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Saudi-Arabien: Behörden setzen nach G20-Atempause wieder auf Repression
Sind aufgrund ihres Engagements ins Visier der saudischen Behörden geraten (v.l.n.r): Mohammad al-Otaibi, Mohammad al-Rabiah, Mohammad al-Khudari, Loujain al-Hathlou, Abdulrahman al-Sadhan und Mustafa al-Darwish (wurde im Juni 2021 hingerichtet).
© privat
Die saudi-arabischen Behörden haben in den vergangenen sechs Monaten die Verfolgung von Menschenrechtsverteidiger_innen und Andersdenkenden auf besorgniserregende Weise intensiviert und die Zahl der Hinrichtungen erhöht. Dies geht aus einem neuen Bericht von Amnesty International hervor.
Der neue Amnesty-Bericht "Saudi Arabia’s post-G20 crackdown on expression" dokumentiert Saudi-Arabiens gewaltsames Vorgehen gegen die Meinungsfreiheit nach dem G20-Gipfel im November 2020 und legt offen, wie die Behörden seit dem Ende der G20-Präsidentschaft mindestens 13 Personen strafrechtlich verfolgt, verurteilt bzw. deren Urteile bestätigt haben, nachdem die Dissident_innen in grob unfairen Verfahren vor dem Sonderstrafgerichtshof (SCC) für schuldig befunden worden waren. Nach einem Rückgang der registrierten Hinrichtungen um 85 Prozent – dies entspricht 27 vollstreckten Todesurteilen im Jahr 2020 – wurden zwischen Januar und Juli 2021 mindestens 40 Menschen hingerichtet. Dies sind mehr Personen als im gesamten Jahr 2020.
"Sobald das Rampenlicht des G20-Gipfels auf Saudi-Arabien verblasst war, nahmen die Behörden ihre rücksichtslose Verfolgung von Personen wieder auf, die es wagten, ihre Meinung frei zu äußern oder die Regierung zu kritisieren. In einem Fall verurteilte das Sonderstrafgericht (SCC) den Mitarbeiter einer humanitären Organisation wegen eines einfachen Tweets, in dem er Kritik an der Wirtschaftspolitik Saudi-Arabiens äußerte, zu 20 Jahren Gefängnis", sagte Lynn Maalouf, stellvertretende Direktorin für den Nahen Osten und Nordafrika bei Amnesty International.
"Die kurze Aussetzung der Repressionen rund um die Ausrichtung des G20-Gipfels in Saudi-Arabien im November 2020 zeigt, dass sich die Illusion von Reformen lediglich als eine PR-Aktion entpuppte."
Im Februar 2021 versprach Kronprinz Mohammed bin Salman, dass Saudi-Arabien neue Gesetze verabschieden und bestehende Bestimmungen reformieren werde, um damit "die Grundsätze der Gerechtigkeit zu stärken, für Transparenz zu sorgen" und "die Menschenrechte zu schützen". Er erläuterte Pläne, vier Schlüsselgesetze zu erlassen: ein Personenstandsrecht, ein Zivilprozessrecht, ein Strafgesetzbuch für Ermessensstrafen und das Beweisrecht. Die Behörden haben bisher noch keinerlei Informationen über die Umsetzung dieser versprochenen Reformen veröffentlicht.
Doch anstatt Fortschritte bei den Menschenrechten zu erzielen, nahm der SCC, Saudi-Arabiens berüchtigtes Antiterrorgericht, Prozesse erneut wieder auf und verhängte nach grob unfairen Verfahren Haftstrafen. In mindestens drei Fällen wurden Personen, die bereits lange Haftstrafen für ihre friedliche Menschenrechtsarbeit verbüßt hatten, entweder erneut festgenommen, in neun Fällen wegen neuer Anklagen ein zweites Mal verurteilt oder ihre Strafen wurden erhöht. Im Juni 2021 wurde ein junger Mann, der der schiitischen Minderheit angehört, hingerichtet, nachdem ein drei Jahre zuvor ergangenes Todesurteil nach einem grob unfairen Verfahren bestätigt worden war.
Die Verfahren vor dem SCC sind durchgehend unfair, da die Prozesse Mängel aufweisen, die sowohl gegen saudi-arabisches als auch gegen internationales Recht verstoßen. In vielen Fällen werden die Angeklagten monatelang ohne Kontakt zur Außenwelt und in Einzelhaft gehalten. Selbst der Zugang zu Rechtsbeiständen wird ihnen verweigert. Das Gericht stützt sich routinemäßig auf durch Folter erlangte "Geständnisse", um Angeklagte zu langen Gefängnisstrafen oder gar zum Tode zu verurteilen.
Im April 2021 verurteilte der SCC den Mitarbeiter einer Hilfsorganisation, Abdulrahman al-Sadhan, zu 20 Jahren Haft und einem anschließenden 20-jährigen Reiseverbot, weil er sich auf Twitter satirisch über die Regierungspolitik geäußert hatte. Die Anklage stützte sich auf vage Bestimmungen zur Terrorismusbekämpfung, von denen einige die Ausübung des Rechts auf friedliche Meinungsäußerung kriminalisieren.
Ein weiteres Beispiel für das Vorgehen des SCC ist der Fall der Menschenrechtsaktivistin Israa al-Ghomgham, die im Februar 2021 zu acht Jahren Haft und einem achtjährigen Reiseverbot verurteilt wurde, weil sie sich friedlich engagiert und an Protesten gegen die Regierung teilgenommen hatte.
Mohammad al-Rabiah, der im Mai 2018 festgenommen worden war, weil er eine Kampagne für das Recht von Frauen, in Saudi-Arabien Auto zu fahren, unterstützt hatte, wurde im April 2021 vom SCC zu sechs Jahren Haft und einem sechsjährigen Reiseverbot verurteilt. Die Anklage gegen ihn lautete unter anderem: "Versuch, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stören und die nationale Einheit zu schwächen" und "Verfassen und Veröffentlichen eines Buches mit verdächtigen Ansichten".
Selbst Menschenrechtsverteidiger_innen, die aus der Haft entlassen worden waren, sehen sich weiterhin gerichtlich angeordneten Reise- und Medienverboten ausgesetzt. Die Menschenrechtlerinnen Loujain al-Hathloul, Nassima al-Sada und Samar Badawi kamen 2021 endlich frei, doch nicht ohne Auflagen. So erhielten sie ein fünfjähriges Reiseverbot und müssen ständig mit der erneuten Festnahme rechnen, da ihre Bewährungsstrafen nicht aufgehoben wurden.
Alle Menschenrechtsverteidiger_innen, die nach Verbüßung ihrer Haftstrafe freigelassen werden, sind gezwungen, Verpflichtungserklärungen zu unterzeichnen, die häufig ein Verbot von öffentlichen Reden, Menschenrechtsarbeit oder der Nutzung sozialer Medien beinhalten. Diese Bedingungen stellen einen Verstoß gegen die Rechte auf freie Meinungsäußerung, Vereinigungsfreiheit und friedliche Versammlung dar.
Im Jahr 2020 ging die Zahl der registrierten Hinrichtungen in Saudi-Arabien um 85 Prozent zurück. Unmittelbar nach dem Ende der saudi-arabischen G20-Präsidentschaft wurden die Hinrichtungen jedoch wieder aufgenommen. Allein im Dezember 2020 wurden neun Todesurteile vollstreckt. Zwischen Januar und Juli 2021 wurden mindestens 40 Menschen hingerichtet - mehr als die 27 bestätigten Hinrichtungen im gesamten Jahr 2020. In vielen Fällen erfolgten die Hinrichtungen nach in unfairen Gerichtsverfahren gefällten Todesurteilen, die von Foltervorwürfen während der Untersuchungshaft überschattet waren. Durch Folter erzwungene "Geständnisse" wurden vom Gericht als Beweismittel anerkannt. Den Foltervorwürfen der Angeklagten ging die Staatsanwaltschaft systematisch nicht nach.
Im Juni 2021 wurde Mustafa Darwish, ein junger Angehöriger der schiitischen Minderheit, hingerichtet, nachdem er 2018 vom SCC in einem grob unfairen Verfahren wegen einer Reihe von terrorbezogenen Straftaten zum Tode verurteilt worden war. In einer Verhandlungssitzung sagte er dem Richter: "Ich wurde bedroht, geschlagen und gefoltert, um ein Geständnis abzulegen... Ich habe aus Angst um mein Leben gestanden".
"Saudi-Arabiens Pläne für begrenzte Gesetzes- und Menschenrechtsreformen haben keine Bedeutung, solange Hinrichtungen, unfaire Gerichtsverfahren und die unerbittliche Verfolgung von Menschenrechtsverteidiger_innen, Aktivistinnen und Journalist_innen weitergehen. Wir fordern den UN-Menschenrechtsrat auf, einen Überwachungs- und Berichtsmechanismus zur Menschenrechtslage in Saudi-Arabien einzurichten", so Lynn Maalouf.
"Wenn die saudischen Behörden zeigen wollen, dass sie es mit der Achtung der Menschenrechte ernst meinen, wäre ein erster Schritt die sofortige und bedingungslose Freilassung aller Menschenrechtsverteidiger_innen, die lediglich wegen der friedlichen Ausübung ihrer Menschenrechte inhaftiert sind, sowie die Aufhebung ihrer Urteile und aller Reststrafen."
Nach Recherchen von Amnesty International befinden sich derzeit mindestens 39 Personen wegen ihres Engagements, ihrer Menschenrechtsarbeit oder der Äußerung regierungskritischer Meinungen in Saudi-Arabien im Gefängnis.