Israels Genozid an den Palästinenser*innen in Gaza: Informationen und Hintergründe

Eine Frau steht inmitten zerstörter Gebäude

Eine Palästinenserin läuft in Gaza-Stadt durch die Trümmer von Wohngebäuden, die bei einem israelischen Luftangriff komplett zerstört wurden (19. Oktober 2023).

Seit mehr als einem Jahr erleben wir ein unfassbares Ausmaß an Tod und Zerstörung im von Israel besetzten Gazastreifen. In Reaktion auf Kriegsverbrechen der Hamas und anderer bewaffneter palästinensischer Gruppen bei ihrem Angriff auf Israel am 7. Oktober 2023 hat die israelische Armee eine brutale Militäroffensive begonnen. Israel hat zehntausende Menschen getötet, ganze Familien ausgelöscht, Wohnviertel dem Erdboden gleichgemacht und lebenswichtige Infrastruktur zerstört. 1,9 Millionen Palästinenser*innen, mehr als 90 Prozent der Bevölkerung des Gazastreifens, wurden bisher vertrieben – oft mehrfach. Diese menschengemachte humanitäre Katastrophe ist beispiellos. 

YouTube freischalten

Wir respektieren deine Privatsphäre und stellen deshalb ohne dein Einverständnis keine Verbindung zu YouTube her. Hier kannst du deine Einstellungen verwalten, um eine Verbindung zu den Social-Media-Kanälen herzustellen.
Datenschutzeinstellungen verwalten

Seit einiger Zeit wird das Vorgehen der israelischen Regierung und Armee von verschiedenen Seiten als ein Genozid an den Palästinenser*innen in Gaza bezeichnet. Amnesty International hat das Vorgehen Israels umfassend recherchiert und analysiert. 

Unser Fazit: es gibt hinreichende Beweise dafür, dass die israelischen Streitkräfte und Behörden dort einen Genozid an den Palästinenser*innen begehen. In dieser Bewertung sind wir uns mit vielen Völkerrechtler*innen, Genozidforscher*innen und UN-Expert*innen einig.  

Die Diskussion um den Begriff Genozid ist sehr polarisiert und emotional aufgeladen. Uns ist es wichtig, die Debatte mit Blick auf die Fakten zu führen. Daher stellen wir auf dieser Seite umfangreiche Informationen zu unseren Recherchen und Analysen vor, die dieser Einschätzung zugrunde liegen.

Der Amnesty-Bericht "'You Feel Like You Are Subhuman': Israel’s Genocide Against Palestinians in Gaza" zum Genozid in Gaza kann als PDF-Datei heruntergeladen werden – hier klicken  

Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Bericht findest du unten am Ende dieser Seite.

Amnesty-Video auf X (ehemals Twitter):

Instagram freischalten

Wir respektieren deine Privatsphäre und stellen deshalb ohne dein Einverständnis keine Verbindung zu Instagram her. Hier kannst du deine Einstellungen verwalten, um eine Verbindung zu den Social-Media-Kanälen herzustellen.
Datenschutzeinstellungen verwalten

Was jetzt wichtig ist:

Alle Staaten sind durch die Völkermordkonvention verpflichtet, einen Genozid zu verhindern und zu bestrafen. Auch die Bundesregierung ist in der Pflicht. Es braucht umgehend einen Waffenstillstand und einen Stopp von Waffenlieferungen. Außerdem ist es wichtig, die seit Jahrzehnten andauernde Straflosigkeit in Israel und Palästina zu beenden und die Verantwortlichen für Völkerrechtsverletzungen zur Rechenschaft zu ziehen.

Der Genozid in Gaza muss gestoppt werden. Sofort!

Mach mit bei unser E-Mail-Aktion an Bundeskanzler Olaf Scholz und fordere die deutsche Bundesregierung jetzt zum Handeln auf! 

Hier mitmachen bei der Online-Aktion

Die wichtigsten Fragen und Antworten:

Warum kommt Amnesty International zu dem Schluss, dass Israels Vorgehen gegenüber den Palästinenser*innen im Gazastreifen einem Genozid gleichkommt?

Auf der Grundlage umfangreicher Dokumentationen und sorgfältiger Analysen haben wir festgestellt, dass Israel nach der Völkermordkonvention verbotene Handlungen begangen hat, und zwar in der Absicht, die Gruppe der Palästinenser*innen im Gazastreifen zu zerstören. 

In unserem Bericht "'You Feel Like You Are Subhuman’: Israel’s Genocide Against Palestinians in Gaza" konzentrieren wir uns auf die folgenden drei von fünf Handlungen, die gemäß Art. 2 der Völkermordkonvention verboten sind:  

  • (a) Tötung von Mitgliedern der Gruppe;  
  • (b) Verursachung von schwerem körperlichem oder seelischem Schaden an Mitgliedern der Gruppe;  
  • (c) vorsätzliche Auferlegung von Lebensbedingungen für die Gruppe, die geeignet sind, ihre körperliche Zerstörung ganz oder teilweise herbeizuführen.  

Wir dokumentieren, wie Israel durch wahllose und/oder direkte Luftangriffe eine große Zahl von Palästinenser*innen getötet oder schwer verletzt hat. Die untersuchten Luftangriffe wurden so durchgeführt, dass sie erwartbar hohe Opfer- und Verletztenzahlen zur Folge hatten; etwa durch den Einsatz von schweren Sprengwaffen mit großflächiger Wirkung in dicht besiedelten, zivilen Wohngebieten, durch Luftangriffe zu Nachtzeiten, an denen erwartbar die Bewohner*innen schlafend zuhause sein würden oder durch fehlende und/oder ineffektive Warnungen an die zivilen Bewohner*innen.

Wir dokumentieren ausführlich, wie Israel im Gazastreifen Lebensbedingungen geschaffen hat, die die Zerstörung der Palästinenser*innen herbeiführen:   

  • durch die Beschädigung und Zerstörung der lebenserhaltenden Infrastruktur und anderer für das Überleben der Zivilbevölkerung unverzichtbarer Objekte;  
  • durch wiederholte Wellen von Massenvertreibungen unter unsicheren und menschenunwürdigen Bedingungen;  
  • sowie durch die Behinderung oder Einschränkung der Einfuhr und Lieferung von lebensrettenden Gütern, einschließlich humanitärer Hilfe, und grundlegender Dienstleistungen im Gazastreifen.  

All diese Handlungen geschahen gleichzeitig, monatelang und ohne Unterbrechung, sodass sich ihre Auswirkungen gegenseitig noch verstärkten. 

Damit die Ausübung dieser verbotenen Handlungen einen Genozid darstellt, müssen sie bewusst und in der Absicht, eine bestimmte Gruppe – hier die Palästinenser*innen im Gazastreifen - zu zerstören, verübt werden.  Diese Absicht leitet Amnesty International ab aus einer umfangreichen Analyse der dokumentierten Verhaltensmuster, aus dem größeren Kontext, in dem diese Handlungen verübt wurden, dem Ausmaß sowie dem systematischen Charakter der Handlungen und dem Ausmaß des Schadens und aus Äußerungen von hochrangingen Angehörigen der israelischen Regierung, insbesondere des Sicherheits- und Kriegskabinetts, sowie führender Militärs, in denen Palästinenser*innen entmenschlicht und zu Verbrechen gegen sie aufgerufen wurden. 

Warum veröffentlicht Amnesty International jetzt diesen Bericht?

Der brutale und unerbittliche Angriff Israels auf den Gazastreifen dauert nun schon mehr als ein Jahr an. Was die Zahl der Opfer und die Dimensionen der Zerstörungen angeht, so ist dieser Angriff in seinem Ausmaß, der Geschwindigkeit und der Schwere laut Militärexpert*innen im 21. Jahrhundert beispiellos. Doch noch immer ist kein Waffenstillstand und kein Ende des entsetzlichen Leidens in Sicht. 

Die Zahl der Todesopfer unter Kindern, Journalist*innen und Mitarbeiter*innen von Hilfsorganisationen ist eine der höchsten in den aktuellen Konflikten weltweit. Bis zum 7. Oktober 2024 wurden im Zuge der brutalen Militäroffensive mehr als 42.000 Menschen getötet - darunter mehr als 13.300 Kinder. Mehr als doppelt so viele wurden verletzt, wobei mehr als 20.000 Personen lebensverändernde Verletzungen erlitten. Nach Angaben des Gesundheitsministeriums in Gaza vom August 2024 waren knapp 60 Prozent der vollständig identifizierten Todesopfer Kinder, Frauen und ältere Menschen. 

Auch das Ausmaß der Zerstörung ist erschütternd. Bereits im Januar 2024 waren etwa 84 Prozent der Gesundheitseinrichtungen, circa 57 Prozent der Wasserinfrastruktur und rund 62 Prozent aller Wohnhäuser im Gazastreifen, d. h. 290.820 Wohneinheiten, beschädigt oder zerstört. 

Mit der Veröffentlichung dieses Berichts will Amnesty International dazu beitragen, den anhaltenden Genozid im Gazastreifen zu beenden und die Dringlichkeit eines Waffenstillstands unterstreichen. 

Mit dem Bericht will Amnesty International auch den Druck auf alle Staaten erhöhen, sofort sämtliche Waffenlieferungen zu beenden; eine Forderung, die sich klar aus der völkerrechtlichen Verpflichtung aller Staaten ergibt, einen Völkermord zu verhindern. 

Der Bericht soll mittelfristig auch einen Beitrag dazu leisten, die Verantwortlichen für Verbrechen nach dem Völkerrecht - einschließlich Genozid - und für andere schwere Menschenrechtsverletzungen zur Rechenschaft zu ziehen sowie den Opfern und Überlebenden Gerechtigkeit und Wiedergutmachung zukommen zu lassen.

Auf welche Beweise stützt sich Amnesty, um zu dieser Einordnung zu gelangen? Wie wurden diese Beweise erhoben und überprüft?

Amnesty International hat sehr hohe Standards für die Untersuchung von Völkerrechtsverbrechen. In unsere Berichte fließen nur Fakten ein, die wir mehrfach geprüft haben. So auch hier. 

Für den Bericht befragte Amnesty palästinensische Opfer und Zeug*innen in Gaza. Wir sprachen mit Mitarbeiter*innen lokaler Behörden, mit Gesundheitspersonal und humanitären Helfer*innen. Und wir verifizierten und werteten Videos, Fotos und Satellitenbilder aus. 

Für unsere Vor-Ort-Recherchen haben wir mit uns langjährig bekannten lokalen Feldforscher*innen zusammengearbeitet. Denn die israelische Regierung lässt offiziell keine Amnesty-Mitarbeiter*innen in den Gazastreifen einreisen. Deren Informationen haben unsere Researcher*innen, Mitarbeiter*innen des Amnesty Crisis Evidence Lab sowie Waffenexpert*innen analysiert und verifiziert. 

Wir analysierten außerdem eine Vielzahl von Daten und Berichten israelischer und palästinensischer Menschenrechtsgruppen, UN-Organisationen und humanitärer Organisationen. Wir haben Daten und Veröffentlichungen von israelischen Behörden sowie Eingaben an und Entscheidungen von israelischen Gerichten geprüft. In die Untersuchung eingeflossen sind auch Dokumente aus dem laufenden Genozid-Verfahren vor dem Internationalen Gerichtshof. 

Auch haben wir über 100 Aussagen von hochrangigen Angehörigen der israelischen Regierung und des Militärs sowie von offiziellen israelischen Institutionen, die zu einem Genozid aufrufen oder diesen billigen, ausführlich ausgewertet. 

Mehr Infos zu der Arbeitsweise von Amnesty im aktuellen Konflikt im Artikel "Amnesty-Recherchen in Gaza: Muster der Zerstörung" 

Worin erkennt Amnesty die genozidale Absicht Israels?

Die Absicht, einen Genozid zu begehen, ist sehr schwer zu belegen. Denn in aller Regel wird eine solche Absicht nicht schriftlich dokumentiert. Die Absicht muss also abgeleitet werden aus den vorliegenden Informationen und Handlungen und Verhaltensmustern. Der Standard, der dabei angelegt wird, liegt aus guten Gründen sehr hoch: Die Schlussfolgerung einer Zerstörungsabsicht muss die einzig mögliche Schlussfolgerung zur Erklärung der verbotenen Handlungen sein. Diesen Standard haben wir in dem Bericht angewandt. 

Was haben wir untersucht? 

  • Wir haben die Muster von politischen Entscheidungen und militärischen Handlungen geprüft sowie deren erwartbare und absehbare Konsequenzen.  
  • Wir haben das Ausmaß sowie die Systematik der Schäden und Verluste auf Seiten der Gruppe der Palästinenser*innen in Gaza untersucht und analysiert, welche kurz- und langfristigen Konsequenzen sie für das Bestehen der Gruppe haben.  
  • Wir haben dies geprüft im Zusammenhang mit dem größeren Kontext, in dem die israelischen Handlungen in Gaza zu verorten sind. Das bestehende System der Apartheid, die jahrzehntelange rechtswidrige Besatzung sowie die 17-jährige rechtswidrige Blockade des Gazastreifens haben schon vor dem 7. Oktober dazu geführt, dass Entmenschlichung und rassistische Abwertung von Palästinenser*innen durch israelische Entscheidungsträger*innen – insbesondere auch in der aktuellen Regierung - etabliert waren. 
  • Wir haben deshalb öffentliche Aussagen von Entscheidungsträger*innen im Militär und der israelischen Politik ausgewertet.  

Dafür haben wir 102 Stellungnahmen von Regierungsvertreter*innen, hochrangigen Militärs und Knessetabgeordneten überprüft, die diese zwischen dem 7. Oktober 2023 und dem 30. Juni 2024 veröffentlichten. Darin wurde zu Verbrechen gegen die Palästinenser*innen im Gazastreifen aufgerufen oder entmenschlichende und rassistische Rhetorik verwendet. Wir haben 22 Äußerungen identifiziert, die von israelischen Beamt*innen mit direkter Verantwortung für die Durchführung der Offensive auf den Gazastreifen gemacht wurden - darunter Mitglieder des Kriegs- und Sicherheitskabinetts – und in denen sie offenbar zu genozidalen Handlungen aufriefen oder diese rechtfertigten. Wir haben überprüft, inwiefern diese Aussagen von Soldat*innen vor Ort aufgegriffen wurden und inwiefern sie deckungsgleich mit tatsächlichen Handlungen vor Ort sind. 

Alle Hinweise und Informationen haben wir eingehend geprüft und bewertet, ob sie auch anders gedeutet werden können. Unsere Schlussfolgerung ist eindeutig: Die israelische Regierung ist sich bewusst, dass ihre Handlungen dazu führen, die palästinensische Bevölkerung in Gaza physisch zu zerstören. Mehr noch: Sie beabsichtigt, diese Zerstörung zu verursachen. 

Israel hatte immer wieder die Möglichkeit, die (Über-) Lebensbedingungen für die Palästinenser*innen in Gaza zu verbessern. Israel wurde innerhalb eines Jahres sogar mehrfach und rechtsverbindlich vom Internationalen Gerichtshof dazu aufgefordert, dies zu tun, um einen drohenden Genozid zu verhindern. Und doch hat Israel dies über ein Jahr lang nicht getan. 

Wer spricht noch von einem Genozid an den Palästinenser*innen in Gaza?

Seit einiger Zeit bezeichnen verschiedene Seiten das israelische Vorgehen als einen Genozid an den Palästinenser*innen in Gaza. Der Internationale Gerichtshof prüft derzeit eine entsprechende Klage Südafrikas.  Die Richter*innen haben dieses Jahr mehrfach festgestellt, dass eine reale und unmittelbare Gefahr eines Genozids in Gaza besteht und sofortige und wirksame Maßnahmen angeordnet, um die Palästinenser*innen im besetzten Gazastreifen vor einem drohenden Völkermord zu schützen. 

Viele andere UN-Expert*innen und Völkermord-Expert*innen haben die Situation im Gazastreifen untersucht und sind zu dem Fazit gekommen, dass Israel einen Genozid an den Palästinenser*innen im Gazastreifen begeht. Die UN-Sonderberichterstatterin über die Lage der Menschenrechte in den seit 1967 besetzten palästinensischen Gebieten, Francesca Albanese, hat 2024 dazu zwei Berichte vorgelegt "Anatomy of a Genocide" (März 2024) und "Genocide as colonial erasure (Oktober 2024). Auch ein Netzwerk juristischer Fakultäten der Universitäten von Boston, Cornell, Pretoria und Yale kommt in einem Bericht vom Mai 2024 zu dem Schluss, dass Israels Handlungen in Gaza die Völkermordkonvention verletzen.  

William Schabas, irisch-kanadischer Professor für Völkerrecht und international anerkannter Völkermord- und Menschenrechtsexperte, gab im November 2024 dem Spiegel ein ausführliches Interview, in dem er sagte: "(…) ich würde sagen: Man kann überzeugend argumentieren, dass Israels Reaktion der Straftatbestand des Genozids erfüllt." Omer Bartov, israelischer Historiker und Professor für Holocaust- und Völkermordstudien an der Brown University in Providence, Rhode Island, USA, konstatierte im November 2024 im Tagesspiegel: "Die gesamte Infrastruktur wird dem Erdboden gleichgemacht. Wenn die Zivilbevölkerung – wie von Israels Armee gefordert – ihre Häuser verlässt, werden sie, oder das, was von ihnen noch übrig ist, abgerissen. Wohin sollen die Menschen zurückkehren? Hierkommt die Genozid-Konvention zum Tragen. Denn die Existenz der Palästinenser als Gruppe wird in Gaza unmöglich gemacht. Man will die Palästinenser ihrer Kultur und Identität berauben." Auch Amos Goldberg, Holocaust- und Genozid-Forscher an der Hebräischen Universität Jerusalem, und Raz Segal, israelischer Historiker mit dem Schwerpunkt Holocaust- und Genozid-Forschung an der Stockton University in Galloway, New Jersey, USA, kamen schon vor einigen Monaten zu der Schlussfolgerung, dass es sich um einen Genozid handelt.  

Eine umfassende kartographische Analyse des israelisches Vorgehens im Gazastreifen hat "Forensic Architecture" im Oktober unter dem Titel "A cartography of  Genocide – A Spatial Analysis of the Israeli Military’s Conduct in Gaza since October 2023" veröffentlicht.

Was hofft Amnesty mit der Veröffentlichung dieses Berichts zu erreichen?

Mehr als ein Jahr nach dem 7. Oktober und dem Beginn der israelischen Offensive in Gaza ist noch immer kein Waffenstillstand und ein Ende des entsetzlichen Leids in Sicht. 

Wir wollen das Bewusstsein der Weltöffentlichkeit schärfen, indem wir eine fundierte juristische Analyse vorlegen, die sich auf eine gründliche Dokumentation sowie Beweise stützt und zeigt, dass Israels Verhalten einem Völkermord entspricht. Damit wollen wir auch einen substanziellen Beitrag zu einer Versachlichung der Debatte leisten, in der der Begriff des Genozids häufig polarisiert und emotionalisiert. 

Wir wollen, dass dieser Bericht als Weckruf für die führenden Politiker*innen der Welt - einschließlich der deutschen Bundesregierung - gesehen wird. Das Verbot von Völkermord ist zwingendes Völkerrecht, das heißt es gilt für alle Staaten dieser Welt. Die Genozid-Konvention ist ganz klar: Alle Staaten haben die völkerrechtliche Pflicht, Völkermord zu verhindern und zu bestrafen. 

Daraus folgt unter anderem: 

  • Dieser Völkermord muss gestoppt werden – sofort. 
  • Die internationale Gemeinschaft muss den Druck auf die israelische Regierung massiv erhöhen. Es braucht JETZT einen Waffenstillstand! 
  • Drittstaaten dürfen keine Waffen, Munition und andere militärische Ausrüstung an Israel liefern angesichts des eindeutigen Risikos, damit zu schwerwiegenden Verletzungen des humanitären Völkerrechts und des internationalen Rechts, einschließlich Völkerrechtsverbrechen, beizutragen. 

Amnesty International hofft, dass die Ergebnisse des Berichts dazu beitragen werden, den langen Kreislauf der Straflosigkeit für Verbrechen nach internationalem Recht in Israel und dem besetzten palästinensischen Gebiet (OPT) zu beenden. 

Vor dem Internationalen Gerichtshof läuft ein Verfahren, in dem ein möglicher Völkermord in Gaza untersucht wird. Warum überlässt Amnesty die Entscheidung in dieser Angelegenheit nicht den Gerichten? 

Eines unserer übergreifenden Ziele ist es, dass Verantwortliche für völkerrechtliche Verbrechen und Menschenrechtsverletzungen vor internationalen Gerichten Rechenschaft ablegen müssen und nicht straflos bleiben. Daher ist es eine unserer Kernaufgaben, internationalen Institutionen und Gerichten regelmäßig die von uns gesammelten Beweise vorzulegen und diese in laufende völkerrechtliche Verfahren einzubringen. Das tun wir auch in diesem Fall. 

Bereits im Januar 2024, im Vorfeld der ersten Anhörung vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) zu der Klage Südafrikas gegen Israel, hatte Amnesty International auf die Gefahr eines möglichen Völkermordes im Gazastreifen hingewiesen. 

Seitdem hat sich die Lage immer weiter verschlechtert, insbesondere im nördlichen Gazastreifen. Der IGH selbst hat darauf reagiert, in dem er seine rechtsverbindlich erlassenen Sofortmaßnahmen vom Januar 2024 zweimal erneuerte und bekräftigte, ebenso wie seine Warnung vor einem drohenden Genozid. Bis der IGH jedoch im Hauptsacheverfahren ein Urteil fällen wird, könnte es mehrere Jahre dauern. So lange können wir nicht warten. 

Mit diesem Bericht möchte Amnesty dazu beitragen, den anhaltenden Völkermord im Gazastreifen so schnell wie möglich zu stoppen, auch indem wir die zwingende Verpflichtung aller Staaten zur Verhinderung eines Völkermords klar benennen und ihre Umsetzung einfordern. 

Hat Israel nicht das Recht, sich selbst zu verteidigen und die Bevölkerung vor wahllosen Angriffen zu schützen?

Israel ist nach dem Völkerrecht verpflichtet, alle Menschen zu schützen, die seiner Rechtsprechung unterliegen oder unter seiner tatsächlichen Kontrolle stehen, auch im besetzten Gebiet - ob Palästinenser*innen oder Israelis. Maßnahmen, die im Namen der Sicherheit ergriffen werden, müssen jedoch mit dem Völkerrecht vereinbar sein und in einem angemessenen Verhältnis zur Bedrohung stehen. 

Israel hat immer wieder argumentiert, dass seine Handlungen im Gazastreifen rechtmäßig sind, weil sie das militärische Ziel haben, die Hamas zu bekämpfen. Doch militärische Ziele schließen nicht aus, dass es auch eine Absicht zum Völkermord gibt. Sehr viele der Handlungen und Unterlassungen Israels, die wir untersucht haben, lassen sich nicht durch militärische Argumente erklären, sondern nur durch das Vorliegen der Absicht, die Gruppe der Palästinenser*innen in Gaza zu zerstören. 

Beispiele hierfür sind unter anderem: die gezielte Zerstörung von landwirtschaftlichen Flächen, von lebenswichtiger Infrastruktur wie Wasser- oder Abwasserinfrastruktur, von religiösen und kulturellen Stätten oder von Wohnhäusern, nachdem die israelische Armee diese bereits unter Kontrolle gebracht hat oder die Verhinderung der Einfuhr von überlebenswichtigen Gütern wie Nahrungsmitteln oder medizinischen Gütern. 

Die Tatsache, dass die Hamas und andere bewaffnete Gruppen am 7. Oktober 2023 massive Kriegsverbrechen begangen und gegen das humanitäre Völkerrecht verstoßen haben, entbindet Israel nicht von seinen Verpflichtungen, die palästinensische Zivilbevölkerung zu schützen und das Völkerrecht einzuhalten. 

Die israelischen Armee sagt, Hamas-Kämpfer verschanzen sich in Schulen oder Krankenhäusern. Werden diese dadurch nicht zu legitimen militärischen Zielen? Benutzt die Hamas Zivilist*innen nicht als menschliche Schutzschilde?

Die Recherchen von Amnesty International haben mehrfach die Anwesenheit von Kämpfer*innen in Lagern für Binnenvertriebene belegt.  Mit der Wahl des Standorts brachten die Kämpfer*innen das Leben von Zivilpersonen in Vertriebenenlagern in Gefahr, und verstießen wahrscheinlich gegen die Verpflichtung, Kämpfer*innen, sofern dies möglich ist, nicht in dicht besiedelten Gebieten zu stationieren. 

Doch auch wenn sich Hamas-Kämpfer*innen in der Nähe von oder in dicht besiedelten Gebieten aufhalten, entbindet dies Israel nicht von seiner Verpflichtung nach dem humanitären Völkerrecht, alle erdenklichen Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen, um Zivilpersonen zu schonen und wahllose oder unverhältnismäßige Angriffe zu unterlassen, was das israelische Militär nach den Recherchen von Amnesty International wiederholt nicht getan hat. 

Neben diesen Fällen hat Amnesty International jedoch ein klares Muster rechtswidriger Angriffe dokumentiert, darunter direkte Angriffe auf Zivilpersonen und zivile Objekte sowie unterschiedslose Angriffe im Gazastreifen, für die es keine Begründung mit Verweis auf die Handlungen der Hamas gibt. Diese Angriffe wurden auf eine Art und Weise durchgeführt, dass sie erwartbar sehr hohe zivile Opfer- und Verletztenzahlen zur Folge hatten. Der Begriff der "menschlichen Schutzschilde" bedeutet laut der maßgeblichen Studie des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz zum humanitären Völkergewohnheitsrecht, dass militärische Ziele und Zivilpersonen oder Personen, die sich nicht im Kampf befinden, absichtlich zusammengebracht werden, um zu versuchen, den Angriff auf diese militärischen Ziele zu verhindern. 

Selbst wenn eine Partei menschliche Schutzschilde einsetzt oder Zivilist*innen auf andere Weise gefährdet, entbindet dies die gegnerische Partei nicht von der Einhaltung ihrer Verpflichtungen nach dem humanitären Völkerrecht, alle erdenklichen Vorsichtsmaßnahmen zu treffen, um Zivilpersonen zu schonen und wahllose oder unverhältnismäßige Angriffe zu unterlassen. 

Im aktuellen bewaffneten Konflikt im Gazastreifen konnte Amnesty nicht belegen, ob das Verhalten der Hamas und anderer bewaffneter Gruppen einem Einsatz von menschlichen Schutzschilden entspricht. Gleiches gilt für Vorwürfe gegenüber Israel, Zivilpersonen als menschliche Schutzschilde einzusetzen.  

Viele Menschen sprechen schon seit Monaten von einem Genozid. Ist Amnesty nicht ein wenig spät dran mit dem Bericht? Warum äußert sich Amnesty erst jetzt?

Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord sind sehr schwerwiegende Tatbestände im internationalen Recht. Die Feststellung, ob ein solcher Tatbestand vorliegt, darf deshalb nicht leichtfertig, sondern nur nach einer sehr sorgfältigen Prüfung erfolgen. 

Eine solche gründliche und zuverlässige Dokumentation und Analyse von Menschenrechtsverletzungen braucht Zeit, insbesondere im Kontext eines bewaffneten Konflikts mit erschwerten Recherche- und Überprüfungsmöglichkeiten und einem sehr stark eingeschränkten Zugang zu Informationen vor Ort. 

Qualität und Gründlichkeit sind Grundprinzipien unserer Arbeit und unserer Recherchen von Menschenrechtsverletzungen. Dabei ist die Dokumentation und Verifizierung von Menschenrechtsverletzungen für uns ein entscheidender erster Schritt, bevor eine rechtliche Analyse erfolgen kann oder Schlussfolgerungen gezogen werden können. Mit der nun vorliegenden gründlichen Analyse können wir einen substanziellen und fundierten Beitrag leisten und die diejenigen unterstützen, die bereits vor dem Risiko eines Völkermords gewarnt haben. Das Erlangen von Gerechtigkeit ist ein langfristiger Prozess. Amnesty hofft, durch eine detaillierte Dokumentation Beweise liefern zu können, die einen maßgeblichen Einfluss auf laufende und künftige Verfahren der internationalen und nationalen Gerichtsbarkeit haben. 

Wie reagiert Amnesty auf den Vorwurf, dieser Bericht sei antisemitisch?

Wir weisen dies entschieden zurück. Antisemitismus steht im klaren Widerspruch zu den Menschenrechten und ist ein schwerwiegender Vorwurf. 

Es ist unsere Aufgabe als Menschenrechtsorganisation, diskriminierendes staatliches Handeln (beispielsweise durch Gesetze, Verordnungen und deren Umsetzung) zu kritisieren und die Verantwortlichen, d.h. die Regierungen und Behörden, in die Verantwortung zu nehmen, diese Menschenrechtsverletzungen zu beenden. Amnesty wendet sich gegen Antisemitismus und Rassismus sowie weitere Formen von Diskriminierung und vorurteilsmotivierte Straftaten (Hate Crimes) jeglicher Art, ob aufgrund von Religion, Staatsangehörigkeit, ethnischer Zugehörigkeit, Geschlecht, sexueller Orientierung, Geschlechtsidentität oder anderen geschützten Merkmalen. Antisemitismus sowie Rassismus und andere Formen von Diskriminierung stehen im Gegensatz zu den Menschenrechten. 

Der Vorwurf des Antisemitismus wird immer wieder instrumentalisiert, um berechtigte Kritik an den Verstößen der israelischen Regierung gegen die internationalen Menschenrechtsnormen und das humanitäre Völkerrecht zu unterdrücken. Mehrere israelische Regierungen haben mit dem Vorwurf des Antisemitismus versucht, Nichtregierungs-Organisationen, UN-Gremien, einzelne Expert*innen und den Internationalen Strafgerichtshof zu diskreditieren. Eine gerechtfertigte Kritik an der Menschenrechtsbilanz der israelischen Regierung als antisemitisch zu bezeichnen, verwischt die Unterscheidung zwischen Kritik und Antisemitismus und schadet damit auch dem notwendigen Einsatz gegen Antisemitismus. 

In der Debatte darüber, ob ein Genozid an den Palästinenser*innen stattfindet, wird oft vorgebracht, es sei eine Täter-Opfer-Umkehr und damit antisemitisch, wenn man dies Israel vorwerfe, da Israel am 7. Oktober 2023 von der Hamas und anderen bewaffneten israelischen Gruppen angegriffen worden ist. Den brutalen Angriff der Hamas und die Entführungen hat Amnesty International mehrfach als Kriegsverbrechen kritisiert. Dennoch können diese Verbrechen nicht die Kriegsverbrechen der israelischen Armee und einen Völkermord an den Palästinenser*innen in Gaza rechtfertigen oder die israelische Regierung von ihrer Rechenschaftspflicht für Verbrechen nach internationalem Recht entbinden. 

Grundsätzlich gilt: Kritik an einem Staat, seinen Gründungsprinzipien, seiner Ideologie oder seinen Handlungen darf nicht per se diskreditiert, verboten oder bestraft werden. Aber es ist antisemitisch, jüdische Menschen automatisch mit den Handlungen des israelischen Staates gleichzusetzen, beispielsweise wenn von jüdischen Menschen verlangt wird, israelische Handlungen zu verurteilen, nur weil sie jüdisch sind, oder wenn jüdische Menschen für das Vorgehen Israels verantwortlich gemacht werden. Im Fall unseres Berichts geht es jedoch nicht um Juden*Jüdinnen oder das jüdische Volk, sondern um die Verbrechen und Menschenrechtsverletzungen der israelischen Regierung, Behörden und Armee.