Amnesty Report Bangladesch 07. April 2021

Bangladesch 2020

Ein Mann wird von anderen Männern mit Mundschutz durch eine Gasse geführt

Der Journalist Shafiqul Islam Kajol wird von Sicherheitskräften zu einem Gericht in der bangladeschischen Stadt Jessore gebracht (3. Mai 2020)

Berichtszeitraum: 1. Januar 2020 bis 31. Dezember 2020

Journalist_innen wurden zunehmend verfolgt, wenn sie über Korruption berichteten und die Corona-Politik der Regierung kritisierten. Das drakonische Gesetz über digitale Sicherheit (Digital Security Act 2018) wurde im großen Stil eingesetzt, um die Meinungsfreiheit einzuschränken. Die Polizei und andere Sicherheitsbehörden führten weiterhin außergerichtliche Hinrichtungen durch. Während der Corona-Pandemie nahm die Gewalt gegen Frauen zu. Die Umsetzung des Abkommens über die Chittagong Hill Tracts kam auch weiterhin nicht voran, und indigene Aktivist_innen waren noch schärferer Verfolgung ausgesetzt. Das Menschenrecht auf Gesundheit wurde während der Pandemie nicht ausreichend geschützt und verwirklicht. Bangladesch beherbergte weiterhin fast 1 Mio. geflüchtete Rohingya aus Myanmar, da es kaum Fortschritte dabei gab, ihnen eine sichere und menschenwürdige Rückkehr zu ermöglichen.

Hintergrund

Das Gesundheitssystem und die Wirtschaft Bangladeschs litten schwer unter der Corona-Pandemie. Seit dem ersten bestätigten COVID-19-Fall am 8. März breiteten sich die Infektionen schnell über das ganze Land aus, sodass das Gesundheitssystem überfordert war. Die Wirtschaft wurde durch die gesunkene Inlandsnachfrage und einen starken Rückgang der Exporte in doppelter Weise hart getroffen. Millionen Arbeitnehmer_innen, vor allem diejenigen, die im Niedriglohnsektor tätig waren, wie z.B. in der Bekleidungsindustrie und im informellen Sektor, waren von dem wirtschaftlichen Schock stark betroffen. Bei der Verteilung von Hilfsgütern kam es zu ausuferndem Missmangement und Korruption, und die Behörden verschärften ihre Repressionen gegen Journalist_innen und Medienunternehmen, die über diese Skandale berichteten. Kundgebungen und Demonstrationen konnten wegen der Vorschriften zur Einhaltung der Abstandsregeln nicht stattfinden.

Recht auf freie Meinungsäußerung

Die Regierung wandte weiterhin das drakonische Gesetz über digitale Sicherheit (Digital Security Act – DSA) von 2018 an, um das Recht auf freie Meinungsäußerung zu unterdrücken und Journalist_innen und Menschenrechtsverteidiger_innen ins Visier zu nehmen und zu schikanieren. Trotz der von Zivilgesellschaft und Menschenrechtsorganisationen wiederholt erhobenen Forderung, strittige und sanktionierende Bestimmungen aus dem DSA zu entfernen, blieb das Gesetz 2020 unverändert in Kraft.

Laut offiziellen Statistiken wurden zwischen Januar und Dezember mehr als 900 Fälle unter dem DSA erfasst; nahezu 1.000 Personen wurden angeklagt und 353 inhaftiert. Mindestens 247 Journalist_innen wurden Berichten zufolge von staatlichen Stellen sowie regierungsnahen Personen angegriffen, schikaniert und eingeschüchtert.

Im April 2020 wurden Mohiuddin Sarker, geschäftsführender Herausgeber des Online-Nachrichtenportals Jagonews24.com, und Toufiq Imroz Khalidi, Chefredakteur der Nachrichtenwebseite bdnews.24.com, unter dem DSA beschuldigt, Berichte über die Veruntreuung von Hilfsgütern veröffentlicht zu haben, die für vom Corona-Lockdown wirtschaftlich betroffene Personen bestimmt waren. Beide Männer, denen das Hohe Gericht die Freilassung gegen Kaution gewährt hatte, warteten Ende des Jahres noch auf ihr Gerichtsverfahren.

Im Mai 2020 wurden Ramzan Ali Pramanik und Shanta Banik, respektive Nachrichtenredakteur bzw. festangestellter Reporter der Zeitung Dainik Grameen Darpan, sowie Khandaker Shahin, Verleger und Herausgeber des Online-Nachrichtenportals Narsingdi Pratidin, festgenommen, weil sie über den Tod einer in der Polizeistation Ghorashal inhaftierten Person berichtet hatten. Im Juni wurde AMM Bahauddin, Herausgeber der bengalischsprachigen Tageszeitung Inqilab, angeklagt, weil er einen Artikel über einen Berater der Premierministerin veröffentlicht hatte. Das Verfahren war am Jahresende bei Gericht noch anhängig.

Auch Wissenschaftler_innen wurden verfolgt, weil sie ihr Recht auf freie Meinungsäußerung friedlich ausgeübt hatten. Im September 2020 entließ die Leitung der Universität Dhaka Professor Morshed Hasan Khan, weil er in einer überregionalen Tageszeitung einen Kommentar veröffentlicht hatte. Die Leitung der Nationalen Universität entließ Professor AKM Wahiduzzaman wegen eines Facebook-Posts über die Premierministerin. Im Juni wurden zwei Professor_innen der Rajshahi-Universität bzw. der Begum-Rokeya-Universität wegen ihrer auf Facebook veröffentlichten Kommentare über ein verstorbenes Parlamentsmitglied der Regierungspartei entlassen.

Recht auf Versammlungsfreiheit

Das Recht auf friedliche Versammlung wurde weiterhin stark eingeschränkt. Aufgrund der Corona-Pandemie konnten politische Aktivitäten im Freien nach März nur noch in eingeschränktem Maße stattfinden und Zusammenkünfte der Oppositionsparteien in geschlossenen Räumen wurden von den Behörden ins Visier genommen. Zwischen Januar und Dezember verbot die Regierung 17 öffentliche Versammlungen unter Berufung auf Abschnitt 144 des Strafgesetzbuchs von 1860 – eine gesetzliche Bestimmung, die es den Behörden erlaubt, Versammlungen von fünf oder mehr Personen und die Durchführung öffentlicher Zusammenkünfte aus Gründen der öffentlichen Sicherheit zu verbieten. Die Regierung verhinderte oder zerstreute 2020 auch etliche andere politische Versammlungen.

Im Januar griffen Mitglieder der Regierungspartei Awami League den Bürgermeisterkandidaten der Oppositionspartei Bangladesh Nationalist Party (BNP) in Dhaka City North während seiner Wahlkampagne tätlich an und verletzten ihn und einige seiner Anhänger_innen.

Im Februar löste mit Schlagstöcken bewaffnete Polizei mehrere von der Oppositionspartei und ihren Mitgliedsorganisationen landesweit organisierte Treffen gewaltsam auf. Im Juli beendete die Polizei eine in einem geschlossenen Raum stattfindende Diskussionsveranstaltung der neu gegründeten Partei Amar Bangladesh Party im Bezirk Brahmanbaria, ohne dass eine Provokation erfolgt war.

Im August zerstreute die Polizei im südlichen Bezirk von Barguna gewaltsam eine friedliche Kundgebung und eine Menschenkette, die organisiert worden waren, um die Freilassung eines Studenten der Stamford University in Dhaka zu fordern. Videos deuten darauf hin, dass die Polizei die Menschenkette ohne irgendeine Provokation seitens der Protestierenden gewaltsam auflöste.

Außergerichtliche Hinrichtungen und Verschwindenlassen

Mindestens 222 Personen verloren bei mutmaßlich außergerichtlichen Hinrichtungen durch die Sicherheitskräfte ihr Leben: 149 wurden ohne vorherige Festnahme getötet, 39 wurden nach ihrer Festnahme getötet und andere starben, während sie gefoltert wurden, oder unter anderen Umständen. Im Laufe des Jahres wurden mindestens 45 geflüchtete Rohingya von Angehörigen verschiedener Sicherheitskräfte mutmaßlich außergerichtlich hingerichtet – zumeist bei Einsätzen im Rahmen des "Kampfes gegen Drogen", einer 2018 gestarteten Regierungskampagne, die zu Tausenden außergerichtlichen Hinrichtungen geführt hat.

Über das Jahr 2020 wurden neun Fälle des Verschwindenlassens gemeldet: davon betroffen waren ein Hochschullehrer, ein Redakteur, ein Geschäftsmann, zwei Studierende und vier Unterstützer_innen der Opposition. Drei dieser Personen wurden später von der Polizei "aufgefunden" und anschließend inhaftiert. Ein Studierendensprecher, dessen Verschwindenlassen zunehmende Proteste von der Zivilgesellschaft und Menschenrechtsorganisationen auslöste, wurde von unbekannten Entführer_innen nach 48 Stunden wieder freigelassen. Ein politischer Aktivist wurde tot aufgefunden, und vier weitere Personen blieben am Jahresende noch immer vermisst.

Gewalt gegen Frauen und Mädchen

Laut Angaben der Menschenrechtsorganisation ASK wurden 2020 mindestens 2.392 Fälle von Gewalt gegen Frauen gemeldet. Darunter waren 1,623 Vergewaltigungen (331 dieser Fälle betrafen Mädchen unter zwölf Jahren), 326 versuchte Vergewaltigungen und 443 Fälle tätlicher Angriffe. Unter den Betroffenen befanden sich auch indigene Frauen und Mädchen. Mindestens 440 Frauen und Mädchen wurden nach einem körperlichen Angriff, einer Vergewaltigung oder einer versuchten Vergewaltigung umgebracht.

Im Oktober wurde über die sozialen Medien ein Video verbreitet, das zeigt, wie eine Frau von einer Gruppe von fünf Männern entkleidet, getreten, geschlagen und sexuell missbraucht wurde. Der Angriff, der mutmaßlich am 2. September 2020 stattgefunden hat, rief in der Bevölkerung einen Sturm der Entrüstung und landesweite Proteste hervor.

Rechte indigener Bevölkerungsgruppen – Chittagong Hill Tracts

Zu den 2020 mindestens 285 in den Chittagong Hill Tracts (CHT) erfassten Menschenrechtsverletzungen zählten u.a. drei außergerichtliche Hinrichtungen, 99 willkürliche Festnahmen, 54 Fälle körperlicher Misshandlung, 104 Hausdurchsuchungen und 25 Fälle von Sachbeschädigung durch Sicherheitsbehörden. Von den willkürlich Festgenommenen kamen 50 ins Gefängnis, die übrigen wurden freigelassen.

Indigene Aktivist_innen warfen dem Militär und den Geheimdiensten vor, zwischen indigenen politischen Gruppen Zwietracht zu säen. Die daraus resultierenden Spaltungen trugen auch 2020 zu den gewaltsamen ethnischen Konflikten in der CHT-Region bei. Im Jahr 2020 wurden mindestens 69 indigene politische Aktivist_innen bei Zusammenstößen auf lokaler Ebene getötet. Mindestens 50 indigene Aktivist_innen wurden entführt und etwa 82 Häuser, die Indigenen gehörten, wurden bei Zusammenstößen zwischen lokalen politischen Gruppen in Brand gesetzt.  

Im Juni wurden drei indigene Aktivisten in der Stadt Sadar Upazila im Rangamati-Distrikt entführt. Ihre Familienangehörigen beschuldigten die United People’s Democratic Front (UPDF), für die Entführung verantwortlich zu sein. Bei dieser Partei handelt es sich um eine mutmaßlich durch die Sicherheitsbehörden unterstützte Abspaltung der wichtigsten indigenen politischen Partei.

Im August begingen bengalische Siedler eine Gruppenvergewaltigung an einer indigenen Frau und einem indigenen Mädchen in Lama im Distrikt Bandarban. Im September "verschwand" der indigene politische Aktivist U Thowai Aoi Marma in Rowangchhari im Distrikt Bandarban. Seine Familie und ortsansässige Personen beschuldigten Angehörige des Militärs von Bangladesch, für seine Entführung verantwortlich zu sein. Am Jahresende war sein Verbleib noch immer unbekannt.

Flüchtlinge und Asylsuchende

Bangladesch beherbergte weiterhin etwa 1 Mio. geflüchtete Rohingya, Angehörige einer verfolgten ethnischen Minderheitengruppe, die im August 2017 aus Myanmar geflohen waren. Trotz nur geringer Fortschritte bei den mit Myanmar geführten Verhandlungen über ihre Repatriierung beharrte Bangladesch auf seiner offiziellen Position, dass die derzeitige Situation der geflüchteten Rohingya nur auf dem Wege ihrer sicheren, menschenwürdigen und freiwilligen Rückkehr beendet werden könne.

Die Geflüchteten sahen sich in Bangladesch mit Einschränkungen ihrer Rechte konfrontiert. Die von den Behörden rund um das Flüchtlingslager errichteten Stacheldrahtzäune schränkten ihr Recht auf Bewegungsfreiheit ein. Die seit September 2019 geltenden Beschränkungen des Zugangs der Rohingya zu mobilen Hochgeschwindigkeits-Internetdiensten wurden am 24. August 2020 teilweise aufgehoben.

Der Ausbruch von Covid-19 beeinträchtigte das schon überlastete Gesundheitssystem in den Lagern noch mehr, und die Geflüchteten hatten keinen Zugang zu medizinischer Versorgung. Im Mai 2020 brachten die Behörden von Bangladesch mehr als 300 geflüchtete Rohingya nach Bhashan Char, eine abgelegene Schlickinsel im Golf von Bengalen. Bis Dezember hatten die staatlichen Stellen zusätzlich 1.642 geflüchtete Rohingya auf die Insel transportiert. Die Behörden planten die Umsiedlung von weiteren 100.000 Geflüchteten auf die Insel Bhashan Char. Dieses Vorgehen traf auf weitgehende Ablehnung, hauptsächlich seitens Menschenrechtsorganisationen, da die Insel vor allem in der Regenzeit regelmäßig überflutet wird und häufig Wirbelstürmen ausgesetzt ist. In Gesprächen mit Amnesty International gaben mindestens fünf geflüchtete Rohingya-Familien mit insgesamt 23 Familienmitgliedern an, dass die staatlichen Stellen sie gezwungen hätten, sich auf die Insel zu begeben.

Recht auf Gesundheit

Die Corona-Pandemie stellte eine enorme Belastung für das Gesundheitssystem des Landes dar. Aufgrund der in der Vergangenheit niedrigen Ausgaben für die öffentliche Gesundheitsversorgung in Bangladesch erwiesen sich die vorhandenen Einrichtungen als unzureichend, mangelhaft vorbereitet und schlecht ausgerüstet, um die Krise bewältigen zu können. Laut Angaben der Berufsvereinigung von Ärzt_innen in Bangladesch (Bangladesh Medical Association) wurden 2020 mehr als 8.000 Beschäftigte im Gesundheitswesen, darunter 2.887 Ärzt_innen, 1.979 Krankenpfleger_innen und 3.245 andere Mitarbeiter_innen im Gesundheitswesen positiv auf Covid-19 getestet. Mindestens 123 dieser infizierten Ärzt_innen starben und die Berufsvereinigung erklärte, dass bei Durchführung sofortiger Maßnahmen weniger Infektionen beim medizinischen Personal aufgetreten wären.

Die mangelnde Verfügbarkeit und Zugänglichkeit intensivmedizinischer Versorgung für Covid-19-Patient_innen führten landesweit zu einer großen Krise im öffentlichen Gesundheitswesen, da viele öffentliche und private Krankenhäuser Patient_innen mit Covid-19-Symptomen aus Angst vor einer Infektion abwiesen, obwohl sie über entsprechende Kapazitäten verfügten. Diese Praxis führte zum Tod von Hunderten Personen.

Rechte von Arbeitnehmer_innen

Als die Corona-Pandemie Anfang März 2020 ausbrach, ordneten die Behörden von Bangladesch von Ende März bis Mai landesweite Lockdown-Maßnahmen an, die sie als "öffentliche Feiertage" deklarierten. Während des Lockdowns waren wichtige geschäftliche Aktivitäten unterbrochen und die Bewegungsfreiheit war eingeschränkt. Die Unterbrechung der wirtschaftlichen Aktivitäten und die Schließung von Geschäften führten dazu, dass viele Arbeitnehmer_innen entweder ihren Job verloren oder beträchtliche Einkommensverluste erlitten. Die von der Krise betroffenen Arbeitnehmer_innen genossen nur wenig oder gar keinen sozialen Schutz, sodass ihre Rechte auf Arbeit und einen angemessenen Lebensstandard in erheblichem Ausmaß ausgehöhlt wurden. Mehr als 5 Mio. Arbeitskräfte im informellen Sektor und etwa 4 Mio. Arbeitnehmer_innen in der Bekleidungsindustrie, (80 % von ihnen Frauen), waren hiervon am stärksten betroffen.

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