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Das Ende der Assad-Herrschaft in Syrien: Eine historische Chance für die Menschenrechte
Jubelnde Menschenmenge in der syrischen Hauptstadt Damaskus nach dem Sturz von Präsident Baschar al-Assad (9. Dezember 2024)
© IMAGO / NurPhoto
Kriegsverbrechen, Folter, Mord: Die jahrzehntelange Herrschaft von Baschar al-Assad und seinem Vater Hafez al-Assad in Syrien hat unsägliches Leid über die Bevölkerung gebracht. Nun wurde Baschar al-Assad gestürzt und die Hoffnung auf Frieden, Sicherheit und einen schnellen Wiederaufbau Syriens ist groß. Amnesty appelliert an alle Oppositionskräfte, sich von der Gewalt der Vergangenheit zu lösen. Das Ende der Assad-Regierung ist eine historische Chance, die jahrzehntelangen Menschenrechtsverletzungen endlich zu beenden und für Gerechtigkeit zu sorgen. Angesichts der anhaltenden unsicheren politischen Lage im Land lehnt Amnesty Forderungen nach schnellen Abschiebungen von Syrer*innen ab.
Es war ein historischer Moment: Syrische Oppositionskräfte erklärten am vergangenen Sonntag live im Fernsehen, dass die Herrschaft von Präsident Baschar al-Assad beendet sei. Videos, die über Social Media geteilt wurden, zeigten Menschen in ganz Syrien wie sie auf die Straße gingen, um diese Nachricht zu feiern. Auch in deutschen Städten feierten Syrer*innen den Sturz der Assad-Regierung.
Viele Menschen hatten Syrien in den vergangenen Jahren aus Angst vor Verfolgung und Gewalt durch die syrischen Sicherheitsbehörden verlassen und unter anderem in Deutschland Asyl beantragt. Nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR leben derzeit rund fünf Millionen Syrer*innen infolge des Bürgerkrieges außerhalb ihres Landes – ein Großteil davon in der Türkei, dem Libanon und in Jordanien.
Große Freude nach dem Sturz von Baschar al-Assad: Jubelende Syrer auf einem Panzer in der syrischen Hauptstadt Damaskus (9. Dezember 2024).
© IMAGO / NurPhoto
Baschar al-Assad ist verantwortlich für unzählige Menschenrechtsverbrechen
Zehntausende Menschen wurden unter der Herrschaft von Baschar al-Assad Opfer von Verschwindenlassen, Mord und Folter. "Nach mehr als fünf Jahrzehnten Brutalität und Unterdrückung haben die Menschen in Syrien nun hoffentlich endlich die Möglichkeit, frei von Angst in einem Land zu leben, in dem ihre Rechte respektiert werden", sagte Agnès Callamard, internationale Generalsekretärin von Amnesty International. Darüberhinaus sagte sie:
"Unter der Herrschaft von Baschar al-Assad und vor ihm seines Vaters Hafez al-Assad waren die Syrer*innen einem entsetzlichen Ausmaß von Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt, das unsägliches Leid verursacht hat. Dazu gehörten Angriffe mit chemischen Waffen und Fassbomben und andere Kriegsverbrechen sowie Mord, Folter, Verschwindenlassen und Vernichtung, und damit Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Jetzt gibt es die historische Chance, die jahrzehntelangen schweren Menschenrechtsverletzungen zu beenden.
Amnesty International ruft die oppositionellen Kräfte dazu auf, sich von der Gewalt der Vergangenheit zu lösen. Das Wichtigste ist nun Gerechtigkeit, nicht Vergeltung. Wir fordern alle Konfliktparteien nachdrücklich auf, das humanitäre Völkerrecht uneingeschränkt einzuhalten. Dazu gehört auch die Verpflichtung, keine Menschen anzugreifen, die eindeutig die Absicht bekunden, sich zu ergeben, einschließlich der Regierungstruppen, und jede Person, die in Gewahrsam genommen wird, menschlich zu behandeln.
Alle Maßnahmen, die vorgeschlagen werden, um dieses tödliche Kapitel in der Geschichte Syriens zu überwinden, müssen auf den Grundsätzen der Gerechtigkeit, der Rechenschaftspflicht und der Nichtwiederholung beruhen. Gegen alle Menschen, denen Verbrechen nach dem Völkerrecht und andere schwere Menschenrechtsverletzungen zur Last gelegt werden, muss ermittelt werden. Sie müssen in fairen Gerichtsverfahren und ohne Rückgriff auf die Todesstrafe für ihre Verbrechen zur Verantwortung gezogen werden."
Beschädigter Bilderrahmen mit Foto des gestürzten Präsidenten Baschar al-Assad in einem Regierungsgebäude in der syrischen Stadt Hama (7. Dezember 2024)
© AFP or licensors
Syrische Regierungstruppen setzten Fassbomben, Brandbomben und Streumunition gegen die Zivilbevölkerung ein
Seit Beginn der Proteste in Syrien im Jahr 2011 hat Amnesty International dokumentiert, wie die syrischen Regierungstruppen mit Unterstützung von Russland wiederholt von bewaffneten Oppositionsgruppen kontrollierte Gebiete angegriffen haben. Dabei kam es zu wahllosen und direkten Angriffen auf zivile Wohnhäuser, Krankenhäuser und medizinische Einrichtungen. Bei Artillerieeinsätzen und Luftangriffen wurden häufig ungelenkte Waffen wie Fassbomben, Brandbomben und international geächtete Streumunition eingesetzt.
Ein Überlebender eines Luftangriffs sitzt in den Trümmern eines zerstörten Hauses in der syrischen Stadt Aleppo (Archivaufnahme vom 11. Juli 2014).
© Amnesty International, Foto: Mujahid Abu al-Joud
Während des Bürgerkriegs wurden unzählige Menschen in Foltergefängnissen inhaftiert, darunter das berüchtigte Militärgefängnis Saydnaya. Amnesty belegte 2017 in einem Bericht, wie syrische Sicherheitskräfte in diesem Gefängnis Tötungen, Folter, Verschwindenlassen und Massenerhängungen begingen. Diese Taten waren Teil eines umfassenden und systematischen Angriffs auf die Zivilbevölkerung, der als Verbrechen gegen die Menschlichkeit einzustufen ist.
"Für die Familien der Zehntausenden von Opfern des Verschwindenlassens in Syrien bedeutet die Freilassung von Gefangenen aus den zahlreichen Gefängnissen des Landes, einschließlich des Militärgefängnisses von Saydnaya, die Aussicht, dass sie endlich die Wahrheit über das Schicksal ihrer vermissten Angehörigen erfahren – in einigen Fällen nach Jahrzehnten", sagte Callamard.
Amnesty-Video über das Militärgefängnis Saydnaya (aus dem Jahr 2017):
"Soweit es unter den gegebenen Umständen möglich ist, muss versucht werden, Beweise für vergangene oder gegenwärtige Straftaten zu sammeln und zu sichern, um die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass die Gefängnisunterlagen und andere Dokumente erhalten bleiben, da diese Informationen wichtiges Beweismaterial über das Schicksal der Verschwundenen enthalten und bei künftigen Strafverfolgungsverfahren und Prozessen wegen völkerrechtlicher Verbrechen verwendet werden könnten", sagte Callamard.
Blick in einen Zellentrakt des syrischen Militärgefängnisses Saydnaya nach dessen Räumung (9. Dezember 2024)
© IMAGO / ABACAPRESS
Internationale Gemeinschaft muss unterstützen, Völkerrechtsverbrechen aufzuklären
Amnesty International drängt darauf, dass syrische Stimmen in der nun beginnenden politischen Übergangsphase im Mittelpunkt stehen. Die internationale Gemeinschaft hat die klare Verpflichtung, den Opfern der Gräueltaten der Assad-Regierungen den Weg zu Gerechtigkeit und Wiedergutmachung für die begangenen Völkerrechtsverbrechen zu ebnen. Amnesty fordert konkrete Maßnahmen, darunter die konsequente Einleitung von Verfahren nach dem Prinzip der universellen Gerichtsbarkeit gegen mutmaßliche Täter*innen. Zudem müssen der sogenannte Internationale, Unparteiische und Unabhängige Mechanismus für Syrien (IIIM) sowie die 2023 gegründete UN-Institution für Vermisste stärker unterstützt werden. Letztere spielt eine zentrale Rolle bei der Aufklärung des Schicksals von Verschwundenen.
Abschiebungen nach Syrien sind weiterhin nicht mit Menschenrechten vereinbar
Angesichts der weiterhin unsicheren politischen Lage in Syrien fordert Amnesty die Staaten auf, von raschen Abschiebungen von Schutzsuchenden nach Syrien abzusehen. Dies gilt auch für Deutschland, wo das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) erklärt hat, Asylanträge von Syrer*innen nicht mehr zu bearbeiten.
"Dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge einen Entscheidungsstopp für laufende Asylverfahren von Syrer*innen verhängt hat, ist das völlig falsche Signal. Fast 50.000 Menschen sind davon aktuell betroffen", sagte Franziska Vilmar, Expertin für Asyl und Menschenrechte bei Amnesty International in Deutschland.
"Bis das BAMF gemeinsam mit dem Auswärtigen Amt seine Entscheidungspraxis an die neue Lage anpassen kann, dürfen Schutzsuchende nicht mit Unsicherheit und Perspektivlosigkeit alleingelassen werden. Viele Menschen, die vor Folter, Mord und Krieg in Syrien geflohen sind, schöpfen gerade vorsichtig Hoffnung. Allerdings ist die Menschenrechtslage im Land völlig unübersichtlich. Weitere politische Entwicklungen müssen zunächst abgewartet und beobachtet werden. Das braucht Zeit. Aber den Preis dafür dürfen nicht diejenigen zahlen, die seit Jahren versuchen, sich ein neues Leben aufzubauen. Den Forderungen nach schnellen Abschiebungen oder der Aussetzung des Familiennachzugs erteilen wir eine klare Absage", so Vilmar.