Ausbeutung für unsere Kleidung: So werden Arbeitsrechte in der Textilindustrie unterdrückt
Textilarbeiter*innen in einer Fabrik in Dhamrai, einem Unterbezirk der bangladeschischen Hauptstadt Dhaka (29. Dezember 2024).
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Amnesty International deckt in zwei neuen Berichten auf, wie große Modemarken von der systematischen Unterdrückung von Arbeitsrechten in Bangladesch, Indien, Pakistan und Sri Lanka profitieren. Erfahre hier mehr über die Ausbeutung und die Missstände in der Bekleidungsindustrie – und was du dagegen tun kannst.
Schikanen, Drohungen und Entlassungen – mit solchen Konsequenzen sind Arbeiter*innen in der Bekleidungs- und Textilindustrie konfrontiert, wenn sie in Bangladesch, Indien, Pakistan oder Sri Lanka eine Gewerkschaft gründen möchten.
Egal ob in Bangladesch, Indien, Pakistan oder Sri Lanka: Die Rechte der Arbeiter*innen werden den Profiten der Textilindustrie geopfert – und davon profitieren größtenteils westlichen Modeunternehmen.
Dies hat Amnesty International in den zwei neuen Berichten "Stitched Up" und "Abandonded by Fashion" aufgedeckt und damit die systematische Ausbeutung von Arbeiter*innen in der Bekleidungsindustrie dokumentiert.
"Die globale Modeindustrie funktioniert bis heute nach kolonialen Mustern: Sie schöpft billige Arbeitskraft aus dem Globalen Süden ab, um Gewinne im Globalen Norden zu maximieren", sagt Yasmin Khuder, Expertin für Klimagerechtigkeit und Wirtschaft & Menschenrechte bei Amnesty International. "Armut, Unsicherheit und gefährliche Arbeitsbedingungen sind dabei kein unerwartetes Nebenprodukt der Branche, sondern ein integraler Bestandteil ihres Systems."
Was sind die zentralen Ergebnisse der Amnesty-Recherche?
- Systematische Unterdrückung der Gewerkschaften: In Bangladesch, Indien, Pakistan und Sri Lanka werden Textilarbeiter*innen regelmäßig daran gehindert, Gewerkschaften zu gründen oder ihnen beizutreten. Sie werden dabei bedroht und schikaniert, müssen Entlassungen und Gewalt fürchte.
- Profite auf Kosten der Arbeiter*innenrechte: Globale Modemarken, Fabriken und die Regierungen dieser vier Länder bilden eine "unheilige Allianz". Sie profitieren von der Ausbeutung, den Hungerlöhnen und den prekären Arbeitsbedingungen der zumeist weiblichen Arbeitskräfte.
- Regierungsseitige Blockaden: Behörden verweigern oder erschweren das Menschenrecht auf Vereinigungsfreiheit durch Sabotage von Gewerkschaften oder unabhängiger Gremien.
- Versagen internationaler Modemarken: Die im Rahmen der Amnesty-Recherche befragten 21 Marken kommen ihrer menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht nicht nach. Die Lieferketten sind intransparent, was die Verletzung von Arbeitsrechten ermöglicht.
- Diskriminierung von Frauen: Die mehrheitlich weiblichen Textilarbeiter*innen, oft aus marginalisierten Gruppen, sind systematischer Belästigung und Misshandlung ausgesetzt. Sie haben kaum Zugang zu rechtlicher Vertretung, was durch fehlende Gewerkschaften noch verschärft wird.
Amnesty-Video auf YouTube:
Wie hat Amnesty recherchiert?
- Amnesty hat 88 Gespräche mit Beschäftigten in 20 Fabriken der Bekleidungsindustrie der vier Länder geführt.
- Darunter waren 64 Arbeitnehmer*innen und zwölf Gewerkschaftssprecher*innen und Arbeitsrechtsaktivist*innen, wobei mehr als zwei Drittel der Gesprächspartner*innen Frauen waren.
- Amnesty schickte außerdem einen Fragebogen an 21 große Marken und Einzelhändler in neun Ländern, darunter Deutschland, Dänemark, Japan, Spanien, Schweden, das Vereinigte Königreich, die USA und China.
- Adidas, ASOS, Fast Retailing, Inditex, Otto Group und Primark übermittelten vollständige Antworten. Andere Konzerne legten Teilinformationen vor, so zum Beispiel M&S und Walmart. Manche lieferten gar keine Informationen, darunter Boohoo, H&M, Desigual, Next und Gap.
Die Bedeutung der globalen Bekleidungs- und Textilindustrie
Die weltweite Bekleidungsindustrie ein globales Geschäft mit einem Umsatz von einer Billion Dollar, das weltweit fast 100 Millionen Menschen beschäftigt – darunter überwiegend Frauen. Die Bedeutung der Branche für die Region ist enorm, denn in Bangladesch, Indien, Pakistan und Sri Lanka (einschließlich der Textilindustrie) machen die Beschäftigten in der Bekleidungsindustrie schätzungsweise 40 Prozent der Arbeitsplätze im verarbeitenden Gewerbe aus.
Die Bekleidungsindustrie steht jedoch seit Langem wegen Menschenrechtsverletzungen in ihren Lieferketten und ihrem Geschäftsmodell in der Kritik. Arbeiter*innen in Südasien, besonders Frauen, werden systematisch ihrer Rechte beraubt, und zwar durch informelle und unsichere Verträge, Hungerlöhne, Diskriminierung und prekäre Arbeitsbedingungen.
Das Problem der "Sonderwirtschaftszonen"
Dies wird unter anderem ermöglicht durch sogenannte Sonderwirtschaftszonen in den betreffenden Ländern: Sonderwirschaftszonen sind speziell definierte geografische Gebiete innerhalb eines Landes, die wirtschaftliche Vorteile und Sonderrechte für Unternehmen bieten.
Faktisch bedeutet dies: Kein Recht auf Vereinigungsfreiheit. Denn die Anwendung des Arbeitsrechts wird diesen Zonen selbst überlassen und die Regierung des Landes unterdrückt Gewerkschaften ohnehin.
Mutiger Einsatz: Die Arbeitsrechtsaktivistin Ashila Dandeniya aus Sri Lanka
Die ehemalige Textilarbeiterin Ashila Dandeniya hat in Sri Lanka die NGO "Stand Up Lanka Movement" gegründet, um sich für den Schutz von Arbeitsrechten und gegen Ausbeutung einzusetzen (Aufnahme vom Dezember 2024).
© Amnesty International
Ashila Dandeniya (45) war eine Textilarbeiterin in Sri Lanka. Sie ist die Gründerin der Organisation "Stand Up Movement Lanka", die sich für den Schutz und die Förderung der Rechte von Arbeiterinnen in Sri Lanka einsetzt. Hier berichtet sie über ihre Arbeit, die sie trotz aller Gefahren weiterführt:
"Meine erste Stelle im Textilsektor hatte ich 2001 als Qualitätskontrolleurin bei einem bekannten Bekleidungshersteller in Colombo, Sri Lanka. Mit der Zeit begann ich, über die Probleme der Arbeiter*innen zu sprechen. Ich tat dies im Arbeiterausschuss der Fabrik – eine Gewerkschaft gab es dort nicht. Das führte zu meiner Entlassung.
Ich fand das unfair und reichte Klage gegen die Fabrik ein. Ich befasste mich mit dem Gesetz, lernte meine Rechte kennen und beschloss, mich vor Gericht selbst zu vertreten ... und ich habe gewonnen!
Als ich meine Entschädigung erhielt, gab mir das den Glauben, dass wir gewinnen können – wenn wir kämpfen, können wir unsere Rechte durchsetzen. Als Textilarbeiterin habe ich mich weiter in die Probleme der Arbeiter*innen eingemischt. Das führte zur Gründung der "Stand Up Movement Lanka".
Wenn wir Berichte über unfaire Arbeitspraktiken oder Entlassungen erhalten, setzen wir uns für Gerechtigkeit ein. Es herrscht jedoch eine spürbare Angst unter den Arbeiter*innen. Ihr Glück, ihre Trauer, die Bildung ihrer Kinder und ihre Ernährung – all das hängt von ihrem Lohn ab.
Man hat versucht, diese Arbeiter*innen auszubeuten, indem man ihnen angeblich "flexible" Arbeitsregelungen anbot. Man kürzt ihnen auch verschiedene Sozialleistungen, senkt die Löhne und drängt sie tiefer in die Armut. Diese schlimme Situation ist nicht nur ein Problem der Textilbranche in Sri Lanka, sondern hat globale Ursachen.
Wir stellen oft fest, dass Menschen sich gut fühlen, wenn sie modische Kleidung tragen. Aber hinter dieser Zufriedenheit stecken die Opfer, das Blut, der Schweiß und die Tränen von unzähligen Arbeiter*innen."
Textilarbeiterinnen demonstrieren in Bangladeschs Hauptstadt Dhaka am Internationalen Tag der Menschenrechte gemeinsam mit ihren Angehörigen gegen Ausbeutung und für den Schutz ihrer Rechte (10. Dezember 2023).
© IMAGO / aal.photo
Faire Arbeit, faire Löhne, faire Mode: Was kannst du tun?
In der Zeit zwischen der Black Friday Week bis zum Weihnachtsgeschäft erhoffen sich viele Unternehmen einen hohen Umsatz – das ist deine Chance, kritisch nachzuhaken. Frage bei den Modeunternehmen, bei denen du einkaufst, nach:
- Wer hat die Kleidung hergestellt, wo, wie und unter welchen Bedingungen?
- Wird sich die Marke dafür einsetzen, die Rechte der Menschen zu gewährleisten, die ihre Kleidung hergestellt haben?
Forderungen von Amnesty International an die deutsche Bundesregierung und die EU:
- Volle Gewährleistung der Vereinigungsfreiheit: Staaten müssen sicherstellen, dass alle Arbeiter*innen (auch in Sonderwirtschaftszonen) das Recht auf Gewerkschaftsgründung und Tarifverhandlungen uneingeschränkt ausüben können.
- Untersuchung und Entschädigung: Alle Verstöße gegen Arbeitsrechte müssen untersucht, Arbeitgeber*innen angemessen sanktioniert und die betroffenen Arbeiter*innen zeitnah entschädigt werden.
Forderungen von Amnesty International an die Unternehmen und internationale Modemarken:
- Verbindliche Sorgfaltspflicht: Modemarken müssen dringend eine menschenrechtskonforme Beschaffungsstrategie entwickeln und eine obligatorische Sorgfaltspflicht entlang der gesamten Lieferkette einführen.
- Schutz vor Repressalien: Sie müssen Vergeltungsmaßnahmen gegen Gewerkschaften verbieten und sich gegen die Verweigerung der Rechte aussprechen.
- Fokus auf Gleichberechtigung: Konkrete Maßnahmen zur Förderung der Mitsprache von weiblichen Angestellten und zum Schutz vor Diskriminierung sind zu ergreifen.