Amnesty Report Ecuador 24. April 2024

Ecuador 2023

Amnesty-Logo: Kerze umschlossen von Stacheldraht.

Berichtszeitraum: 1. Januar 2023 bis 31. Dezember 2023

Landesweit wurden Streitkräfte zur Verbrechensbekämpfung eingesetzt und ihre Befugnisse bei der Wahrnehmung von Aufgaben der öffentlichen Sicherheit erweitert. Im Vorfeld der Parlamentswahlen kam es zu einem Anstieg der Gewalt. Menschenrechtsverletzungen blieben nach wie vor straflos. In den Gefängnissen war die Lage noch immer kritisch. Es wurde weiter gegen die Rechte indigener Bevölkerungsgruppen verstoßen. Bei der Ölförderung wurde nach wie vor Gas abgefackelt. Die Behörden ergriffen keine Maßnahmen zum Schutz von Menschenrechtsverteidiger*innen. Ein Großteil der Bevölkerung war von Armut und Ungleichheit betroffen, und geschlechtsspezifische Gewalt war noch immer an der Tagesordnung.

Hintergrund

Im Mai 2023 löste der ehemalige Präsident Guillermo Lasso angesichts eines drohenden Amtsenthebungsverfahrens das Parlament (Asamblea Nacional) auf und setzte für August Wahlen an. Sie führten zu einer Stichwahl im Oktober, aus der Daniel Noboa als neuer Präsident hervorging. Außerdem wurden 137 neue Parlamentsmitglieder gewählt. 

Die Zahl der Tötungsdelikte stieg drastisch an. Die Behörden reagierten mit Notstandsverordnungen, die das Mandat der Streitkräfte ausweiteten. Das Parlament billigte im Dezember 2023 eine Verfassungsreform, um eine stärkere Beteiligung des Militärs an Aufgaben der öffentlichen Sicherheit zu ermöglichen. Eine landesweite Volksabstimmung über die Umsetzung der Reform stand Ende des Jahres noch aus.

Rechte auf Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit

Im Mai 2023 wurden im Rahmen eines Präsidialerlasses landesweit Streitkräfte eingesetzt, vorgeblich zur "Unterdrückung der terroristischen Bedrohung" durch organisierte kriminelle Banden. In weiteren Erlassen erhielten Polizei- und Streitkräfte die Befugnis, sich Zugang zu Privatgrundstücken zu verschaffen, um Durchsuchungen vorzunehmen, Eigentum zu beschlagnahmen und Korrespondenz einzusehen.

Rechtswidrige Angriffe und Tötungen

In den Monaten vor den Wahlen wurden mehrere Kandidat*innen für politische Ämter angegriffen oder getötet, darunter auch der Präsidentschaftskandidat Fernando Villavicencio. Er wurde im August 2023 vermutlich aus politischen Gründen getötet.

Straflosigkeit

Schwere Menschenrechtsverletzungen, die von Sicherheitskräften im Rahmen der Proteste in den Jahren 2019 und 2022 begangen wurden, blieben straflos. 

Im Juni 2023 wurde durch Präsidialerlass 755 festgelegt, dass Sicherheitskräfte, die im Verdacht stehen, eine Person verletzt oder getötet zu haben, erst nach einer Verurteilung festgenommen oder vom Dienst suspendiert werden können. 

Rechte von Inhaftierten

Die Behörden riefen nach mehreren Massakern mehrfach den Ausnahmezustand in Gefängnissen aus. Im Juli 2023 wurden in der Hafteinrichtung El Litoral in Guayaquil 31 Häftlinge getötet und Dutzende weitere verletzt. Landesweit wurden 137 Wachleute in Gefängnissen vorübergehend als Geisel genommen. Nach wie vor gab es in den Hafteinrichtungen nahezu keine Gesundheitsversorgung. Die Behörden führten keine angemessenen Untersuchungen zu Tötungen durch, und sie gewährleisteten nicht das Recht der Familienangehörigen von Häftlingen auf Würde.

Rechte indigener Gemeinschaften

Die Rechte indigener Bevölkerungsgruppen wurden durch Bergbauprojekte in ihren Gebieten verletzt. Im Mai 2023 wurde es Bergbauunternehmen durch den Präsidialerlass 754 gestattet, auch ohne die freie, vorherige und informierte Zustimmung indigener Gemeinschaften Bergbauprojekte zu starten. Anschließende Polizei- und Militäreinsätze in den Provinzen Cotopaxi und Bolívar führten zu 18 Verletzten und zwei Festnahmen. Im November 2023 erklärte das Verfassungsgericht den Erlass für verfassungswidrig, ließ ihn jedoch als rechtskräftig stehen.

Die Ölkatastrophen aus den Jahren 2020 und 2022 im Amazonasgebiet waren nach wie vor nicht untersucht worden, und die betroffenen Gemeinschaften hatten noch immer keine Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung erfahren.

Recht auf eine gesunde Umwelt

Die Behörden kamen ihrer Verpflichtung im Rahmen der globalen Initiative zur schrittweisen Einstellung der Abfackelungspraxis bei der Erdölförderung bis 2030 nicht nach und ließen das Abfackeln von Gasen weiterhin zu.

Im August 2023 stimmte in einem landesweiten Referendum die Mehrheit der Votierenden für den Schutz des Yasuní-Nationalparks im Amazonasgebiet und für ein Verbot neuer Erdölförderprojekte im Park. 

Menschenrechtsverteidiger*innen

Menschenrechtsverteidiger*innen wurden 2023 wegen ihrer Tätigkeit nach wie vor stigmatisiert, schikaniert, angegriffen und getötet. Besonders gefährdet waren Landrechtsverteidiger*innen und Umweltschützer*innen. Die Behörden ergriffen auch weiterhin keine Maßnahmen zum Schutz von Menschenrechtsverteidiger*innen.

Im Februar 2023 wurde Eduardo Mendúa, ein Sprecher der indigenen Gemeinschaft der A'i Cofán, erschossen. Er hatte sich offen gegen Ölbohrungen im Gebiet der indigenen Gemeinschaft ausgesprochen. Im April diffamierte der Energie- und Bergbauminister den Anwalt und Umweltaktivisten Pablo Fajardo Mendoza öffentlich als "internationalen Kriminellen".

Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte

Weite Teile der Bevölkerung waren auch 2023 u. a. beim Zugang zu ihren Rechten auf Gesundheit, Nahrung und Wasser mit sozioökonomischen Hindernissen konfrontiert. Die Armutsrate war auch im Juni 2023 noch höher als in der Zeit vor Corona. So lebten 27 Prozent der Bevölkerung in Armut und 10,8 Prozent in extremer Armut. Die Ausgaben für die öffentliche Gesundheit erreichten nach wie vor nicht die von der Panamerikanischen Gesundheitsorganisation empfohlene Rate von sechs Prozent des BIP.

Der UN-Sonderberichterstatter über extreme Armut und Menschenrechte besuchte Ecuador im September und schlug Alarm angesichts der enormen Unterschiede in der Armutsrate zwischen städtischen und ländlichen Gebieten. Nach Angaben des Sonderberichterstatters lag die Rate der mehrdimensionalen Armut in ländlichen Gebieten bei bis zu 70 Prozent und war in Gebieten mit einer hohen indigenen Bevölkerung am stärksten ausgeprägt. Er warnte, dass die akute Armut junge Menschen besonders anfällig für das organisierte Verbrechen mache, und forderte die Behörden auf, die Progressivität des Steuersystems weiter zu verbessern.

Rechte von Frauen und Mädchen

Frauen waren auch 2023 nicht ausreichend vor Gewalt geschützt. Zivilgesellschaftlichen Organisationen zufolge waren seit 2014 mehr als 1.500 Frauen und Mädchen durch geschlechtsspezifische Gewalt getötet worden.

Rechte von Flüchtlingen und Migrant*innen

Besondere Anforderungen hinsichtlich des Einreisedatums schränkten die Vergabe der befristeten Ausnahmevisa für venezolanische Staatsangehörige (VIRTE) übermäßig ein, was den vorübergehenden Schutzstatus von mehr als einer halben Million in Ecuador lebenden venezolanischen Staatsangehörigen beeinträchtigte. Das Fehlen eines regulären Aufenthaltsstatus verhinderte den Zugang zu Schutz- und Fürsorgeleistungen für venezolanische Frauen, die geschlechtsspezifische Gewalt überlebt hatten.

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