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Syrien 2020
- Hintergrund
- Rechtswidrige Angriffe
- Willkürliche Inhaftierungen und Verschwindenlassen
- Verstöße bewaffneter Gruppen
- Verstöße durch die Autonomiebehörde unter Leitung der PYD
- Recht auf Gesundheit
- Flüchtlinge und Binnenvertriebene
- Recht auf Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung
- Todesstrafe
- Veröffentlichungen von Amnesty International
Berichtszeitraum: 1. Januar 2020 bis 31. Dezember 2020
Die am bewaffneten Konflikt in Syrien beteiligten Parteien begingen 2020 weiterhin Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und andere schwere Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht sowie grobe Menschenrechtsverstöße, die nicht geahndet wurden. Syrische und russische Regierungstruppen flogen Luftangriffe auf Städte in den Provinzen Idlib, Hama und Aleppo, die sich gezielt gegen Zivilpersonen und zivile Objekte wie Krankenhäuser und Schulen richteten und fast 1 Mio. Menschen in die Flucht trieben.
Regierungskräfte behinderten weiterhin humanitäre Hilfslieferungen für die Zivilbevölkerung. Sicherheitskräfte nahmen willkürlich friedliche Demonstrierende fest sowie Zivilpersonen, die sogenannte Versöhnungsabkommen mit der Regierung durchlaufen hatten. Außerdem hielten sie weiterhin Zehntausende Menschen in willkürlicher Haft, darunter friedliche Aktivist_innen, Mitarbeiter_innen humanitärer Hilfsorganisationen, Rechtsanwält_innen und Journalist_innen. Viele von ihnen wurden Opfer des Verschwindenlassens. Die selbsternannte Syrische Nationalarmee (Syrian National Army – SNA), ein von der Türkei unterstütztes Bündnis oppositioneller bewaffneter Gruppen, ging in den Städten Afrin und Ras al-Ain im Norden des Landes, die faktisch unter türkischer Kontrolle standen, mit Plünderungen, Beschlagnahmungen von Eigentum, willkürlichen Festnahmen, Entführungen und weiteren Übergriffen gegen die Zivilbevölkerung vor. Im Nordwesten war die bewaffnete oppositionelle Gruppe Hay'at Tahrir al-Sham für Angriffe und willkürliche Festnahmen von Medienaktivist_innen, Journalist_innen, medizinischem Personal, Mitarbeiter_innen humanitärer Hilfsorganisationen und anderen Personen verantwortlich. Im Nordosten nahm die Autonomieverwaltung unter Leitung der Partei der Demokratischen Union (PYD) willkürlich Menschen fest und hielt weiterhin Zehntausende unter unmenschlichen Bedingungen in Haft, die im Verdacht standen, der bewaffneten Gruppe Islamischer Staat (IS) anzugehören. Die syrische Regierung schützte das Gesundheitspersonal nicht angemessen vor dem Coronavirus und reagierte nicht entschieden auf die Pandemie, wodurch Tausende Menschenleben gefährdet waren. Für Zehntausende Binnenvertriebene bestand aufgrund katastrophaler Lebensbedingungen ein erhöhtes Risiko, sich mit dem Coronavirus zu infizieren.
Hintergrund
Der Konflikt zwischen der Regierung und ihren Verbündeten sowie bewaffneten oppositionellen Gruppen in Idlib, Hama, Aleppo und Daraa hielt 2020 an. Im Januar eskalierten im Nordwesten Kämpfe zwischen syrischen Regierungstruppen, die von Russland unterstützt wurden, und der bewaffneten Gruppe Hay'at Tahrir al-Sham. Bis zum 2. März hatte die Regierung die Kontrolle über die Schnellstraße zwischen Damaskus und Aleppo sowie über wichtige Städte im Süden der Provinz Idlib und im Westen der Provinz Aleppo wiedererlangt. Am 5. März vereinbarten Russland und die Türkei einen Waffenstillstand und gemeinsame Militärpatrouillen auf der Schnellstraße, die Aleppo mit Latakia verbindet (auch als M4 bekannt).
Zwischen Januar und April feuerten unbekannte bewaffnete Gruppen Granaten auf die Stadt Afrin und brachten Autobomben zur Explosion. Dabei wurden in der Stadt im Norden des Landes, die von pro-türkischen bewaffneten Gruppen kontrolliert wurde, viele Zivilpersonen getötet oder verletzt. Außerdem entstand Sachschaden an Wohnhäusern, Märkten und anderen zivilen Einrichtungen. Von März bis Juli eskalierten in der Provinz Daraa im Südwesten des Landes die Spannungen zwischen bewaffneten oppositionellen Gruppen und Regierungstruppen nach Zusammenstößen, Granatenbeschuss und gezielten Tötungen durch beide Konfliktparteien.
Die Kommission, die der Generalsekretär der Vereinten Nationen 2019 einberufen hatte, um "Vorfälle" zu untersuchen, bei denen Einrichtungen im Nordwesten des Landes beschädigt oder zerstört worden waren, die von den UN unterstützt wurden, sowie Einrichtungen, die auf einer speziellen Liste der UN stehen, weil sie "konfliktentschärfend" sind und geschützt werden sollen, veröffentlichte im April 2020 ihren ersten Bericht. Ihrer Ansicht nach war es "höchstwahrscheinlich", dass "die syrische Regierung und/oder ihre Verbündeten" drei Luftangriffe und "bewaffnete oppositionelle Gruppen oder Hayat Tahrir al-Scham" einen Angriff mit Bodenraketen auf die Einrichtungen verübt hatten. Im Oktober veröffentlichte die Organisation für das Verbot chemischer Waffen zwei Berichte über zwei mutmaßliche Chemiewaffenangriffe auf Idlib und Aleppo am 1. August 2016 bzw. am 24. November 2018. In beiden Fällen konnte nicht festgestellt werden, ob Chemikalien als Waffen eingesetzt wurden oder nicht.
Israel setzte seine Luftangriffe auf syrische Regierungstruppen sowie auf iranische Kräfte und Stellungen der Hisbollah in Syrien fort.
Im Juni trat in den USA das Caesar-Gesetz zum Schutz der syrischen Zivilbevölkerung (Caesar Syrian Civilian Protection Act) in Kraft, das Sanktionen gegen syrische Regierungsvertreter, Armeeangehörige und Geschäftsleute vorsieht.
Rechtswidrige Angriffe
Direkte Angriffe syrischer Regierungstruppen und Russlands auf Zivilpersonen und zivile Gebäude
Die Zivilbevölkerung im Nordwesten Syriens war weiterhin Luft- und Bodenangriffen ausgesetzt und lebte unter katastrophalen humanitären Bedingungen. Betroffen waren unter anderem die Provinz Idlib, der Norden der Provinz Hama und der Westen der Provinz Aleppo. Von Januar bis März 2020 verübte die syrische Regierung mit Unterstützung Russlands rechtswidrige Angriffe auf die Zivilbevölkerung, die sich gezielt gegen Wohngebiete und zivile Einrichtungen wie Schulen und Krankenhäuser richteten.
Anwohner_innen, medizinisches Personal und Lehrkräfte beschrieben, dass sie unerbittlichen Angriffen auf ihre Wohnhäuser, auf Krankenhäuser und Schulen ausgesetzt waren. Ein Arzt berichtete von drei Luftangriffen im Januar in Idlib nahe des Krankenhauses, in dem er arbeitete. Dabei seien mindestens zwei nahegelegene Wohnhäuser in Schutt und Asche gelegt und elf Zivilpersonen getötet worden, darunter einer seiner Kollegen. Es gab Beweise dafür, dass Russland für diese Angriffe verantwortlich war.
Verweigerung des humanitären Zugangs
Die massenhaften Angriffe auf Zivilpersonen und die zivile Infrastruktur im Nordwesten Syriens von Dezember 2019 bis März 2020, als ein Waffenstillstand vereinbart wurde, zwangen fast 1 Mio. Menschen in die Flucht. Die Vertriebenen suchten Zuflucht in bereits überlasteten Flüchtlingslagern nahe der türkischen Grenze, in Rohbauten, Bauernhöfen und Schulen oder neben Straßen. Sie lebten unter unerträglichen Bedingungen und hatten nur begrenzt Zugang zu angemessenen Unterkünften, Nahrungsmitteln und Medikamenten.
Die Ausbreitung des Coronavirus im Nordwesten Syriens verschlechterte die Bedingungen weiter und stellte die humanitären Organisationen, die ohnehin schon Mühe hatten, den Bedarf an Hilfsgütern zu decken, vor große Herausforderungen. Am 10. Januar 2020 verlängerte der UN-Sicherheitsrat eine Resolution, die es den Vereinten Nationen erlaubte, humanitäre Hilfe über türkische Grenzübergänge nach Syrien zu liefern, bis Juli. Allerdings wurde die Zahl der Grenzübergänge von vier auf zwei reduziert und sollte nur noch in Bab al-Hawa und Bab al-Salam möglich sein. Nach mehreren gescheiterten Anläufen einigte sich der UN-Sicherheitsrat am 11. Juli auf die Resolution 2533, die die Lieferung von Hilfsgütern um zwölf Monate verlängerte, aber auf den Grenzübergang Bab al-Hawa beschränkte.
In ganz Syrien blockierten Regierungskräfte weiterhin die Arbeit humanitärer Hilfsorganisationen der UN und internationaler humanitärer Organisationen mit Sitz in Damaskus. Die Hilfsorganisation Oxfam und der Norwegische Flüchtlingsrat veröffentlichten im Juli einen Bericht, der die Probleme und Hindernisse schilderte. Demnach erschwerte die Regierung die Bereitstellung humanitärer Hilfe unter anderem durch bürokratische Hürden, durch Einmischung in die humanitäre Arbeit und durch Beschränkungen, was die Zusammenarbeit mit syrischen NGOs und lokalen Akteur_innen anging.
Willkürliche Inhaftierungen und Verschwindenlassen
Zehntausende Menschen waren 2020 weiterhin Opfer des Verschwindenlassens, unter ihnen Journalist_innen, Menschenrechtsverteidiger_innen, Rechtsanwält_innen und politische Aktivist_innen.
Die Regierung griff weiterhin auf willkürliche Inhaftierungen zurück, um friedliche Proteste zu unterdrücken und menschenrechtliche und humanitäre Aktivitäten zu unterbinden. Zu den seltenen regierungskritischen Kundgebungen zählte ein Protest am 7. Juni in der Stadt Sweida im Südwesten des Landes. Die Teilnehmer_innen forderten einen "Regimewechsel" und bessere Lebensbedingungen, nachdem die Wirtschaftskrise unter anderem zu steigender Arbeitslosigkeit und höheren Lebensmittelpreisen geführt hatte. Vom 9. bis 16. Juni nahmen Sicherheitskräfte mindestens elf Männer wegen Teilnahme an dem Protest willkürlich fest und verweigerten ihnen den Kontakt zu ihren Rechtsbeiständen und Familien. Im Juli wurden sie auf Druck der lokalen politischen Führung freigelassen.
In den Provinzen Daraa und Damaskus-Land inhaftierten Regierungskräfte weiterhin willkürlich ehemalige Mitarbeiter_innen humanitärer Organisationen, Ärzt_innen, frühere Angehörige des Zivilschutzes, politische Aktivist_innen und Vorsitzende lokaler Gremien, obwohl sie sogenannte Versöhnungsabkommen durchlaufen und eine Sicherheitsfreigabe erhalten hatten.
Verstöße bewaffneter Gruppen
Syrische Nationalarmee
Die von der Türkei unterstützte bewaffnete Gruppe SNA verübte in Afrin und Ras al-Ain zahlreiche Menschenrechtsverstöße an der Zivilbevölkerung, wie Plünderungen, Beschlagnahmung von Eigentum, willkürliche Festnahmen, Entführungen sowie Folter und andere Misshandlungen.
Von den Plünderungen und Beschlagnahmungen waren insbesondere syrische Kurd_innen betroffen, die das Gebiet während der Kampfhandlungen in den Jahren 2018 und 2019 verlassen hatten. In einigen Fällen beschlagnahmte die SNA auch Häuser von Zivilpersonen, die geblieben waren, die aber unter Androhung von Erpressung, Schikanen, Entführung und Folter gezwungen wurden, das Gebiet zu verlassen. Nach Angaben der vom UN-Menschenrechtsrat eingesetzten Unabhängigen Internationalen Untersuchungskommission für Syrien (Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic) ging die SNA außerdem mit Drohungen und willkürlichen Inhaftierungen gegen Personen vor, die Beschwerde einreichten, und zwang sie, Geld für ihre Freilassung zu bezahlen.
In Afrin wurden Zivilpersonen von der SNA willkürlich festgenommen, verschleppt und aus verschiedenen Gründen gefoltert und anderweitig misshandelt, zum Beispiel weil sie Mitglieder der SNA kritisiert hatten oder weil sie früher Teil der Autonomieverwaltung unter Leitung der PYD waren oder deren Sicherheits- und Militärabteilung angehörten. So wurde im August ein 70-jähriger kurdischer Mann aus seinem Haus in Afrin entführt und zwei Monate lang festgehalten, weil er kritisiert hatte, dass Mitglieder der SNA einen jungen Mann verprügelt hatten. Die SNA verweigerte ihm den Zugang zu seiner Familie, die für seine Freilassung eine beträchtliche Geldsumme an "Vermittler" bezahlen musste. Darüber hinaus beschlagnahmte die bewaffnete Gruppe sein Auto.
Nach Angaben der UN-Untersuchungskommission wurden Frauen und Mädchen, die von der SNA festgehalten wurden, Opfer von Vergewaltigungen und anderen Formen sexualisierter Gewalt.
Hay'at Tahrir al-Sham
Die bewaffnete Gruppe Hay'at Tahrir al-Sham, die Teile des Nordwestens kontrollierte, nahm willkürlich Personen fest, die sich ihrer Herrschaft oder Ideologie widersetzten, unter anderem Medienaktivist_innen, Journalist_innen sowie medizinisches Personal und humanitäre Helfer_innen. Am 20. August 2020 inhaftierten Kämpfer von Hay'at Tahrir al-Sham willkürlich einen Arzt, der auch Direktor einer medizinischen Schule war, weil er in einer Kunstausstellung Zeichnungen gezeigt hatte, die als Verstoß gegen islamisches Recht (Scharia) interpretiert wurden.
Von April bis Juni lösten Mitglieder von Hay'at Tahrir al-Sham mehrfach Proteste gewaltsam auf, indem sie auf Demonstrierende schoss, sie verprügelte und festnahm. Auslöser der Proteste war das Vorhaben der bewaffneten Gruppe, Routen für den Warenaustausch zwischen Gebieten in den Provinzen Idlib und Aleppo und Gebieten unter Regierungskontrolle einzurichten. Nach Angaben des Syrischen Netzwerks für Menschenrechte (Syrian Network for Human Rights) schlugen und beschimpften Mitglieder von Hay'at Tahrir al-Sham am 10. Juni 13 Journalist_innen, die eine gemeinsame russisch-türkische Patrouille auf der Schnellstraße M4 filmten.
Verstöße durch die Autonomiebehörde unter Leitung der PYD
Im Nordosten Syriens kontrollierte 2020 weiterhin die Autonomiebehörde unter Leitung der PYD die kurdisch dominierten Grenzgebiete, darunter auch die Städte Rakka und Kamischli. Sie nahm willkürlich humanitäre Helfer_innen, politische Aktivist_innen und Araber_innen fest. Ihr militärischer Arm, die Demokratischen Kräfte Syriens (Syrian Democratic Forces – SDF), hielt nach wie vor Zehntausende Menschen, die der Zugehörigkeit zum IS verdächtigt wurden, im Lager Al-Hol unter erbärmlichen Bedingungen und ohne Zugang zu Rechtsmitteln gefangen.
Recht auf Gesundheit
Die syrische Regierung schützte das Gesundheitspersonal völlig unzureichend vor dem Coronavirus, ergriff keine entschlossenen Maßnahmen gegen dessen Ausbreitung und weigerte sich, offen und umfassend über den Ausbruch der Pandemie im Land zu informieren.
Tausende Menschenleben waren gefährdet, weil es an klaren und fundierten Informationen sowie an Tests mangelte. Angehörige von Covid-19-Patienten, medizinisches Fachpersonal und humanitäre Helfer_innen berichteten, dass öffentliche Krankenhäuser Patient_innen abweisen mussten, weil sie nicht genug Betten, Sauerstoffspeicher und Beatmungsgeräte hatten. In ihrer Verzweiflung sahen sich einige Angehörige von Patient_innen gezwungen, Sauerstoffspeicher und Beatmungsgeräte zu maßlos überhöhten Preisen zu mieten.
Die syrische Regierung gefährdete das Leben des medizinischen Personals, weil sie nicht genug Schutzausrüstung zur Verfügung stellte. Das Gesundheitsministerium gab nicht bekannt, wie sich die Pandemie auf das Gesundheitspersonal auswirkte. Die einzigen verfügbaren Informationen waren die Auskünfte, die das Gesundheitsministerium an die UN übermittelte. Nach Angaben der syrischen Ärztegewerkschaft starben bis August mindestens 61 Beschäftigte des Gesundheitswesens an Covid-19, während in offiziellen Quellen von 15 Toten die Rede war.
Flüchtlinge und Binnenvertriebene
Seit Beginn des bewaffneten Konflikts 2011 bis zum Jahresende 2020 wurden insgesamt 6,7 Mio. Menschen innerhalb Syriens vertrieben, weitere 5,5 Mio. Menschen waren ins Ausland geflohen. Wie das Amt des UN-Hochkommissars für Flüchtlinge (UNHCR) mitteilte, sank die Zahl der Anträge auf Wiederansiedlung besonders schutzbedürftiger Flüchtlinge 2020 auf 10.056, weil die westlichen Staaten nur eine begrenzte Zahl von Aufnahmeplätzen im Rahmen des Resettlement-Programms anboten. Im Jahr 2019 hatte die Zahl noch bei 29.562 gelegen.
Weil sich in den Nachbarstaaten die humanitäre Lage verschlechterte, die Arbeitslosigkeit stieg und die Beantragung oder Verlängerung von Aufenthaltserlaubnissen mit bürokratischen und finanziellen Hürden verbunden war, entschieden sich viele Flüchtlinge für eine Rückkehr nach Syrien. Nach Angaben des UNHCR kehrten von Januar bis Juli 21.618 syrische Flüchtlinge aus Ägypten, dem Irak, Jordanien, Libanon und der Türkei in ihr Herkunftsland zurück.
Binnenvertriebene lebten in ganz Syrien nach wie vor in überfüllten Notunterkünften, Schulen und Moscheen, die keinen angemessenen Lebensstandard boten. Sie hatten nur begrenzt Zugang zu Hilfsgütern, grundlegenden Versorgungsleistungen, sauberem Wasser, Hygiene, Nahrungsmitteln, Gesundheitsversorgung, Bildung und Arbeitsmöglichkeiten. Sie waren zudem einem erhöhten Risiko ausgesetzt, sich mit dem Coronavirus zu infizieren.
Nach Angaben des UN-Amts für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs – UNOCHA) flohen von Januar bis März fast 1 Mio. Menschen vor der Militäroffensive im Nordwesten Syriens in andere Teile des Landes. 204.000 Menschen kehrten im ersten Halbjahr 2020 in ihre Häuser zurück. Im Nordosten waren Tausende infolge der türkischen Militäroffensive im Jahr 2019 noch immer vertrieben.
Das Lager Al-Hol in der Provinz al-Hasaka beherbergte mit etwa 65.000 Personen die größte Zahl von Binnenvertriebenen unter katastrophalen Bedingungen, die überwiegende Mehrheit von ihnen waren Frauen und Kinder. Wie das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (UNICEF) mitteilte, starben vom 6. bis 10. August aufgrund der schlechten medizinischen Versorgung in dem Lager acht Kinder unter fünf Jahren an Unterernährung, Dehydrierung, Herzversagen, inneren Blutungen und anderen Ursachen. Zwischen Januar und August fiel in Gebieten unter der Kontrolle bewaffneter Gruppen, die von der Türkei unterstützt wurden, 13 Mal die Wasserversorgung durch das Alouk-Wasserwerk aus. Betroffen waren Bewohner_innen und Binnenvertriebene in der Stadt al-Hasake und in Tel Tamer, aber auch in Al-Hol und in anderen Lagern im Umland.
Recht auf Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung
Im April 2020 begann vor dem Oberlandesgericht Koblenz der Prozess gegen zwei ehemalige Angehörige des syrischen Allgemeinen Geheimdienstes, die wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt waren. Am 18. September erklärten die Niederlande, die syrische Regierung sei für schwere Menschenrechtsverletzungen verantwortlich, insbesondere für Folter gemäß der UN-Antifolterkonvention. Kommt es innerhalb von sechs Monaten nicht zu einer Einigung zwischen Syrien und den Niederlanden, kann der Fall dem Internationalen Gerichtshof (IGH) vorgelegt werden.
Todesstrafe
Die Todesstrafe blieb für viele Straftaten in Kraft. Die Behörden machten so gut wie keine Angaben zu Todesurteilen und keinerlei Angaben zu Hinrichtungen im Jahr 2020.