Amnesty Report Iran 28. März 2023

Iran 2022

Menschen auf Motorrädern und eine Autoschlange auf einer Straße, im Hintergrund Rauch

Proteste am 21. September 2022 in der iranischen Hauptstadt Teheran mehrere Tage nach dem Tod von Jina Mahsa Amini im Polizeigewahrsam.

Berichtszeitraum: 1. Januar 2022 bis 31. Dezember 2022

Im Iran brach 2022 eine beispiellose Protestwelle aus, die sich gegen das System der Islamischen Republik richtete. Um die Proteste niederzuschlagen, beschossen die Sicherheitskräfte Demonstrierende rechtswidrig mit scharfer Munition und Metallkugeln. Dabei wurden Hunderte Erwachsene und Kinder getötet und Tausende verletzt. Tausende Menschen wurden willkürlich inhaftiert und zu Unrecht strafrechtlich verfolgt, nur weil sie friedlich ihre Menschenrechte wahrgenommen hatten. Frauen, LGBTI+ sowie Angehörige ethnischer und religiöser Minderheiten litten nach wie vor unter Diskriminierung und Gewalt. Verschwindenlassen, Folter und andere Misshandlungen waren weit verbreitet und wurden systematisch angewendet, dazu zählte auch die vorsätzliche Verweigerung einer angemessenen medizinischen Versorgung von Gefangenen. Grausame und unmenschliche Strafen wie Auspeitschungen, Amputationen und Blendungen wurden verhängt und vollstreckt. Die Todesstrafe kam noch häufiger zur Anwendung, und öffentliche Hinrichtungen wurden wieder aufgenommen. Gerichtsverfahren waren weiterhin durchweg unfair. Die im Zusammenhang mit den Gefängnismassakern im Jahr 1988 verübten Verbrechen gegen die Menschlichkeit und andere völkerrechtliche Verbrechen, die bis in die Gegenwart reichten, blieben systematisch straffrei.

Hintergrund

Im September 2022 brachen im Iran beispiellose Unruhen aus, die Ende des Jahres noch andauerten. Dabei forderten breite Schichten der Bevölkerung, das System der Islamischen Republik abzuschaffen.

Im März 2022 erneuerte der UN-Menschenrechtsrat das Mandat des Sonderberichterstatters zur Menschenrechtslage im Iran. Im November setzte der UN-Menschenrechtsrat eine Untersuchungskommission bezüglich der Menschenrechtsverletzungen ein, die im Zusammenhang mit den Protesten verübt wurden.

Die Behörden verweigerten allen UN-Expert*innen und internationalen Beobachter*innen die Einreise mit Ausnahme der Sonderberichterstatterin über die negativen Auswirkungen einseitiger Zwangsmaßnahmen auf den Genuss der Menschenrechte.

Im März 2022 unterzeichneten der Iran und Belgien ein Auslieferungsabkommen, das die Überstellung verurteilter Personen in ihr jeweiliges Herkunftsland vorsah. Das Abkommen stieß auf Kritik, weil zu befürchten war, dass iranische Staatsbedienstete, die im Ausland wegen schwerer Menschenrechtsverletzungen festgenommen und verurteilt worden waren, nach ihrer Auslieferung an den Iran straffrei ausgehen würden. Im Dezember 2022 setzte das belgische Verfassungsgericht die Umsetzung des Abkommens in Teilen aus. Eine endgültige Entscheidung wurde für Anfang 2023 erwartet.

Im bewaffneten Konflikt in Syrien leistete der Iran weiterhin den Regierungstruppen militärische Unterstützung (siehe Länderkapitel Syrien).

Der Iran unterstützte die russische Invasion in die Ukraine, indem er Drohnen des Typs Shahed 136 lieferte, mit denen Russland gezielt zivile Infrastruktur in der Ukraine zerstörte.

Im September und Oktober 2022 griffen iranische Revolutionsgarden kurdische Oppositionsgruppen in der Autonomen Region Kurdistan-Irak an und töteten dabei zahlreiche Menschen, darunter eine schwangere Frau.

Rechte auf Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit

Die Repression, die bereits in den Vorjahren gnadenlos war, wurde 2022 noch verschärft und ließ keinerlei Raum für friedlich vorgebrachte Kritik.

Rechte auf Meinungs- und Vereinigungsfreiheit

Die Behörden zensierten die Medien, störten ausländische Satellitensender und setzten im September auch Instagram und Whatsapp auf die Liste der blockierten bzw. zensierten Sozialen Medien, auf der bereits Plattformen wie Facebook, Signal, Telegram, Twitter und Youtube standen.

Während der Proteste unterbrachen oder blockierten die Behörden wiederholt das Internet und die Mobilfunknetze, um zu verhindern, dass das Ausmaß der Übergriffe durch die Sicherheitskräfte bekannt wurde.

Über einen Gesetzentwurf, der den Zugang zum Internet noch stärker beschränken würde, wurde weiterhin beraten. Im September erließ die Regierung eine Verordnung, die den Zugang zu Online-Inhalten weiter beschnitt.

Alle unabhängigen politischen Parteien, zivilgesellschaftlichen Organisationen und unabhängigen Gewerkschaften waren verboten, und streikende Beschäftigte waren Repressalien ausgesetzt.

Recht auf Versammlungsfreiheit

Die Behörden bekämpften lokale und landesweite Proteste systematisch mit militärischen Mitteln.

Im Mai 2022 setzten die Sicherheitskräfte in der Provinz Chuzestan und in der Provinz Chaharmahal und Bakhtiari rechtswidrig scharfe Munition, Schrotmunition, Tränengas und Wasserwerfer ein, um weitgehend friedliche Proteste niederzuschlagen. Sie töteten dabei mindestens vier Menschen und verletzten zahlreiche Erwachsene und Minderjährige durch Schrotmunition, deren Einsatz gegen das Verbot von Folter und anderen Misshandlungen verstößt. Anlass der Demonstrationen waren steigende Lebensmittelpreise und der Einsturz eines Hochhauses in Abadan (Provinz Chuzestan), bei dem zahlreiche Menschen ums Leben kamen.

Der Tod von Jina Mahsa Amini am 16. September in Gewahrsam der iranischen "Sittenpolizei" löste landesweite Unruhen aus, die Ende 2022 noch andauerten. Die Sicherheitskräfte feuerten massenhaft und rechtswidrig scharfe Munition, Metallkugeln und Tränengas auf die Demonstrierenden ab und verprügelten sie. Amnesty International dokumentierte die Namen von Hunderten erwachsenen und minderjährigen Demonstrierenden und Passant*innen, die von den Sicherheitskräften rechtswidrig getötet wurden. Hunderte Menschen erblindeten oder erlitten andere schwere Augenverletzungen, weil Sicherheitskräfte sie mit Metallkugeln beschossen. Tausende weitere Personen trugen ebenfalls Verletzungen davon, nahmen jedoch häufig keine medizinische Behandlung in Anspruch, weil sie befürchteten, im Krankenhaus festgenommen zu werden.

Mehr als die Hälfte der Getöteten waren Angehörige der unterdrückten belutschischen Minderheit in der Provinz Sistan und Belutschistan und der unterdrückten kurdischen Minderheit in den Provinzen Kurdistan, Kermanschah und West-Aserbaidschan.

Friedlich protestierende Studierende und Schüler*innen wurden vom Unterricht ausgeschlossen und gewaltsamen Razzien, tätlichen Angriffen und anderen Misshandlungen unterzogen.

Willkürliche Inhaftierungen und unfaire Gerichtsverfahren

Im Laufe des Jahres 2022 wurden Tausende Menschen willkürlich inhaftiert und/oder zu Unrecht strafrechtlich verfolgt, nur weil sie friedlich ihre Menschenrechte wahrgenommen hatten. Unzählige weitere blieben zu Unrecht in Haft.

Einem durchgesickerten Tondokument war zu entnehmen, dass die Behörden allein in den ersten Wochen der Massenproteste zwischen 15.000 und 16.000 Menschen inhaftierten. Die massenhaften willkürlichen Inhaftierungen dauerten am Jahresende noch an. Unzählige Menschen waren ungerechtfertigter strafrechtlicher Verfolgung und unfairen Gerichtsprozessen ausgesetzt.

Im Dezember 2022 ließen die Behörden zwei junge Männer, die nach unfairen Scheinprozessen im Zusammenhang mit den Protesten zum Tode verurteilt worden waren, willkürlich hinrichten. Ihre Familien wurden nicht über die bevorstehende Hinrichtung informiert. Zahlreiche weitere Personen standen wegen extrem vage definierter Anklagen wie "Feindschaft zu Gott" (moharebeh) und "Verdorbenheit auf Erden" (ifsad fil-arz) vor Gericht oder waren zum Tode verurteilt.

Die Behörden unterdrückten weiterhin die Zivilgesellschaft, indem sie Hunderte Menschenrechtsverteidiger*innen, Anwält*innen, Medienschaffende, politisch Andersdenkende, Aktivist*innen, Naturschützer*innen, Schriftsteller*innen, Künstler*innen, Musiker*innen, Studierende und Schüler*innen willkürlich in Haft hielten und/oder ungerechtfertigt strafrechtlich verfolgten.

Hunderte Beschäftigte, darunter auch Lehrkräfte, mussten mit willkürlicher Inhaftierung rechnen, wenn sie streikten, an Kundgebungen zum Internationalen Tag der Arbeit teilnahmen oder sich anderweitig für die Rechte von Arbeitnehmer*innen einsetzten.

Die Behörden behielten ihre Praxis bei, ausländische Staatsangehörige und Menschen mit doppelter Staatsangehörigkeit willkürlich zu inhaftieren und sie als Druckmittel in Verhandlungen einzusetzen. In einigen Fällen kam dieses Vorgehen dem Straftatbestand der Geiselnahme gleich.

Der gegen die Dissident*innen Mehdi Karroubi, Mir Hossein Mussawi sowie Mussawis Ehefrau Zahra Rahnavard verhängte willkürliche Hausarrest ging in sein zwölftes Jahr.

Die Justiz war nicht unabhängig, sondern vielmehr ein Repressionsapparat, der systematisch gegen das Rechtsstaatsprinzip verstieß. So verweigerten die Behörden z. B. Untersuchungshäftlingen den Zugang zu einem Rechtsbeistand, ließen Inhaftierte "verschwinden" oder hielten sie ohne Kontakt zur Außenwelt fest, ließen in Prozessen "Geständnisse" als Beweise zu, die unter Folter erpresst worden waren, und führten summarische und geheime Scheinprozesse durch, die keinerlei Ähnlichkeit mit fairen Verfahren aufwiesen, in denen jedoch Haftstrafen, Körperstrafen und Todesurteile verhängt wurden.

Folter und andere Misshandlungen

Folter und andere Misshandlungen waren nach wie vor weit verbreitet und wurden systematisch angewendet. Dazu zählten auch Einzelhaft über lange Zeiträume hinweg und die vorsätzliche Verweigerung angemessener medizinischer Versorgung. Durch Folter und andere Misshandlungen erzwungene "Geständnisse" wurden im staatlichen Fernsehen ausgestrahlt.

Die der Justiz unterstellten Gefängnis- und Strafverfolgungsbehörden hielten Gefangene unter grausamen und unmenschlichen Bedingungen fest. Die Zellen waren überbelegt, schlecht belüftet und von Ungeziefer befallen, die sanitären Einrichtungen waren in einem erbärmlichen Zustand, die Versorgung der Inhaftierten mit Nahrungsmitteln und Wasser war unzureichend, und es gab nicht genug Betten.

Zahlreiche Gefangene starben unter ungeklärten Umständen in Gewahrsam. Glaubwürdigen Berichten zufolge stand ihr Tod in Verbindung mit Folter und anderen Misshandlungen wie z. B. der Verweigerung medizinischer Versorgung. Die Todesfälle wurden nicht gemäß internationalen Standards untersucht.

Das Strafgesetzbuch sah weiterhin Strafen vor, die gegen das Verbot von Folter und anderen Misshandlungen verstießen, darunter Auspeitschung, Blendung, Amputation, Kreuzigung und Steinigung.

Zwischen Mai und September 2022 wurden vier Männern im Evin-Gefängnis in der Provinz Teheran und einem Mann im Raja'i Shahr-Gefängnis in der Provinz Alborz wegen Diebstahls die Finger amputiert.

Im Oktober wurden die Fälle von zwei Männern und einer Frau an die Strafvollzugsbehörde in Teheran weitergeleitet, die als Vergeltungsstrafe (qesas) geblendet werden sollten. Bis zum Jahresende war nicht bekannt, ob die Strafen vollstreckt wurden.

Nach Angaben der NGO Abdorrahman Boroumand Center wurden mindestens 178 Personen zu Auspeitschungen verurteilt.

Diskriminierung

Ethnische Minderheiten

Ethnische Minderheiten, darunter arabische, aserbaidschanische, belutschische, kurdische und turkmenische Bevölkerungsgruppen, wurden nach wie vor diskriminiert, was Bildung, Beschäftigung, angemessenen Wohnraum und die Übernahme politischer Ämter betraf. Regionen, in denen ethnische Minderheiten lebten, erhielten weiterhin nicht genügend staatliche Mittel, was die Armut und Ausgrenzung der dortigen Bevölkerung noch verstärkte.

Trotz wiederholter Forderungen, die Sprachenvielfalt zu erhalten, blieb Persisch die einzige Unterrichtssprache in Grund- und Sekundarschulen.

Sicherheitskräfte töteten auch 2022 rechtswidrig zahlreiche unbewaffnete kurdische Kuriere (kulbar), die Güter zwischen den kurdischen Regionen des Irans und Iraks hin- und hertransportierten, und unbewaffnete belutschische Lastenträger (soukhtbar), die in der Provinz Sistan und Belutschistan Kraftstoff transportierten. Die Behörden unternahmen nichts, um die Tötungen zu untersuchen und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen.

Religiöse Minderheiten

Religiöse Minderheiten, darunter Baha'i, Christ*innen, Gonabadi-Derwische, Jüd*innen, Yaresan (Ahl-e Haq) und sunnitische Muslim*innen, wurden durch Gesetze und im täglichen Leben diskriminiert, u. a. was den Zugang zu Bildung und Beschäftigung, die Adoption von Kindern, die Nutzung von Gebetsstätten und die Übernahme politischer Ämter betraf. Hunderte wurden willkürlich inhaftiert, ungerechtfertigt verfolgt, schikaniert, gefoltert und anderweitig misshandelt, weil sie sich zu ihrem Glauben bekannten oder ihn praktizierten. Personen, deren Eltern von den Behörden als Muslim*innen geführt wurden, riskierten, willkürlich inhaftiert, gefoltert und wegen "Apostasie" (Abfall vom Glauben) zum Tode verurteilt zu werden, wenn sie zu einer anderen Religion konvertierten oder sich zum Atheismus bekannten.

Angehörige der Baha'i-Minderheit waren aufgrund ihres Glaubens weiterhin zahlreichen systematischen Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt. Dazu zählten willkürliche Inhaftierungen, Verhöre, Folter und andere Misshandlungen, Verschwindenlassen, die gewaltsame Schließung von Geschäften, die Beschlagnahmung von Eigentum, der Abriss von Häusern, die Zerstörung von Friedhöfen und der Ausschluss vom Hochschulstudium. Im Juni 2022 bestätigte ein Berufungsgericht ein Urteil, das die Beschlagnahmung von 18 Grundstücken von Angehörigen der Baha'i in der Provinz Semnan genehmigt hatte. Im August rissen die Behörden in einem Dorf in der Provinz Mazandaran sechs Häuser ab und beschlagnahmten mehr als 20 Hektar Land, um den dort lebenden Baha'i die Lebensgrundlage zu entziehen.

Die Behörden gingen weiterhin mit Razzien gegen christliche Hauskirchen vor. Außerdem nahmen sie Personen willkürlich fest, die zum Christentum konvertiert waren, beschlagnahmen deren Eigentum, verfolgten sie strafrechtlich wegen Gefährdung der nationalen Sicherheit und verurteilten sie zu Haftstrafen, Geldbußen und Verbannung.

Mehrere Gonabadi-Derwische waren nach wie vor zu Unrecht inhaftiert.

LGBTI+

Lesbische, schwule, bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Menschen (LGBTI+) litten unter systematischer Diskriminierung und Gewalt. Für einvernehmliche gleichgeschlechtliche sexuelle Beziehungen drohten Strafen, die von Auspeitschung bis hin zur Todesstrafe reichten. Sogenannte Konvertierungsbehandlungen, die Folter und anderen Misshandlungen gleichkommen, waren staatlich anerkannt und wurden nach wie vor häufig angewandt, auch bei Minderjährigen. Für eine rechtlich anerkannte Änderung des Geschlechts waren Hormontherapien und chirurgische Eingriffe, einschließlich Sterilisationen, erforderlich. Nicht geschlechtskonforme Personen liefen Gefahr, kriminalisiert und von Bildung und Beschäftigung ausgeschlossen zu werden.

Im August 2022 verurteilte ein Revolutionsgericht in Urmia (Provinz West-Aserbaidschan) die LGBTI-Aktivistinnen Zahra Sedighi-Hamadani, genannt Sareh, und Elham Choubdar wegen "Verdorbenheit auf Erden" zum Tode. Hintergrund waren die tatsächliche oder vermeintliche sexuelle Orientierung und/oder Geschlechtsidentität der beiden Frauen sowie ihre Aktivitäten zur Unterstützung von LGBTI+ in den Sozialen Medien. Im Dezember hob der Oberste Gerichtshof den Schuldspruch und das Strafmaß auf und ordnete ein neues Verfahren an.

Frauen und Mädchen

Frauen waren weiterhin massiv benachteiligt, u. a. bezüglich Eheschließung, Scheidung, Sorgerecht für die Kinder, Erbschaftsangelegenheiten sowie beim Zugang zum Arbeitsmarkt und zu politischen Ämtern.

Das gesetzliche Heiratsalter für Mädchen lag nach wie vor bei 13 Jahren. Väter konnten jedoch bei Gericht eine Erlaubnis einholen, wenn sie ihre Töchter früher verheiraten wollten.

Bei den landesweiten Protesten ab September 2022 spielten Frauen und Mädchen eine zentrale Rolle. Sie setzten sich gegen die jahrzehntelange geschlechtsspezifische Diskriminierung und Gewalt zur Wehr und missachteten den diskriminierenden und entwürdigenden gesetzlichen Kopftuchzwang, der bedeutete, dass sie täglich Schikanen und Gewalt seitens staatlicher und nichtstaatlicher Akteure ausgesetzt waren, willkürlich inhaftiert, gefoltert und anderweitig misshandelt wurden und keinen Zugang zu Bildung, Beschäftigung und öffentlichen Räumen hatten.

Der gesetzliche Kopftuchzwang, der ab Mitte 2022 noch strikter durchgesetzt wurde, gipfelte im Tod von Jina Mahsa Amini. Sie starb am 16. September in Gewahrsam, nachdem die iranische "Sittenpolizei" sie drei Tage zuvor gewaltsam festgenommen und laut glaubwürdigen Berichten gefoltert und anderweitig misshandelt hatte.

Inhaftierte Frauen wurden nicht angemessen gynäkologisch versorgt.

Ein Gesetzentwurf mit dem Titel "Verteidigung der Würde und Schutz von Frauen vor Gewalt", der dem Parlament bereits seit mehr als einem Jahrzehnt vorlag, machte keine Fortschritte. Die Abgeordneten versäumten es, ihn zu überarbeiten und häusliche Gewalt als eigenen Straftatbestand zu definieren, Kinderehen und Vergewaltigung in der Ehe strafbar zu machen und sicherzustellen, dass Männer, die ihre Frauen oder Töchter töten, angemessen bestraft werden.

Rechte von Flüchtlingen und Migrant*innen

Afghanische Erwachsene und Kinder, die versuchten, die afghanisch-iranische Grenze zu überqueren, wurden von iranischen Sicherheitskräften mit scharfer Munition beschossen und rechtswidrig getötet. Afghanische Flüchtlinge, denen die Einreise gelungen war, wurden willkürlich inhaftiert, gefoltert und anderweitig misshandelt, bevor man sie rechtswidrig und gewaltsam abschob.

Todesstrafe

Die Zahl der Hinrichtungen stieg 2022 im Vergleich zum Vorjahr. Nach einer zweijährigen Unterbrechung wurden Exekutionen wieder öffentlich vollzogen.

Die Behörden setzten Todesurteile als Mittel der politischen Unterdrückung gegen Demonstrierende, Andersdenkende und ethnische Minderheiten ein.

Unter den Hingerichteten waren unverhältnismäßig viele Personen, die der unterdrückten belutschischen Minderheit angehörten.

Die Todesstrafe wurde nach grob unfairen Gerichtsverfahren verhängt, auch für Straftaten, die gemäß Völkerrecht nicht zu den "schwersten Verbrechen" zählen, wie Drogenhandel, Finanzkriminalität oder Vandalismus, sowie für Handlungen, die durch internationale Menschenrechtsnormen geschützt sind, wie z. B. das Recht auf freie Meinungsäußerung.

Mehrere Personen wurden für Straftaten hingerichtet, die sie als Minderjährige begangen hatten. Viele weitere Häftlinge, die zum Tatzeitpunkt minderjährig waren, saßen nach wie vor in den Todeszellen.

Straflosigkeit

Die im Jahr 2022 und in den Vorjahren verübten schweren Menschenrechtsverletzungen, darunter außergerichtliche Hinrichtungen und andere rechtswidrige Tötungen, Folter und Verschwindenlassen, waren weder Gegenstand von Ermittlungen, noch wurden Staatsbedienstete dafür zur Rechenschaft gezogen.

Die Behörden vertuschten die tatsächliche Zahl der Personen, die bei den Protesten von Sicherheitskräften getötet wurden, indem sie "Randalierer" für die Todesfälle verantwortlich machten oder behaupteten, die Opfer, darunter auch Minderjährige, hätten Selbstmord verübt oder seien bei Unfällen gestorben. Wenn Angehörige der Getöteten Beschwerde einlegten, wiesen die Behörden sie ab und drohten ihnen, sie oder ihre Kinder zu töten oder zu verletzen, sollten sie darüber sprechen.

Der Tod von Jina Mahsa Amini in Gewahrsam wurde nicht unabhängig untersucht. Die Behörden leugneten ihre Verantwortung, hielten wichtige Beweise zurück und bedrohten die Familie der Getöteten sowie andere Personen, die die offizielle Darstellung infrage stellten und Wahrheit und Gerechtigkeit forderten.

Familienangehörige, die sich um Wahrheit und Gerechtigkeit bemühten, sowie Zeug*innen der Proteste vom November 2019, die bei den Anhörungen des Internationalen Volkstribunals zu den Gräueltaten im Iran (Aban-Tribunal) in London ausgesagt hatten, wurden willkürlich inhaftiert und auf andere Weise schikaniert.

Die Anwendung rechtswidriger Gewalt gegen Gefangene während eines Großbrandes im Evin-Gefängnis im Oktober 2022 sowie die Umstände des Todes von mindestens acht Inhaftierten wurden nicht unabhängig untersucht.

Die Behörden verheimlichten weiterhin die Wahrheit über den Abschuss eines ukrainischen Passagierflugzeugs im Januar 2020 kurz nach dem Start in Teheran, bei dem alle 176 Menschen an Bord ums Leben gekommen waren. Im August 2022 erklärte die Justiz, man habe den Fall der zehn Militärangehörigen niedriger Ränge, die wegen mutmaßlicher Beteiligung an dem Raketenangriff vor ein Militärgericht gestellt worden waren, wegen "fehlerhafter Ermittlungen" wieder an die Staatsanwaltschaft übergeben.

Was die fortgesetzten Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Verbindung mit den massenhaften außergerichtlichen Hinrichtungen und Fällen von Verschwindenlassen im Jahr 1988 anging, herrschte nach wie vor Straflosigkeit. Viele der damals Verantwortlichen bekleideten auch 2022 noch hohe Ämter, z. B. Ebrahim Raisi, der seit August 2021 Präsident ist. Die Behörden ließen um die Massengräber auf dem Khavaran-Friedhof, in denen die sterblichen Überreste von mehreren Hundert Opfern vermutet werden, hohe Betonmauern errichten. Es war zu befürchten, dass dies dazu dienen könnte, die Massengrabstätte zu zerstören oder anderweitig Spuren zu beseitigen, ohne dass die Öffentlichkeit etwas davon mitbekommt. Nach einem Prozess von historischer Bedeutung verurteilte ein schwedisches Gericht den ehemaligen iranischen Beamten Hamid Nouri im Juli 2022 auf Grundlage des Weltrechtsprinzips wegen Verbrechen in Verbindung mit den Gefängnismassakern von 1988 zu lebenslanger Haft.

Klimakrise

Umweltexpert*innen kritisierten, dass die Behörden nicht gegen Probleme wie das Verschwinden von Seen, Flüssen und Feuchtgebieten, die Abholzung von Wäldern, Luftverschmutzung, Wasserverschmutzung durch die Einleitung von Abwässern in städtische Wasserquellen und Landabsenkungen vorgingen.

Als die UN-Generalversammlung im Juli 2022 mit 161 Stimmen eine Resolution verabschiedete, die den Zugang zu einer sauberen, gesunden und nachhaltigen Umwelt zu einem universellen Menschenrecht erklärte, zählte der Iran zu den lediglich acht Staaten, die sich enthielten.

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