DEINE SPENDE KANN LEBEN RETTEN!
Mit Amnesty kannst du dort helfen, wo es am dringendsten nötig ist.
DEINE SPENDE WIRKT!
Venezuela 2019
Proteste in Caracas, Venezuela gegen die Regierung von Nicolás Maduro am 19. November 2019
© REUTERS/Carlos Garcia Rawlins
- Außergerichtliche Hinrichtungen
- Willkürliche Inhaftierungen
- Folter und andere Misshandlungen
- Exzessive Gewaltanwendung
- Straflosigkeit
- Richterliche Unabhängikeit
- Internationale Kontrolle
- Gewaltlose politische Gefangene
- Recht auf Versammlungsfreiheit
- Recht auf Meinungsfreiheit
- Menschenrechtsverteidiger_innen
- Flüchtlinge und Migrant_innen
- Humanitärer Ausnahmezustand
- Recht auf Gesundheit
- Sexuelle und reproduktive Rechte
- Das Recht auf Nahrung
- Das Recht auf Wasser
- Haftbedingungen
- Rechte indigener Bevölkerungsgruppen
Berichtszeitraum: 1. Januar bis 31. Dezember 2019
In Venezuela setzte sich die Menschenrechtskrise neuen Ausmaßes fort. Außergerichtliche Hinrichtungen, willkürliche Inhaftierungen, unverhältnismäßige Gewaltanwendung und rechtswidrige Tötungen durch die Sicherheitskräfte bildeten nach wie vor Teil der Unterdrückungspolitik, um kritische Stimmen zum Schweigen zu bringen. In den ersten Monaten des Jahres verschärfte sich die politische und institutionelle Krise und führte zu großen Spannungen zwischen der Regierung unter Nicolás Maduro und dem Parlament (Nationalversammlung) unter Juan Guaidó. Den zunehmenden sozialen Protesten begegneten die Regierungsbehörden mit einer Vielzahl von Menschenrechtsverletzungen und einer Verschärfung der Repressionspolitik. Gewaltlose politische Gefangene wurden in unfairen Prozessen strafrechtlich verfolgt. Die Rechte auf freie Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit waren auch 2019 ständig bedroht. Menschenrechtsverteidiger_innen wurden stigmatisiert und sahen sich bei der Ausübung ihrer Tätigkeit immer größeren Schwierigkeiten gegenüber.
Personen, die im Verdacht standen, Menschenrechtsverletzungen und Verbrechen unter dem Völkerrecht begangen zu haben, von denen einige Verbrechen gegen die Menschlichkeit sein könnten, wurden fast nie strafrechtlich verfolgt. Dies führte zu einem Vertrauensverlust in das Rechtssystem. Eine Reihe von Zivilpersonen wurde vor Militärgerichte gestellt. Die Einmischung in die Unabhängigkeit der Justiz war nach wie vor üblich, und die Abschottung gegen regionale Menschenrechtsforen ließ den Betroffenen von Menschenrechtsverletzungen nur wenige Möglichkeiten, Gerechtigkeit zu erlangen.
Die Behörden weigerten sich, das wahre Ausmaß der humanitären Notlage und die sich verschlechternden Lebensbedingungen anzuerkennen. Die Bevölkerung litt unter dem gravierenden Mangel an Lebensmitteln, Medikamenten, medizinischer Versorgung, Wasser und Strom. Bis Ende 2019 hatte die Gesamtzahl der Menschen, die auf der Suche nach internationalem Schutz aus dem Land geflohen waren, 4,8 Millionen erreicht.
Der Bericht der UN-Hochkommissarin für Menschenrechte und die Überwachung durch den UN-Menschenrechtsrat waren wegweisend für die Einrichtung einer Kommission, die außergerichtliche Hinrichtungen, Fälle von Verschwindenlassen, willkürliche Inhaftierungen sowie Folter und andere Formen von grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung, die seit 2014 begangen wurden, untersuchen soll, um die volle Rechenschaftspflicht der Täter_innen und Gerechtigkeit für die Betroffenen sicherzustellen.
Bei den wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten setzte sich die dramatische Entwicklung fort, die US-amerikanische Regierung verhängte am 5. August 2019 Sanktionen gegen Regierungsinstitutionen.
Außergerichtliche Hinrichtungen
Außergerichtliche Hinrichtungen wurden weiterhin durchgeführt. Für die Hinrichtungen war die Bolivarische Nationale Polizei (Policía Nacional Bolivariana) verantwortlich, vornehmlich durch Angehörige der Spezialeinheit FAES (Fuerza de Acciones Especiales). Zwischen dem 21. und 25. Januar 2019 wurden elf junge Männer außergerichtlich hingerichtet. Diese Hinrichtungen wiesen ein durchgängiges Muster auf. Die jungen Männer waren oder wurden als regierungskritisch wahrgenommen, stammten aus Gegenden mit geringem Pro-Kopf-Einkommen und man hatte sehen können, wie sie an Protestveranstaltungen teilnahmen, oder ihre Teilnahme daran war veröffentlicht worden. Die Behörden behaupteten, dass sie bei gewaltsamen Zusammenstößen mit Polizist_innen zu Tode gekommen seien und die Betroffenen "Widerstand gegen die Staatsgewalt" geleistet hätten. Es gab jedoch Beweise dafür, dass die Tatorte manipuliert worden waren.
Da die außergerichtlichen Hinrichtungen Teil eines großangelegten Angriffs gegen die Zivilbevölkerung zu sein schienen, könnten sie den Tatbestand von Verbrechen gegen die Menschlichkeit erfüllen.
In einem Bericht des Büros der UN-Hochkommissarin für Menschenrechte wurden offizielle Zahlen zitiert, denen zufolge bei 1569 Tötungen zwischen Januar und 19. Mai 2019 "Widerstand gegen die Staatsgewalt" als Grund genannt wurde; andere Quellen nannten noch höhere Zahlen. Die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte erklärte, dass viele dieser Tötungen außergerichtliche Hinrichtungen darstellen könnten – ein Verbrechen unter dem Völkerrecht.
Willkürliche Inhaftierungen
Willkürliche Inhaftierungen waren auch 2019 Teil der Repressionspolitik, die mit der Regierungsübernahme von Nicolás Maduro ihren Anfang genommen hatte. Während der Proteste im Januar wurden in nur fünf Tagen mehr als 900 Menschen inhaftiert, 770 allein an einem Tag. Möglicherweise sind auch diese Inhaftierungen ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, da sie Teil eines großangelegten Angriffs gegen Menschen zu sein schienen, die als Regierungskritiker_innen wahrgenommen wurden.
Die willkürlich Inhaftierten waren häufig Misshandlungen, Folter und Verstößen gegen rechtsstaatliche Verfahren ausgesetzt. Es gab viele Berichte über Fälle des Verschwindenlassens, bei denen die Behörden die Inhaftierung von Personen zwar bestätigten, die Familien und Rechtsbeistände dann aber das Schicksal und den Aufenthaltsort dieser Menschen nicht ermitteln konnten.
Zu den willkürlich Inhaftierten zählte auch der Büroleiter von Parlamentspräsident Juan Guaidó, Roberto Marrero. Er wurde am 21. März 2019 festgenommen und befand sich Ende des Jahres nach wie vor im Gewahrsam des venezolanischen Geheimdienstes SEBIN (Servicio Bolivariano de Inteligencia Nacional) in dessen Zentrale El Helicoide in Caracas. Der Abgeordnete Gilber Caro wurde am 26. April 2019 von Angehörigen des SEBIN willkürlich inhaftiert und fast zwei Monate ohne Kontakt zur Außenwelt in Haft gehalten, ehe man ihn am 17. Juni wieder freiließ. Gründe für seine Inhaftierung wurden nicht genannt. Später wurde Gilber Caro erneut festgenommen und vor Gericht gestellt, diesmal gemeinsam mit dem Journalisten Victor Ugas, angeblich wegen Terrorismusvorwürfen. Schicksal und Aufenthaltsort der beiden waren unbekannt, da die Polizeibeamt_innen mehrere Male abstritten, sie in ihrem Gewahrsam zu halten. Auch Edgar Zambrano, Abgeordneter und erster Vizepräsident der Nationalversammlung, wurde im Mai 2019 von Angehörigen des SEBIN inhaftiert und erst im September wieder freigelassen.
Laut der NGO Foro Penal Venezolano waren bis August 2019 bereits 2.182 Personen willkürlich inhaftiert worden. Die NGO bezifferte die Personen, die aus politischen Gründen im Gefängnis waren, auf 388, darunter 18 Frauen und 370 Männer.
Richterliche Anordnungen zur Freilassung wurden häufig missachtet.
Folter und andere Misshandlungen
Am 21. Juni 2019 wurde der Marinekapitän im Ruhestand, Rafael Acosta Arévalo, vom militärischen Geheimdienst (Dirección General de Contrainteligencia Militar – DGCIM) inhaftiert. Seine Familie und seine Rechtsbeistände erhielten weder Informationen über sein Schicksal noch über seinen Aufenthaltsort. Acht Tage nach seinem Verschwindenlassen wurde er einem Militärgericht vorgeführt. Er wies eindeutige Folterspuren auf; nur Stunden danach starb er in einem Militärkrankenhaus. Die Staatsanwaltschaft leitete eine Untersuchung ein, und zwei Militärangehörige wurden des Totschlags angeklagt und schuldig gesprochen; eine Anklage wegen Folter wurde nicht erhoben.
Ein Bericht des Büros der UN-Hochkommissarin für Menschenrechte wies darauf hin, dass in den meisten Fällen Gefangene gefoltert wurden. Zu den Foltermethoden zählten Elektroschocks, das beinahe Ersticken mit Plastiktüten, beinahes Ertrinkenlassen und sexualisierte Gewalt.
Exzessive Gewaltanwendung
Das Militär und die Polizei setzen weiterhin exzessive und in einigen Fällen absichtlich tödliche Gewalt gegen Demonstrierende ein.
Im Januar 2019 starben mindestens 24 Menschen im Zusammenhang mit den Protesten. Mindestens 21 von ihnen wurden von Sicherheitskräften oder bewaffneten Zivilpersonen getötet, die mit deren Einverständnis handelten. Angesichts des großangelegten und systematischen Vorgehens bei diesen Tötungen könnte es sich auch bei diesen um Verbrechen gegen die Menschlichkeit handeln.
Laut Angaben im Bericht der UN-Hochkommissarin für Menschenrechte starben bei Demonstrationen zwischen Januar und Mai 66 Personen infolge der exzessiven Gewaltanwendung durch Polizeikräfte und Militärangehörige.
Berichte über illegale Durchsuchungen und willkürliche Inhaftierungen von Demonstrierenden durch die Sicherheitskräfte waren an der Tagesordnung.
Straflosigkeit
Aus dem Bericht der UN-Hochkommissarin für Menschenrechte geht hervor, dass die Generalstaatsanwaltschaft in den meisten Fällen keine Untersuchungen zu Menschenrechtsverletzungen einleitete und auch Verdächtige nicht strafrechtlich verfolgte. Laut dem Bericht äußerte sich die Ombudsperson nicht zu diesen Menschenrechtsverletzungen.
Die Behörden entmutigten Betroffene häufig, wenn es darum ging, Anzeigen zu erstatten, und die Polizei manipulierte regelmäßig Tatorte bei Fällen von außergerichtlichen Hinrichtungen, um sicherzustellen, dass sie für ihr Vorgehen nicht zur Verantwortung gezogen werden würde.
Richterliche Unabhängikeit
Die Behörden griffen in juristische Entscheidungen ein.
Es war üblich, das Justizsystem dafür zu missbrauchen, Personen zu kriminalisieren, die als regierungskritisch wahrgenommen wurden. Hochrangige Beamt_innen stigmatisierten immer wieder Menschenrechtsverteidiger_innen und Aktivist_innen.
Ähnliche Vorwürfe über die mangelnde Legitimität des Obersten Gerichtshofs und der Nationalversammlung verschärften die institutionelle Krise und das fehlende Vertrauen in die Justiz noch weiter.
Zivilpersonen wie der Gewerkschaftsführer Rubén González wurden mit Anklagen, die dem Militär vorbehalten sind, vor Militärgerichte gestellt und verurteilt.
Internationale Kontrolle
Venezuela erlaubte der Interamerikanischen Menschenrechtskommission weiterhin keinen Besuch des Landes und weigerte sich, die Entscheidungen des Interamerikanischen Gerichtshofs für Menschenrechte umzusetzen und ihren menschenrechtlichen Verpflichtungen im Rahmen des interamerikanischen Systems nachzukommen. Doch die Interamerikanische Menschenrechtskommission veröffentlichte 23 Schutzmaßnahmen und beobachtete die Lage in Venezuela weiterhin, indem sie eigens einen Beobachtungsmechanismus für das Land einrichtete, den Mecanismo Especial de Seguimiento para Venezuela (MESEVE).
Der UN-Menschenrechtsrat betraute das Büro der UN-Hochkommissarin für Menschenrechte damit, über die Menschenrechtslage in Venezuela zu berichten. Die Regierung von Nicolás Maduro lud die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte ein, Venezuela zu besuchen.
In ihrem anschließenden Bericht beschrieb die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte die Menschenrechtslage als sehr alarmierend. Die Behörden Venezuelas kritisierten das Kommissariat daraufhin als voreingenommen.
Im September 2019 verabschiedete der UN-Menschenrechtsrat zwei Resolutionen zu Venezuela. Die Erste erneuerte das Mandat des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte zur Untersuchung von Menschenrechtsverletzungen und forderte die Einrichtung einer ständigen Vertretung des Kommissariats im Land. Ende 2019 bestand diese Vertretung aus zwei UN-Mitarbeiter_innen vor Ort. Die zweite Resolution betraf die Einrichtung einer internationalen Untersuchungskommission, die außergerichtliche Hinrichtungen, Fälle von Verschwindenlassen, willkürliche Inhaftierungen sowie Folter und andere Formen von grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung, die seit 2014 begangen wurden, untersuchen sollte, um eine umfassende Rechenschaftspflicht der Täter_innen und Gerechtigkeit für die Betroffenen sicherzustellen. Die Ergebnisse der Untersuchungskommission sollen im September 2020 veröffentlicht werden.
Gewaltlose politische Gefangene
2019 befanden sich mindestens fünf gewaltlose politische Gefangene nach wie vor in Haft oder waren in ihren Rechten eingeschränkt.
Der Journalist und Verteidiger digitaler Rechte, Luis Carlos Díaz, wurde am 12. März 2019 nach 30 Stunden willkürlicher Haft beim venezolanischen Geheimdienst SEBIN freigelassen. Er wurde für acht Stunden in ein Geheimgefängnis gebracht. Dann musste er in seinem Haus einer Durchsuchung durch Angehörige des SEBIN beiwohnen und wurde verhört und misshandelt. Auch seine Frau wurde von den Beamt_innen bedroht. Ende des Jahres stand Luis Carlos Díaz unter Anklage und seine Rechte waren eingeschränkt, dazu gehörte ein Reiseverbot, die Anordnung, alle acht Tage vor dem örtlichen Gericht zu erscheinen und das Verbot, sich öffentlich zu äußern.
Leopoldo López wurde während eines Aufstands im April 2019 von Angehörigen des SEBIN aus dem Hausarrest entlassen. Seine Bewegungsfreiheit ist jedoch weiterhin eingeschränkt, da er sich als Gast in der spanischen Botschaft in Caracas aufhält. Seine Familie hat das Land verlassen.
Es bestehen weiterhin Anklagen gegen Geraldine Chacón, Gregory Hinds und Rosmit Mantilla. Villca Fernández darf immer noch nicht nach Venezuela zurückkehren. Ende 2019 nannte Nicolás Maduro Villca Fernández bei einer TV-Live-Sendung einen Terroristen und forderte die Regierung Perus – wo Villca Fernández Ende 2019 lebte – auf, ihn festzunehmen.
Recht auf Versammlungsfreiheit
Friedliche Proteste wurden regelmäßig durch den Einsatz exzessiver Gewalt unterdrückt. Die NGO Observatorio Venezolano de Conflictividad Social beobachtete die sozialen Konflikte in Venezuela. Sie registrierte 2019 insgesamt 16.739 Proteste, von denen die meisten mit wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und Umweltrechten zu tun hatten, insbesondere mit tariflichen Auseinandersetzungen und der Lebensmittel-, Gesundheits- und Wasserversorgung sowie weiteren öffentlichen Leistungen.
Bewaffnete Gruppen setzten Gewalt gegen friedliche Protestierende ein und trieben Versammlungen regelmäßig auseinander.
Recht auf Meinungsfreiheit
Mehrere regierungskritische Medienkanäle sowie die Websites von Menschenrechtsorganisationen waren das Ziel von Zensurmaßnahmen und Hackerangriffen. NGOs berichteten, dass Nachrichten-Websites wie El Pitazo und Efecto Cocuyo zwischen Januar und November 975 Mal blockiert waren.
Die lokale Menschenrechtsorganisation Espacio Público registrierte von Januar bis November 1.017 Fälle von Verstößen gegen das Recht auf freie Meinungsäußerung.
Die Pressegewerkschaft Sindicato Nacional de Trabajadores de la Prensa (SNTP) dokumentierte zwischen Januar und Juni 244 Angriffe gegen die Pressefreiheit, darunter Zensur, Schikane, tätliche Angriffe gegen Pressemitarbeiter_innen, willkürliche Inhaftierungen und den Diebstahl von Geräten.
Bis Oktober 2019 waren 193 Personen inhaftiert, weil sie Meinungen oder Beschwerden in den Sozialen Medien oder in der Presse veröffentlicht hatten. Unter ihnen befand sich Pedro Jaimes, der von Angehörigen des SEBIN willkürlich inhaftiert worden war, weil er öffentlich zugängliche Informationen über die Route der Präsidentenmaschine auf seinem Twitter-Account veröffentlicht hatte. Er kam nach einem Jahr und fünf Monaten in Haft am 17. Oktober 2019 schließlich wieder frei, ohne dass die Anklagen gegen ihn fallengelassen wurden.
Menschenrechtsverteidiger_innen
Die Kriminalisierung, Bedrohung und Angriffe durch Regierungsangehörige gegen Menschenrechtsorganisationen, die mit internationalen Schutzmechanismen in Kontakt standen, wurde vor allem mittels der staatlichen Medienkanäle fortgesetzt.
Im Januar 2019 wurde Lauro Gallo, die Leiterin des Ausschusses zu politischen Gefangenen der Oppositionspartei Voluntad Popular und Mutter des Menschenrechtsverteidigers und Koordinator des Foro Penal Venezolano in Yaracuy, Gabriel Gallo, kurzzeitig inhaftiert und dann auf Bewährung freigelassen.
Die Online-Regierungsplattform Misión Verdad stigmatisierte weiterhin Marco Antonio Ponce, der seit 2015 Schutzmaßnahmen der Interamerikanischen Menschenrechtskommission erhält. Menschenrechtsorganisationen wurden auf der Website der Fernseh-Show Con El Mazo Dando unter Führung von Diosdado Cabello, dem Präsidenten der Verfassungsgebenden Versammlung, angegriffen. Die Website wurden regelmäßig dazu genutzt, Dissident_innen anzugreifen und Menschenrechtsverteidiger_innen und Aktivist_innen zu kriminalisieren und zu stigmatisieren.
Ein Militärgericht verurteilte den Gewerkschafter Rubén González wegen Anklagen im Zusammenhang mit einem Streik im Jahr 2009 zu fünf Jahren und sieben Monaten Gefängnis. Er war im November 2018 willkürlich inhaftiert worden, nachdem er die Regierung von Nicolás Maduro kritisiert hatte.
Im September 2019 kritisierten Menschenrechts- und humanitäre Organisationen neue Hemmnisse bei der Registrierung und ungehinderten Ausübung ihrer Tätigkeit. Das Innenministerium Ministerio del Poder Popular para Relaciones Interiores, Justicia y Paz gab Expressanweisungen heraus, um deren Eintragung zu verhindern.
Die Übererfüllung der von den USA gegen Regierungsinstitutionen verhängten Sanktionen beeinträchtigte die Möglichkeit von NGOs, ihre Mittel frei zu verwenden und schuf damit eine weiteres Hindernis für die Arbeit zum Schutz der Menschenrechte im Land.
Flüchtlinge und Migrant_innen
Im Oktober 2019 bezifferte der UN-Hochkommissar für Flüchtlinge (UNHCR) die Zahl der Venezolaner_innen, die in den jüngsten Jahren aus dem Land geflüchtet waren, auf 4,8 Millionen, mehr als 14% der Gesamtbevölkerung. Etwa drei Millionen waren in andere lateinamerikanische und karibische Länder geflüchtet, vor allem nach Kolumbien (1,4 Mio), Peru (860.000), Chile (371.000) Ecuador (330.000) und Argentinien (145.000). Die tatsächlichen Zahlen lagen wahrscheinlich höher, da die meisten offiziellen Daten diejenigen Personen nicht erfassten, die ohne Meldung bei den Behörden im Ausland lebten.
Mindestens 606.000 Venezolaner_innen stellten einen formellen Asylantrag, vor allem in Peru, Brasilien und den USA.
Einige lateinamerikanische Länder richteten rechtliche Verfahren ein, um den Status von schutzsuchenden Menschen zu regulieren. In der Praxis waren diese jedoch ungeeignet, da sie die legale Migration beträchtlich behinderten. Viele Staaten verfügten nicht über wirksamen Mechanismen, um mit Asylgesuchen umzugehen. Einige, wie Chile und Peru, beschränkten den Zugang zum Asylverfahren für Menschen aus Venezuela und verletzten damit ihr Recht auf internationalen Schutz.
Humanitärer Ausnahmezustand
Der humanitäre Ausnahmezustand hielt 2019 an und die wirtschaftlichen Maßnahmen der venezolanischen Behörden erwiesen sich als unwirksam. Die Regierung weigerte sich die Schwere der Krise anzuerkennen und die Unterstützung von humanitären Organisationen anzunehmen. Der Strom an Menschen, die gezwungen waren, in Nachbarländern Zugang zu den grundlegendsten Gütern zu erhalten, nahm zu.
Im August 2019 verhängten die USA Sanktionen gegen venezolanische Regierungsinstitutionen. Die übereifrige Erfüllung dieser Sanktionen sowohl in den USA als auch in anderen Ländern führte zu Hindernissen beim Zugang zu Gütern in Venezuela und verschärfte die bestehende Knappheit an Gütern und Dienstleistungen.
Laut des Amtes für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) der Vereinten Nationen benötigten 7 Mio. Menschen humanitäre Hilfe.
Recht auf Gesundheit
Erhebliche Engpässe bei den Gesundheitsdienstleistungen und Medikamenten sowie die Abwanderung von medizinischem Personal schränkten die Möglichkeiten der Bevölkerung ein, eine angemessene Gesundheitsversorgung zu erhalten. Die immer häufiger und länger auftretenden Stromausfälle führten zu irreparablen Schäden bei den Gesundheitsdienstleistungen und der medizinischen Infrastruktur. NGOs berichteten weiterhin über den Ausbruch von Krankheiten, die zuvor unter Kontrolle gebracht oder gar nicht mehr aufgetreten waren. Dazu gehörten Masern und Diphterie.
Die Nationale Krankenhausstudie fand heraus, dass zwischen November 2018 und Februar 2019 insgesamt 1.557 Personen aufgrund von mangelhaft ausgestatteten Krankenhäusern gestorben waren.
Menschen mit HIV wiesen auch 2019 auf die Gefahren hin, denen sie aufgrund des Mangels und der unterbrochenen Versorgung mit antiretroviralen Medikamenten ausgesetzt sind. NGOs berichteten, dass 70 % der mehr als 300.000 Menschen, die eine Behandlung wegen HIV benötigten, von diesen Versorgungsengpässen betroffen waren.
Das tatsächliche Ausmaß der Probleme beim Zugang zur Gesundheitsversorgung zu beziffern, ist unmöglich, da die Behörden dazu nicht zügig genug Daten veröffentlichten. Seit 2017 wurden zum Beispiel keine epidemiologischen Daten mehr von den venezolanischen Behörden veröffentlicht.
Sexuelle und reproduktive Rechte
Der Zugang zu allen Arten von Verhütungsmitteln war extrem begrenzt und in einigen Städten gar nicht vorhanden. Teenager-Schwangerschaften waren seit 2015 um 65 % gestiegen und wirkten sich nach Angaben des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte auf das Recht auf Bildung von Mädchen aus.
Angesichts der Berichte über unsichere Schwangerschaftsabbrüche mit Todesfolge war die Müttersterblichkeit auch 2019 einen Anlass zur Besorgnis. Der Mangel an qualifiziertem Personal, Engpässe bei der medizinischen Ausstattung und die schlechten Zustände in den Krankenhäusern veranlassten viele schwangere Frauen, für die Geburt ins Ausland zu gehen.
Das Recht auf Nahrung
Die Hyperinflation sowie wirtschaftliche und soziale Maßnahmen verringerten die Nahrungsmittelproduktion und schwächten das Verteilungssystem für Lebensmittel. Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (Food and Agriculture Organization of the United Nations – FAO) berichtete, dass 6, 8 Mio. Venezolaner_innen unterernährt waren. Die Kaufkraft sank extrem und führte zu sehr großen Einschränkungen beim Zugang zu Nahrungsmitteln.
Die humanitäre Organisation Caritas berichtete über ein hohes Maß an Unterernährung bei Kindern und schwangeren Frauen.
Lokale Organisationen klagten über die Verletzung des Rechts auf Nahrung, da das größte Nahrungsmittelhilfeprogramm (Comités Locales de Abastecimiento Popular – CLAP) den Nahrungsmittelbedarf der Bevölkerung nicht deckte. Die Qualität der Nahrung und der Verteilungsrhythmus waren dabei die Hauptsorge. Die Behörden gestatteten auch keinen Zugang zu Informationen über die Menge an Kalorien und die Qualität des Programms.
Das Recht auf Wasser
Der begrenzte Zugang zu Trinkwasser und Sanitäreinrichtungen hatten negative Folgen für einen bedeutenden Teil der Bevölkerung. NGOs berichteten, dass die Bevölkerung durchschnittlich nur 48 Stunden pro Woche Zugang zu Trinkwasser hatte, insbesondere in Gegenden mit niedrigem Einkommen. Auch die Verschlechterung der Elektrizitätsnetze beeinträchtigte den Zugang der Menschen zu Wasser in Phasen von Stromausfällen. Dies wirkte sich nicht nur auf einzelne Personen aus, sondern unter anderem auch auf Gesundheitsdienstleistungen und Leichenhallen.
Haftbedingungen
Die Haftbedingungen waren auch 2019 sehr schlecht und es gab weiterhin Berichte über unangemessene Bedingungen in den Hafteinrichtungen der Polizei. Die NGO für den Schutz der Menschenrechte von Gefangenen Observatorio Venezolano de Prisiones berichtete allein zwischen Januar und Juni 2019 über 59 Tote in den venezolanischen Gefängnissen. Die Überbelegung und die mangelnde medizinische Versorgung waren die Hauptursache für die Verbreitung von Krankheiten in den Gefängnissen.
Rechte indigener Bevölkerungsgruppen
Die Rechte indigener Bevölkerungsgruppen wurden weder geachtet noch gewährleistet.
Am 23. Februar 2019 ging die Bolivarische Nationalgarde in der Stadt Santa Elena an der Grenze zu Brasilien mit exzessiver Gewalt gegen Angehörige indigener Bevölkerungsgruppen vor, die sich zur Grenze aufmachten, um humanitäre Hilfe zu erhalten. Die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte bestätigte, dass dabei sieben Menschen durch Schüsse des Militärs starben und weitere 26 verletzt wurden. In Ermangelung medizinischer Versorgung mussten die Verletzten in ein Krankenhaus in Brasilien gebracht werden. Bis Ende des Jahres wurde keine unabhängige und unparteiische Untersuchung dieses Vorfalls eingeleitet. Berichte zeigten auf, dass rund 900 Angehörige der indigenen Pemón vor der Gewalt nach Brasilien flüchten mussten.
Die Präsenz von Militärangehörigen, organisierten kriminelle Banden und bewaffneten Gruppen führten zu Gewalt und Unsicherheit in indigenen Gebieten in mehreren Landesteilen.
Die Berichte über illegalen Bergbau hielten 2019 an. Die indigenen Gemeinschaften verurteilten die Auswirkungen des Abbaus von Mineralien auf ihre Gemeinschaften und die Umwelt.