Aktuell Israel und besetztes palästinensisches Gebiet 11. Dezember 2025

Israel: Angriffe der Hamas am 7. Oktober 2023 waren Verbrechen gegen die Menschlichkeit

Gedenktafel mit Fotos von Menschen, die am 7. Oktober 2023 beim Angriff der palästinensischen bewaffneten Gruppe Hamas auf das Nova-Musikfestival im Süden Israels getötet wurden.

Massaker an Zivilpersonen, sexualisierte Gewalt, Verschleppungen: Die Hamas und weitere bewaffnete palästinensische Gruppen haben bei ihrem Angriff auf den Süden Israels am 7. Oktober 2023 Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit in großem Ausmaß begangen. Ein neuer Amnesty-Bericht dokumentiert diese umfassend.

Mehr als zwei Jahre sind die von der Hamas angeführten Angriffe auf den Süden Israels am 7. Oktober 2023 mittlerweile her. Und noch immer kommen neue Berichte über die Gräueltaten ans Licht, die palästinensische bewaffnete Gruppen an diesem Tag begangen haben. Dazu gehören auch Berichte von in Gaza gefangengehaltenen Personen, die misshandelt wurden. Überlebende der Angriffe, darunter ehemalige Geiseln, von denen einige erst vor kurzem und nach über zwei Jahren Geiselhaft freigelassen wurden, sowie deren Familien berichten weiterhin über ihre eigenen Erfahrungen und fordern Gerechtigkeit und Wiedergutmachung.

Amnesty International hat bereits zahlreiche Kurzberichte und andere Veröffentlichungen zu den von der Hamas und anderen bewaffneten palästinensischen Gruppen am und seit dem 7. Oktober 2023 begangenen Verbrechen verfasst. 

In dem Bericht "Targeting Civilians – Murder, Hostage-taking and other Violations by Palestinian Armed Groups in Israel and Gaza" dokumentiert Amnesty umfassend, wie der militärische Flügel der Hamas, die Al-Qassam-Brigaden, und andere palästinensische bewaffnete Gruppen während ihres Angriffs auf den Süden Israels und anschließend gegen Geiseln, die in Gaza festgehalten wurden, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen haben. Die Organisation hat die grausamen Angriffe sowie die Geiselnahmen seit Oktober 2023 kontinuierlich als Kriegsverbrechen verurteilt und gefordert, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen.

Der Bericht dokumentiert nicht die von Israel begangenen Völkerrechtsverletzungen und -verbrechen, wie den seit dem 7. Oktober 2023 in Gaza begangenen Genozid oder das institutionalisierte System der Apartheid. Ebenso werden keine Rechtsverletzungen durch die Hamas an den Palästinenser*innen in Gaza im Rahmen des Berichts untersucht. Amnesty hat dies im Rahmen anderer Veröffentlichungen getan. Auch zu den von der Hamas an der palästinensischen Zivilbevölkerung begangenen Menschenrechtsverletzungen hat Amnesty sich geäußert.

Das Foto zeigt zwei uniformiere und maskierte Männer. Der Mann links blickt durch ein Fernglas. Der Mann rechts hält ein Scharfschützengewehr in den Händen.

Kämpfer der palästinensischen bewaffneten Gruppe Hamas im Gazastreifen bei der Übergabe einer Geisel, die am 7. Oktober 2023 aus Israel verschleppt worden war (Aufnahme vom 22. Februar 2025).

Was passierte am 7. Oktober 2023? 

Amnesty International hat dokumentiert, wie in den frühen Morgenstunden des 7. Oktober 2023 Kämpfer der Hamas und anderer palästinensischer bewaffneter Gruppen einen koordinierten Angriff durchführten. Er richtete sich hauptsächlich gegen zivile Ziele. Mehr als 3.000 Kämpfer drangen über Land, Luft und See in israelisches Staatsgebiet ein und griffen zeitgleich mehrere Orte an, vor allem zivile.  

Rund 1.200 Menschen wurden getötet – mehr als 800 davon waren Zivilist*innen, darunter 36 Kinder. Die Opfer waren in erster Linie jüdische Israelis, aber auch beduinische Staatsbürger*innen Israels und zahlreiche ausländische Arbeitsmigrant*innen, Studierende und Asylsuchende. Mehr als 4.000 Menschen wurden verletzt. Hunderte Häuser und zivile Gebäude wurden zerstört oder unbewohnbar gemacht. Zehntausende Menschen wurden in Folge der Angriffe vom 7. Oktober aus ihren Häusern vertrieben. Tausende sind es bis heute. Sie leiden unter dem anhaltenden Trauma, sowohl Angehörige als auch ihr Zuhause verloren zu haben. 

Das Foto zeigt einen jungen Mann, der neben einem Grab kauert. Neben dem Grab steht ein Baum.

Ein trauender Mann in dem israelischen Dorf Gan Haim nach der Beerdigung einer 24-jährigen Frau, die beim Hamas-Angriff auf das Nova-Musikfestival getötet wurde (11. Oktober 2023).

Wie hat Amnesty zum 7. Oktober recherchiert? 

Amnesty International befragte für den Bericht 70 Personen, darunter: 

  • 17 Überlebende der Anschläge vom 7. Oktober 2023
  • Angehörige der Opfer
  • Forensiker*innen
  • Mediziner*innen und Therapeut*innen
  • Rechtsanwält*innen
  • Journalist*innen. 

Das Rechercheteam besuchte einige der Anschlagsorte. Es sichtete über 350 Videos und Fotos von den Anschlägen und von Menschen, die in Gaza gefangen gehalten wurden. Amnesty International dokumentierte Angriffe unter anderem auf die Orte Be’eri, Holit, Kfar Azza, Magen, Nahal Oz, das Nova-Musikfestival und Zikim Beach. Allein bei diesen Angriffen wurden mehr als 650 Menschen getötet. Detailuntersuchungen führte die Organisation für eine Reihe von Angriffen durch, bei denen insgesamt etwa 100 Zivilist*innen getötet wurden.

Das Bild zeigt ein zerstörtes und abgebranntes Haus

Dieses Haus im israelischen Kibbuz Be'eri wurde beim Angriff der Hamas am 7. Oktober 2023 völlig niedergebrannt.

Wer ist für die Verbrechen verantwortlich? 

In den von Amnesty International untersuchten Fällen konnte die Organisation bestätigen, dass die Mehrheit der Täter Kämpfer der Al-Qassam-Brigaden waren, also des militärischen Flügels der Hamas. Amnesty fand ebenfalls Belege dafür, dass Kämpfer folgender bewaffneter Gruppen an mindestens einem der von Amnesty untersuchten Angriffe beteiligt waren: 

  • der Al-Quds-Brigaden, des militärischen Flügels des Palästinensischen Islamischen Dschihad
  • der Al-Aqsa-Brigaden, des früheren militärischen Flügels der Fatah
  • Kämpfer der Nationalen-Widerstands-Brigade, des militärischen Flügels der Demokratischen Front zur Befreiung Palästinas (DFLP)  

Es ist möglich, dass weitere Gruppierungen an Angriffen beteiligt waren, die Amnesty selber nicht untersucht hat.  

Mehrere hundert Palästinenser*innen in Zivilbekleidung drangen ebenfalls in Israel ein. Sie beteiligten sich in offenbar unkoordinierter Weise insbesondere an den Plünderungen von Häusern und privatem Eigentum. Unklar ist, ob die Personen in Zivilbekleidung spontan agierten oder ob Hamas-Führer sie dazu aufgerufen hatten. 

Auf Grundlage der Analyse der Angriffsmuster, der Beweise und der konkreten Inhalte der Kommunikation zwischen den Kämpfern während des Angriffs sowie der Erklärungen der Hamas und der Anführer anderer bewaffneter Gruppen kommt Amnesty zu dem Schluss, dass diese Verbrechen im Rahmen eines weitreichenden und systematischen Angriffs auf die Zivilbevölkerung begangen wurden. 

Der Bericht kommt außerdem zu dem Ergebnis, dass die Kämpfer angewiesen worden waren, Angriffe auf Zivilist*innen durchzuführen. Er widerlegt damit Aussagen von Hamas-Führern, dass deren Kämpfer lediglich militärische Ziele treffen sollten. 

Der vorliegende Bericht kann darüber hinaus die Behauptung von Hamas-Führern widerlegen, dass viele Zivilist*innen durch israelisches Feuer getötet wurden, um die sogenannte Hannibal-Direktive des israelischen Militärs umzusetzen. Diese inoffizielle Anweisung besagt laut Medienberichten, dass die Gefangennahme israelischer Armeeangehörige und Zivilpersonen mit allen Mitteln verhindert werden muss, auch wenn es deren Tod bedeuten kann. 

Auf der Grundlage umfangreicher Videoaufnahmen, Zeug*innenaussagen und anderer Beweise kommt Amnesty International für die untersuchten Angriffe zu dem Schluss, dass zwar einige Zivilist*innen tatsächlich von israelischen Streitkräften getötet wurden, als diese versuchten, den Angriff abzuwehren. Die überwiegende Mehrheit der Getöteten wurde jedoch absichtlich von der Hamas und von anderen palästinensischen Kämpfern getötet.

Luftaufnahme von mehr als einem Dutzend Autos auf einem Feldweg. Die meisten Türen stehen offen. Mehrere Fahrzeuge sind ausgebrannt.

Ausgebrannte Autos, in denen Menschen versucht hatten zu fliehen vor den Angreifern der Hamas auf das Nova-Musikfestival im Süden Israels am 7. Oktober 2023.

Welche Völkerrechtsverbrechen wurden am 7. Oktober 2023 begangen? 

Nach Einschätzung von Amnesty International liegen ausreichend Beweise vor, um zu folgender Schlussfolgerung zu kommen: Die Taten der Hamas, anderer bewaffneter palästinensischer Gruppen und unbewaffneter palästinensischer Zivilpersonen, die an den Angriffen teilnahmen, entsprechen dem Artikel 7 des Römischen Status. Sie stellen somit Verbrechen gegen die Menschlichkeit dar. 

Die Untersuchung von Amnesty International ergab, dass die Hamas und andere palästinensische bewaffnete Gruppen Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen haben, darunter ""Mord", "Ausrottung", "Inhaftierung oder andere schwere Freiheitsberaubung unter Verletzung grundlegender Regeln des Völkerrechts", "Verschwindenlassen", "Folter", "Vergewaltigung oder jede andere Form sexualisierter Gewalt von vergleichbarer Schwere" sowie "andere unmenschliche Handlungen". Die Angriffe stellen gezielte Angriffe gegen die Zivilbevölkerung dar aufgrund 

  • der Tatsache, dass überwiegend zivile Ziele angegriffen wurden
  • des wiederholten Musters von Angriffen auf Zivilist*innen
  • der Aussagen von Anführern der Hamas und anderer bewaffneter Gruppen
  • der Tatsache, dass die weit überwiegende Zahl der Opfer von Tötungen, Verletzungen und Entführungen Zivilist*innen waren.
Die Luftaufnahme zeigt einen großen Platz, vollgestellt mit leeren und Krippen.

Im Rahmen der Kunstaktion "Empty Beds" wurden auf dem Jerusalemer Safra-Platz mehr als 200 leere Betten und Krippen aufgestellt in Solidarität mit den Geiseln, die von der Hamas und anderen bewaffneten palästinensischen Gruppen aus Israel entführt wurden (30. Oktober 2023).

Was hat Amnesty zu den Geiselnahmen herausgefunden? 

Amnesty International interviewte für den vorliegenden Bericht ehemalige Geiseln sowie deren Angehörige. Amnesty International untersuchte Aussagen und Handlungen der Hamas und anderer bewaffneter Gruppen. Sie belegen zum einen klar, dass sowohl Zivilist*innen als auch Soldat*innen gefangen genommen wurden, um die israelischen Behörden zu einem bestimmten Handeln zu zwingen. Dies erfüllt den völkerrechtlichen Tatbestand der Geiselnahme. Zum anderen kann Amnesty International damit Behauptungen von Hamas-Führern widerlegen, die Geiselnahmen seien ungeplant gewesen und seien von Zivilpersonen aus Gaza verübt worden.

Das Bild zeigt mehrere Menschen mit Protestplakaten

Aktion der Amnesty-Hochschulgruppe Tübingen für die Einhaltung der Menschenrechte im Nahostkonflikt zwischen Israel und den Palästinenser*innen (Mai 2024)

Welche Erkenntnisse hat Amnesty zu körperlicher, sexualisierter und psychischer Gewalt am 7. Oktober 2023? 

Amnesty International dokumentierte im Detail die körperliche Misshandlung von 16 Personen. In sieben Fällen handelt es sich um körperliche Gewalt, die am 7. Oktober selbst verübt wurde gegen sechs Männer und eine Frau. In weiteren neun Fällen, wurde die Gewalt verübt, während die Personen nach Gaza entführt wurden. In dem Bericht dokumentiert Amnesty ebenfalls Beweise dafür, dass bewaffnete oder auch unbewaffnete palästinensische Angreifer sexualisierte Gewalt sowohl in Israel als auch im Gazastreifen verübt haben. Die Organisation konnte eine Person interviewen, die an dem Ort des Nova-Musik-Festivals vergewaltigt wurde. Amnesty sprach darüber hinaus mit dem Anwalt, mit einer Therapeutin und drei weiteren Expert*innen für psychische Gewalt und überprüfte und analysierte eine Vielzahl von Medienberichten. 

Die Untersuchung von Fällen von sexualisierter Gewalt stellte die Organisation vor enorme Herausforderungen: Trotz großer Anstrengungen konnte Amnesty International nur in einem Fall eine direkt betroffene Person interviewen. Auch konnte Amnesty keine forensischen Beweise prüfen, da die meisten der Opfer des 7. Oktober in der Regel zeitnah und ohne vorherige Beweissicherung bestattet wurden.

In allen Untersuchungen folgte Amnesty den Richtlinien zur Dokumentation von konfliktbezogener sexualisierter Gewalt und wendete rigoros einen Ansatz an, der den Schutz von Betroffenen auch vor möglicher Retraumatisierung in den Mittelpunkt stellt. Amnesty International kommt zu dem Schluss, dass Mitglieder der Hamas beziehungsweise der Al-Qassam-Brigaden körperliche, psychische und sexualisierte Gewalt an den Geiseln verübten. In der Gesamtschau kommt Amnesty International zu dem Schluss, dass sexualisierte Gewalttaten als Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen wurden, weil sie Teil eines umfassenderen Angriffs gegen die Zivilbevölkerung waren, der sich aus einer Reihe unmenschlicher Handlungen zusammensetzte und nach unseren Erkenntnissen sowohl weitverbreitet als auch systematisch war.

Das Bild zeigt viele Menschen mit Protestschildern, im Vordergrund brennt ein Feuer

Demonstration in Tel Aviv für die Freilassung von Tal Shoham und allen anderen israelischen Geiseln, die von der Hamas nach Gaza entführt wurden (15. Juni 2024)

Was fordert Amnesty International?

Bis heute wurden keine Verantwortlichen und Täter zur Rechenschaft gezogen. Und das trotz der Schwere und des Ausmaßes der Verbrechen, die am und nach dem 7. Oktober von der Hamas und anderen bewaffneten Gruppen verübt wurden.

Amnesty International hat eine Reihe von Empfehlungen und Forderungen formuliert, um Opfern und Überlebenden der verübten Verbrechen Gerechtigkeit und Wiedergutmachung zukommen zu lassen. Amnesty International fordert die Hamas – als die de facto Verwaltung des Gazastreifens – erneut dazu auf, die schwerwiegenden Verletzungen des humanitären Völkerrechts, einschließlich Völkerrechtsverbrechen, anzuerkennen und zu untersuchen, und die Verantwortlichen in unabhängigen und rechtsstaatlichen Verfahren zur Rechenschaft zu ziehen. 

Israel, die Hamas und die palästinensischen Behörden sind aufgefordert vollumfänglich mit den Institutionen der internationalen Gerichtsbarkeit und sämtlichen Menschenrechtsmechanismen der Vereinten Nationen zusammen zu arbeiten und ihnen den Zugang zu Stätten von mutmaßlichen Verbrechen und zu möglichen Beweisen zu ermöglichen.

Weitere Artikel