Amnesty Report Philippinen 24. April 2024

Philippinen 2023

Amnesty-Logo: Kerze umschlossen von Stacheldraht.

Berichtszeitraum: 1. Januar 2023 bis 31. Dezember 2023

Es kam weiterhin zu außergerichtlichen Hinrichtungen – auch im Rahmen des "Anti-Drogen-Kriegs". Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) lehnte den Antrag der Regierung ab, die Ermittlungen zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Kontext des "Anti-Drogen-Kriegs" nicht wieder aufzunehmen. Die Praxis des "Red Tagging" von Menschenrechtsverteidiger*innen und weiteren Personen bestand fort, und die Gesetze zur Terrorismusbekämpfung wurden zunehmend auch gegen humanitäre Helfer*innen angewandt. Das Recht auf freie Meinungsäußerung war weiterhin eingeschränkt. Berichten zufolge wurden Umweltschützer*innen und Angehörige indigener Gemeinschaften Opfer des Verschwindenlassens.

Außergerichtliche Hinrichtungen

Die außergerichtlichen Hinrichtungen im Rahmen des seit 2016 andauernden "Anti-Drogen-Kriegs" wurden auch im zweiten Jahr der Regierung von Präsident Ferdinand Marcos Jr. fortgesetzt, obwohl er öffentlich verkündet hatte, dass sich die Kampagne gegen illegale Drogen auf Behandlung, Rehabilitation und Wiedereingliederung konzentrieren würde. Laut den auf Medienbeobachtung basierenden Daten der universitären Forschungsgruppe Dahas wurden im Jahr 2023 mindestens 329 Menschen bei polizeilichen Anti-Drogen-Einsätzen durch Beamt*innen oder von Unbekannten getötet.

Daneben gab es auch andere rechtswidrige Tötungen. So tötete die Polizei im August 2023 bei zwei getrennten Vorfällen in Rodriguez Town (Provinz Rizal) und Navotas City die beiden Teenager John Francis Ompad und Jemboy Baltazar. Acht Verdächtige, darunter sieben Polizisten, wurden in diesem Zusammenhang angeklagt. Im September erschossen Unbekannte in Bangued City den Anwalt Saniata Liwliwa Gonzales Alzate, der einkommensschwachen Kläger*innen kostenlose Rechtsberatung anbot. Die Ermittlungen zur Tötung von Alzate dauerten zum Jahresende noch an.

Straflosigkeit

In den meisten der vielen Tausend dokumentierten Fälle rechtswidriger Tötungen blieben die Täter*innen straffrei.

Im August 2023 bestätigte die Staatsanwaltschaft die Abweisung einer Klage der Ehefrau des Gewerkschaftsführers Emmanuel Asuncion gegen 17 Polizisten. Er und acht weitere Aktivist*innen waren am 7. März 2021 bei einem Polizeieinsatz in Luzon getötet worden. Ein Antrag zur Überprüfung der Abweisung war zum Jahresende noch anhängig.

Im Juni 2023 verurteilte ein Gericht drei Männer zu Haftstrafen zwischen zwei und acht Jahren wegen Mittäterschaft bei der Tötung des bekannten Radiomoderators Percival Mabasa (bekannt als Percy Lapid) im Oktober 2022. Percy Lapid war getötet worden, nachdem er im Radio Regierungsbedienstete kritisiert hatte, darunter auch den ehemaligen Direktor der Gefängnisbehörde (Bureau of Corrections) Gerald Bantag. Dieser wurde bis Ende 2023 nicht festgenommen, obwohl ihm der Tod von Percy Lapid zur Last gelegt wurde.

Abweichend von der üblichen Praxis kam es im März 2023 zur Verurteilung eines Polizisten wegen einer Tötung im Zusammenhang mit Drogen: Der ehemalige Polizist Jefrey Perez wurde wegen der Tötung der Teenager Carl Arnaiz und Reynaldo de Guzman im Jahr 2017 zu bis zu 40 Jahren Haft verurteilt. Es war erst die zweite bekannte Verurteilung dieser Art.

Im Juli 2023 wies die Berufungskammer des IStGH das Rechtsmittel der Regierung gegen die Wiederaufnahme der Ermittlungen des IStGH-Anklägers zu den u. a. im Zuge des "Anti-Drogen-Kriegs" verübten Verbrechen gegen die Menschlichkeit zurück.

Unterdrückung Andersdenkender

Obwohl der UN-Menschenrechtsrat darauf drängte, das "Red-Tagging" zu beenden, wurde diese Praxis, bei der Organisationen und Einzelpersonen öffentlich mit verbotenen kommunistischen Gruppen in Verbindung gebracht und als "rot" gebrandmarkt werden, 2023 fortgesetzt. Auf diese Weise stigmatisierte Personen sind der Gefahr rechtswidriger Tötungen und anderer schwerer Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt.

Am 13. März 2023 wandte die "Nationale Taskforce zur Beendigung des lokalen kommunistischen bewaffneten Konflikts" die Taktik des "Red Tagging" an, um Menschenrechtsgruppen, die ein Gesetzesprojekt zum Schutz von Menschenrechtsverteidiger*innen unterstützten, zu stigmatisieren. Davon betroffen waren die Menschenrechtsallianz Karapatan, die Philippine Alliance of Human Rights Advocates sowie andere Rechtshilfegruppen.

Im September 2023 erklärte das Bildungsministerium öffentlich, dass 16 staatliche Sekundarschulen in Metro Manila in Rekrutierungsaktivitäten für die Kommunistische Partei der Philippinen (CPP) und ihren bewaffneten Flügel New People’s Army (NPA) verwickelt seien.

Die Behörden setzten die Anti-Terror-Gesetzgebung zunehmend gegen als "rot" eingestufte Gruppen ein, darunter auch humanitäre Organisationen. Im März 2023 fällte ein Gericht zum ersten Mal ein Urteil auf Grundlage des im Jahr 2012 in Kraft getretenen Gesetzes zur Verhinderung und Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung. Dabei wurde eine ehemalige Kassiererin der katholischen Gruppe Rural Missionaries of the Philippines wegen Beihilfe zur Terrorismusfinanzierung verurteilt. Vier Nonnen und elf weitere Mitglieder der Gruppe, die von der Staatsanwaltschaft beschuldigt worden waren, die NPA zu unterstützen, wurden gleichfalls angeklagt. Im Mai 2023 reichte das Militär auf Grundlage desselben Gesetzes eine Klage gegen die humanitäre Gruppe Community Empowerment Resource Network wegen "Terrorismusfinanzierung" ein.

Im Mai 2023 sprach ein Gericht in Muntinlupa City die gewaltlose politische Gefangene und ehemalige Senatorin Leila de Lima vom Vorwurf der Verabredung zum Drogenhandel frei. Im November wurde sie gegen Kaution freigelassen, doch wurde das letzte der gegen sie eingeleiteten politisch motivierten Drogenverfahren fortgesetzt.

Recht auf freie Meinungsäußerung

Im Januar 2023 sprach das Steuerberufungsgericht die prominente Journalistin und Friedensnobelpreisträgerin Maria Ressa und im September die Holdinggesellschaft ihrer Nachrichtenwebsite Rappler von allen fünf gegen sie erhobenen Vorwürfen wegen Steuerhinterziehung frei. Im Dezember ließ das Justizministerium eine Anklage fallen, wonach Maria Ressa gegen das Gesetz gegen ausländische Beteiligungen an Medienunternehmen verstoßen haben sollte. Das Rechtsmittel gegen ein weiteres Urteil, in dem Maria Ressa wegen mutmaßlicher Internetkriminalität zu sieben Jahren Haft verurteilt worden war, war weiterhin anhängig. Auch die Entscheidung über ein gegen die Anordnung zur Schließung von Rappler eingelegtes Rechtsmittel stand Ende 2023 noch aus.

Im Dezember 2023 wies die Staatsanwaltschaft eine Anzeige der Polizei gegen den Künstler Max Santiago und drei weitere Personen wegen eines vermeintlichen Verstoßes gegen Umweltgesetze ab. Die vier waren an der Verbrennung eines Porträts des Präsidenten während einer Protestaktion im Juli beteiligt gewesen. Das Verfahren gegen 14 weitere Personen wegen unerlaubten Organisierens des Protests blieb anhängig.

Verschwindenlassen

Am 5. September 2023 "verschwanden" die beiden Umweltschützerinnen Jhed Tamano und Jonila Castro in der Nähe der Hauptstadt Manila. Am 19. September führten Militärangehörige die Frauen auf einer Pressekonferenz vor und erklärten, dass sie in einer "sicheren Unterkunft" untergebracht worden seien, nachdem sie die Behörden um Hilfe gebeten hätten. Danach wurden die beiden Frauen freigelassen. Jhed Tamano und Jonila Castro beschuldigten das Militär jedoch öffentlich, sie entführt zu haben, und beantragten beim Obersten Gerichtshof Schutz vor der Polizei und anderen Regierungsbehörden. Daraufhin erstattete das Militär Anzeige gegen sie wegen Meineids. Der Fall war Ende 2023 noch nicht abgeschlossen.

Rechte indigener Gemeinschaften

Am 28. April 2023 "verschwanden" die als "rot" gebrandmarkten Menschenrechtsverteidiger Dexter Capuyan und Gene Roz Jamil de Jesus, die sich für Indigenenrechte einsetzen, in Taytay (Provinz Rizal). Berichten zufolge waren sie von Personen entführt worden, die behauptet hatten, für eine Polizeibehörde zu arbeiten. Im September 2023 wies das Berufungsgericht einen Antrag der Familien der Betroffenen ab, die Behörden zu verpflichten, Capuyan und de Jesus in einem ordentlichen Verfahren vor Gericht zu stellen. Die philippinische Nationalpolizei bestritt jegliche Beteiligung an dem Fall.

Im Juli 2023 bezeichnete der staatliche Anti-Terrorismus-Rat vier Sprecher*innen der für die Rechte indigener Gemeinschaften eintretenden Cordillera Peoples Alliance (CPA) als "Terrorist*innen". Dadurch wurde der Regierung die Möglichkeit eingeräumt, die Aktivitäten der Organisation zu untersuchen und ihre finanziellen Vermögenswerte einzufrieren.

Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans- und Intergeschlechtlichen (LGBTI+)

Im Mai 2023 billigte der Ausschuss für Frauen und Geschlechtergleichstellung des Repräsentantenhauses einen Gesetzentwurf zum Schutz von Menschen vor Diskriminierung aufgrund ihrer sexuellen Orientierung, ihrer Geschlechtsidentität und des Ausdrucks der Geschlechtlichkeit sowie ihrer Geschlechtsmerkmale. Der Gesetzentwurf bedurfte noch der Zustimmung des Repräsentantenhauses und des Senats. Im September 2023 erklärte der Mehrheitsführer im Senat jedoch, dass dies keine Priorität habe.

Am 7. Oktober 2023 wurde die*der nicht-binäre Drag-Künstler*in Pura Luka Vega gegen Kaution aus dem Polizeigewahrsam entlassen. Pura Luka Vega war am 4. Oktober wegen mutmaßlichen Verstoßes gegen ein Gesetz festgenommen worden, das "unanständige oder unmoralische Handlungen" verbietet, die "eine Gruppe (race) oder Religion beleidigen". Grund war ein Auftritt gewesen, bei dem Pura Luka Vega als Jesus kostümiert das Vaterunser rezitiert hatte. Bei einer Verurteilung droht Pura Luka Vega eine hohe Geldstrafe und/oder eine Haftstrafe von bis zu zwölf Jahren.

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