Amnesty Journal Demokratische Republik Kongo 03. November 2025

Immer mehr Belege für Mord und Folter

Ein Soldat patroulliert vor einer großen Menschenmenge; die Menschen drängen sich, Kinder, Männer, Frauen, Alte.

Von Soldaten der M23-Miliz kontrolliert: Versammlung im Flüchtlingslager Mugunga, Goma, August 2025

Nach Kenia geflohene Kongolesen berichten von einem Schreckensregime im Osten der Demokratischen Republik Kongo. Die UNO und Amnesty International haben ähnliche Informationen.

Aus Nairobi von Bettina Rühl

Jubilé Kasay hat sich seine Gitarre genommen und singt ein Liebeslied an seine Heimat, die Demo­kratische Republik Kongo. Der 24-Jährige ist Anfang März aus Goma geflohen, einer Metropole im Osten des Landes. Einige Wochen zuvor hatte die vom Nachbarland Ruanda unterstützte M23-Miliz die Hauptstadt der rohstoffreichen Provinz Nord-Kivu eingenommen. In den Tagen und Wochen danach rückte sie weiter vor, eroberte auch Bukavu, die Hauptstadt der benachbarten Provinz Süd-Kivu. Mittlerweile kontrolliert sie ein Gebiet, das etwa so groß ist wie Korsika. Sie hat eine Parallelregierung aufgebaut und versucht, sich als Befreier und als der bessere Regent zu präsentieren, verglichen mit der Regierung in der Hauptstadt Kinshasa. Dem widersprechen aber die Berichte von Amnesty International, den Vereinten Nationen und die Erlebnisse von Jubilé Kasay. 

Der fand zwischenzeitlich mit zwei weiteren Flüchtlingen aus Goma in einem Apartment in der kenianischen Hauptstadt Nairobi Zuflucht. "Der Kongo hat uns zu dem gemacht, was wir sind", sagt Kasay. "Ich lerne ein bisschen Gitarre zu spielen, weil das den Stress abbaut", erklärt er, nachdem die letzten Töne verklungen sind. "Da ich keinen Psychologen habe, hoffe ich, dass die Gitarre hilft."

4.000 Soldaten aus Ruanda

Es sind Erinnerungen an die Eroberung Gomas, die Kasay auf diese Weise bewältigen will. Immer wieder sitzt er vor seinem Computer oder geht die Fotos auf seinem Handy durch – in den Tagen nach der Einnahme von Goma durch die M23 fotografierte er viel. Die M23 ist die mächtigste von mehr als 100 Milizen im Osten des Kongo. Sie wird, das dokumentieren Berichte von UN-Expert*innen, vom Nachbarland Ruanda unter anderem mit Waffen unterstützt. Laut dem jüngsten UN-Bericht soll Ruanda auch rund 4.000 eigene Soldaten vor Ort haben, die an der Seite der Milizionäre kämpfen. 

Kasay erzählt, dass auf den Straßen in Goma Tote in ziviler Kleidung lagen, die Rebellen hätten das Bergen von Leichen immer wieder für längere Zeit verboten. Weil unter den Toten viele seiner Freunde gewesen seien, habe er beschlossen, die Opfer zu fotografieren und auf diese Weise dabei zu helfen, deren Identität zu klären. Fotos und einige Sprachnachrichten habe er auf einer Speicherkarte gesichert. Kasay hofft, das irgendwann nutzen zu können, "damit die Täter nicht einfach so davonkommen". 

Nicht nur er, auch seine beiden Freunde, die ebenfalls geflohen sind, berichten, dass Zivilpersonen regelrecht hingerichtet worden seien. Justin Mutabesha erzählt, er habe sich erst aus dem Haus getraut, nachdem die M23-Miliz die Stadt vollständig erobert hatte und die letzten Soldaten der Regierungsarmee geflohen waren. Denn damit verloren die Kämpfe an Intensität. "Aber dann fingen die willkürlichen Übergriffe auf Menschen an, die wir kannten", erzählt Mutabesha, dem anzumerken ist, dass ihn die Ereignisse in Goma bis heute verstören. 

"Wenn sich ein junger Mann auf der Straße nicht richtig ausweisen konnte, haben die Milizionäre ihn getötet: Sie haben ihn angehalten und ihm zwei oder drei Fragen gestellt – was sie gefragt haben, konnte ich nicht hören – und ihn dann ­erschossen." Sie hätten nicht einmal ­versucht, Tötungen vor Passant*innen zu verbergen. Die Schätzungen über die Zahl der Opfer gehen weit auseinander. Eine UN-Vertreterin sprach schon Anfang Februar von mindestens 2.900 Toten. Und die drei Flüchtenden trauern nicht nur um Freunde, die getötet wurden. Es seien auch viele festgenommen und verschleppt worden, womöglich zwangsrekrutiert, um in den Reihen der M23 zu kämpfen. 

M23 spricht von Propaganda

Ende Mai veröffentlichte Amnesty International einen Bericht, der dokumentiert, dass die M23 seit der Machtübernahme in Bukavu und in Goma massive Gewalt gegen die lokale Bevölkerung und gegen Menschen einsetzt, die sie für Kritiker*innen der ruandischen Regierung und der M23 hält. Die Miliz hat in Haftanstalten in Goma und Bukavu Gefangene getötet, gefoltert und gewaltsam verschwinden lassen, einige als Geiseln festgehalten und sie unmenschlichen Bedingungen ausgesetzt, heißt es in dem Bericht. Diese Handlungen verstoßen gegen das humanitäre Völkerrecht und könnten laut Amnesty Kriegsverbrechen darstellen. 

In einer eindringlichen Rede vor dem UN-Menschenrechtsrat im Juni in Genf sagte auch UN-Menschenrechtskommissar Volker Türk, dass die von der M23-Miliz, ruandischen Truppen, kongolesischen Regierungskräften und verbündeten Milizen begangenen Taten so schwerwiegend seien, dass sie Kriegsverbrechen darstellen könnten. Die Lage im Osten des Kongo sei "ernst und alarmierend". 

Der Bericht von Amnesty International geht auf Gespräche mit 18 ehemaligen ­zivilen Häftlingen zurück – allesamt ­Männer – die zwischen Februar und April 2025 befragt wurden. Die Interviewten gaben an, rechtswidrig in Haftanstalten der M23 in Goma und Bukavu festgehalten worden zu sein. Neun von ihnen wurden von Kämpfern der M23 gefoltert.

Angehörige der M23 foltern und misshandeln immer wieder Häftlinge, aber auch Menschen auf der Straße.

Franziska
Ulm
Amnesty

Laut Franziska Ulm von Amnesty ­International in Deutschland haben die Menschen in den Haftanstalten kaum Wasser, kaum Nahrung, keine medizinische Versorgung, kaum Sanitäranlagen und seien massiver Gewalt durch die M23 ausgesetzt. "Angehörige der M23 foltern und misshandeln immer wieder Häftlinge, aber auch Menschen auf der Straße", sagt Ulm. Die Miliz habe eine Schreckensherrschaft errichtet. In einem Ende August veröffentlichten Bericht erhebt Amnesty weitere schwere Vorwürfe gegen M23 und die Wazalendo-Milizen, die mit der kongolesischen Armee verbündet sind. Beide Seiten hätten Zivilpersonen getötet, Frauen vergewaltigt und Gesundheitseinrichtungen angegriffen.

Die M23-Miliz antwortete nicht auf konkrete Fragen zu den Vorwürfen und den Berichten der drei Flüchtlinge. Stattdessen schickte ein Vize-Sprecher einen Link zu einem dreistündigen Mitschnitt einer Pressekonferenz im Serena-Hotel von Goma. In deren Verlauf behaupteten führende Mitglieder der M23, bei den Vorwürfen handele es sich um Propaganda, erfunden von Amnesty und der UNO. 

Währenddessen hat Mutabesha gekocht, es gibt Reis und rote Bohnen. Die drei unterhalten sich beim Essen und sind froh, einander zu haben. In Goma herrsche "furchtbare Angst", die bis heute anhalte. "Ich weiß nicht, wie man so ­etwas überleben kann", sagt Kasay. Er sei dankbar dafür, seine Erlebnisse mit den beiden anderen besprechen zu können. "So etwas zu erleben, ohne ­darüber reden zu können, ist schrecklich."

Die Angst, will Kasay damit sagen, bringe die Menschen in Goma zum Schweigen. Telefone würden beschlagnahmt, alle Nachrichten gelesen. Ende August brachen die drei Männer wieder auf, zurück in den Kongo. Allerdings wollten sie das Herrschaftsgebiet der M23 meiden. Obwohl sie dankbar waren, sich zwischenzeitlich erholen zu können, wollten sie so schnell wie möglich in ihre Heimat zurück – sie alle sind Aktivisten und kämpfen schon lange für politische Veränderungen, denn auch die kongolesische Regierung und Armee verletzen seit Jahren Menschenrechte. Diesen Kampf wollen die drei fortsetzen. Noch haben sie nicht aufgegeben.

Bettina Rühl ist freiberufliche Journalistin und arbeitet schwerpunktmäßig zu Afrika. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung von Amnesty International wieder.

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