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"Wir wollen die Existenz der Höllenmaschinerie beweisen"
Kampf für Gerechtigkeit in Syrien als Lebenshinhalt: Der Menschrenrechtsanwalt Anwar al-Bunni 2020 in Berlin.
© Philomena Wolflingseder
Seit April läuft in Koblenz der weltweit erste Prozess gegen ehemalige Geheimdienstmitarbeiter Syriens. Der syrische Menschenrechtsanwalt Anwar al-Bunni ordnet die Taten ein.
Interview: Hannah El-Hitami
In Koblenz hat Ende April der weltweit erste Prozess wegen systematischer Folter in Syriens Gefängnissen begonnen. Zwei ehemaligen Geheimdienstmitarbeitern werden Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen. Der syrische Menschenrechtsanwalt Anwar al-Bunni war selbst fünf Jahre inhaftiert und hat viele der Zeugen für das Verfahren an die deutsche Justiz vermittelt. Er ist Direktor des Syrischen Zentrums für juristische Studien und Forschungen in Berlin.
Sie haben einmal gesagt, der Kampf für Gerechtigkeit in Syrien sei nicht Ihr Job, sondern Ihr Lebensinhalt. Was bedeutet es für Sie, dass dieser Gerichtsprozess jetzt begonnen hat?
Ich bin sehr zufrieden, auch wenn ich keinen Zweifel daran hatte, dass ich diesen Moment erleben würde. Aber der Prozess ist nur ein Schritt auf dem Weg zum Ziel. Wir wollen letztlich alle Kriegsverbrecher vor Gericht bringen, bis hin zu Staatspräsident Baschar al-Assad.
In Koblenz wird zwei Männern der Prozess gemacht, die seit Jahren nicht mehr im Geheimdienst tätig sind. Was nützt das Verfahren gegen sie, wenn in Syrien weiterhin Zehntausende inhaftiert sind und gefoltert werden?
Unser Ziel ist nicht, diese zwei Rädchen der Höllenmaschinerie zu verurteilen. Vielmehr wollen wir diese Rädchen nutzen, um die Existenz der Maschinerie und das Ausmaß ihrer Höllenhaftigkeit zu beweisen. Nur so können wir sie zum Stillstand bringen. Die Angeklagten sind unser Zugang zur Struktur und Systematik des syrischen Geheimdienstes und seiner Verbindungen zur Politik.
Anwar R. und Eyad A. wurden in Deutschland festgenommen, sie waren Jahre zuvor desertiert. Spricht das für ein mildes Urteil?
Selbst wenn sie desertiert wären, macht sie das nicht unschuldig. Den Opfern muss Gerechtigkeit zuteilwerden. Nur alle Opfer gemeinsam hätten moralisch das Recht, den Tätern eine Amnestie zu gewähren.
Sie haben viele der Zeug*innen, die bei dem Prozess aussagen werden, an die deutsche Justiz vermittelt. Wie lief das ab?
Die meisten waren schon während ihrer Haft in Syrien meine Mandanten. Sie kannten wiederum weitere Personen aus ihrer Zeit im Gefängnis und haben diese an uns vermittelt. Diese Menschen sind wahre Held*innen. Manche von ihnen haben noch Familienangehörige in Syrien, die um ihr Leben fürchten müssen. Andere haben leidvolle Erfahrungen gemacht, über die sie kaum sprechen können. Dennoch haben sie den Mut, öffentlich vor Gericht auszusagen.
Sie sind einer der prominentesten Menschenrechtsanwälte Syriens. Angefangen haben Sie Ihr Arbeitsleben jedoch als Ingenieursgehilfe auf der Baustelle des berüchtigten Saydnaya-Gefängnisses.
1971 starb mein Vater, sechs Jahre später wurde mein ältester Bruder verhaftet. Ich wollte schnell anfangen zu arbeiten, um meine Familie zu unterstützen, und wurde Ingenieursgehilfe. Das Saydnaya-Gefängnis fanden wir damals sehr fortschrittlich, denn es sollte ein humanes Gefängnis werden. Im Gegensatz zu Gefängnissen wie Tadmor war es nicht unterirdisch, es gab Sportplätze und Kinosäle und in allen Zimmern frische Luft und Sonnenlicht.
Wie wurden sie vom Gefängnisbauer zum Verteidiger von Gefangenen?
Drei meiner Geschwister und viele meiner Freunde wurden nach und nach verhaftet. Sie waren alle politische Aktivisten – ich nicht, also entschied ich, Anwalt zu werden, um sie zu verteidigen. Mit 21 Jahren begann ich Jura zu studieren. Seit 1985 habe ich mich ganz der Verteidigung von Gefangenen gewidmet. Das hat mich schließlich 2006 selbst für fünf Jahre ins Gefängnis gebracht.
Glauben Sie, dass der Prozess die Situation in Syrien verändern kann?
Der Prozess und die anderen Klagen, an denen wir gearbeitet haben, können sicher etwas verändern. Es ist das erste Mal in der Geschichte, dass Verfahren schon beginnen, während noch Straftaten begangen werden. Die Gerechtigkeit bestimmt also mit, wie der Konflikt ausgehen wird, und nicht andersherum. Verbrecher, die verurteilt werden oder gegen die es Haftbefehle gibt, können von der Welt nicht mehr als Partner für die Zukunft in Syrien erachtet werden.