Amnesty Report 29. April 2025

Regionalkapitel Naher Osten und Nordafrika 2024

Das Foto zeigt eine jubelnde Menschenmenge mit syrischen Flaggen auf einem Platz.

Jubelnde Menschenmenge in der syrischen Stadt Aleppo nach dem Sturz von Präsident Baschar al-Assad (13. Dezember 2024)

Die Länder des Nahen Ostens und Nordafrikas wurden 2024 von Krisen, Konflikten und Umwälzungen erschüttert. Das israelische Vorgehen im Gazastreifen hatte katastrophale Folgen für die Zivilbevölkerung und stellte Völkermord dar. Israel heizte den bewaffneten Konflikt mit der Hisbollah im Libanon weiter an. Der plötzliche Sturz des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad im Dezember 2024 machte deutlich, was es bedeutet, wenn Menschenrechtsverletzungen jahrzehntelang straflos bleiben. In vielen Ländern des Nahen Ostens und Nordafrikas wurde die Bevölkerung weiterhin unterdrückt, und autoritäre Praktiken waren auf dem Vormarsch. 

Die unerbittlichen israelischen Angriffe auf den besetzten Gazastreifen verschärften die humanitäre Krise, die dort nach 18 Jahren rechtswidriger Blockade herrschte. Ein Großteil der dortigen Bevölkerung war vertrieben, obdachlos, litt Hunger, war von lebensgefährlichen Krankheiten bedroht und hatte keinen Zugang zu medizinischer Versorgung, Strom und sauberem Wasser. 

Auch der Irak, der Iran, der Jemen, der Libanon und Syrien wurden in den Konflikt hineingezogen. Zum ersten Mal verübten der Iran und Israel offen direkte Angriffe auf das Staatsgebiet des jeweils anderen. Die grenzüberschreitenden Feindseligkeiten zwischen Israel und der Hisbollah entwickelten sich im September 2024 zu heftigen militärischen Auseinandersetzungen. Die israelischen Angriffe auf den gesamten Libanon hatten verheerende Folgen für die Zivilbevölkerung. 

Weltweit protestierten Millionen Menschen 2024 gegen das israelische Vorgehen im Gazastreifen, doch ergriffen weder die internationale Staatengemeinschaft noch einzelne Länder wirksame Maßnahmen, um die Gräueltaten zu stoppen. Selbst die Forderung nach einem Waffenstillstand wurde nur zögerlich erhoben. Im besetzten Westjordanland setzte Israel das Apartheidsystem immer gewaltsamer durch: Rechtswidrige Tötungen und staatlich unterstützte Angriffe israelischer Siedler*innen auf palästinensische Zivilpersonen nahmen dort 2024 stark zu. 

Auch die langjährigen Konflikte im Irak, im Jemen, in Libyen und in Syrien überschatteten weiterhin das Leben von Millionen Menschen. Besonders betroffen waren ausgegrenzte Bevölkerungsgruppen, denen vielfach ihre Rechte auf Nahrung, Wasser, angemessenen Wohnraum, Gesundheitsversorgung und Sicherheit verwehrt wurden. 

Auf internationaler Ebene gab es 2024 wichtige Fortschritte, was die Verfolgung völkerrechtlicher Verbrechen in Libyen und in Israel und dem besetzten palästinensischen Gebiet betraf. Verbündete Israels und andere mächtige Akteure kritisierten diese Maßnahmen allerdings scharf oder lehnten sie kategorisch ab. Sie schützten damit nicht nur die Verantwortlichen vor Strafverfolgung, sondern offenbarten auch eine Doppelmoral und ließen das Scheitern der regelbasierten Weltordnung noch deutlicher zutage treten.

In zahlreichen Ländern des Nahen Ostens und Nordafrikas unterdrückten Regierungen und nichtstaatliche bewaffnete Akteure weiterhin Menschen, die abweichende Meinungen äußerten. Oppositionelle und Regierungskritiker*innen wurden von den Behörden inhaftiert, gefoltert, zu Unrecht strafrechtlich verfolgt und hart bestraft – bis hin zur Todesstrafe. Im Visier standen u. a. Journalist*innen und Kritiker*innen, die sich online äußerten, politische Aktivist*innen und Gewerkschafter*innen, Menschenrechtsverteidiger*innen und Personen, die ihre Solidarität mit den Palästinenser*innen zum Ausdruck brachten. In manchen Ländern setzten die Sicherheitskräfte rechtswidrige oder sogar tödliche Gewalt ein, um Proteste zu unterdrücken. Auch wurden Menschen massenhaft festgenommen oder fielen dem Verschwindenlassen zum Opfer. In den allermeisten Fällen wurden diese Menschenrechtsverletzungen nicht geahndet.

Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, der nationalen oder ethnischen Zugehörigkeit, der sexuellen Orientierung, der Geschlechtsidentität, der Religion und des rechtlichen oder sozialen Status war noch immer weit verbreitet. 

Die großen Förderländer fossiler Brennstoffe ergriffen 2024 keine Maßnahmen, um den Klimawandel zu stoppen, obwohl der Nahe Osten und Nordafrika nach wie vor unter schweren und teilweise lebensbedrohlichen Folgen der Klimakrise zu leiden hatten. Dazu zählten nicht nur extreme Wetterereignisse sondern auch schleichende Katastrophen wie die zunehmende Wasserknappheit. 

Bewaffnete Konflikte

Israelische Angriffe auf den Gazastreifen 

Die israelische Militäroffensive im Gazastreifen, die nach den tödlichen Angriffen der Hamas und anderer bewaffneter palästinensischer Gruppen auf den Süden Israels am 7. Oktober 2023 begonnen hatte, führte in den 14 Monaten bis zum Jahresende 2024 zu mindestens 45.500 Todesopfern und 108.300 Verletzten. Viele Palästinenser*innen suchten in den Trümmern der zerstörten Gebäude noch immer nach den sterblichen Überresten ihrer Angehörigen. 

Amnesty International dokumentierte 2024 zahlreiche Kriegsverbrechen Israels, darunter direkte Angriffe auf Zivilpersonen und zivile Objekte sowie wahllose und unverhältnismäßige Angriffe, die häufig ganze Familien auslöschten.

Bei dem Versuch, entlang der östlichen Grenze des Gazastreifens eine Pufferzone zu schaffen, zerstörten die israelischen Streitkräfte mit Bulldozern und manuell angebrachten Sprengladungen systematisch landwirtschaftliche Flächen und zivile Gebäude und machten ganze Stadtviertel samt Wohnhäusern, Schulen und Moscheen dem Erdboden gleich.

Das israelische Vorgehen hatte die gewaltsame Vertreibung von 1,9 Mio. Palästinenser*innen und damit 90 Prozent der Bevölkerung des Gazastreifens zur Folge und führte vorsätzlich eine noch nie dagewesene humanitäre Katastrophe herbei. 

Recherchen von Amnesty International ergaben, dass Israel im Gazastreifen gegen die Völkermordkonvention verstieß, die Handlungen verbietet, die mit der Absicht begangen werden, eine Gruppe ganz oder teilweise zu zerstören. Israel beging im Gazastreifen das Verbrechen des Völkermords, indem es u. a. palästinensische Zivilpersonen tötete, ihnen schwere körperliche oder seelische Schäden zufügte und vorsätzlich Lebensbedingungen herbeiführte, die auf die Zerstörung von Palästinenser*innen abzielten. 

Humanitäre Organisationen konnten im Gazastreifen nicht im notwendigen Umfang tätig sein, weil Israel den Zugang zu dem Gebiet immer wieder verweigerte, behinderte oder Genehmigungen verschleppte. Im Mai 2024 begann Israel einen groß angelegten Militäreinsatz in der Stadt Rafah im Süden des Gazastreifens. Die Regierung ignorierte dabei nicht nur Warnungen seitens der internationalen Gemeinschaft und einiger Verbündeter sondern auch eine rechtlich bindende Anordnung des Internationalen Gerichtshofs (IGH), die Offensive wegen der verheerenden Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung sofort einzustellen. 

Mit einer Flut von "Evakuierungsbefehlen" trieb Israel die Bevölkerung des Gazastreifens in als sicher deklarierte Gebiete, die jedoch ständig kleiner wurden und in denen sich immer mehr Menschen drängten, ohne angemessenen Zugang zu lebensnotwendiger Infrastruktur, Gesundheitsversorgung und Nahrungsmitteln zu haben. Die Folge war, dass die meisten Palästinenser*innen im Gazastreifen unter extremem Hunger litten und Krankheiten sich rasch ausbreiteten. Die israelische Luftwaffe griff häufig Zivilpersonen an, die den "Evakuierungsbefehlen" nachkamen, teilweise selbst dann, wenn sie in den Gebieten angekommen waren, die nach israelischen Angaben angeblich sicher waren. 

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Israel nahm Palästinenser*innen weiterhin willkürlich fest und ließ sie in manchen Fällen verschwinden. Sie wurden routinemäßig nach Israel gebracht, dort ohne Kontakt zur Außenwelt und ohne Anklage oder Gerichtsverfahren in Haft gehalten und gefoltert oder anderweitig misshandelt.

Bewaffnete palästinensische Gruppen im Gazastreifen gefährdeten palästinensische Zivilpersonen, weil sie sich in zivilen Gebieten bzw. in deren Nähe aufhielten, auch in Lagern für Binnenvertriebene. Sie verstießen damit mutmaßlich gegen ihre völkerrechtliche Verpflichtung, Kämpfer soweit möglich nicht in dichtbesiedelten Gebieten zu positionieren. Bewaffnete Gruppen hielten weiterhin israelische und ausländische Zivilpersonen als Geiseln fest, was gegen das humanitäre Völkerrecht verstößt und ein Kriegsverbrechen darstellt. 

Israel hielt das jahrzehntelange Apartheidsystem gegen die Palästinenser*innen weiterhin aufrecht. Im besetzten Westjordanland nahmen Angriffe israelischer Siedler*innen auf palästinensische Zivilpersonen und deren Eigentum 2024 stark zu. Die vom israelischen Staat unterstützten Angriffe stellten ebenso wie die großflächige Beschlagnahme von Grundstücken, die Zerstörung von Häusern und der rechtswidrige Einsatz von Gewalt Verbrechen gegen die Menschlichkeit dar, nämlich Vertreibung und Apartheid. 

Die internationale Gemeinschaft ergriff keine zielführenden Maßnahmen, um Israels Gräueltaten im Gazastreifen ein Ende zu setzen. Die USA, einige westeuropäische Länder sowie weitere mächtige Staaten stellten sich offen hinter Israel und untergruben damit die universelle Gültigkeit des Völkerrechts. Der UN-Sicherheitsrat unternahm monatelang keine wirksamen Schritte und forderte erst im März 2024 einen Waffenstillstand. 

Nachdem Südafrika ein Verfahren gegen Israel wegen Verstoßes gegen die Völkermordkonvention angestrengt hatte, ordnete der IGH am 26. Januar, 28. März und 24. Mai 2024 einstweilige Maßnahmen an, um einen Völkermord im Gazastreifen zu verhindern. Die israelischen Behörden ignorierten die rechtlich verbindlichen Anordnungen jedoch durchweg. Einige Länder lieferten Israel weiterhin Waffen, die für völkerrechtliche Verstöße eingesetzt wurden, obwohl die Lieferländer darauf hingewiesen wurden, dass sie damit gegen ihre Verpflichtung verstießen, Völkermord zu verhindern, und riskierten, Beihilfe zu Völkermord und Kriegsverbrechen zu leisten. 

Am 21. November 2024 erließ der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) Haftbefehl gegen Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, den damaligen Verteidigungsminister Joaw Galant sowie den Anführer der al-Qassam-Brigaden Mohammed Deif wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Das gesamte Jahr über gab es weltweit Protestaktionen und Demonstrationen gegen das Vorgehen Israels im Gazastreifen, an denen sich Millionen Menschen beteiligten. Viele Länder unterdrückten diese Kundgebungen durch strenge Einschränkungen der Meinungs- und Versammlungsfreiheit. 

Andere bewaffnete Konflikte

Israels Angriffe auf den Gazastreifen führten 2024 zu bewaffneten Auseinandersetzungen und Angriffen im Irak, im Iran, im Jemen, im Libanon und in Syrien, an denen teilweise auch US-amerikanische und britische Streitkräfte beteiligt waren.

Nachdem es ein knappes Jahr lang nur zu vereinzelten grenzüberschreitenden Angriffen zwischen Israel und der bewaffneten Gruppe Hisbollah im Libanon gekommen war, startete Israel am 23. September 2024 einen Militäreinsatz im Libanon. Ab dem Beginn des Konflikts am 8. Oktober 2023 bis zum Jahresende 2024 wurden im Libanon mindestens 4.047 Menschen getötet, mehr als 16.600 verletzt und bis zu 1,2 Mio. vertrieben. Israelische Streitkräfte nahmen Häuser, Ackerland, Schulen, Kirchen, Moscheen und Krankenhäuser unter Beschuss, auch in der Hauptstadt Beirut. Außerdem machten sie unter Einsatz von Sprengstoff, Bulldozern und Baggern mehr als 20 Ortschaften dem Erdboden gleich, lange nachdem sie die Kontrolle darüber erlangt hatten. Die Hisbollah feuerte 2024 Hunderte Raketen aus dem Libanon auf den Norden Israels ab und tötete dabei mehr als 100 Menschen.

 

Das Foto zeigt mit Sturmgewehren bewaffnete Maskierte, die Helm und Uniform tragen und am Rande einer Demonstration Wache stehen.

Zu den Huthi-Truppen gehörende Sicherheitskräfte in der jemenitischen Hauptstadt Sanaa im Dezember 2023

 

Bewaffnete Kräfte der Huthi im Jemen griffen im Lauf des Jahres im Roten Meer, im Golf von Aden und im Indischen Ozean zahlreiche Schiffe an, denen sie Verbindungen zu Israel, den USA und Großbritannien vorwarfen, und töteten dabei zivile Seeleute. Als Reaktion darauf griffen US-Streitkräfte teilweise gemeinsam mit britischen Streitkräften Ziele der Huthi auf See und an Land an. Die Huthi verübten mindestens 48 Raketen- und Drohnenangriffe auf Israel, bei denen ein Zivilist getötet wurde. Als Vergeltungsmaßnahme bombardierte Israel am 20. Juli 2024 den Hafen von Hudaida, über den wichtige humanitäre Hilfslieferungen in den Jemen gelangten, sowie das Kraftwerk Ras Kanatib. Bei den Angriffen wurden mindestens sechs Zivilpersonen getötet. Am 29. September flog Israel Luftangriffe auf die Häfen von Hudaida und Ras Issa sowie die Kraftwerke al-Hali und Ras Kanatib im Gouvernement al-Hudaida. Berichten zufolge wurden dabei fünf Zivilpersonen getötet und weitere verletzt. 

Mitte April 2024 griff der Iran Israel mit mehr als 300 Drohnen und Raketen an und bezeichnete dies als Vergeltungsmaßnahme für einen israelischen Angriff auf das iranische Konsulat in Syrien, bei dem Anfang April sieben Angehörige der iranischen Revolutionsgarden getötet worden waren. Im Oktober 2024 reagierte der Iran auf die Tötung des Hamas-Anführers Ismail Hanija und des Hisbollah-Anführers Hassan Nasrallah mit einem Luftangriff auf Israel, bei dem fast 200 Raketen zum Einsatz kamen. Bei israelischen Luftangriffen auf 20 Ziele im Iran wurden ein Zivilist und vier Militärangehörige getötet.

Im Zuge der Konflikte im Gazastreifen und im Libanon verstärkte Israel auch seine Militäreinsätze in Syrien. Nach dem Sturz des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad im Dezember 2024 flog das israelische Militär Hunderte Luftangriffe auf Syrien. Außerdem drangen israelische Truppen in die entmilitarisierte UN-Pufferzone zwischen den von Israel besetzten Golanhöhen und Syrien ein, was eine Ausweitung der rechtswidrigen israelischen Siedlungen auf den Golanhöhen erwarten ließ. 

Der Islamische Widerstand im Irak (Al-Muqawama al-Islamiyah fi al-Iraq), ein Zusammenschluss bewaffneter Milizen, der sich 2023 als Reaktion auf die israelische Bombardierung des Gazastreifens unter dem Dach der Volksmobilisierungseinheiten formiert hatte, verstärkte 2024 seine Angriffe auf Israel. Nach Angaben der Milizen galten diese vor allem militärischen Einrichtungen in Israel und auf den besetzten Golanhöhen.

Auch in anderen Ländern des Nahen Ostens und Nordafrikas litten nach wie vor Millionen Menschen unter langjährigen bewaffneten Konflikten und deren Folgen. Konfliktparteien verübten Kriegsverbrechen und andere schwere Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht, teilweise mit Unterstützung ausländischer Regierungen.

In Syrien waren bis Dezember 2024 alle Konfliktparteien und deren Verbündete für rechtswidrige Angriffe verantwortlich, die unzählige Zivilpersonen verletzten oder töteten und wichtige zivile Infrastruktur zerstörten. Im ersten Halbjahr 2024 intensivierte die Regierung von Präsident Baschar al-Assad ihre von Russland unterstützten Angriffe auf den Nordwesten des Landes, der von bewaffneten oppositionellen Gruppen kontrolliert wurde. Die Türkei ging weiterhin gegen kurdische Gruppen im Nordosten Syriens vor und griff Städte und Dörfer in der Region wiederholt aus der Luft an, was zu Opfern unter der Zivilbevölkerung und zu Schäden an Einrichtungen der zivilen Infrastruktur führte. 

Am 8. Dezember 2024 stürzten bewaffnete oppositionelle Gruppen Präsident Baschar al-Assad und beendeten damit die fünf Jahrzehnte währende brutale und repressive Herrschaft seiner Familie, die von Menschenrechtsverletzungen, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit geprägt war. 

In der libyschen Hauptstadt Tripolis sowie in Teilen West- und Südlibyens gab es 2024 immer wieder bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen Milizen und bewaffneten Gruppen, die um Ressourcen oder politischen Einfluss kämpften, was zu zivilen Opfern und Schäden an zivilen Objekten führte.

Alle an bewaffneten Konflikten beteiligten Parteien müssen sich an das humanitäre Völkerrecht halten und insbesondere gezielte Angriffe auf Zivilpersonen und zivile Infrastruktur sowie wahllose Angriffe beenden. Ausländische Regierungen müssen Waffenlieferungen stoppen, wenn ein erhebliches Risiko besteht, dass diese genutzt werden, um schwere Menschenrechtsverletzungen oder Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht zu verüben oder zu ermöglichen. 

Unterdrückung Andersdenkender

Im gesamten Nahen Osten und in Nordafrika verletzten die Behörden auch 2024 die Rechte von Menschen, die im öffentlichen Raum oder online kritische oder abweichende Meinungen äußerten, sei es über die Menschenrechtslage, die Wirtschaftspolitik, den Konflikt im Gazastreifen oder soziale Themen. Einige Regierungen griffen auf haltlose Terrorismusvorwürfe oder Anklagen wegen "Verbreitung falscher Nachrichten" zurück, um oppositionelle Stimmen zum Schweigen zu bringen und Kritiker*innen hart zu bestrafen.

Im Iran waren Protestierende, Journalist*innen, Künstler*innen, Schriftsteller*innen, Akademiker*innen, Studierende, LGBTI+, Menschenrechtsverteidiger*innen, Angehörige ethnischer und religiöser Minderheiten sowie Frauen, die sich dem gesetzlichen Kopftuchzwang widersetzten, Repressionen ausgesetzt, wenn sie friedlich ihre Menschenrechte ausübten. Ihnen drohten u. a. willkürliche Inhaftierung, Vorladung zu Verhören, ungerechtfertigte Strafverfolgung und unfaire Gerichtsverfahren, die zu einer Geld- oder Gefängnisstrafe, zu Auspeitschung oder gar zu einem Todesurteil führen konnten. 

Die jordanischen Behörden nutzten das repressive Gesetz über Internetkriminalität, um Hunderte Menschen anzuklagen, die sich kritisch über die Regierung geäußert, ihre Solidarität mit den Palästinenser*innen bekundet oder zu friedlichen Protesten oder Streiks aufgerufen hatten. Menschen, die wegen der Wahrnehmung ihres Rechts auf Meinungsfreiheit inhaftiert wurden, erhielten in der Regel kein faires Verfahren. 

In Saudi-Arabien wurden weiterhin Menschen wegen ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen Ansichten willkürlich inhaftiert und hatten keinerlei Möglichkeit, die Rechtmäßigkeit ihrer Inhaftierung anzufechten. Oft wurden sie auf Grundlage vager und pauschaler Anklagen, die z. B. friedliche Meinungsäußerungen als "Terrorismus" einstuften, in unfairen Verfahren zu langen Haftstrafen oder zum Tode verurteilt. 

Auch in den Ländern Nordafrikas wurden Andersdenkende 2024 wegen ihrer Ansichten verfolgt. Die tunesischen Behörden gingen immer schärfer gegen die Meinungsfreiheit und jede Form von Kritik vor. Sie bedienten sich repressiver Gesetze und unbegründeter Vorwürfe, um einflussreiche Oppositionelle sowie Journalist*innen, Social-Media-Nutzer*innen, Menschenrechtsverteidiger*innen, Rechtsbeistände und Kritiker*innen willkürlich zu inhaftieren. In Ägypten waren weiterhin Journalist*innen, friedliche Demonstrierende, Dissident*innen, Oppositionspolitiker*innen und Regierungskritiker*innen Verfolgung ausgesetzt. In Marokko und der Westsahara wurden zwar im Juli 2024 Tausende Inhaftierte durch den König begnadigt, gleichzeitig gingen die Behörden jedoch unvermindert gegen Journalist*innen, Aktivist*innen und Regierungskritiker*innen vor. Die algerischen Behörden unterdrückten die Rechte auf Meinungs-, Versammlungs-, Vereinigungs- und Pressefreiheit, indem sie häufig auf konstruierte Terrorismusvorwürfe zurückgriffen, um Menschen, die friedlich abweichende Meinungen äußerten, zum Schweigen zu bringen. In Libyen inhaftierten Angehörige von Milizen und bewaffneten Gruppen willkürlich Hunderte Aktivist*innen, Protestierende, Journalist*innen und Internetnutzer*innen, nur weil sie friedlich von ihren Rechten auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit Gebrauch gemacht hatten. 

Die Regierungen müssen die Rechte auf Meinungs- und Vereinigungsfreiheit respektieren und sicherstellen, dass Journalist*innen, Menschenrechtsverteidiger*innen und Aktivist*innen diese Rechte ohne Schikane, tätliche Angriffe und strafrechtliche Verfolgung wahrnehmen können. Alle diejenigen, die wegen der Ausübung dieser Rechte inhaftiert sind, müssen umgehend und bedingungslos freigelassen werden.

Recht auf Versammlungsfreiheit

In fast allen Ländern des Nahen Ostens und Nordafrikas wurden friedliche Proteste 2024 verhindert oder gewaltsam aufgelöst. Dabei setzten die Regierungen verschiedene Taktiken ein.

Um geplante regierungskritische Demonstrationen zu verhindern, nahmen die ägyptischen Behörden im Vorfeld massenhaft Menschen fest und lösten die wenigen Proteste, die stattfanden, mit Gewalt auf. So wurde z. B. am 23. April 2024 eine kleine Protestveranstaltung von Frauen, die ihre Solidarität mit Frauen in Palästina und im Sudan zum Ausdruck bringen wollten, gewaltsam beendet.Im Irak wendeten die Sicherheitskräfte häufig Gewalt an und schossen auch mit scharfer Munition, um Menschen auseinanderzutreiben, die auf die Straße gegangen waren, um gegen Korruption in der Regierung, die schlechte Wirtschaftslage und unzureichende öffentliche Dienstleistungen zu protestieren.

Die tunesischen Behörden erhoben immer wieder unbegründete und vage Vorwürfe der "Behinderung", um friedliche Protestierende willkürlich festzunehmen, vor Gericht zu stellen und zu verurteilen. In Jordanien nahmen die Sicherheitskräfte im Zusammenhang mit großen Kundgebungen zur Unterstützung der Palästinenser*innen im Gazastreifen zwischen Oktober 2023 und Oktober 2024 Tausende Protestierende und Unbeteiligte fest, von denen sich viele Ende 2024 immer noch in Haft befanden. Die Behörden der Vereinigten Arabischen Emirate unterdrückten weiterhin das Recht auf Versammlungsfreiheit und stellten Menschen, die friedlich demonstriert oder sich anderweitig kritisch geäußert hatten, in Massenverfahren vor Gericht.

Die Regierungen müssen das Recht auf Versammlungsfreiheit respektieren und die Repressionen gegen friedliche Protestierende beenden. 

Wirtschaftliche und soziale Rechte

Im gesamten Nahen Osten und in Nordafrika war die Bevölkerung 2024 mit mehrfachen Dauerkrisen konfrontiert: Zu den verheerenden bewaffneten Konflikten kamen eine düstere Wirtschaftslage, eine hohe Verschuldung und die Klimakrise, deren Folgen immer deutlicher wurden. Eine hohe Inflation, Versäumnisse der Regierungen und andere lokale wie auch internationale Faktoren sorgten für steigende Lebenshaltungskosten, nicht zuletzt in einigen der ärmsten und bevölkerungsreichsten Ländern der Region. Für Millionen Menschen bedeutete dies, dass sie nicht genug Nahrungsmittel hatten, um ihr Überleben kämpfen mussten und ihre Rechte auf Gesundheit, Wasser und einen angemessenen Lebensstandard untergraben wurden. 

Im Libanon herrschte nach wie vor eine Finanz- und Wirtschaftskrise, für die zum Großteil die Regierung verantwortlich war. Die Behörden versäumten es auch, die nötigen Reformen vorzunehmen, um das Recht auf soziale Sicherheit sowie andere soziale und wirtschaftlichen Rechte zu gewährleisten. Die Krise wirkte sich besonders verheerend auf ausgegrenzte Bevölkerungsgruppen aus und führte z. B. dazu, dass viele ältere Menschen, Menschen mit Behinderungen, Flüchtlinge und Personen, die im informellen Sektor tätig waren, kaum noch Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen hatten. Die Zerstörungen aufgrund des israelischen Kriegs gegen die Hisbollah verschärften die schwierige Lage des Landes noch zusätzlich. 

Auch in Ägypten untergrub eine Wirtschaftskrise die wirtschaftlichen und sozialen Rechte der Bevölkerung, zumal sich die Regierung auch 2024 nicht an die verfassungsrechtlichen Vorgaben hielt, wonach bestimmte Anteile des Bruttoinlandsprodukts in das Gesundheitswesen und in Bildung fließen müssen. Ein neues Gesetz zur Privatisierung des Gesundheitswesens gefährdete die Zugänglichkeit von Gesundheitsdiensten, insbesondere für in Armut lebende Menschen. Beschäftigte, die den Mindestlohn einforderten, und Menschen, die gegen rechtswidrige Zwangsräumungen protestierten, wurden von Sicherheitskräften bedroht und festgenommen. 

In vielen Ländern schützte die Regierung Geringverdienende nicht vor arbeitsrechtlichen Verstößen und verweigerte Beschäftigten sowohl das Recht, unabhängige Gewerkschaften zu gründen oder ihnen beizutreten, als auch das Recht zu streiken, ohne Vergeltungsmaßnahmen befürchten zu müssen. In Golfstaaten wie Saudi-Arabien, Katar und den Vereinigten Arabischen Emiraten litten geringverdienende Arbeitsmigrant*innen nach wie vor unter extremer Ausbeutung, Lohndiebstahl durch ihre Arbeitgeber*innen und fristlosen Entlassungen sowie unter Diskriminierung, unzumutbaren Unterkünften, körperlicher und seelischer Misshandlung und mangelnder Gesundheitsversorgung. Am stärksten betroffen waren Hausangestellte, von denen die meisten Frauen waren. 

Die Regierungen müssen dringend Maßnahmen ergreifen, um die wirtschaftlichen und sozialen Rechte der Menschen zu gewährleisten, u. a. durch die Einrichtung umfassender Sozialsysteme, die allen Menschen, auch ausgegrenzten Gruppen, einen angemessenen Lebensstandard, einschließlich Nahrung, Wasser und Gesundheitsversorgung, ermöglichen. Die Geberländer und internationalen Finanzinstitutionen müssen dringend Schritte unternehmen, um die Regierungen beim Erreichen dieses Ziels zu unterstützen. Die Regierungen müssen das Recht der Beschäftigten auf unabhängige Gewerkschaften und auf Streik schützen und den arbeitsrechtlichen Schutz auf alle Arbeitsmigrant*innen einschließlich Hausangestellte ausweiten.

Diskriminierung

Frauen und Mädchen

Im gesamten Nahen Osten und in Nordafrika wurden Frauen und Mädchen auch 2024 durch Gesetze und im täglichen Leben diskriminiert, u. a. in Bezug auf Bewegungsfreiheit, Meinungsfreiheit, körperliche Selbstbestimmung, Erbangelegenheiten, Scheidung, Beschäftigungsmöglichkeiten und die Übernahme politischer Ämter. Geschlechtsspezifische Gewalt, auch im Internet, war nach wie vor weit verbreitet und wurde nicht geahndet. In einigen Ländern stiegen die Fälle geschlechtsspezifischer Gewalt, während der Schutz von Frauen immer unzureichender wurde. 

In Algerien und im Irak konnten Vergewaltiger weiterhin der Strafverfolgung entgehen, wenn sie ihr Opfer heirateten. 

Im Jemen schränkten die De-facto-Behörden der Huthi und bewaffnete Gruppen die Bewegungsfreiheit von Frauen weiterhin stark ein und verboten ihnen Reisen ohne einen männlichen Vormund oder dessen schriftliche Genehmigung. 

Die kurdische Regionalregierung im Irak unternahm einige positive Schritte, zog aber Täter, die für häusliche Gewalt verantwortlich waren, weiterhin nicht zur Rechenschaft. Stattdessen wurden Überlebende, die das völlig unterfinanzierte Schutzsystem in Anspruch nehmen wollten, willkürlich in ihren Freiheiten eingeschränkt. Dem irakischen Parlament lag ein Gesetzentwurf für eine Reform des Personenstandsgesetzes vor, der das Recht von Frauen und Mädchen auf Gleichheit vor dem Gesetz aushöhlen würde. Die Abstimmung darüber wurde auf 2025 verschoben.

Im Iran verschärften die Behörden ihr Vorgehen gegen Frauen und Mädchen, die sich dem Kopftuchzwang widersetzten, und nutzten dafür auch digitale Überwachungstechnologien wie z. B. Gesichtserkennung. Zur Durchsetzung des Kopftuchzwangs waren außerdem vermehrt Sicherheitspatrouillen im öffentlichen Raum unterwegs, die Frauen und Mädchen drangsalierten und tätlich angriffen.

In Libyen nahmen Milizen und bewaffnete Gruppen Influencerinnen und Bloggerinnen ins Visier, die sich ihrer Ansicht nach unangemessen ausdrückten oder kleideten. Im November 2024 kündigte die Regierung der Nationalen Einheit mit Sitz in Tripolis an, sie wolle eine Verschleierungspflicht für Frauen einführen und diese mithilfe einer "Sittenpolizei" durchsetzen.

LGBTI+

In zahlreichen Ländern des Nahen Ostens und Nordafrikas wurden Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität festgenommen und strafrechtlich verfolgt. Viele, die wegen einvernehmlicher gleichgeschlechtlicher Beziehungen schuldig gesprochen wurden, erhielten harte Strafen. In Libyen, Tunesien und im Irak verschärften sich die Angriffe auf die Rechte von lesbischen, schwulen, bisexuellen, trans und intergeschlechtlichen Menschen (LGBTI+). 

In Libyen nahmen die Internal Security Agency (ISA) in der Hauptstadt Tripolis und andere Milizen und bewaffnete Gruppen erneut Personen aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität willkürlich fest, stellten sie vor Gericht und veröffentlichten "Geständnisse", die unter Folter erpresst worden waren. In Tunesien wurden nach Angaben von LGBTI-Gruppen immer mehr Menschen wegen "Homosexualität" strafrechtlich verfolgt.

Im Irak wurde im April 2024 ein Gesetz verabschiedet, das gleichgeschlechtliche sexuelle Beziehungen erstmals strafbar machte und dafür 10 bis 15 Jahre Gefängnis vorsah. Das Gesetz enthielt auch Strafen für die "Förderung" gleichgeschlechtlicher Beziehungen und den Ausdruck transgeschlechtlicher Identität sowie vage Tatbestände wie "verweiblichtes Verhalten". 

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Ethnische und religiöse Minderheiten

In der gesamten Region wurden Angehörige nationaler, ethnischer und religiöser Gemeinschaften und Minderheiten weiterhin durch Gesetze und im täglichen Leben diskriminiert. Dies betraf u. a. ihre Rechte auf Religionsausübung und auf ein Leben ohne Verfolgung und andere schwere Menschenrechtsverletzungen.

Israel baute sein Apartheidsystem durch Unterdrückung und Beherrschung der Palästinenser*innen im besetzten Westjordanland noch stärker aus. Zu den zahlreichen Menschenrechtsverletzungen, die Israel dort systematisch verübte, zählten Zwangsumsiedlungen, Verwaltungshaft, Folter, rechtswidrige Tötungen, Verfolgung sowie die Verweigerung grundlegender Rechte und Freiheiten. 

Im Iran wurden ethnische Minderheiten, darunter arabische, aserbaidschanische, belutschische, kurdische und turkmenische Bevölkerungsgruppen, diskriminiert, was ihren Zugang zu Bildung, zum Arbeitsmarkt, zu angemessenem Wohnraum und zu politischen Ämtern betraf. Angehörige der religiösen Minderheit der Baha'i waren weiterhin zahlreichen systematischen Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt. 

Die Regierungen müssen die Diskriminierung von Personen aufgrund der nationalen Herkunft, der ethnischen Zugehörigkeit, der Religion, des Geschlechts, der sexuellen Orientierung und der Geschlechtsidentität beenden. Sie müssen rechtliche und politische Reformen umsetzen, um allen Menschen gleiche Rechte ohne Diskriminierung zu gewähren und die Rechte auf Gedanken-, Gewissens-, Religions- und Glaubensfreiheit zu schützen, zu fördern und zu garantieren.

Rechte von Binnenvertriebenen, Flüchtlingen und Migrant*innen

In Israel, in Palästina, im Irak, in Libyen, in Syrien, im Libanon und im Jemen kämpften 2024 unzählige Binnenvertriebene aufgrund der anhaltenden Konflikte um ihr Überleben. Die meisten von ihnen wurden von den Behörden diskriminiert und hatten nur eingeschränkten Zugang zu grundlegenden Versorgungsleistungen. Die humanitäre Hilfe für sie war nicht ausreichend oder erreichte sie nicht. Man verweigerte ihnen ihr Recht auf Rückkehr, und diejenigen, die ohne Erlaubnis in ihre Heimat zurückkehrten, mussten Repressalien befürchten. 

Im Irak gab es 2024 immer noch ungefähr 1,1 Mio. Binnenvertriebene, von denen viele keinen ausreichenden Zugang zu Wohnraum, Wasser, Gesundheitsversorgung und anderen grundlegenden Leistungen der Daseinsvorsorge hatten. Irakische Sicherheitskräfte nahmen in einem Lager für Binnenvertriebene Menschen willkürlich fest, denen sie Verbindungen zur bewaffneten Gruppe Islamischer Staat (IS) unterstellten, folterten sie u. a. mit Elektroschocks und Waterboarding und ließen sie verschwinden. 

In Syrien, wo die Zahl der Binnenvertriebenen nach Angaben des UN-Hochkommissariats für Flüchtlinge (UNHCR) zwischenzeitlich einen Höchststand von 7,2 Millionen erreicht hatte, war die humanitäre Lage auch nach dem Sturz von Präsident Assad im Dezember 2024 düster und die Sicherheitslage ungewiss. Dessen ungeachtet kündigten mindestens 21 europäische Länder an, Entscheidungen über Asylanträge von Syrer*innen auszusetzen oder dies in Erwägung zu ziehen. 

Im gesamten Nahen Osten und in Nordafrika wurden die Rechte von Flüchtlingen, Asylsuchenden und Migrant*innen mit Füßen getreten. Viele Aufnahmeländer in der Region kamen ihren entsprechenden Verpflichtungen nicht nach. Hinzu kam das Versagen der internationalen Gemeinschaft, insbesondere der reicheren Länder, durch angemessene Resettlement-Programme und humanitäre Hilfe ihren Teil der Verantwortung zu übernehmen. Im Libanon lebten rund 90 Prozent der schätzungsweise 1,5 Mio. syrischen Flüchtlinge in extremer Armut und hatten keinen angemessenen Zugang zu Nahrung, Wohnraum, Bildung und Gesundheitsversorgung. Feindselige Äußerungen über Flüchtlinge nahmen stark zu und wurden teilweise von lokalen Behörden und Politiker*innen noch geschürt, was die flüchtlingsfeindliche Stimmung im Land weiter verschärfte. Im benachbarten Jordanien hielten sich derweil 2 Mio. palästinensische Flüchtlinge und etwa 750.000 Geflüchtete aus Syrien und anderen Ländern auf. Viele von ihnen lebten in Armut und unter zunehmend erbärmlichen Bedingungen. 

Tunesien schob Migrant*innen und Flüchtlinge weiterhin routinemäßig und kollektiv nach Algerien und Libyen ab und verstieß damit gegen den Grundsatz der Nicht-Zurückweisung (Non-Refoulement-Prinzip). Dabei wurden Menschen in abgelegenen Wüstengebieten an den Grenzen zu den Nachbarländern ohne Nahrung und Wasser ausgesetzt. Ab Mai 2024 gingen die tunesischen Behörden scharf gegen Organisationen vor, die sich für die Rechte von Flüchtlingen und Migrant*innen einsetzten, und schränkten ihre Arbeitsmöglichkeiten stark ein.

In Libyen wurden Flüchtlinge und Migrant*innen Opfer willkürlicher Inhaftierung, Folter und anderen Misshandlungen, Erpressung, Zwangsarbeit und rechtswidriger Abschiebungen. Betroffen waren auch Menschen, die von bewaffneten Gruppen und der von der EU unterstützten Küstenwache auf See abgefangen und an Land zurückgebracht worden waren. 

Die ägyptischen Behörden nahmen Tausende sudanesische Staatsangehörige willkürlich in Gewahrsam und schoben sie in den Sudan ab, obwohl dort ein bewaffneter Konflikt herrschte, was eine eklatante Verletzung des Völkerrechts darstellte. 

Die Regierungen müssen die willkürliche Inhaftierung von Geflüchteten, Asylsuchenden und Migrant*innen allein wegen ihres Aufenthaltsstatus beenden und sie vor Folter und anderen Misshandlungen im Gewahrsam sowie vor massenhaften Abschiebungen schützen. Außerdem müssen sie die Praxis beenden, Menschen in Länder abzuschieben, in denen ihnen Menschenrechtsverletzungen drohen. Die Regierungen müssen konkrete Schritte unternehmen, um die freiwillige, sichere und menschenwürdige Rückkehr von Binnenvertriebenen in ihre Herkunftsgebiete zu gewährleisten.

Todesstrafe

Die meisten Länder der Region hielten auch 2024 an der Todesstrafe fest. Gerichte verhängten Todesurteile u. a. für Straftaten, die nicht mit vorsätzlicher Tötung verbunden waren, sowie für völkerrechtlich geschützte Handlungen wie einvernehmliche gleichgeschlechtliche Beziehungen oder "Apostasie" (Abfall vom Glauben), aber auch wegen konstruierter und extrem vager Vorwürfe, die erhoben wurden, um kritische Stimmen zum Schweigen zu bringen. In mehreren Ländern wurden Todesurteile vollstreckt. Im Irak fanden Massenhinrichtungen statt, ohne die Rechtsbeistände und Familienangehörigen der Betroffenen im Voraus zu informieren. Die iranischen Behörden setzten die Todesstrafe weiterhin als Mittel der politischen Unterdrückung ein und richteten Hunderte Menschen willkürlich hin.

Die Regierungen müssen unverzüglich ein offizielles Moratorium für Hinrichtungen einführen, mit dem Ziel, die Todesstrafe vollständig abzuschaffen.

Recht auf eine gesunde Umwelt

Die Menschen in den Ländern des Nahen Ostens und Nordafrikas litten weiterhin unter schweren und oft lebensbedrohlichen Folgen der Klimakrise. Dazu zählten nicht nur extreme Wetterereignisse, sondern auch schleichende Katastrophen wie die zunehmende und in einigen Fällen bereits extreme Wasserknappheit. Die Umweltpolitik war durchweg unzureichend, und die Regierungen ergriffen weder angemessene Maßnahmen, um den Klimawandel zu stoppen bzw. seine Folgen zu bewältigen, noch boten sie den am stärksten davon betroffenen Menschen ausreichend Unterstützung. 

Im Irak herrschte große Wasserknappheit, und die Luft- und Wasserqualität wurden immer schlechter. Das Abholzen von Wäldern führte zu vermehrten Staub- und Sandstürmen, und die unzulängliche Abfallentsorgung sorgte für einen Anstieg von Krankheiten, die durch verschmutztes Wasser verursacht werden. Besonders betroffen waren Vertriebene und andere schutzbedürftige Bevölkerungsgruppen. Auch Jordanien litt unter Wasserknappheit und konnte nur etwa zwei Drittel des Wasserbedarfs der Bevölkerung decken.

Kuwait wurde von extremer Hitze heimgesucht und verzeichnete Ende Mai 2024 Rekordtemperaturen, die um 4 bis 5 °C höher lagen als in den Vorjahren. Dennoch kündigte der Vorstandsvorsitzende der staatlichen Kuwait Petroleum Corporation im März 2024 an, man werde die Ölproduktion bis 2035 erheblich steigern. Eine weitere Steigerung gab er im Juli bekannt, als ein neues Ölfeld entdeckt wurde.

Auch in anderen Ländern gab es keinerlei Fortschritte bezüglich des notwendigen Ausstiegs aus fossilen Brennstoffen. Bahrain plante, die Förderung auszudehnen und beantragte im Februar 2024 ein Darlehen, um 400 neue Ölquellen und 30 Gasquellen zu erschließen. Ein im Juni 2024 veröffentlichter Bericht der NGO Global Witness bestätigte, dass die Vereinigten Arabischen Emirate im Jahr 2023 ihre Rolle als Gastgeber der Weltklimakonferenz (COP28) nutzen wollten, um Öl- und Gasgeschäfte für den staatlichen Ölkonzern Abu Dhabi National Oil Company abzuschließen. Der saudi-arabische Energieminister kündigte im Juni 2024 an, die Ölförderung im Zeitraum 2025 bis 2027 zu erhöhen. 

Die Regierungen müssen dringend Maßnahmen zum Klimaschutz ergreifen. Dazu zählen die Reduzierung der CO2-Emissionen und die Beendigung der Förderung und Nutzung fossiler Brennstoffe. Staaten, die über die notwendigen Ressourcen verfügen, sollten die Finanzmittel für Länder, die Unterstützung für menschenrechtskonforme Klimaschutz- und Anpassungsmaßnahmen benötigen, deutlich erhöhen.

Straflosigkeit

Die Straflosigkeit für schwere Menschenrechtsverletzungen im gesamten Nahen Osten und in Nordafrika wurde von staatlicher Seite weiterhin gefördert und war ein Zeichen dafür, dass die äußerst mangelhaften nationalen Justizsysteme versagten.

In Israel herrschte wie bereits seit Jahrzehnten Straffreiheit für die wiederholten Kriegsverbrechen und die Menschenrechtsverletzungen an Palästinenser*innen, die im Rahmen des Apartheidsystems und der rechtswidrigen Besetzung verübt wurden. 

Die marokkanischen Behörden gewährten den Angehörigen der Menschen, die im Juni 2022 an der Grenze zwischen Nordmarokko und der spanischen Exklave Melilla gestorben oder verschwunden waren, weiterhin nicht ihr Recht auf Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung. Marokkanische und spanische Sicherheitskräfte hatten damals exzessive Gewalt angewendet, um Migrant*innen aus Ländern südlich der Sahara am Überwinden der Grenze zu hindern. 

Im Iran herrschte weiterhin Straflosigkeit für Staatsbedienstete, die 2024 oder in den Vorjahren für rechtswidrige Tötungen, Verschwindenlassen, Folter und andere Misshandlungen, Vergewaltigung und andere Formen sexualisierter Gewalt sowie weitere völkerrechtliche Verbrechen und schwere Menschenrechtsverletzungen verantwortlich waren. 

Im Oktober 2024 erließ der IStGH Haftbefehl gegen sechs Mitglieder der bewaffneten Gruppe al-Kaniat, die bis Juni 2020 die libysche Stadt Tarhouna kontrolliert hatte. Ihnen wurde vorgeworfen, dort die Kriegsverbrechen Mord, Folter, Verschwindenlassen und andere unmenschliche Handlungen begangen zu haben. 

In einigen europäischen Ländern liefen auf Grundlage des Weltrechtsprinzips weiterhin Ermittlungen und Gerichtsverfahren gegen Personen, die im Verdacht standen, in Syrien völkerrechtliche Verbrechen verübt zu haben.

Die Regierungen müssen Straflosigkeit bekämpfen, indem sie Menschenrechtsverletzungen und völkerrechtliche Verbrechen gründlich, unabhängig, unparteiisch, wirksam und transparent untersuchen und die mutmaßlich Verantwortlichen vor zivilen Gerichten zur Rechenschaft ziehen. 

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