Geflüchtete Rohingya müssen an Entscheidungen beteiligt werden, die ihr Leben betreffen

Eine Versammlung von Rohingya im Lager Kutupalong in Bangladesch im November 2019
© K M Asad/LightRocket via Getty Images
Im August 2017 begann Myanmars Armee mit der Vertreibung der überwiegend muslimischen Minderheit der Rohingya. Mehr als 740.000 von ihnen flüchteten nach Bangladesch. Noch heute ist ihre Lage dort verheerend. Die Geflüchteten müssen endlich das Recht erhalten, an Entscheidungen beteiligt zu werden, die ihr Leben betreffen, und für sich selbst sprechen zu können. Dies fordert Amnesty International in einem neuen Bericht.
Drei Jahre nach ihrer Vertreibung aus Myanmar ist die Lage der Rohingya in Bangladesch immer noch dramatisch und sie werden daran gehindert, ihre Rechte einzufordern. Der aktuelle Bericht "Let us speak for our rights" – Human rights situation of Rohingya refugees in Bangladesh zeigt auf, wie der Ausschluss von Entscheidungsprozessen die Menschenrechte der Rohingya beeinträchtigt – von der Meinungs-, Versammlungs- und Bewegungsfreiheit bis hin zu Gesundheitsversorgung und Bildung.
"Die Rohingya wurden in Myanmar jahrzehntelang verfolgt und diskriminiert. Hunderttausende waren gezwungen zu fliehen, um sich vor den Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu retten, die an ihnen begangen wurden. Drei Jahre nach ihrer Vertreibung ist ihre Lage immer noch sehr schlecht und sie werden daran gehindert, ihre Rechte einzufordern", sagt David Griffiths, Büroleiter des Generalsekretariats von Amnesty International in London.
"Die bangladeschischen Behörden haben viele positive Schritte unternommen, um die geflüchteten Rohingya zu unterstützen, doch diesem Vorgehen mangelt es an Transparenz und dadurch sind die Rohingya fast vollständig aus dem Entscheidungsprozess ausgeschlossen. Benötigt werden klare politische Maßnahmen, die Rohingya-Stimmen mit einbeziehen, um sicherzustellen, dass ihre Menschenrechte angemessen geschützt werden."
Der Bericht fordert zudem eine umfassende und gründliche Untersuchung der Vorwürfe, wonach geflüchtete Rohingya außergerichtlich hingerichtet worden seien. Mehr als 50 geflüchtete Rohingya sowie Personen aus dem Gastland, die Rohingya-Diaspora, Menschenrechtsaktivist_innen und Personal von humanitären Organisationen wurden für diesen Bericht interviewt.
Amnesty International appelliert an die bangladeschischen Behörden, die Rohingya vollständig in die für sie relevanten Entscheidungsprozesse einzubeziehen. Außerdem ruft Amnesty die internationale Gemeinschaft auf, die bangladeschischen Behörden hierbei zu unterstützen.

Rohingya unter Quarantäne in einem Flüchtlingscamp in Bangladesch im Juni 2020
© Mohammad Rakibul Hasan
Recht auf Freizügigkeit und Freiheit
Im Mai brachten die bangladeschischen Behörden mehr als 300 geflüchtete Rohingya nach Bhashan Char, eine entlegene Insel, die ausschließlich aus Schlicksand besteht und deren Bewohnbarkeit noch von der UNO geprüft werden muss. Interviewte berichteten Amnesty International, dass sie von sexualisierter Belästigung durch die Polizei und Marineangehörige auf der Insel gehört hatten. Amnesty International fordert die bangladeschischen Behörden auf, eine umfassende und gründliche Untersuchung dieser Vorwürfe durchzuführen.
Geflüchtete Rohingya gaben außerdem an, dass sie mit zwei bis fünf Personen einen Raum teilen, der nur ca. 4,6 m2 groß ist und gerade einmal Platz für eine Person bietet. Die Sanitär-, Nahrungs- und Gesundheitsversorgung ist inakzeptabel, außerdem dürfen die Geflüchteten ihre Unterkünfte auf der Insel oft nicht verlassen.
"Die bangladeschischen Behörden sollten die derzeit auf Bhashan Char untergebrachten geflüchteten Rohingya in die Flüchtlingslager in Cox’s Bazar zurückbringen und sicherstellen, dass die Geflüchteten ohne jeden Zwang zu zukünftigen Plänen zu ihrer Umsiedlung konsultiert werden," forderte David Griffiths.
Recht auf Leben
Laut der bangladeschischen Menschenrechtsorganisation Odhikar wurden zwischen August 2017 und Juli 2020 mutmaßlich über 100 geflüchtete Rohingya außergerichtlich hingerichtet. Bislang ist jedoch keiner dieser Fälle untersucht und die mutmaßlich Verantwortlichen sind nicht vor Gericht gestellt worden. Die bangladeschischen Behörden müssen diese mutmaßlichen Hinrichtungen unverzüglich aufklären und die Verantwortlichen vor Gericht stellen.
Recht auf Gesundheitsversorgung
Nur wenige geflüchtete Rohingya lassen sich freiwillig auf COVID-19 testen. Sie haben zum einen Angst, von ihren Familien getrennt und in eine Quarantäne gezwungen zu werden. Zum anderen fürchten sie aufgrund ihrer Erfahrungen das respektlose Verhalten des medizinischen Personals. Es fehlen außerdem klare und gut zugängliche Informationen zu den Gesundheitsdienstleistungen.
Die Behörden und humanitären Organisationen müssen die Sorgen der Patient_innen und ihre Erfahrungen in den Gesundheitseinrichtungen unbedingt ernst nehmen und alle Versäumnisse angemessen regeln.
Geschlechtsspezifische Gewalt und Diskriminierung
Rohingya-Frauen berichteten Amnesty von geschlechtsspezifischer Gewalt durch Partner, häuslicher Gewalt, Menschenhandel, sexualisierter Belästigung und Diskriminierung. In einigen Lagern gestatteten führende Gemeindemitglieder es den Frauen während der Corona-Pandemie darüber hinaus nicht, arbeiten zu gehen. Außerdem sind Frauen in den Gemeindeversammlungen in den Lagern völlig unterrepräsentiert.
"Die Behörden und humanitären Organisationen müssen sicherstellen, dass alle Vorwürfe über Menschenhandel, sexualisierte Belästigung und Diskriminierung untersucht werden und dass Frauen wirklich zu Aktivitäten und Entscheidungen, die sie betreffen, konsultiert werden," betont David Griffiths.
Recht auf freie Meinungsäußerung und das Recht auf Information
Die andauernden Internetbeschränkungen in den Lagern hat den geflüchteten Rohingya sowohl Informationen zu Covid-19 vorenthalten als auch zur Frustration derjenigen beigetragen, die Angehörige außerhalb von Bangladesch haben, die sie nicht kontaktieren konnten.
Am 5. August 2020 nahm die Polizei einen jugendlichen Rohingya wegen der Benutzung des W-Lan in einem Internet Shop in Jamtoli in Lager 15 fest. "Ist die Nutzung von W-Lan ein Verbrechen?" fragte er die Polizisten. Sie antworteten, dass Rohingya kein W-Lan nutzen könnten. "Nach einer Stunde ließen sie mich endlich frei, gaben mir mein Handy zurück und sagten mir, dass ich nächstes Mal kein W-Lan nutzen dürfe", erzählte er Amnesty International.
Das Recht auf Bildung
Im Januar 2020 kündigte Bangladesch an, dass die Rohingya-Kinder die Möglichkeit erhalten würden, nach dem myanmarischen Lehrplan unterrichtet zu werden. Doch die Pandemie und die damit einhergehenden Einschränkungen von Dienstleistungen in den Lagern haben nicht nur zur Schließung bestehender Lernorte geführt, sondern auch die Umsetzung des Myanmar-Curriculums verzögert. Diese Verzögerung bedeutet, dass viele Rohingya-Kinder vorerst keine Schulbildung erhalten.
"Die Regierung von Bangladesch muss sicherstellen, dass die Corona-Pandemie keine weitere Entschuldigung dafür wird, den Rohingya-Kindern den Zugang zu Bildung vorzuenthalten. Die internationale Gemeinschaft muss die bangladeschischen Behörden mit finanziellen Mitteln und anderen Ressourcen dabei unterstützen, den Myanmar-Curriculum umzusetzen", sagt David Griffiths.