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Flüchtlinge brauchen echte Perspektiven
Zwei Kinder laufen durch ein Behelfslager, das an das Auffanglager für Flüchtlinge und Migranten Moria angrenzt. Insel Lesbos, Griechenland, 17. September 2018
© Giorgos Moutafis/Reuters
Der UN-Flüchtlingspakt, den die Generalversammlung der Vereinten Nationen auf den Weg gebracht hat, bietet den 25 Millionen Flüchtlingen weltweit keine echte Perspektive. Nach eineinhalbjährigen Beratungen wurde die endgültige Version des Texts im Juli 2018 angenommen. Der Pakt, der den Umgang der internationalen Gemeinschaft mit Fluchtbewegungen weltweit verbessern soll, blieb jedoch hinter den Erwartungen zurück. Er spiegelt vielmehr die mangelnde Bereitschaft der Staaten wider, sich ihrer Verantwortung zu stellen.
So wird sich durch diesen Pakt weder die Situation der Rohingya ändern, die aus Myanmar nach Bangladesch geflohen sind, noch die einer ganzen Generation somalischer Jugendlicher, die in kenianischen Flüchtlingslagern geboren wurden. Er wird weder die Lage der Flüchtlinge verbessern, die seit fünf Jahren unter verheerenden Bedingungen rechtswidrig auf der Insel Nauru festsitzen, noch die Probleme der Staaten südlich der Sahara lösen, die derzeit 31 Prozent aller Flüchtlinge weltweit beherbergen.
Flüchtlinge bleiben bei den Verhandlungen außen vor
Kaum ein Flüchtling wird je etwas von diesem Pakt gehört haben, denn die Betroffenen waren weder an den inhaltlichen Beratungen noch an den Verhandlungen beteiligt. Ursprünglich war der Pakt als umfassender Maßnahmenkatalog gedacht, der auf bewährte Strategien aus der ganzen Welt zurückgreifen sollte. Doch wurden jegliche Ansätze zu konkreten Verpflichtungen, verbindlichen Zusagen oder umfassenden Maßnahmen bereits zu Beginn der Diskussion im Keim erstickt.
Im ersten Entwurf des Pakts kamen die Themen Menschenrechte oder Verpflichtungen aus dem Flüchtlingsrecht kaum vor. Selbst grundlegende Prinzipien, wie der Grundsatz der Nicht-Zurückweisung (Non-Refoulement) und das Recht Asyl zu suchen, wurden ausgeklammert.
Der Klimawandel als Fluchtursache tauchte im ersten Entwurf ebenso wenig auf wie institutionelle Regelungen, die gewährleisten, dass auch die Perspektive der Geflüchteten selbst berücksichtigt wird. Letztlich stellt das Dokument die Interessen der Staaten über die Rechte von Flüchtlingen.
Staaten nehmen immer weniger Geflüchtete auf
Noch kritikwürdiger war allerdings die politische Richtung, die einige Staaten unabhängig von den Beratungen über den Flüchtlingspakt einschlugen. Die politischen Entwicklungen im Jahr 2018 bewiesen, dass selbst die minimalsten Empfehlungen des Pakts keine Chance auf Umsetzung haben.
Schon vor der Fertigstellung seiner endgültigen Version meldete das UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR) einen Rückgang der Aufnahmeplätze für geflüchtete Menschen um 54 Prozent. Hatten die Staaten im Jahr zuvor noch 163.206 Plätze zur Neuansiedlung von Flüchtlingen zur Verfügung gestellt, waren es in diesem Jahr nur noch 75.188 – und damit ein Bruchteil der laut UNHCR benötigten 1,2 Millionen Aufnahmeplätze.
Die US-Regierung begrenzte die Zahl der aufgenommenen Flüchtlinge auf 45.000 Personen. Dies war die niedrigste Zahl seit der Verabschiedung des US-Flüchtlingsgesetzes im Jahr 1980. 2019 sollen offenbar nur noch 30.000 Menschen aufgenommen werden.
Unterdessen dokumentierte Amnesty International die katastrophalen Auswirkungen der Grenz- und Zuwanderungspolitik unter Donald Trump auf Tausende Asylsuchende. Zu den Maßnahmen der US-Regierung zählten die Trennung von Familien und die Inhaftierung von Erwachsenen und Kindern, die sowohl gegen das Völkerrecht als auch gegen US-Recht verstoßen.
Abschiebungen nach Afghanistan
Obwohl sich die Sicherheitslage in Afghanistan verschlechterte und die UN eine Rekordzahl an Toten unter der Zivilbevölkerung registrierte, schoben einige europäische Staaten 2018 vermehrt afghanische Staatsangehörige ab, die keinen Flüchtlings- oder sonstigen internationalen Schutzstatus genossen.
Amnesty International dokumentierte schwere Menschenrechtsverletzungen und andere Formen von Gewalt, die den nach Afghanistan Abgeschobenen drohen. Dennoch schob Finnland 75 Personen nach Afghanistan ab, Deutschland 366, die Niederlande etwa 28 und Norwegen 15. In den Jahren 2015 und 2016 waren bereits fast 10.000 afghanische Staatsangehörige aus europäischen Staaten in ihr Herkunftsland abgeschoben worden oder "freiwillig" zurückgekehrt.
Mangelnde politische Verantwortung
Den europäischen Regierungen gelang es 2018 weder, asylrechtliche Regelungen zu reformieren, noch konnten sie sich darauf verständigen, gemeinsam die Verantwortung für den Schutz und die Unterstützung von Flüchtlingen in Europa zu übernehmen. Daher waren weiterhin die Länder an den Außengrenzen der EU für den weitaus größten Teil der Asylverfahren zuständig.
Obwohl die Zahl der Menschen, die in Europa eintreffen, erheblich gesunken ist, treiben die EU und einzelne Mitgliedstaaten weiterhin Maßnahmen voran, um Flüchtlinge und Migrant_innen bereits im Vorfeld von den europäischen Grenzen fernzuhalten, und delegieren die Verantwortung dafür an die Regierungen afrikanischer und anderer nicht-europäischer Staaten.
Die Hauptleidtragenden dieser europäischen Politik sind die Flüchtlinge und Migrant_innen, die in Libyen festsitzen. Einer Politik, die die libyschen Behörden dabei unterstützt, Menschen, die ihr Leben riskieren, um in Europa Sicherheit und ein besseres Leben zu finden, an der Überfahrt zu hindern.
Mehr als 1.200 Menschen kamen im Sommer 2018 auf der zentralen Mittelmeerroute ums Leben oder wurden als vermisst gemeldet. Tausende wurden aufgegriffen und nach Libyen zurückgebracht, wo ihnen willkürliche Inhaftierung, Gewalt, Misshandlung und Ausbeutung drohten.
Das EU-Türkei-Abkommen, ein Paradebeispiel für den mangelnden politischen Willen, Verantwortung zu übernehmen, hat dazu geführt, dass Tausende Flüchtlinge und Migrant_innen in EU-finanzierten, hoffnungslos überbelegten Lagern auf den griechischen Inseln unter erbärmlichen Bedingungen ihr Leben fristen. Frauen und Mädchen sind besonders gefährdet; ihnen drohen Drangsalierungen, sexualisierte Gewalt und andere Übergriffe.
Die israelische Regierung begann 2018 mit der Einleitung eines Verfahrens zur Abschiebung alleinstehender Männer aus Eritrea und dem Sudan. Diejenigen unter ihnen, die bis Ende 2017 keinen Asylantrag gestellt haben bzw. deren Antrag abgelehnt wurde, sollen ausgewiesen werden – entweder in ihr Herkunftsland oder in zwei nicht genannte "Drittstaaten", bei denen es sich um Uganda und Ruanda handeln soll.
Sollten sie sich weigern, Israel zu verlassen, werden sie so lange inhaftiert, bis sie einwilligen. Die Umsetzung des Verfahrens wurde zwar durch Gerichtsentscheidungen ausgesetzt, dies hielt die israelischen Behörden jedoch nicht davon ab, ihre Verantwortung für diese Flüchtlinge und Asylsuchenden an Uganda zu übertragen, obwohl das Land bereits 1,3 Millionen Flüchtlinge aufgenommen hat.
Es ist damit das afrikanische Land mit den meisten Flüchtlingen und steht auf Rang 3 der Hauptaufnahmeländer weltweit. Mit dem geplanten Verfahren verstößt Israel gegen den Grundsatz der Nicht-Zurückweisung (Non-Refoulement).
Gesellschaftliches Engagement ist unverzichtbar
Während die Regierungen sich ihrer Verantwortung entziehen, wächst die Bedeutung des zivilgesellschaftlichen Engagements. Überall auf der Welt bemühen sich Regierungen daher mit immer neuen Methoden, den Einsatz von Bürger_innen und Organisationen für Migrant_innen, Asylsuchende und Flüchtlinge zu behindern.
Unter Rückgriff auf administrative Maßnahmen, das Strafrecht und andere Gesetze werden Menschen, die Hilfe leisten, behindert, strafrechtlich verfolgt und bestraft. Dies reicht von der Beschlagnahmung von Schiffen, die im Mittelmeer Such- und Rettungseinsätze unternehmen, bis hin zur Festnahme einer Journalistin, die Verstößen der australischen Regierung gegen Flüchtlinge auf Nauru nachging. Dies sind nur zwei Beispiele dafür, dass das Eintreten für die Rechte von Flüchtlingen und Migrant_innen mittlerweile zu einer gefährlichen und potenziell strafbaren Handlung geworden ist.
Die endgültige Version des UN-Flüchtlingspakts sieht zusätzliche Möglichkeiten vor, wie Flüchtlinge sichere Drittstaaten erreichen können. Der Pakt empfiehlt Staaten, zusätzlich zu den regulären Neuansiedlungsprogrammen weitere Programme aufzulegen, die privat oder kommunal finanziert und durch lokale zivilgesellschaftliche Gruppen getragen werden (sogenannte Community Sponsorship Programmes) – eine Idee, die Amnesty International schon seit Langem befürwortet.
Einige Staaten haben 2018 bereits mit solchen Programmen begonnen. Im Juli erklärten Kanada, Großbritannien, Spanien, Argentinien, Irland und Neuseeland, sie würden dieses Konzept zur Unterstützung von Flüchtlingen befürworten.
Es sieht vor, dass die Ankunft, Aufnahme und Integration von Flüchtlingsfamilien in Drittstaaten überwiegend von Einzelpersonen und zivilgesellschaftliche Gruppen geleistet wird. Unterdessen hat Neuseeland zugesagt, die Zahl der Aufnahmeplätze für Flüchtlinge von 1.000 auf 1.500 zu erhöhen.
In einer zunehmend feindseligen Welt ist offenbar das Engagement und die Solidarität von Gemeinden und Einzelpersonen ein gangbarer Weg, um das Recht, Asyl zu suchen und in Würde zu leben, zu stärken.
Regierungen sollten das Engagement ihrer Bürger_innen würdigen und ihrem Beispiel folgen, anstatt sie zu bedrohen und gegen sie vorzugehen. Nachdem die Verhandlungen über den UN-Flüchtlingspakt abgeschlossen sind, bleibt zu hoffen, dass die Regierungen diesen nicht als Endpunkt begreifen, sondern als Ausgangspunkt für Veränderungen zum Positiven.