Amnesty Report 07. April 2021

Mosambik 2020

Das Foto zeigt Frauen, Männer und Kinder, die mit viel Gepäck eine staubige Straße entlang gehen.

Binnenvertriebene in Mosambiks nördlicher Provinz Cabo Delgado im Dezember 2020. Sie mussten vor der Gewalt zwischen Sicherheitskräften und der bewaffneten Gruppierung al-Shabaab fliehen.

Berichtszeitraum: 1. Januar 2020 bis 31. Dezember 2020

Die Polizei setzte gegen Menschen, die während des Covid-19-Lockdowns ihre Wohnungen verließen, um Nahrungsmittel zu beschaffen, exzessive Gewalt ein. Bei Fällen geschlechtsspezifischer Gewalt war ein starker Anstieg zu verzeichnen, da sowohl die Betroffenen als auch ihre gewalttätigen Partner zuhause bleiben mussten. Die Gewalt in der Provinz Cabo Delgado nahm zu und weitete sich zu einem bewaffneten Konflikt aus, in dem mehr als 2.000 Menschen getötet wurden. Die Behörden zogen Täter_innen völkerrechtlicher Verbrechen und schwerwiegender Menschenrechtsverletzungen und -verstöße nicht zur Rechenschaft. Ein Brandbombenanschlag auf die Büroräume einer Zeitung markierte eine neue Stufe in der Unterdrückung des Rechts auf freie Meinungsäußerung.

Hintergrund

Nach einer umstrittenen Wahl trat Präsident Nyusi im Januar 2020 seine zweite Amtszeit an. Die Wahl war von Gewalt im Norden der Provinz Cabo Delgado überschattet worden, zu der Medienvertreter_innen nach wie vor keinen Zugang hatten. Der Skandal um geheime Kreditaufnahmen der Regierung destabilisierte die Wirtschaft und die Gesellschaft des Landes. Gleichzeitig führten die Flutkatastrophen von 2019 und 2020 dazu, dass die Bevölkerung in der nördlich gelegenen Provinz Cabo Delgado wegen der Zerstörungen an der Infrastruktur noch stärker von der Außenwelt abgeschnitten war. Als Reaktion auf die Corona-Pandemie verhängten die Behörden vom 30. März bis zum 6. September 2020 den Ausnahmezustand. Die Maßnahmen führten landesweit zu einer Verschlechterung der Lebensbedingungen. Insbesondere wurde so die ohnehin schon schwierige Lage in Cabo Delgado verschlimmert, da eine bewaffnete Oppositionsgruppe, die in der Provinz unter dem Namen Al-Shabab operiert, den Ausnahmezustand für die Intensivierung ihrer Angriffe nutzte. Soweit bekannt, besteht zwischen dieser Gruppierung und Al-Shabab in Somalia kein Zusammenhang.

Recht auf Nahrung

Die Missachtung der Vorschriften für den Ausnahmezustand war mit Strafen belegt. Vor allem in benachteiligten Gegenden hatten diese Vorschriften zur Folge, dass die Lebensmittelversorgung für viele Menschen schwieriger wurde, zumal die meisten für ihren Lebensunterhalt auf informelle Tätigkeiten auf Straßen und Märkten angewesen waren. Personen, die ihre Wohnungen verließen, um zu arbeiten oder um Lebensmittel zu besorgen, waren mit exzessiver Gewaltanwendung durch die Polizei konfrontiert und einem höheren Infektionsrisiko ausgesetzt. Die Behörden brachten keine sozialen Maßnahmen auf den Weg, die geeignet gewesen wären, die Betroffenen vor Hunger und Krankheit zu schützen.

Gewalt gegen Frauen und Mädchen

Die geschlechtsspezifische Gewalt nahm während der Corona-bedingten Ausgangsbeschränkungen stark zu, da Frauen und Mädchen die Wohnungen nicht verlassen durften und einem höheren Risiko häuslicher Gewalt ausgesetzt waren. Durch die Tatsache, dass vor allem Frauen in Bereichen arbeiteten, die die Versorgung mit dem Notwendigsten sicherstellten, waren sie auch außerhalb ihrer Wohnungen einem höheren Gewaltrisiko ausgesetzt. Auch durch die Einschränkungen im öffentlichen Nahverkehr waren sie von Gewalt bedroht, weil sie spät nachts oder am frühen Morgen unterwegs waren. Aufgrund der Schulschließungen waren mehr Mädchen von Kinderehen bedroht.

Binnenvertriebene

Der bewaffnete Konflikt zwischen der so genannten Al-Shabab-Gruppe und Regierungseinheiten löste in der Provinz Cabo Delgado eine humanitäre Krise aus. Ende 2020 gab es in der Provinz mehr als 500.000 Binnenvertriebene, mehr als 700.000 Menschen waren auf humanitäre Hilfe angewiesen. Die Regierung traf keine Maßnahmen, um für die Menschen Unterkünfte, Nahrung, Wasser, Schulunterricht oder eine Gesundheitsversorgung zu organisieren. Viele waren in Cabo Delgado sowie in den angrenzenden Provinzen Nampula und Niassa auf das Wohlwollen von Gastfamilien angewiesen, bei denen sie unterkamen. Ende 2020 war noch nicht klar, ob die im März 2020 geschaffene Entwicklungsagentur für den Norden Agência do Desenvolvimento Integrado do Norte in der Krise etwas bewirken konnte.

Straflosigkeit

Die Straflosigkeit für völkerrechtliche Verbrechen und schwere Menschenrechtsverletzungen im Kontext der bewaffneten Auseinandersetzungen in Cabo Delgado blieb weitverbreitet. Bis Dezember 2020 wurden in dem Konflikt mehr als 2.000 Menschen getötet. Unter den Toten waren auch Zivilpersonen, die ins Kreuzfeuer geraten oder von Gruppierungen der bewaffneten Opposition oder Regierungseinheiten gezielt getötet worden waren. Das gesamte Jahr 2020 über begingen bewaffnete Gruppierungen schwere Verbrechen: Sie enthaupteten Zivilist_innen, brannten Häuser nieder, plünderten Dörfer und verschleppten Frauen und Mädchen. Gleichzeitig wurden Zivilpersonen, vermeintliche Mitglieder bewaffneter Oppositionsgruppen und Journalisten, die über die Gewalt berichteten, von den Sicherheitskräften inhaftiert, gefoltert und auf andere Weise misshandelt, fielen dem Verschwindenlassen zum Opfer oder wurden außergerichtlich hingerichtet.

Im Juni und im Juli 2020 tauchten Foto- und Videobeweise auf, auf denen Soldaten und Angehörige der Sondereinheit Unidade de Intervenção Rápida zu sehen waren, die offenbar an mutmaßlichen Kämpfern einer bewaffneten Gruppe Kriegsverbrechen begingen. Die Opfer wurden gefoltert und außergerichtlich hingerichtet; ihre Leichen wurden zerstückelt und offenbar in Massengräbern verscharrt. Bis Jahresende hatten die Behörden keine Ermittlungen wegen dieser Verbrechen eingeleitet.

 

Verschwindenlassen

Am 7. April 2020 "verschwand" der Radiojournalist Ibraimo Abú Mbaruco. Armeeangehörige näherten sich ihm, nachdem er den lokalen Sender im Bezirk Palma (Provinz Cabo Delgado) gegen 18 Uhr verlassen hatte, um nach Hause zu gehen. Bitten seiner Familie, ihr mitzuteilen, wo er sich befand, blieben von den Behörden unbeantwortet. Ende 2020 lagen weiterhin keine Informationen über seinen Aufenthaltsort vor.

 

Außergerichtliche Hinrichtungen

Sicherheitskräfte nahmen am 11. März 2020 die beiden lokalen Aktivisten und Gemeindesprecher Roberto Mussa Ambasse und Muemede Suleimane Jumbe in ihren Häusern im Bezirk Palma fest. Ihre Leichen wurden später zusammen mit denen von zwölf weiteren Zivilisten gefunden. Trotz zahlreicher Stimmen, die eine Untersuchung der Tat forderten, verging das Jahr, ohne dass die Behörden gründliche Ermittlungen durchführten, die zur Festnahme verdächtiger Personen geführt hätten.

Recht auf freie Meinungsäußerung

Die Unterdrückung des Rechts auf freie Meinungsäußerung nahm eine neue Dimension an. Kennzeichnend dafür waren die Einschüchterungsversuche, Schmutzkampagnen, Schikanen, willkürlichen Festnahmen und die strafrechtliche Verfolgung von Journalist_innen, Menschenrechtsverteidiger_innen und Regierungskritiker_innen.

Im Juni 2020 stellte die Staatsanwaltschaft Matias Guente, Geschäftsführer, und Fernando Veloso, Chefredakteur der unabhängigen Zeitung Canal de Moçambique wegen der "Verletzung von Staatsgeheimnissen" und "Verschwörung gegen den Staat" unter Anklage. Die Zeitung hatte im März 2020 einen Artikel über einen unrechtmäßigen Geheimvertrag zwischen dem Verteidigungsministerium, dem Innenministerium und mehreren Erdgasunternehmen in der Provinz Cabo Delgado veröffentlicht. Dem Artikel zufolge flossen im Rahmen des Vertrags geleistete Zahlungen auf das persönliche Bankkonto des damaligen Verteidigungsministers. Am 23. August 2020 nahm die Polizei den Investigativjournalist Armando Nenane in der Hauptstadt Maputo fest, weil er gegen die Covid-19-Verordnungen verstoßen haben soll. Vor seiner Festnahme hatte er Gelder auf das Konto des ehemaligen Verteidigungsministers eingezahlt und dann die Kontoangaben veröffentlicht. Damit wollte er die Vorwürfe, die in dem Beitrag von Canal de Moçambique im März erhoben worden waren, untermauern. Nach seiner Festnahme initiierten Regierungsanhänger_innen eine Kampagne in den Sozialen Medien mit der Forderung, ihn wegen der "Verletzung von Staatsgeheimnissen" anzuklagen.

Unbekannte verübten am Tag der Festnahme von Armando Nenane einen Brandbombenanschlag auf das Büro von Canal de Moçambique in Maputo. Erst vier Tage vor dem Anschlag hatte das Blatt Vorwürfe über ein unlauteres Auftragsvergabeverfahren veröffentlicht, an dem ranghohe Beamte des Ministeriums für Bodenschätze und Energie sowie Eliten der Regierungspartei beteiligt waren. In einer Kampagne in den Sozialen Medien forderten Regierungsanhänger_innen die Schließung der Zeitung.

D. Luíz Fernando Lisboa, brasilianischer Staatsangehöriger und Bischof von Pemba, der Hauptstadt von Cabo Delgado, äußerte sich mehrfach besorgt über die Menschenrechtssituation in der Provinz. Präsident Nyusi kritisierte ihn indirekt, als er im August 2020 sagte, "gewisse Ausländer" missachteten "unter Berufung auf die Menschenrechte" diejenigen, die sie beschützten. Danach bezeichneten Regierungsanhänger_innen und mindestens eine der Regierung nahestehende Zeitung den Bischof als Verbrecher. Sie beschuldigten ihn, Aufstandsbewegungen zu unterstützen und forderten seine Ausweisung aus Mosambik.

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