Aktuell Israel und besetztes palästinensisches Gebiet 11. Dezember 2025

Kein Frieden ohne Gerechtigkeit: Amnesty fordert Rechenschaft für Verbrechen in Israel und Gaza

Das Bild zeigt eine Collage: auf dem linken Foto umarmen sich zwei Personen in Trauer, rechts weinen zwei Personen

Trauernde bei der Beerdigung einer 24-jährigen Frau, die von der Hamas beim Angriff auf das Musikfestival "Nova" getötet wurde (11. Oktober 2023). / Foto rechts: Angehörige trauen um Familienmitglieder, die in der palästinensischen Stadt Rafah im Gazastreifen bei einem israelischen Raketenangriff getötet wurden (19. Oktober 2023).

Die internationale Gemeinschaft muss für die Opfer des Genozids an den Palästinenser*innen und der Hamas-Angriffe einen Fahrplan für Gerechtigkeit und Wiedergutmachung entwickeln. Sowohl die Verantwortlichen auf israelischer als auch auf palästinensischer Seite müssen zur Rechenschaft gezogen werden.

Das Wichtigste in Kürze: 

•   Kein Frieden ohne Gerechtigkeit: Ein nachhaltiger Frieden in Israel und Gaza kann nur durch Rechenschaftspflicht für alle Verantwortlichen erreicht werden.  

•   Fahrplan für Gerechtigkeit: Die internationale Gemeinschaft muss einen verbindlichen Fahrplan entwickeln, um Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung zu ermöglichen. 

•   Israels Verantwortung: Israel begeht weiterhin Völkermord im Gazastreifen, hält ein Apartheidsystem aufrecht und ignoriert rechtsverbindliche Entscheidungen des internationalen Gerichtshofs.  

•   7. Oktober 2023: Die Hamas und andere bewaffnete palästinensische Gruppen haben an diesem Tag   und danach schwere Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen. Sie müssen dafür zur Rechenschaft gezogen werden.  

•   Rolle des Internationalen Strafgerichtshofs: Ermittlungen und Haftbefehle gegen israelische und palästinensische Verantwortliche sind entscheidend für Rechenschaftspflicht – und müssen   unterstützt und umgesetzt werden. 

•   Untätigkeit der Weltgemeinschaft: Fehlende Durchsetzung der Rechenschaftspflicht und gescheiterte Friedenspläne ermöglichen weiterhin Straflosigkeit und Gewalt. 

•   Was fordert Amnesty: Staaten müssen den Internationalen Strafgerichtshof und andere UN-Mechanismen unterstützen, Haftbefehle vollstrecken und nationale Strafgerichtsbarkeit anwenden. 

Warum Gerechtigkeit entscheidend ist 

Vergangene Woche trafen sich die Vertragsstaaten des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) in Den Haag. Nach der Versammlung ruft Amnesty International die internationale Gemeinschaft dazu auf, zu zeigen, dass sie zur internationalen Strafgerichtsbarkeit steht.  

Nur so kann echte Rechenschaftspflicht gewährleistet werden für die Opfer von Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord für alle Menschen im besetzten Palästinensischen Gebiet und in Israel. 

"Die internationale Strafgerichtsbarkeit steht unter enormem Druck und ist existenziell gefährdet. Nirgendwo ist dies deutlicher zu sehen als in Israel und im besetzten Palästinensischen Gebiet", erklärt Agnès Callamard, internationale Generalsekretärin von Amnesty International. "Die internationale Gemeinschaft muss zeigen, dass sie zur internationalen Strafgerichtsbarkeit steht, indem sie Institutionen wie den IStGH unterstützt und deren Fähigkeit, Verantwortliche zur Rechenschaft zu ziehen, schützt." 

Amnesty International hat zum einen ausführlich dokumentiert, dass Israel trotz des Waffenstillstands einen Völkermord an den Palästinenser*innen im Gazastreifen begangen hat und weiterhin begeht. Darüber hinaus stellt das bestehende Apartheidsystem ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit dar.  

Zum anderen hat die OrganisationAmnesty eine umfassende Untersuchung veröffentlicht, in der Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit dokumentiert werden, die von der Hamas und anderen bewaffneten palästinensischen Gruppen während der Angriffe vom 7. Oktober 2023 und danach begangen wurden.  

"Weltweit haben Staats- und Regierungschef*innen die im vergangenen Monat verabschiedete Resolution des UN-Sicherheitsrats begrüßt, in der ein Plan für den Gazastreifen als Blaupause für einen nachhaltigen Frieden festgelegt wurde. Jahrzehnte von Völkerrechtsverletzungen und –verbrechen lassen sich jedoch nicht mit Vereinbarungen unter den Teppich kehren, die die Rechenschaftspflicht ignorieren und Unrecht vertiefen. Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung sind die Grundpfeiler eines dauerhaften Friedens", sagt Agnès Callamard.  

"Amnesty fordert alle in Israel und im besetzten Palästinensischen Gebiet sowie in der internationalen Gemeinschaft, die über die offensichtlichen Mängel der Resolution des UN-Sicherheitsrats besorgt sind, auf, einen Fahrplan für Gerechtigkeit und Wiedergutmachung zu entwickeln und zu diesem zu stehen", so Callamard. 

"Dieser Fahrplan sollte darauf abzielen, Israels Völkermord, sein Apartheidsystem und die rechtswidrige Besatzung des Palästinensischen Gebiets zu beenden und gleichzeitig die völkerrechtlichen Verbrechen der Hamas und anderer bewaffneter palästinensischer Gruppen zu ahnden."  

Um echte und wirksame Gerechtigkeit zu gewährleisten und eine Wiederholung zu vermeiden, empfiehlt Amnesty International einen Fahrplan, der auf einer Vielzahl sich ergänzender juristischer Institutionen und Mechanismen basiert.

Eine große Rauchwolke steigt nach einem Luftangriff auf. Menschen laufen vor ihr weg.

Israelischer Luftangriff auf Gebäude in Gaza-Stadt am 10. September 2025.

Die Rolle des Internationalen Strafgerichtshofs 

Dazu gehören Untersuchungen des IStGH zu israelischen und palästinensischen Verbrechen. Diese Untersuchungen müssen ungehindert und mit Zugang für Ermittler*innen und andere Akteur*innen der Justiz erfolgen.  

Sie müssen Israels Völkermord und im Rahmen der Apartheid begangene Verbrechen gegen die Menschlichkeit berücksichtigen, außerdem die von bewaffneten palästinensischen Gruppen vor, während und nach den Anschlägen vom 7. Oktober 2023 begangenen Verbrechen, um sicherzustellen, dass alle Verantwortlichen – sofern sie noch am Leben sind - zur Rechenschaft gezogen werden.  

Der Fahrplan sollte die Staaten verpflichten, Gremien wie die UN-Untersuchungskommission und den IStGH zu unterstützen und uneingeschränkt mit ihnen zusammenzuarbeiten. Sie sollten die Haftbefehle des IStGH vollstrecken und alle notwendigen Schritte unternehmen, um die Aufhebung der Sanktionen und Beschränkungen gegen palästinensische Menschenrechtsorganisationen zu gewährleisten, die seit Jahrzehnten Verstöße gegen das Völkerrecht dokumentieren und sich auch weiterhin für die Betroffenen einsetzen. 

Parallel zu den internationalen Mechanismen können Staaten einen neuen, auf Gerechtigkeit beruhenden Weg beschreiten, um Frieden zu schaffen, indem sie nationale, universelle oder andere Formen extraterritorialer Strafgerichtsbarkeit für internationale Verbrechen anwenden, die im besetzten Palästinensischen Gebiet und in Israel begangen wurden.  

"Die Opfer von Gräueltaten in Israel und im besetzten Palästinensischen Gebiet verdienen echte Gerechtigkeit. Dies bedeutet nicht nur, dass die Verantwortlichen strafrechtlich verfolgt und verurteilt werden, sondern auch, dass eine angemessene und wirksame Wiedergutmachung gewährleistet wird und Garantien gegeben werden, dass sich die Verbrechen nicht wiederholen. Es besteht kein Zweifel daran, dass dies entscheidende Schritte hin zu dauerhaftem Frieden und dauerhafter Sicherheit sind", so Agnès Callamard.

Ein großes blaues Schild vor einem Gebäude. Auf dem Schild steht: "International Criminal Court"

Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag in den Niederlanden

Israel ist nach wie vor für Völkermord, Apartheid und rechtswidrige Besatzung verantwortlich 

Zwei Monate nach der Verkündung des Waffenstillstands und der Freilassung aller lebenden israelischen Geiseln begehen die israelischen Behörden im besetzten Gazastreifen weiterhin ungestraft Völkermord an Palästinenser*innen.  

Sie schaffen vorsätzlich Lebensbedingungenn, die auf die physische Zerstörung der palästinensischen Bevölkerung abzielen. Es gibt keine Anzeichen dafür, dass sie von ihrer bisherigen Politik abrücken.  

Amnesty International hat kürzlich eine rechtliche Analyse der aktuellen Situation veröffentlicht, die aufzeigt, dass das Verbrechen des Völkermords weiter andauert. Die Analyse enthält auch Aussagen von Anwohner*innen, medizinischem Personal und humanitären Helfer*innen. Diese Aussagen geben Aufschluss über die katastrophalen Bedingungen für die palästinensische Bevölkerung im Gazastreifen.  

Wie Amnesty feststellte, gab es zwar weniger israelische Angriffe und einige begrenzte Verbesserungen. Aber es gibt keine grundlegende Veränderung der Bedingungen, die Israel den Palästinenser*innen im Gazastreifen auferlegt. 

Es besteht nach wie vor die objektive Möglichkeit, dass die derzeitigen Bedingungen zur vollständigen oder teilweisen Zerstörung der Palästinenser*innen in Gaza führen. Gleichzeitig gibt es keine Anzeichen, dass die israelischen Behörden ihre Absichten geändert haben:  

  • Sie haben drei bindende Entscheidungen des Internationalen Gerichtshofs ignoriert, keine Ermittlungen oder Strafverfolgungen jener veranlasst, die verdächtigt werden, genozidale Akte begangen zu haben, und auch keine Regierungsvertreter*innen zur Rechenschaft gezogen, die genozidale Äußerungen getätigt haben.
  • Die israelischen Regierungsvertreter*innen, die für die Planung und Durchführung des Genozids verantwortlich sind, sind weiterhin an der Macht. Sie haben deshalb praktisch freie Hand, um weitere Gräueltaten zu begehen.
Zehntausende Menschen gehen mit schwerem Gepäck eine staubige Straße entlang

Rückkehr nach dem Waffenstillstand: Vertriebene Palästinenser*innen auf dem Weg in den Norden des Gazastreifens am 11. Oktober 2025. 

Verbrechen gegen die Menschlichkeit werden nicht bestraft 

Der Genozid Israels an den Palästinenser*innen im Gazastreifen erfolgt im Kontext einer weit verbreiteten Straflosigkeit für das Verbrechen gegen die Menschlichkeit, das Israel nach wie vor durch sein Apartheidsystem begeht, sowie der jahrzehntelangen rechtswidrigen Besatzung des palästinensischen Gebiets.  

Im Westjordanland einschließlich Ost-Jerusalem haben Israels grausames Apartheidsystem und die rechtswidrige Besatzung einen hohen Blutzoll unter den Palästinenser*innen gefordert. Bei israelischen Militäroperationen, darunter auch Luftangriffe, wurden seit dem 7. Oktober 2023 995 Palästinenser*innen, darunter mindestens 219 Kinder, getötet, Zehntausende vertrieben und massive Schäden an wichtiger ziviler Infrastruktur, Wohnhäusern und landwirtschaftlichen Flächen verursacht. 

Die vergangenen zwei Jahre waren geprägt von einer Eskalation der staatlich geduldeten und unterstützten Siedlerangriffe, bei denen Palästinenser*innen getötet, verletzt und vertrieben wurden. Das UN-Büro für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) hat seit Januar 2025 mehr als 1.600 Siedler*innenangriffe dokumentiert, die Opfer und/oder Sachschäden zur Folge hatten.  

Besonders betroffen von dieser Welle unerbittlicher staatlich unterstützter Gewalt sind die palästinensischen Hirtengemeinschaften in der sogenannten Zone C. Trotz internationaler Verurteilungen und einiger restriktiver Maßnahmen von Drittstaaten gegen einzelne Siedler*innen und Siedler*innenorganisationen nimmt die Gewalt der Siedler*innen aufgrund der Unterstützung durch die israelische Regierung und der nahezu vollständigen Straflosigkeit weiter zu.

Das Bild zeigt mehrere Soldaten, ein Soldat führt einen Mann in einen Einsatzwagen

Israelische Sicherheitskräfte nehmen in Haris im Westjordanland einen Palästinenser fest (Archivaufnahme vom November 2022).

"Friedensplan" von Donald Trump ist kein Friedensplan 

Der "Friedensplan" von US-Präsident Donald Trump ist die jüngste aus einer Reihe mit fatalen Mängeln behafteter Initiativen, die "Lösungen" vorschlagen und dabei das Völkerrecht missachten und Israel implizit für seine rechtswidrige Besatzung, seine rechtswidrig errichteten Siedlungen und sein Apartheidsystem belohnen. Dies sind alles Hauptursachen der Verbrechen, die Israel nach wie vor an den Palästinenser*innen verübt.  

Die im Rahmen der aktuellen Waffenstillstandsvereinbarung   festgelegten Bedingungen sorgen dafür, dass Israels System der Apartheid und seine rechtswidrige Besatzung verfestigt werden und sich die Ungerechtigkeit weiter verschlimmert. Die von Israel verhängte "Sicherheitszone" (Pufferzone) im Gazastreifen birgt die Gefahr, Israels rechtswidrige Besatzung zu verfestigen und die Palästinenser*innen ihres fruchtbarsten Landes zu berauben.  

Es besteht zudem die Gefahr, dass die territoriale Zersplitterung, die Israels Apartheidsystem zugrunde liegt, verstetigt wird, da die Bewegungsfreiheit der Palästinenser*innen im übrigen besetzten Gebiet nicht gewährleistet wird.  

Außerdem genießen israelische Streitkräfte, die für willkürliche Inhaftierungen, das Verschwindenlassen und die systematische Folterung palästinensischer Häftlinge verantwortlich sind, Straffreiheit. 

In einer kürzlichen Prüfung der Folterbilanz Israels beschrieb der UN-Ausschuss gegen Folter "eine faktisch staatliche Politik organisierter, weit verbreiteter Folter und Misshandlung, die sich seit dem 7. Oktober 2023 erheblich verschärft hat" und äußerte große Besorgnis angesichts "weit verbreiteter Vorwürfe des sexualisierten Missbrauchs palästinensischer Häftlinge, sowohl von Männern als auch Frauen, die Folter und Misshandlung gleichkommen".  

"Das vorsätzliche Nichthandeln der internationalen Gemeinschaft, die Israel nicht für seine Verbrechen unter dem Völkerrecht zur Rechenschaft zieht und nicht zur Einhaltung der Empfehlungen von UN-Mechanismen und internationalen Menschenrechtsorganisationen drängt, hat Israels rechtswidrige Besatzung und Apartheid verfestigt und Israels aktuellen Genozid an den Palästinenser*innen im Gazastreifen unmittelbar möglich gemacht", sagt Agnes Callamard.

Zehntausende Menschen stehen dich gedrängt während einer Demonstration auf einer Straße, viele halten Plakate oder Fahnen hoch.

Auch Amnesty International hatte zu der "All Eyes on Gaza"-Kundgebung aufgerufen, die am 27. September 2025 in Berlin stattfand.

Von der Hamas und anderen bewaffneten Gruppen begangene Verbrechen gegen die Menschlichkeit  

Gleichermaßen wichtig ist es, die Rechenschaftspflicht für Verbrechen bewaffneter palästinensischer Gruppen sicherzustellen. Mehr als zwei Jahre nach den von der Hamas angeführten Angriffen auf den Süden Israels am 7. Oktober 2023 kommen immer noch Berichte über die dabei von bewaffneten palästinensischen Gruppen begangenen Gräueltaten sowie ihre anschließende Behandlung der im Gazastreifen gefangengehaltenen Personen ans Licht. Überlebende der Angriffe, darunter ehemalige Geiseln, und ihre Familien berichten nach wie vor von ihren Erfahrungen und fordern Gerechtigkeit und Wiedergutmachung.

Amnesty International hat einen einen Bericht veröffentlicht, in dem dargelegt wird, dass der militärische Flügel der Hamas, die Al-Qassam-Brigaden, und andere bewaffnete palästinensische Gruppen während ihres Angriffs auf den Süden Israels und danach an Geiseln im Gazastreifen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen haben.  

Die Hamas behauptet, ihre Streitkräfte seien nicht an den gezielten Tötungen, Entführungen oder Misshandlungen von Zivilpersonen während der Angriffe vom 7. Oktober 2023 beteiligt gewesen, und viele Zivilpersonen seien durch israelisches Feuer getötet worden. 

Amnesty International kommt jedoch auf Grundlage umfassender Videos, Zeug*innenaussagen und anderer Beweise zu einem anderem Schluss: Die überwiegende Mehrheit der Todesopfer wurde   vorsätzlich von der Hamas und anderen palästinensischen Kämpfer*innen getötet, die zivile Ziele fernab jeglicher militärischer Einrichtungen angriffen.  

Palästinensische Kämpfer*innen, darunter auch Hamas-Kräfte, waren auch für die Entführung von Zivilpersonen an verschiedenen Orten sowie für die körperliche, sexualisierte und psychische Misshandlung von Gefangenen verantwortlich.  

Die Untersuchung von Amnesty International hat gezeigt, dass die Hamas und andere bewaffnete palästinensische Gruppen Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen haben, darunter: "Mord", "Ausrottung", "Freiheitsentzug oder andere schwere Freiheitsberaubung unter Verstoß gegen grundlegende Regeln des Völkerrechts", "Verschwindenlassen", "Folter", "Vergewaltigung oder jede andere Form sexualisierter Gewalt von vergleichbarer Schwere" sowie "andere unmenschliche Handlungen".

Das Foto zeigt drei mit Sturmgewehren bewaffnete maskierte Männer in Tarnuniform.

Hamas-Kämpfer in Rafah im Gazastreifen (22. Februar 2025)

Die Verbrechen vom 7. Oktober 2023 müssen als die Gräueltaten anerkannt und verurteilt werden, die sie sind 

Israel hat eine erschreckende Bilanz an Verstößen gegen die Rechte der Palästinenser*innen, darunter die jahrzehntelange rechtswidrige Besatzung, die Apartheid und der andauernde Genozid an der palästinensischen Bevölkerung im Gazastreifen. Doch dies kann in keiner Weise als Entschuldigung für Verbrechen der Hamas dienen und entbindet die bewaffneten palästinensischen Gruppen auch nicht von ihren Verpflichtungen unter dem Völkerrecht.  

Die Verbrechen bewaffneter palästinensischer Gruppen im Zusammenhang mit den Anschlägen vom 7. Oktober 2023 müssen als die Gräueltaten anerkannt und verurteilt werden, die sie sind. Die Behörden des Staates Palästina müssen die schweren Verstöße gegen das Völkerrecht, die von bewaffneten palästinensischen Gruppen begangen wurden, öffentlich anerkennen und verurteilen. Sie müssen zudem unabhängige, unparteiische und wirksame Untersuchungen durchführen, um die mutmaßlichen Schuldigen zu identifizieren, und uneingeschränkt mit internationalen Untersuchungsmechanismen kooperieren, insbesondere durch den Austausch von Beweismitteln.

In den vergangenen Wochen hat Ministerpräsident Benjamin Netanjahu die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses angekündigt, der die Regierungsentscheidungen im Zusammenhang mit den Anschlägen vom 7. Oktober 2023 prüfen soll. Dieser Schritt wurde jedoch weithin kritisiert. So führten Überlebende der Angriffe und Angehörige der Getöteten an, dass keine Unabhängigkeit gewährleistet sei und die bisherige Praxis richterlich geleiteter Untersuchungskommissionen missachtet werde.

Demonstrierende Menschen mit Schildern und Plakaten.

Die ehemalige Hamas-Geisel Yocheved Lifshitz (2. v.r.) nimmt in der israelischen Hauptstadt Tel Aviv an einer Demonstration teil für die Freilassung der anderen Geiseln und für einen Waffenstillstand (6. August 2025).

Gerechtigkeit für alle Überlebenden  

Die laufenden Ermittlungen des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) zur "Lage in Palästina" und die vom Strafgerichtshof gegen Premierminister Netanjahu und den ehemaligen Verteidigungsminister Joav Gallant erlassenen Haftbefehle wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit sind nach wie vor von großer Bedeutung, um eine echte Rechenschaftspflicht zu gewährleisten.  

Maßnahmen, um hochrangige israelische Regierungsangehörige für die von ihnen begangenen Verbrechen unter dem Völkerrecht zur Rechenschaft zu ziehen, sind unerlässlich, um den israelischen Genozid im Gazastreifen zu beenden, das Vertrauen in das Völkerrecht wiederherzustellen und sicherzustellen, dass alle Überlebenden von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit Zugang zu Gerechtigkeit, Wahrheit und Wiedergutmachung erhalten.  

Der IStGH sollte auch weiterhin die von bewaffneten palästinensischen Gruppen vor, während und nach den Anschlägen vom 7. Oktober 2023 begangenen Verbrechen untersuchen, um sicherzustellen, dass die Verdächtigen von Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen vor Gericht gestellt werden.  

"Die Rechenschaftspflicht ist nicht verhandelbar. Die Schuldigen für Verbrechen nach internationalem Recht müssen vor Gericht gestellt werden, und die Institutionen, die sie vertreten, müssen einen neuen Kurs einschlagen, der auf den Menschenrechten und dem Völkerrecht basiert. Dazu gehört die Verabschiedung von Gesetzen, die eine Wiederholung künftiger Verstöße verhindern", sagt Agnès Callamard. 

"Alle beteiligten Parteien müssen ihre Verantwortung anerkennen und mit den Ermittlungsbehörden und internationalen Justizmechanismen wie dem Untersuchungsausschuss der Vereinten Nationen und dem IStGH zusammenarbeiten, indem sie deren Empfehlungen umsetzen und es ihnen ermöglichen, Beweise für die Rechenschaftspflicht zu sammeln, zu bewahren und zu analysieren. Betroffene müssen angehört und anerkannt werden und einen wirksamen Rechtsbehelf erhalten, auch in Form der Wiedergutmachung. Ohne solche konkreten Schritte zur Gewährleistung von Wahrheit und Gerechtigkeit kann es keinen dauerhaften Frieden geben."

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