Aktuell Nord- und Südamerika 25. Mai 2020

Amerikas: Beschäftigte im Gesundheitswesen müssen geschützt werden!

Ein Arzt hört einen Patienten ab, der sitzt, Oberkörper frei, auf einer Bank

Beschäftigte im Gesundheitswesen in der Region Amerikas gehen ein hohes Risiko ein: Sie sind einerseits besonders gefährdet, sich mit dem Coronavirus anzustecken. Andererseits drohen ihnen Repressalien, wenn sie die oft mangelhaften Arbeitsbedingungen kritisieren. Ein neuer Amnesty-Bericht klärt über ihre schwierige Situation auf.

Während Regierungsvertreter_innen auf der WHO-Jahrestagung über wichtige Maßnahmen gegen Covid-19 diskutierten, legte Amnesty International am 19. Mai 2020 einen Bericht über die schwierige Situation und die Rechte von Beschäftigten im Gesundheitswesen in der Region Amerikas vor. Der Bericht fordert die Regierungen der Region dazu auf, die Rechte von Beschäftigten im Gesundheitswesen sowohl während der Pandemie als auch darüber hinaus zu schützen und zu priorisieren. Zudem richtet er einen Appell an die USA, zeitnah die notwendigen Schritte zur Fortführung der Finanzierung der WHO einzuleiten.

Mit dem Titel "The cost of curing: Health workers’ rights in the Americas during COVID-19 and beyond" zeigt der Bericht auf, wie diejenigen, die an vorderster Front gegen die Pandemie kämpfen, dies oftmals unter unsicheren Arbeitsbedingungen und ohne ausreichende Sicherheitsausrüstung tun müssen und obendrein Repressalien von Behörden und/oder Arbeitgebern fürchten müssen, wenn sie Missstände kritisieren. In einigen Fällen wurden sogar Morddrohungen und körperliche Angriffe geschildert.

Der Bericht verlangt von den zuständigen Regierungen, auch für das Reinigungspersonal und andere in Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen tätige Berufsgruppen sichere Arbeitsbedingungen zu schaffen, da diese an ihrem Arbeitsplatz ebenfalls einem erhöhten Risiko ausgesetzt sind.

Die Regierungen müssen die notwendigen Maßnahmen ergreifen, um sicherzustellen, dass die grundlegenden Rechte und die Sicherheit von Beschäftigten im Gesundheitswesen garantiert sind und nie wieder einem derartig hohen Risiko ausgesetzt werden.

Erika
Guevara-Rosas
Direktorin der Region Amerikas bei Amnesty International

"In diesen schwierigen Zeiten sind wir dem Reinigungspersonal in Krankenhäusern und Pflegeheimen, den Ärzt_innen und Epidemiolog_innen, den Schwestern, Pflegern und Pflegehelfer_innen sowie den Hausmeister_innen dieser Einrichtungen zu tiefem Dank dafür verpflichtet, dass sie sich unermüdlich für unser aller Sicherheit und Gesundheit einsetzen. Nur Danke zu sagen, ist jedoch nicht genug. Die Regierungen müssen die notwendigen Maßnahmen ergreifen, um sicherzustellen, dass die grundlegenden Rechte und die Sicherheit dieser Menschen garantiert sind und nie wieder einem derartig hohen Risiko ausgesetzt werden", erklärt Erika Guevara-Rosas, Direktorin der Region Amerikas bei Amnesty International.

"In den Ländern der Region Amerikas gibt es mehr als zwei Millionen bestätigte Covid-19-Fälle, was rund der Hälfte aller weltweit positiv auf das Virus getesteten Menschen entspricht. Gerade jetzt, da in Lateinamerika wöchentlich traurige Rekorde bei den Todeszahlen aufgestellt werden, ist es dringend erforderlich, dass die Staatengemeinschaft zusammenkommt und Einschnitten bei der Finanzierung des Gesundheitswesens eine Absage erteilt. Diese Pandemie kennt keine Grenzen. Auch die USA muss eine globale Lösung unterstützen, indem sie gemeinsam mit anderen Ländern ihren Beitrag zur Finanzierung der Weltgesundheitsorganisation WHO leistet. Nur so können die technischen Ressourcen und das Fachwissen dieser Institution dort eingesetzt werden, wo es am notwendigsten ist." 

Tweet von Erika Guevara-Rosas zum Amnesty-Bericht:

Twitter freischalten

Wir respektieren deine Privatsphäre und stellen deshalb ohne dein Einverständnis keine Verbindung zu Twitter her. Hier kannst du deine Einstellungen verwalten, um eine Verbindung zu den Social-Media-Kanälen herzustellen.
Datenschutzeinstellungen verwalten

Für diesen Bericht führte Amnesty International in den USA, Mexiko, Honduras, Nicaragua, Guatemala, der Dominikanischen Republik, Kolumbien und Paraguay ausführliche Interviews mit insgesamt 21 Beschäftigten im Gesundheitswesen durch. Nur zwei von ihnen gaben an, über eine angemessene bzw. nahezu angemessene Schutzausrüstung (Persönliche Schutzausrüstung, PSA) zu verfügen. Der Rest der Befragten berichtete mit Sorge vom Mangel an angemessener PSA und sprach Probleme in Bezug auf Themen wie Krankschreibungen, Arbeitspausen und psychologische Unterstützung am Arbeitsplatz an. 

Die WHO-Richtlinien zur PSA-Rationierung besagen, dass Reinigungs- und Haushaltspersonal in größerem Umfang über Schutzausrüstung verfügen sollten als Beschäftigte im Gesundheitswesen (einschließlich Ärzt_innen und Pflegekräfte) ohne direkten Kontakt mit Covid-19-Kranken. Wie Amnesty International in den Gesprächen herausfand, erhielten Reinigungskräfte oftmals nur einen niedrigen Lohn mit geringfügigen Sozialversicherungsleistungen und arbeiteten teilweise für Unternehmen, die ihnen keine angemessene PSA bereitstellen. Ein Arzt aus Honduras gab Amnesty International gegenüber an, er habe beobachtet, wie Reinigungskräfte mit ungeschützten Händen Bereiche säuberten, in denen sich zuvor Covid-19-Patient_innen aufgehalten hatten.

Ein 70-jähriger Gebäudereiniger, der im Auftrag eines Privatunternehmens an einem staatlichen Krankenhaus in Mexiko-Stadt für etwas mehr als fünf US-Dollar/Tag putzte, berichtete Amnesty International, dass er seinen Arbeitgeber bat, nicht mehr in Abteilungen arbeiten zu müssen, in denen Dutzende Covid-19-Patient_innen untergebracht waren. Er begründete dies mit altersbedingtem Risiko und dem Fehlen von PSA. Die Firma gab seiner Bitte zwar statt, kürzte dafür aber seinen Lohn um 16 Prozent.

Ein Eisverkäufer mit einem Handwagen geht an einem Blechzaun vorbei, dahinter eine große Werbefläche mit Daniel Ortega

 

Mehrfach äußerten Beschäftigte im Gesundheitswesen Angst vor Repressalien, wenn sie unsichere Arbeitsbedingungen kritisieren. Einige der von Amnesty International befragten Personen waren entlassen oder mit Disziplinarmaßnahmen belegt worden, weil sie sich über Missstände geäußert hatten.

Tainika Somerville zum Beispiel, eine ausgebildete Pflegehelferin in einem privaten Pflegeheim in Chicago, wurde gekündigt, nachdem sie per Facebook-Livestream den Mangel an PSA an ihrem Arbeitsplatz kritisiert hatte. Dabei ist gerade das in Pflegeheimen tätige Personal besonders gefährdet, da diese Einrichtungen Medienberichten in den USA und Kanada zufolge zu den Epizentren der durch Covid-19 bedingten Todesfälle zählen.

In Nicaragua, wo die Regierung wiederholt das nationale Ausmaß der Covid-19-Pandemie heruntergespielt hat, sind Gesundheitsarbeiter_innen besonders gefährdet. Wie die zivilgesellschaftliche Beobachtungsstelle für die Pandemie in Nicaragua, das Observatorio Ciudadano Covid-19, Amnesty International berichtete, wurden Beschäftigte entlassen, weil sie PSA am Arbeitsplatz trugen. Zum Teil wurde ihnen die Schutzausrüstung auch mit Gewalt abgenommen.

Nicaraguas Vizepräsident erklärte zwar am 28. April, dass PSA grundsätzlich benutzt werden könne und Auflagen zum Abstandhalten eingeführt würden, aber die Regierung von Daniel Ortega spielt die Pandemie trotz steigender Fallzahlen weiterhin herunter.

Die Panamerikanische Gesundheitsorganisation OPS warnte mit Blick auf Nicaragua vor unzureichenden Schutzmaßnahmen im Gesundheitsbereich, die Interamerikanische Menschenrechtskommission äußerte Besorgnis in Bezug auf die rechtswidrige Entlassung von Beschäftigten im Gesundheitsbereich, die in dem Land Missstände öffentlich gemacht hatten.

Es ist unmöglich, die Gesundheit der mehr als einer Milliarde in Amerika lebenden Menschen zu schützen, wenn die Regierungen weiterhin Whistleblower_innen, Journalist_innen und Beschäftigte im Gesundheitswesen zum Schweigen bringen, die mutig ihre Stimmen erheben, um unsichere Arbeitsbedingungen zu kritisieren und zu recht auf angemessene und verantwortungsvolle Maßnahmen gegen die Pandemie drängen.

Erika
Guervara-Rosas
Direktorin der Region Amerikas bei Amnesty International

Vielerorts kommt es zu Einschränkungen der Meinungsfreiheit mit Auswirkungen auf das Recht auf Gesundheit und auf den Zugang zu gesundheitsrelevanten Informationen. In Venezuela zum Beispiel, wo die Behörden Medienschaffende festnahmen, die Informationen über die Pandemie veröffentlicht hatten, waren offiziellen Angaben zum Redaktionsschluss des Amnesty-Berichts zufolge nur 541 Menschen mit Covid-19 infiziert und lediglich zehn Personen an der Krankheit gestorben – Zahlen, die eine hohe Dunkelziffer vermuten lassen.

"Es ist unmöglich, die Gesundheit der mehr als einer Milliarde in Amerika lebenden Menschen zu schützen, wenn die Regierungen weiterhin Whistleblower_innen, Journalist_innen und Beschäftigte im Gesundheitswesen zum Schweigen bringen, die mutig ihre Stimmen erheben, um unsichere Arbeitsbedingungen zu kritisieren und zu recht auf angemessene und verantwortungsvolle Maßnahmen gegen die Pandemie drängen", sagt Erika Guervara-Rosas.

In Ländern wie Kolumbien und Mexiko werden Gesundheitsarbeiter_innen stigmatisiert, tätlich angegriffen, mit Morddrohungen belegt und von der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel ausgeschlossen. In Bolivien kam es zu Vorfällen, bei denen größere Menschenmengen im Gesundheitswesen tätige Personen mit Steinen bewarfen.

Während einige Regierungen auf derartige Angriffe zeitnah mit offiziellen Erklärungen und Aufklärungskampagnen reagierten, um die Gesundheitsarbeiter_innen zu unterstützen und ihre Position zu stärken, taten andere Staatsführungen das Gegenteil. 

Zwei Tage nachdem er Menschenrechtsorganisationen vorgeworfen hatte, mit ihrer Arbeit "sicherzustellen, dass noch mehr Menschen sterben", lehnte der Präsident El Salvadors, Nayib Bukele, Mitte April zwei Dekrete zur Verbesserung der Arbeitsplatzsicherheit von Beschäftigten im Gesundheitsbereich ab. Mit seinen Äußerungen missachtete der salvadorianische Präsident die von der WHO getroffene Aussage, dass "Verletzungen oder Vernachlässigungen von Menschenrechten ernsthafte gesundheitliche Folgen nach sich ziehen können".

Weitere Artikel