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Israel muss Isolationshaft und Folter von Palästinenser*innen aus dem Gazastreifen beenden
Inhaftierte palästinensische Männer mit verbundenen Augen in einem Stacheldrahtverhau im israelischen Militärlager Sde Teiman (Aufnahme vom Mai 2024)
© CNN
Folter, Isolationshaft und erniedrigende Behandlung: Die unbefristete Inhaftierung von Palästinenser*innen aus dem besetzten Gazastreifen ohne Anklage oder Gerichtsverfahren auf Grundlage des "Gesetzes zu ungesetzlichen Kombattanten" stellt einen eklatanten Verstoß gegen das Völkerrecht dar. Amnesty International fordert die israelischen Behörden auf, dies unverzüglich zu beenden.
- Missbräuchliches israelisches Gesetz dient zur willkürlichen Inhaftierung von Palästinenser*innen aus dem Gazastreifen auf unbegrenzte Zeit ohne Anklage oder Prozess
- Das "Gesetz über ungesetzliche Kombattanten", das die Isolationshaft legalisiert und das erzwungene Verschwindenlassen ermöglicht, muss dringend abgeschafft werden
- Erschütternde Folterberichte von 27 ehemaligen Häftlingen, darunter ein 14-jähriger Junge
Amnesty hat die Fälle von 27 ehemaligen palästinensischen Häftlingen dokumentiert, darunter fünf Frauen, 21 Männer und ein 14-jähriger Junge. Sie wurden unter diesem Gesetz teilweise bis zu viereinhalb Monate ohne Zugang zu ihren Rechtsbeiständen oder Kontakt zu ihren Familien festgehalten. Alle von Amnesty International befragten Personen gaben an, während ihrer Isolationshaft von israelischen Militär-, Geheimdienst- und Polizeikräften Folter und anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung ausgesetzt worden zu sein. In einigen Fällen kam ihre Isolationshaft dem erzwungenen Verschwindenlassen gleich.
Das "Gesetz über ungesetzliche Kombattanten" verleiht dem israelischen Militär weitreichende Befugnisse: Alle Personen aus dem Gazastreifen, die verdächtigt werden, an Feindseligkeiten gegen Israel beteiligt zu sein oder eine Bedrohung für die Sicherheit des Staates darstellen, können für unbegrenzt verlängerbare Zeiträume festgehalten werden. Dabei müssen von den israelischen Behörden keine Beweise zur Untermauerung dieser Behauptungen vorgelegt werden.
Soldaten der israelischen Armee im Norden des Gazastreifens am 15. Dezember 2023
© 2023 Getty Images
"Auch wenn das humanitäre Völkerrecht die Inhaftierung von Personen aus zwingenden Sicherheitsgründen in Besatzungssituationen erlaubt, muss es Schutzmaßnahmen geben, um unbefristete oder willkürliche Inhaftierungen sowie Folter und andere Misshandlungen zu verhindern. Diese Schutzmaßnahmen sind durch das Gesetz in keiner Weise gewährleistet. Es ermöglicht den hemmungslosen Einsatz von Folter und institutionalisiert in einigen Fällen das Verschwindenlassen", so Agnès Callamard, Generalsekretärin von Amnesty International.
"Unsere Dokumentation zeigt, dass die israelischen Behörden das 'Gesetz über ungesetzliche Kombattanten' dazu nutzen, palästinensische Zivilpersonen aus dem Gazastreifen in großer Zahl willkürlich festzunehmen und sie für längere Zeit praktisch in ein schwarzes Loch zu werfen. Die Behörden legen keine Beweise dafür vor, dass sie eine Sicherheitsbedrohung darstellen und ignorieren ihr Recht auf ein ordnungsgemäßes Verfahren. Die israelischen Behörden müssen dieses Gesetz unverzüglich abschaffen und alle, die in seinem Rahmen rechtswidrig inhaftiert sind, freilassen."
Palästinensische Zivilpersonen, die willkürlich festgenommen wurden, müssen freigelassen werden
Amnesty International fordert, dass alle unter dem "Gesetz über ungesetzliche Kombattanten" inhaftierten Personen, darunter auch mutmaßliche Mitglieder bewaffneter Gruppen, menschlich behandelt werden. Sie müssen Zugang zu Rechtsbeiständen und internationalen Überwachungsorganen wie dem Internationalen Komitee des Roten Kreuzes (IKRK) erhalten. Alle, die verdächtigt werden, für Verbrechen nach dem Völkerrecht verantwortlich zu sein, müssen im Einklang mit den internationalen Standards für faire Gerichtsverfahren vor Gericht gestellt werden. Alle Zivilpersonen, die willkürlich ohne Anklage oder Gerichtsverfahren festgehalten werden, sind unverzüglich freizulassen.
Der israelische Gefängnisdienst (Israeli Prison Service – IPS) bestätigte der israelischen NGO Hamoked, dass am 1. Juli 2024 1.402 Palästinenser*innen unter dem "Gesetz über ungesetzliche Kombattanten" inhaftiert waren. Bei dieser Zahl sind keine Personen berücksichtigt, die zunächst für 45 Tage ohne offizielle Anordnung festgehalten werden.
Zu den Festgenommen gehörten Ärzt*innen und Menschenrechtsaktivist*innen
Zwischen Februar und Juni 2024 hat Amnesty International 31 Fälle von Haft ohne Kontakt zur Außenwelt dokumentiert und glaubwürdige Beweise für die weit verbreitete Anwendung von Folter und anderen Misshandlungen gefunden. Es wurden Interviews mit 27 freigelassenen Häftlingen geführt – allesamt Zivilpersonen, die im besetzten Gazastreifen festgenommen wurden. Die Organisation hat auch vier Familienangehörige von Zivilpersonen befragt, die sich seit bis zu sieben Monaten in Haft befinden und deren Aufenthaltsort von den israelischen Behörden noch nicht bekanntgegeben wurde, sowie zwei Rechtsbeistände, denen es kürzlich gelungen ist, vor Ort mit Inhaftierten zu sprechen.
Die Gefangenen wurden vom israelischen Militär an verschiedenen Orten im Gazastreifen festgenommen, darunter in Gaza-Stadt, Jabalia, Beit Lahiya und Khan Younis. Sie wurden in Schulen, die für Binnenvertriebene genutzt wurden, bei Razzien in Häusern, Krankenhäusern und an neu errichteten Kontrollpunkten aufgegriffen. Anschließend wurden sie nach Israel gebracht und für die Dauer von zwei Wochen bis zu 140 Tagen in militärischen oder vom IPS betriebenen Hafteinrichtungen festgehalten.
Zu den Festgenommenen gehörten Ärzt*innen, die in Krankenhäusern in Gewahrsam genommen wurden, weil sie sich weigerten, ihre Patient*innen zurückzulassen. Mütter wurden festgenommen, die von ihren kleinen Kindern getrennt wurden, als sie versuchten, den so genannten "sicheren Korridor" aus dem nördlichen Gazastreifen in den Süden zu überqueren. Nicht zuletzt waren auch Menschenrechtsaktivist*innen, UN-Mitarbeiter*innen, Journalist*innen und andere Zivilpersonen von den willkürlichen Festnahmen betroffen.
Alle von Amnesty International Befragten gaben an, Folter und anderen Misshandlungen ausgesetzt gewesen zu sein.
"Folter und andere Misshandlungen, darunter auch sexualisierte Gewalt, sind Kriegsverbrechen. Diese Vorwürfe müssen vom Büro des Chefanklägers des Internationalen Strafgerichtshofs unabhängig untersucht werden. Dies ist von entscheidender Bedeutung, da die israelische Justiz in der Vergangenheit Foltervorwürfen von Palästinenser*innen nachweislich nicht glaubwürdig nachgegangen ist. Außerdem müssen die israelischen Behörden unabhängigen Beobachter*innen sofortigen und uneingeschränkten Zugang zu allen Hafteinrichtungen gewähren. Dieser Zugang wird seit dem 7. Oktober verweigert", sagt Agnès Callamard.
Geleakte Aufnahme von inhaftierten palästinensischen Gefangenen im israelischen Militärlager Sde Teiman (Mai 2024)
© privat
Gesetz ermöglicht Inhaftierung von Palästinenser*innen aus dem Gazastreifen
Das 2002 erlassene Gesetz über die Inhaftierung "ungesetzlicher Kombattanten" wurde nach den erschreckenden Angriffen der Hamas und anderer bewaffneter Gruppen am 7. Oktober 2023 im Süden Israels zum ersten Mal seit fünf Jahren wieder angewandt.
Das israelische Militär hatte sich zunächst auf das Gesetz berufen, um mutmaßliche Beteiligte an den Anschlägen vom 7. Oktober 2023 festzunehmen, weitete seine Anwendung jedoch kurz darauf aus, um Palästinenser*innen aus dem Gazastreifen massenweise ohne Anklage oder Gerichtsverfahren festzunehmen. Die Missachtung des Rechtsstaatsprinzips bedeutet, dass sowohl Zivilpersonen als auch Personen, die direkt an Feindseligkeiten beteiligt sind, unter diesem Gesetz inhaftiert wurden.
Für die ersten 45 Tage Haft muss das Militär keinen Haftbefehl erlassen. Das Gesetz verweigert den Inhaftierten bis zu 90 Tage lang den Zugang zu einem Rechtsbeistand und schreibt die Haft ohne Kontakt zur Außenwelt fest, was wiederum Folter und andere Misshandlungen ermöglicht.
Häftlinge müssen innerhalb von maximal 75 Tagen nach ihrer Inhaftierung einem*einer Richter*in zur gerichtlichen Überprüfung vorgeführt werden; in der Regel wird der Haftbefehl jedoch in Scheinverfahren von den Richter*innen genehmigt.
Das Gesetz sieht keine Höchstdauer für die Inhaftierung vor und erlaubt es den Sicherheitsdiensten, Gefangene durch beliebig oft verlängerbare Haftanordnungen festzuhalten.
Gesetzesänderung ermöglicht Haft ohne Kontakt zur Außenwelt
Das "Gesetz über ungesetzliche Kombattanten" wurde ursprünglich 2002 erlassen, um eine längere Inhaftierung von zwei libanesischen Staatsangehörigen, die nicht der israelischen Gerichtsbarkeit unterstanden, ohne Anklage oder Gerichtsverfahren zu ermöglichen. Seit seinem einseitigen "Abzug" aus dem besetzten Gazastreifen im Jahr 2005 nutzt Israel dieses Gesetz, um Personen aus dem Gazastreifen, die als Bedrohung der nationalen Sicherheit angesehen werden, auf unbestimmte Zeit zu inhaftieren.
Im Dezember 2023 verabschiedeten die israelischen Behörden eine vorübergehende Änderung des Gesetzes, mit der der Zeitraum, über den das Militär Palästinenser*innen ohne Haftbefehl festhalten darf, von anfänglich 96 Stunden (verlängerbar auf bis zu sieben Tage) auf bis zu 45 Tage verlängert wurde. Außerdem wurde der Zeitraum, über den ein Häftling längstens festgehalten werden kann, bevor er einem*einer Richter*in zur Haftprüfung vorgeführt werden muss, von 14 auf 75 Tage verlängert. Der Zeitraum, über den ein Häftling ohne Rechtsbeistand festgehalten werden kann, wurde von 21 Tagen auf bis zu sechs Monate verlängert, was später auf drei Monate reduziert wurde. Diese Gesetzesänderung wurde im April 2024 verlängert.
Ohne Rechtsbeistand und ohne Kontakt zu Familie und Angehörigen
Beweise, die eine Inhaftierung rechtfertigen würden, werden sowohl dem Inhaftierten als auch dem jeweiligen Rechtsbeistand vorenthalten. Dies hat zur Folge, dass viele der Inhaftierten monatelang festgehalten werden, ohne die geringste Ahnung zu haben, warum sie unter Verletzung des Völkerrechts inhaftiert wurden. Sie sind völlig von ihrer Familie und ihren Angehörigen abgeschnitten und haben keine Möglichkeit, die Gründe für ihre Inhaftierung anzufechten.
Zwei Inhaftierte berichteten Amnesty International, dass sie zweimal zu virtuellen Anhörungen vor einen*eine Richter*in gebracht wurden und beide Male nicht sprechen oder Fragen stellen durften. Stattdessen wurde ihnen lediglich mitgeteilt, dass ihre Haft um weitere 45 Tage verlängert wurde. Weder wurden sie über die Rechtsgrundlage ihrer Festnahme informiert, noch darüber, welche Beweise gegen sie vorlagen, die eine Festnahme rechtfertigen würden.
Im Anschluss an eine Petition, die die israelische Menschenrechtsorganisation Hamoked im Namen eines inhaftierten Röntgentechnikers aus Khan Younis beim Obersten Gerichtshof Israels eingereicht hatte, teilte der israelische Staat dem Gericht im Mai 2024 mit, dass Rechtsbeistände 90 Tage nach der Festnahme Besuche bei Inhaftierten aus dem Gazastreifen beantragen können. Bisher wurde jedoch nur eine sehr begrenzte Anzahl entsprechender Anträge genehmigt.
Den Inhaftierten wird nicht nur der Zugang zu einem Rechtsbeistand verwehrt, sie werden auch von ihren Familien abgeschnitten. Diese schilderten Amnesty International, welche Qual es bedeutet, von ihren Angehörigen getrennt zu sein und in ständiger Angst zu leben, sie könnten im Gefängnis sterben.
Alaa Muhanna, deren Ehemann Ahmad Muhanna, Direktor des Al-Awda-Krankenhauses, bei einer Razzia am 17. Dezember 2023 festgenommen wurde, sagte Amnesty International, dass sie nur von anderen freigelassenen Gefangenen spärliche Informationen über ihn erhält: "Ich versichere den Kindern, dass es Ahmad gut geht, dass er bald zurückkommt, aber diesen Krieg zu durchleben, die ständige Vertreibung, die Bombardierung, und dann auch noch darum kämpfen zu müssen, zu erfahren, wo dein Mann ist, seine Stimme nicht zu hören, ist wie ein Krieg im Krieg."
Ein freigelassener Beschäftigter aus dem Gesundheitswesen sagte Amnesty International, während der Haft keine Gewissheit zu haben, ob seine Familie im Gazastreifen noch lebt, sei "noch schlimmer als Folter und Hunger" gewesen.
Abtransport einer bei einem israelischen Angriff verwundeten Person in ein Krankenhaus in der palästinensischen Stadt Dair al-Balah im Gazastreifen (23. Oktober 2023)
© IMAGO / ZUMA Wire
Folter und andere Misshandlungen
Die langen Zeiten der Haft ohne Kontakt zur Außenwelt leisten Folter Vorschub, da der körperliche Zustand der Inhaftierten nicht überwacht werden kann und keine Kommunikation mit ihnen möglich ist.
Alle der 27 Freigelassenen, die von Amnesty International befragt wurden, gaben an, bei mindestens einer Gelegenheit während ihrer Festnahme gefoltert worden zu sein. Die Organisation hat bei mindestens acht persönlich befragten Gefangenen Spuren von Folter und Hämatome festgestellt, die auf Folter hindeuten, und die medizinischen Berichte von zwei Gefangenen geprüft, die deren Foltervorwürfe untermauern.
Das Crisis Evidence Lab von Amnesty International hat mindestens fünf Videos von Massenfestnahmen verifiziert und geografisch verortet, darunter auch Videos von Personen, die nach ihrer Festnahme im nördlichen Gazastreifen und in Khan Younis nackt bis auf die Unterwäsche gefilmt wurden. Erzwungene Nacktheit in der Öffentlichkeit über einen längeren Zeitraum hinweg verstößt gegen das Verbot von Folter und anderen Misshandlungen und stellt sexualisierte Gewalt dar.
Alle Personen, die im berüchtigten Militärgefangenenlager Sde Teiman in der Nähe von Be’er Scheva im Süden Israels festgehalten wurden, gaben an, dass ihnen während der gesamten Zeit ihrer Haft die Augen verbunden und Handschellen angelegt waren. Ihren Schilderungen zufolge wurden sie gezwungen, über viele Stunden in schmerzhaften Positionen zu verbringen. Außerdem hinderte man sie daran, miteinander zu sprechen oder die Köpfe zu heben. Diese Schilderungen stimmen mit den Erkenntnissen anderer Menschenrechtsorganisationen und UN-Gremien sowie mit zahlreichen Berichten überein, die sich auf Aussagen von Whistleblowern und freigelassenen Gefangenen stützen.
Ein Inhaftierter, der im Juni nach 27 Tagen Haft in einer Baracke mit mindestens 120 anderen freigelassen wurde, berichtete gegenüber Amnesty, dass Gefangene vom Militär geschlagen oder den Angriffen von Hunden ausgesetzt werden - und das nur, weil sie mit einem anderen Gefangenen sprechen, den Kopf heben oder ihre Körperhaltung ändern.
Said Maarouf, ein 57-jähriger Kinderarzt, der im Dezember 2023 bei einem Angriff auf das al-Ahli-Krankenhaus in Gaza-Stadt vom israelischen Militär festgenommen und 45 Tage lang im Militärlager Sde Teiman festgehalten wurde, berichtete Amnesty International, dass er während seiner gesamten Haftzeit die Augen verbunden hatte und an den Händen gefesselt war. Weiter schilderte er, dass man ihn hungern ließ und er wiederholt von den Wärter*innen geschlagen und gezwungen wurde, lange Zeiträume auf den Knien zu sitzen.
Geleakte Aufnahme von inhaftierten palästinensischen Männern im israelischen Militärlager Sde Teiman (Mai 2024)
© CNN
Inhaftierter 14-jähriger Junge: Brandnarben durch Zigarettenstummel
In einem anderen Fall nahm die israelische Armee am 1. Januar 2024 einen 14-jährigen Jungen zu Hause in Jabalia im Norden des Gazastreifens fest. Er wurde 24 Tage lang zusammen mit mindestens 100 erwachsenen Gefangenen im Militärlager Sde Teiman in einer Baracke festgehalten. Wie er Amnesty International berichtete, wurde er bei Verhören von Militärangehörigen gefoltert, unter anderem durch Tritte sowie Schläge in den Nacken und auf den Kopf. Seinen Angaben zufolge wurde er wiederholt mit Zigarettenstummeln verbrannt. Als Amnesty International den Jungen am 3. Februar 2024 in der Schule, in der er zusammen mit anderen vertriebenen Familien untergebracht war, befragte, waren an seinem Körper Spuren von Zigarettenverbrennungen und Hämatomen zu sehen. Während seiner Inhaftierung war es ihm nicht gestattet, seine Familie anzurufen oder einen Rechtsbeistand zu sehen. Außerdem waren ihm die Augen verbunden, und er trug Handschellen.
Nachdem israelische Menschenrechtsorganisationen die Schließung des Militärlagers Sde Teiman gefordert hatten, kündigten die israelischen Behörden am 5. Juni 2024 Pläne an, die Haftbedingungen in Sde Teiman zu verbessern und die Zahl der dort Inhaftierten zu begrenzen. Einen Monat später scheint sich jedoch nur wenig verändert zu haben.
Der Anwalt Khaled Mahajna erhielt am 19. Juni 2024 als einer der wenigen Zugang zu Sde Teiman. Wie er Amnesty International berichtete, habe ihm sein Klient Mohammed Arab, ein inhaftierter Journalist, erzählt, dass er unter inhumanen Bedingungen mit mindestens 100 Personen in einer Baracke festgehalten werde und die Inhaftierten in den vergangenen zwei Wochen keinerlei Verbesserung festgestellt hätten. Außerdem sei er seit mehr als 100 Tagen in Sde Teiman inhaftiert, ohne überhaupt den Grund dafür zu kennen.
Das israelische Militär bestätigte am 3. Juni 2024 gegenüber der Tageszeitung Haaretz, dass es aktuell den Tod von 40 Häftlingen in israelischem Gewahrsam untersucht, unter ihnen 36 Personen, die im Militärlager Sde Teiman gestorben sind oder getötet wurden. Bisher wurde noch keine Anklage erhoben. Bei dieser Zahl bleiben Häftlinge unberücksichtigt, die im Gewahrsam der israelischen Strafvollzugsbehörde gestorben sind oder getötet wurden.
Inhaftierte Frauen
Unter den von Amnesty International befragten Gefangenen befanden sich fünf Frauen, die alle mehr als 50 Tage lang ohne Kontakt zur Außenwelt inhaftiert waren. Sie wurden zunächst in einem reinen Frauengefangenenlager im Militärgefängnis Anatot festgehalten, das sich in einer völkerrechtswidrigen israelischen Siedlung in der Nähe von Jerusalem im besetzten Westjordanland befindet. Anschließend wurden sie ins Damon-Frauengefängnis im Norden Israels gebracht, das der israelischen Strafvollzugsbehörde unterstellt ist. Keine der fünf Frauen wurde über die rechtlichen Gründe für ihre Festnahme informiert oder einem*einer Richter*in vorgeführt. Alle fünf gaben an, beim Transport in die Hafteinrichtung geschlagen worden zu sein.
Eine der Frauen, die am 6. Dezember 2023 in ihrem Haus festgenommen wurde, sagte, sie sei von ihren jeweils vier Jahre und neun Monate alten Kindern getrennt und zunächst zusammen mit Hunderten von Männern festgehalten worden. Sie wurde beschuldigt, zur Hamas zu gehören, geschlagen und gezwungen, ihren Schleier abzulegen und sich ohne ihn fotografieren zu lassen. Sie schilderte auch, wie grausam es war, der Scheinhinrichtung ihres Mannes beiwohnen zu müssen:
"Am dritten Tag der Inhaftierung setzten sie uns in einen Graben und begannen, mit Sand zu werfen. Ein Soldat feuerte zwei Schüsse in die Luft und sagte, sie hätten meinen Mann hingerichtet. Ich bin zusammengebrochen und habe ihn angefleht, mich ebenfalls zu töten, um mich aus diesem Albtraum zu befreien", erzählte sie.
"Ich hatte die ganze Zeit schreckliche Angst um meine Kinder", berichtete eine andere freigelassene Gefangene gegenüber Amnesty. Ihre wiederholten Bitten um Informationen über ihre Kinder seien von den Gefängniswärter*innen ignoriert worden, und sie habe gehört, wie diese lachten und sich über sie lustig machten.
Wie sie Amnesty International sagte, habe man ihr nach drei Wochen im Damon-Gefängnis mitgeteilt, dass sie freigelassen würde. Sie wurde in Handschellen, mit verbundenen Augen und an den Füßen gefesselt an einen anderen Ort gebracht. Dort angekommen, wurde sie nicht freigelassen, sondern von Wärter*innen, die ihr mit einem großen Messer die Kleider vom Leib rissen, gewaltsam einer Leibesvisitation unterzogen. Anschließend wurde sie für weitere 18 Tage wieder nach Anatot gebracht.
Wie sie Amnesty berichtete, wurde ihr von den Gefängniswärter*innen gedroht: "Wir werden dir das antun, was die Hamas uns angetan hat, wir werden dich entführen und vergewaltigen." Die Gründe für ihre Inhaftierung wurden ihr nie mitgeteilt.
Sie und andere von Amnesty International befragte Inhaftierte berichteten, dass sie in der Nähe des Grenzübergangs Kerem Shalom/Karem Abu Salem abgesetzt wurden und mehr als eine halbe Stunde laufen mussten, bis sie eine vom IKRK betriebene Anlaufstelle für entlassene Gefangene erreichten. Alle Inhaftierten gaben an, ihre persönlichen Sachen wie Telefone, Schmuck und Geld nicht oder nicht vollständig zurückerhalten zu haben.
Hintergrund
Amnesty International hat 2012 in dem Bericht Starved of Justice: Palestinians detained without trial by Israel große Bedenken hinsichtlich Israels Anwendung des "Gesetzes über ungesetzliche Kombattanten" und die damit verbundenen Verstöße gegen internationale Menschenrechtsnormen geäußert.
Wie in diesem Bericht ausführlich dargelegt, ist Israel bereits früher seinen Verpflichtungen aus dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPbpR) nicht nachgekommen. Israel begründete das Vorgehen damit, dass das Land sich seit seiner Gründung im erklärten Ausnahmezustand befände. Diese Ausnahmeregelung gilt bis heute. Nach dem humanitären Völkerrecht, für das keine Ausnahmeregelung gilt, muss das Recht auf ein faires Gerichtsverfahren jedoch stets gewahrt bleiben.
Darüber hinaus ist es nach Artikel 4 Absatz 2 des IPbpR auch während eines Ausnahmezustands untersagt, von bestimmten Rechten des IPbpR abzuweichen. Zu diesen Rechten gehört das Recht, nicht gefoltert oder einer anderen grausamen, unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu werden (Artikel 7). Dementsprechend verstoßen die Isolationshaft, das Fehlen eines fairen Gerichtsverfahrens sowie Folter und andere Misshandlungen gegen das Völkerrecht, auch wenn der Ausnahmezustand gilt.
Abgesehen von diesem Gesetz haben die israelischen Behörden auch in der Vergangenheit bereits Palästinenser*innen ohne Anklage oder Gerichtsverfahren inhaftiert, indem sie systematisch von der Administrativhaft Gebrauch machten, die ein wesentliches Merkmal des israelischen Apartheidsystems ist.
Nach Angaben der israelischen Menschenrechtsorganisation Hamoked befanden sich zum 1. Juli 2024 3.379 Personen in israelischer Administrativhaft, in der überwiegenden Mehrheit Palästinenser*innen aus dem besetzten Westjordanland einschließlich Ost-Jerusalem.