesetze und Maßnahmen, die gegen die Rechte auf freie Meinungsäußerung und Vereinigungsfreiheit verstoßen, aufheben bzw. unterlassen.

Diskriminierung

Rassistische Diskriminierung und andere Formen der Diskriminierung lagen in zahlreichen Ländern der Asyl- und Einwanderungspolitik zugrunde und beeinträchtigten die Rechte von Randgruppen. Gleichzeitig wurden ausgegrenzte Gruppen zum Sündenbock gemacht und als Bedrohung für die politische oder wirtschaftliche Stabilität dargestellt, um weitere Einschränkungen der Menschenrechte zu legitimieren und noch stärkere staatliche Kontrolle zu rechtfertigen. Hinsichtlich der Rechte von lesbischen, schwulen, bisexuellen, trans und intergeschlechtlichen Menschen (LGBTI+) gab es im Jahr 2024 sowohl Fortschritte als auch Rückschläge. 

Rechte von Flüchtlingen und Migrant*innen

Rassismus und andere Formen staatlicher Unterdrückung lagen auch 2024 der Asyl- und Einwanderungspolitik zahlreicher Länder zugrunde. Diskriminierende politische Grundsätze und Praktiken betrafen insbesondere rassifizierte Gruppen wie Migrant*innen, Geflüchtete und andere Menschen, die nicht die Staatsbürgerschaft des Landes besaßen, in dem sie sich aufhielten. Mehrere Länder, darunter Kanada, Katar und Saudi-Arabien, hielten an Visaregelungen fest, die auf rassistischem Gedankengut basierten und Arbeitsmigrant*innen an einen bestimmten Arbeitgeber banden, was das Risiko der Ausbeutung erhöhte. Digitale Technologien wurden sowohl von Regierungen als auch von privatwirtschaftlichen Akteuren zur Migrationssteuerung und in Asylverfahren eingesetzt, zum Teil missbräuchlich.

Weltweit bedienten sich Regierungen extremer und gewaltsamer Maßnahmen, um zu verhindern, dass Menschen auf irreguläre Weise einreisten, indem sie Personen z. B. an der Grenze zurückschoben, die Verantwortung für Flüchtlinge und Migrant*innen auf andere Länder übertrugen, die Grenzen schlossen und Massenabschiebungen vornahmen. Ägypten hielt Hunderte sudanesischer Flüchtlinge zuerst willkürlich fest und schob sie dann in den Sudan ab. Mehr als 3,2 Millionen sudanesische Flüchtlinge hielten sich 2024 in Nachbarländern auf und lebten dort oftmals unter erbärmlichen Bedingungen. Die pakistanischen Behörden schoben Hunderttausende Flüchtlinge rechtswidrig nach Afghanistan ab. Die USA blockierten zeitweise die Einreise von Asylsuchenden an der Grenze zu Mexiko, was diese dazu zwang, in Mexiko auszuharren, wo manche Erpressung, Entführung und sexualisierter und geschlechtsspezifischer Gewalt ausgesetzt waren. In Belarus zwangen die Behörden Flüchtlinge und Migrant*innen auch weiterhin, die Grenzen zu EU-Ländern zu überqueren, was sie in eine gefährliche Lage brachte und zu einigen Todesfällen führte. Andere europäische Länder sowie auch die EU blieben bei der Migrationssteuerung von Drittländern abhängig. Es gelang ihnen nicht, mehr sichere und legale Zugangswege für Geflüchtete zu schaffen.

Regierungen gingen zudem häufig mit rechtswidrigen Mitteln gegen irreguläre Migration vor und untergruben damit die Rechtsstaatlichkeit, z. B. indem sie gerichtliche Anordnungen zur Wahrung der Rechte von Migrant*innen, Asylsuchenden und Flüchtlingen ignorierten oder umgingen. So ignorierte Griechenland durchweg die Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), beispielsweise eine Entscheidung vom Januar 2024, wonach Griechenland 2014 bei einem Einsatz auf See, bei dem ein Mann durch Schusswaffeneinsatz starb, das Recht auf Leben verletzt habe. Trotz dieses Urteils machte die griechische Küstenwache weiterhin von Schusswaffen Gebrauch. Die britische Regierung versuchte 2024, ein 2023 vor dem Obersten Gerichtshof ergangenes Urteil zu kippen, nach dem Ruanda kein sicheres Land für Abschiebungen aus Großbritannien sei. Der Plan, in Großbritannien angekommene Asylsuchende nach Ruanda abzuschieben, wurde nach den Parlamentswahlen von der neuen Regierung verworfen. 

Derweil taten sich rund um den Globus Menschen zu Gruppen zusammen, solidarisierten sich mit Geflüchteten und zeigten Flagge gegen Rassismus und Ausgrenzung.

Die Regierungen sollten eine Migrationspolitik verfolgen, die Ungleichheit und Ausgrenzung wirkungsvoll bekämpft.

Rassistische Diskriminierung

Rassifizierte Gruppen, ethnische und andere Minderheiten sowie gesellschaftliche Randgruppen waren auch 2024 mit systemischer Diskriminierung und tiefsitzenden Ungleichheiten konfrontiert, was die Wahrnehmung ihrer Menschenrechte stark beeinträchtigte.

Eine positive Entwicklung war, dass die indigenen Gemeinschaften in Taiwan das Recht erlangten, in offiziellen Dokumenten ihre indigenen Namen anstelle der Version in Mandarin zu verwenden. In vielen anderen Ländern jedoch erlebten Indigene und ihre Rechte herbe Rückschläge. Die neuseeländische Regierung erließ neue Gesetze, die die Rechte der Māori untergruben. In Ländern wie Bolivien, Indonesien und Malaysia wurden Bergbau- und Entwicklungsprojekte auf dem angestammten Land indigener Völker weiterhin ohne deren freie, vorherige und informierte Zustimmung vorangetrieben.

Diskriminierende Personenkontrollen (Racial Profiling) und institutioneller Rassismus waren in Bereichen wie Gesetzesvollzug und Sozialfürsorge nach wie vor gang und gäbe. In amerikanischen Ländern wie Brasilien, Ecuador und den USA wurden Schwarze Menschen bei Polizeieinsätzen unverhältnismäßig häufig ins Visier genommen. In der Region Asien-Pazifik wurden ethnische und religiöse Minderheiten verfolgt und systemisch diskriminiert, so z. B. ethnische Gruppen in China, die nicht zur Mehrheit der Han-Chines*innen gehörten, und die religiöse Minderheit der Pamiri in Tadschikistan. In Europa kam in Norwegen und der Schweiz Racial Profiling zum Einsatz, während in Dänemark, Schweden und den Niederlanden automatisierte Sozialsysteme zur Diskriminierung von rassifizierten Personengruppen sowie von Frauen und Geringverdienenden führten.

In Großbritannien und anderen Ländern kam es zu rassistisch motivierter Gewalt, die durch die algorithmusbedingte Verbreitung bestimmter Inhalte in den Sozialen Medien noch angeheizt wurde.

Expert*innen, Aktivist*innen und Organisationen, die sich mit dem Erbe des Kolonialismus befassten, appellierten auch weiterhin an die Regierungen, sich mit ihrer kolonialen Vergangenheit und den anhaltenden Menschenrechtsfolgen auseinanderzusetzen. Im August 2024 erklärte die Interamerikanische Menschenrechtskommission, struktureller Rassismus und rassistische Diskriminierung hindere Schwarze Menschen und Indigene daran, ihre Rechte umfassend wahrzunehmen. Sie forderte die Länder des Kontinents auf, für umfassende Wiedergutmachung zu sorgen. Im November forderten Expert*innen des afrikanischen Kontinents und afrikanischer Diaspora-Gemeinschaften auf der Dekolonialen Berlin Africa Conference – der dekolonialen Gegenversion der Berliner Afrika-Konferenz von 1884/85 – die europäischen Regierungen auf, sich mit ihrer kolonialen Vergangenheit und den anhaltenden Auswirkungen auseinanderzusetzen.

Die Regierungen sollten rassistische Diskriminierung im Gesetz und in der Praxis beenden, für Wiedergutmachung und Gerechtigkeit im Zusammenhang mit Sklaverei und Kolonialismus sorgen, und das Erbe dieses historischen Unrechts bekämpfen, das sich heute in Rassismus und Ungleichheit niederschlägt.

Geschlechtsspezifische Diskriminierung und Gewalt

Die Geschlechtergleichheit erfuhr 2024 in vielerlei Hinsicht starken Gegenwind. Geschlechtsspezifische Diskriminierung und Gewalt gegen Frauen, Mädchen und LGBTI+ waren nach wie vor an der Tagesordnung, besonders für Bevölkerungsgruppen, die von Mehrfachdiskriminierung betroffen waren. In Afghanistan waren Frauen und Mädchen geschlechtsspezifischer Verfolgung ausgesetzt – ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Die Taliban schlossen 2024 Frauen und Mädchen noch weiter aus dem öffentlichen Leben aus und schränkten sie in allen Lebensbereichen ein. In Argentinien wurde im Jahr 2024 alle 33 Stunden eine Frau ermordet. Im Iran verschärften die Behörden ihr brutales Vorgehen gegen Frauen und Mädchen, die sich dem Kopftuchzwang widersetzten.

Trotz vieler Rückschläge waren 2024 auch Fortschritte hinsichtlich der LGBTI-Rechte zu verzeichnen. Thailand war das erste Land in Südostasien, das die gleichberechtigte Ehe für LGBTI+ einführte, während in Japan ein Verbot der gleichgeschlechtlichen Ehe für verfassungswidrig erklärt wurde. In Griechenland und Tschechien wurde die gleichgeschlechtliche Ehe legalisiert. Gerichte in Japan, Südkorea und Taiwan machten Fortschritte bei der Anerkennung der Rechte von trans Menschen. In Namibia urteilte das Hohe Gericht, dass das gesetzliche Verbot einvernehmlicher gleichgeschlechtlicher sexueller Handlungen aufgehoben werden muss, die Regierung legte jedoch Rechtsmittel gegen das Urteil ein.

Anderswo grenzten Diskriminierung und repressive Gesetze LGBTI-Rechte ein. In Ghana, Malawi, Mali und Uganda wurde das Verbot einvernehmlicher gleichgeschlechtlicher sexueller Handlungen zwischen Erwachsenen gesetzlich eingeführt bzw. gerichtlich bestätigt. Das georgische Parlament verabschiedete ein Gesetz zum "Schutz von Familienwerten und Minderjährigen", das zahlreiche homo- und transfeindliche Maßnahmen enthielt und große Ähnlichkeit mit dem russischen Gesetz gegen "schwule Propaganda" aufwies. Bulgarien erließ ein Gesetz gegen "LGBTI-Propaganda" in Schulen. Weltweit waren trans Menschen von Gewalt und einem unzureichenden Menschenrechtsschutz betroffen.

Vier Personen halten während einer Demonstration ein Banner vor sich, auf dem unter anderem steht: "Fight Uganda's Anti-Homosexuality Death Penalty Law".

Protestaktion gegen das Anti-LGBTI-Gesetz vor der ugandischen Botschaft in London während der Pride-Parade am 1. Juli 2023

 

Einige Länder führten 2024 Maßnahmen ein, um den Zugang zu sexuellen und reproduktiven Gesundheitsleistungen zu verbessern. Frankreich schrieb als erstes Land der Welt das ausdrückliche Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch in der Verfassung fest. Einige Länder unterstützten Maßnahmen, um Patient*innen und im Gesundheitssektor Beschäftigte in der Nähe von Abtreibungskliniken vor Schikane zu schützen. Allerdings führten Länder wie Afghanistan, Argentinien, Chile, Puerto Rico und Russland im Gesetz oder in der Praxis Maßnahmen ein, die den Zugang zu sexuellen und reproduktiven Gesundheitsdiensten einschränkten. Social-Media-Betreiberfirmen wie Meta und TikTok entfernten derweil Informationen über Schwangerschaftsabbrüche von ihren Plattformen.

In vielen Ländern bestanden nach wie vor Hindernisse beim Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen, und Verfechter*innen des Rechts auf einen Abbruch gerieten weiterhin ins Visier. Aktivist*innen, Anwält*innen, Beschäftigte des Gesundheitswesens und andere wurden stigmatisiert und bedroht und mussten mit ungerechtfertigter Strafverfolgung und Festnahme rechnen. 

Die Regierungen müssen geschlechtsspezifischer Diskriminierung und Gewalt ein Ende setzen, repressive Gesetze aufheben und den Zugang zu umfassenden Informationen und Dienstleistungen im Bereich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit gewährleisten, wozu auch der Zugang zu einem sicheren Schwangerschaftsabbruch gehört.

Wirtschafts- und Klimaungerechtigkeit

Die Regierungen zeigten 2024 nicht die nötigen Ambitionen, um den zunehmenden menschenrechtlichen Auswirkungen des Klimawandels entgegenzuwirken. Gleichzeitig wurden in allen Ländern, vor allem aber in den einkommensschwächsten, die wirtschaftlichen und sozialen Rechte durch hohe Inflationsraten, Schuldentilgung und eine ungerechte Steuerpolitik untergraben. Hinzu kam, dass im Zusammenhang mit dem Übergang zu erneuerbaren Energien die Nachfrage nach bestimmten Rohstoffen erheblich anstieg; dies brachte neue Risiken für die Menschenrechte mit sich.

Recht auf eine gesunde Umwelt

Inmitten rapider Klimaänderungen hielten sich Regierungen weltweit nicht an ihre Verpflichtung, die Menschenrechte inner- und außerhalb ihrer Grenzen zu schützen. Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen stellte in einem Bericht fest, dass die Welt bis Ende des Jahrhunderts auf eine durchschnittliche Erderwärmung von etwa 3°C über dem vorindustriellen Niveau zusteuert. Im Mai 2024 berichtete das Copernicus-Programm der EU zur Überwachung des Klimawandels, dass die Durchschnittstemperaturen der vorigen zwölf Monate mehr als 1,5°C über dem vorindustriellen Niveau gelegen hatten.

Im Jahr 2024 wurde deutlich, dass die menschenrechtlichen Folgen des Klimawandels selbst im derzeitigen Ausmaß inakzeptabel sind. Der Klimawandel hat dazu geführt, dass Katastrophen wie Orkane, Wirbelstürme, Waldbrände und starke Regenfälle schwerer und wahrscheinlicher geworden sind, was mehr Todesfälle, Vertreibung, Hungersnöte und andere Menschenrechtsverletzungen mit sich bringt. Durch Überschwemmungen in Bangladesch und Indien wurden 2024 Hunderttausende Menschen vertrieben. Aufgrund des Klimawandels mussten in Afrika, wo es bereits Millionen Vertriebene gab, noch mehr Menschen aus ihrer Heimat fliehen.

Einige Regierungen entschieden sich dafür, ihre Wirtschaft durch Investitionen in Sektoren und Projekte anzukurbeln, die die Menschenrechte – und oft das Recht auf eine gesunde Umwelt – verletzten. Derartige Investitionen sind oft nur unzureichend reguliert und bieten Anreize für Unternehmen, ihre Gewinne ohne Rücksicht auf "Kollateralschäden" bei den Menschenrechten zu maximieren. So haben Regierungen zum Beispiel aus Steuergeldern erhebliche direkte und indirekte Subventionen für die fossile Brennstoffindustrie bereitgestellt, obwohl diese weltweit für schwere Menschenrechtsverstöße verantwortlich ist. Ebenso wurde in große Tourismusprojekte investiert sowie in Lösungen für die Klimakrise, deren Wirksamkeit bisher nicht bewiesen ist und die Menschenrechtsverstöße nach sich ziehen könnten, wie z. B. die Wasserstoffproduktion und die Kohlenstoffabscheidung und -speicherung. In manchen Fällen gingen diese Projekte mit rechtswidrigen Zwangsräumungen, erheblicher Umweltverschmutzung und anderen Menschenrechtsverstößen einher.

Die Länder, die für die meisten Kohlenstoffemissionen verantwortlich sind, haben bisher nur unzureichende Beträge zur Klimafinanzierung geleistet, um Anpassungsmaßnahmen in den einkommensschwächeren Ländern zu unterstützen, die vorrangig von Klimaschäden betroffen sind. Klimaanpassungsmaßnahmen können dazu beitragen, Todesfälle und Menschenrechtsverletzungen zu minimieren, indem solide Frühwarnsysteme, widerstandsfähige Gesundheitssysteme und die nötige Infrastruktur für die Notfallhilfe eingerichtet werden. Manche Leistungen der Klimafinanzierung wurden in Form von Darlehen bereitgestellt, wodurch sich einkommensschwache Länder noch weiter verschuldeten.

Forderungen nach Klimagerechtigkeit kamen von allen Seiten. Manche Aktivist*innen bedienten sich nationaler oder internationaler Justizmechanismen, um Regierungen zu einem schnelleren Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen zu verpflichten. Die entsprechenden Urteile wurden von den Regierungen jedoch nicht immer beachtet. Der EGMR erläuterte in drei Urteilen vom April 2024 die menschenrechtlichen Verpflichtungen der Staaten in Verbindung mit der Klimakrise. In einer dieser Entscheidungen wurde festgestellt, dass die Schweiz ihre Verpflichtungen zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen nicht erfüllt hatte, doch das Schweizer Parlament wies das Urteil zurück. Vor dem IGH begannen derweil die Anhörungen für ein Gutachten zum Klimawandel, das von Studierenden des pazifischen Inselstaats Vanuatu beantragt wurde.

Alle Regierungen sollten einen schnellen, fairen und umfassend finanzierten Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen vornehmen und die Subventionen für die Fossilbrennstoffindustrie einstellen. Staaten, die historisch für hohe Emissionen verantwortlich sind sowie andere Länder, die dazu in der Lage sind, sollten Zuschüsse für die Anpassung an den Klimawandel in den einkommensschwächeren Ländern bereitstellen, die am stärksten vom Klimawandel betroffen sind.

Wirtschaftliche und soziale Rechte

Gleichzeitig zur Verschärfung des Klimawandels sah die Welt zahlreiche globale Konflikte, hohe Inflationsraten und Schuldenstände, lückenhafte Unternehmensregulierung und allgegenwärtigen Steuermissbrauch. Im Jahr 2024 lagen die Schuldenrückzahlungen der einkommensschwächeren Länder so hoch wie seit 30 Jahren nicht mehr, sodass in vielen Ländern weitaus mehr Mittel für den Schuldendienst aufgewendet wurden als für Gesundheit und Bildung. Gekoppelt mit unfairen Steuersystemen und der Tatsache, dass nicht gegen die Steuervermeidung und -hinterziehung von Unternehmen und Privatpersonen vorgegangen wurde, hatten Regierungen noch weniger Mittel zur Verfügung, um für die Verwirklichung von Rechten zu sorgen. In der Folge verschärften sich extreme Armut und Ungleichheit weiter. Armut und Konflikte gekoppelt mit klimawandelbedingten Dürreperioden und anderen Katastrophen hatten schwere Ernährungsunsicherheit für Hunderte Millionen Menschen zur Folge. Im Jahr 2024 wurden im Gazastreifen, in Haiti und im Sudan Hungersnöte ausgerufen. Weltweit wurde im Rahmen der humanitären Hilfe weniger als die Hälfte der zur Deckung des unmittelbaren Bedarfs erforderlichen Mittel bereitgestellt.

Aktivist*innen und andere engagierte Personen protestierten weltweit gegen diese Situation und machten ihrem Unmut über die steigenden Lebenshaltungskosten mit zivilem Ungehorsam Luft, selbst angesichts der zunehmenden Kriminalisierung von Protesten. Auch wurden 2024 Vorbereitungen für die Ausarbeitung eines UN-Rahmenübereinkommens über die internationale Zusammenarbeit in Steuersachen getroffen. Dieses Übereinkommen könnte den Grundstein für ein gerechteres globales Steuersystem legen und damit den Steuermissbrauch verhindern, der aktuell die Fähigkeit von Regierungen untergräbt, in die Gewährleistung der Rechte auf Gesundheit, Bildung und soziale Sicherheit zu investieren. Eine überwältigende Mehrheit von 110 Ländern stimmte dafür, nur acht stimmten dagegen und 44 enthielten sich.

Die Regierungen sollten das UN-Steuerübereinkommen zügig ausarbeiten, annehmen und umsetzen und in der Zwischenzeit Maßnahmen zur Verhinderung von Steuermissbrauch ergreifen.

Unternehmensverantwortung

Privatwirtschaftliche Unternehmen trugen 2024 weitgehend ungehindert dazu bei, dass Menschenrechtsverstöße begangen wurden. Hierzu zählten beispielsweise die Verschmutzung von Trinkwasser, Fischgründen, Ackerland und Luft. Gleichzeitig traten Unternehmen die Rechte der betroffenen Gemeinschaften auf Information und Einwilligung mit Füßen. Unternehmen versuchten, Rechts- und Politiksysteme zu beeinflussen, während Regierungen die Firmen nicht angemessen regulierten. 

Im Zusammenhang mit dem Übergang zu erneuerbaren Energien stieg die Nachfrage nach bestimmten Rohstoffen maßgeblich an, was neue Risiken für die Menschenrechte mit sich brachte. Führende Elektroautohersteller wiesen nicht ausreichend nach, dass sie die internationalen Menschenrechtsstandards einhielten oder auch nur ihre eigenen Vorgaben in die Tat umsetzten.

Das Bild zeigt eine Bergbaumine aus der Vogelperspektive

In dieser Mine auf der indonesischen Insel Halmahera werden Rohstoffe abgebaut, die unter anderem für die Herstellung von Elektroauto-Batterien benötigt werden (Aufnahme vom September 2023).

 

Es gab jedoch auch einige Fortschritte. Die EU legte 2024 eine neue Direktive zu Unternehmensverantwortung (EU-Lieferkettenrichtlinie) vor, die von großen Unternehmen die Einhaltung neuer Regeln zu Menschenrechten, Umweltfolgen und zum Klima verlangt. Auch wenn die Richtlinie in einiger Hinsicht verbesserungswürdig war, blieb sie doch der weltweit bedeutendste Versuch, verbindliche Regeln für menschenrechtliche Sorgfaltspflichten im Einklang mit den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte einzuführen.

Die EU sollte jegliche Bemühungen zur Schwächung des Schutzes der Menschenrechte, der Umwelt oder des Klimas in der EU-Lieferkettenrichtlinie ablehnen, und andere regionale Blöcke sollten mit ihren eigenen Sorgfaltspflichtgesetzen diesem Beispiel folgen. 

Technologie und Menschenrechte

Die Wahl in den USA verdeutlichte 2024 den enormen Einfluss, den große Technologieunternehmen auf Entscheidungen über den Einsatz von Technologien und auf Debatten zur Regulierung der Technik haben, und wie sehr sie auch Menschenrechtsverstößen gegen Migrant*innen, LGBTI+ und andere Vorschub leisten. Dies zeigte einmal mehr, wie wichtig es ist, dass weltweit verbindliche Regeln zu Technologie und Menschenrechten entstehen und eingehalten werden. Wegen mangelnder Regulierung missbrauchten immer mehr Regierungen den Einsatz von Spionagesoftware und anderen Überwachungsinstrumenten. Bestehende Ungleichheiten wurden durch den Einsatz neuer KI-Technologien im öffentlichen Sektor noch verschärft. Derweil ließen Social-Media-Betreiberfirmen weiterhin die Verbreitung von hasserfüllten und gewalttätigen Beiträgen zu.

Missbrauch von Technologie

In vielen Teilen der Welt hielt der Einsatz von Gesichtserkennungstechnologie Menschen davon ab, ihr Recht auf Protest wahrzunehmen. In manchen Ländern überwachte die Polizei friedliche Demonstrierende mit hochmodernen Kameras, die auf Drohnen oder Fahrzeugen montiert waren. Diese Praxis verstößt gegen das Recht auf Privatsphäre, hat eine abschreckende Wirkung auf das Recht auf friedliche Versammlung und könnte zu Diskriminierung führen. 

In immer mehr Ländern setzten die Behörden großflächig Spionagetechnologien ein. Im Internet war die Sicherheit der Nutzer*innen bedroht, da die Praxis der Datensammlung zu Werbezwecken häufig missbraucht wurde. Und der Handel mit Überwachungstechnologien wie Spionagesoftware war aufgrund mangelnder Transparenz und Regulierung weiterhin sehr undurchsichtig. Aus einem im Mai 2024 veröffentlichten Amnesty-Bericht ging hervor, dass indonesische Firmen und Behörden jahrelang hochgradig invasive Spyware und Überwachungsprodukte eingekauft hatten. Studierende aus Festlandchina und Hongkong, die im Ausland studierten, wurden nach wie vor bei der Nutzung bestimmter Apps und Internetplattformen überwacht. In einigen Ländern, darunter Thailand, Jemen, Kanada und Südkorea, waren Frauen und LGBTI-Aktivist*innen immer stärker von technologiegestützter geschlechtsspezifischer Gewalt bedroht, die manchmal durch Überwachung ermöglicht wurde.

Zivilgesellschaftliche Organisationen wie Amnesty International sowie auch einige Staaten setzten sich dafür ein, die Verantwortlichen für die missbräuchliche Verwendung von Spionagesoftware zur Rechenschaft zu ziehen. In Thailand und den USA liefen 2024 weiterhin Verfahren gegen die israelische Firma NSO Group, die die Spyware Pegasus vertreibt, wobei Israel versuchte, den Prozessen Steine in den Weg zu legen. Auf multilateraler Ebene wurden lediglich freiwillige Verhaltensregeln zur Eindämmung der Spionagesoftwarenutzung formuliert. So initiierten Frankreich und Großbritannien 2024 den Pall-Mall-Prozess zur Nichtverbreitung kommerzieller Überwachungssoftware, der Regierungen, Unternehmen und zivilgesellschaftliche Akteure an einen Tisch bringen soll.

Die Regierungen sollten rechtswidrige Überwachung und die dabei eingesetzten Produkte verbieten. Zudem sollten sie wirkungsvolle Mechanismen einführen, um entsprechende Menschenrechtsverstöße zu verhindern und Rechtsbehelfe für die Betroffenen bereitzustellen.

Amnesty-Posting auf X (ehemals Twitter):

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Unzureichende Regulierung neuer Technologien

Die Regierungen nahmen 2024 einige von ihren Zusagen zur Regulierung neuer Technologien zurück, was teils dem Regierungswechsel in den USA geschuldet war und stark von den Interessen der Industrie gesteuert wurde. Weltweit wurden KI-Technologien immer stärker in den öffentlichen Sektor integriert und KI-gestützte Systeme auch für die Bereiche Sozialfürsorge, Polizeiarbeit, Einwanderung und Militär entwickelt und ausgeweitet. Der Einsatz dieser Technologien wurde häufig mit der Notwendigkeit für einen effizienteren Einsatz staatlicher Ressourcen, Kosteneinsparungen und andere Sparmaßnahmen gerechtfertigt. Sie führten jedoch in Wirklichkeit zu verstärkter Diskriminierung und geschlechtsspezifischer Ungleichheit und zementierten rassistische sozioökonomische Machtsysteme.

In vielen Ländern verließen sich die Behörden bei der Vergabe und Kontrolle von Sozialleistungen auf automatisierte Prozesse, was zu diskriminierenden und unfairen Resultaten führte. Dies lag zum Teil daran, dass neue und zunehmend gängige Methoden zur Bündelung und Einspeisung persönlicher Informationen nicht sorgfältig genug umgesetzt wurden. 

Weltweit wurde die Regulierung der Künstlichen Intelligenz dadurch behindert, dass die USA und China sich als Gegner in einem Wettlauf darstellten, in dem Regulierung nicht mit Innovation vereinbar ist und in dem beide Länder ihre KI-Entwicklung aus Gründen der nationalen Sicherheit schnell und ungehindert vorantreiben müssen. 

Die Regierungen sollten mehr tun, um KI-Technologien und -Hersteller zu regulieren und um dafür zu sorgen, dass die Menschenrechte bei der Entwicklung und dem Einsatz neuer Technologien eine wesentliche Rolle spielen. 

Geschäftsmodell von Social-Media-Betreiberfirmen

Social-Media-Betreiberfirmen unterlagen keiner angemessenen Kontrolle und machten 2024 einige Schutzmaßnahmen für ausgegrenzte und gefährdete Personengruppen rückgängig. Ihr Geschäftsmodell priorisierte die Interaktion und Plattformbindung von Nutzer*innen auf Kosten der Sicherheit, was bedeutete, dass sich hasserfüllte und gewalttätige Inhalte ungehindert verbreiten konnten. Insbesondere junge Leute hielten sich trotz der schädlichen Folgen unvermindert auf diesen Plattformen auf. Weltweit wurden junge Aktivist*innen 2024 im Internet bedroht und drangsaliert. Auf den Philippinen dokumentierte Amnesty International, wie jugendliche Aktivist*innen mit Unterstützung der Behörden durch das sogenannte "Red-Tagging" stigmatisiert und geächtet wurden, was bedeutet, dass sie öffentlich beschuldigt wurden, Verbindungen zu kommunistischen Gruppen zu unterhalten. 

Aus der EU gab es Versuche zur Tech-Regulierung, die stellenweise jedoch verbesserungswürdig waren. Im Februar 2024 trat das wegweisende Digitale-Dienste-Gesetz (DDG) vollständig in Kraft und verlangte von Online-Plattformen und Suchmaschinen bestimmte Maßnahmen zur Wahrung der Menschenrechte. Die Europäische Kommission leitete daraufhin ein Verfahren gegen TikTok ein, um zu prüfen, ob die Firma junge Nutzer*innen nicht ausreichend geschützt und damit gegen das DDG verstoßen hatte. Das KI-Gesetz der EU, das im August 2024 in Kraft trat, beinhaltete zwar Maßnahmen gegen die missbräuchliche KI-Anwendung, berücksichtigte jedoch die Folgen des KI-Einsatzes auf die Grundrechte vieler Menschen nur unzureichend.

Über das Jahr hinweg machte ein Gerichtsverfahren gegen die Facebook-Betreiberfirma Meta Fortschritte, das im Namen von Menschen in Äthiopien eingeleitet worden war, die aufgrund von Facebook-Algorithmen Opfer von Menschenrechtsverstößen geworden waren. Andernorts waren Gesetzentwürfe zur Eindämmung der von Sozialen Medien verursachten Schäden allerdings oft vage formuliert oder konzentrierten sich darauf, den Zugang von Kindern und jungen Leuten zu Social-Media-Plattformen einzuschränken, ohne das zugrundeliegende problematische Geschäftsmodell der Betreiberfirmen anzugehen oder die Ansichten von Kindern und Jugendlichen angemessen zu berücksichtigen. 

Die Regierungen sollten Social-Media-Betreiberfirmen angemessen regulieren, um die Menschenrechte zu schützen. 

Die Konzerne sollten von ihrem rechtswidrigen, auf Überwachung basierenden Geschäftsmodell abrücken.

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