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Philippinische Literatur: Mut und Grausamkeit
Offizieller Buchmessenauftritt: Die Philippinen präsentierten sich bereits im März in Leipzig als vielfältiges Literaturland
© Hendrik Schmidt / dpa / pa
Die Philippinen, Gastland der diesjährigen Frankfurter Buchmesse, haben eine bewegte Literaturlandschaft. Die ist häufig kritisch und lässt sich ihre Rechte nicht einfach nehmen.
Von Felix Lill
"Mit Beginn der Duterte-Ära wurde das Archivieren dieser Tode zu meiner Arbeit", schreibt Patricia Evangelista im Vorwort von "Some People Need Killing". Ihr auf dem englischsprachigen Markt längst gefeiertes Sachbuch, das der Verlag CulturBooks im September auf Deutsch veröffentlicht hat, umfasst mehr als 400 Seiten, denn die Autorin muss sehr viel archivieren, dokumentieren, einordnen, reflektieren und bedauern. NGOs schätzen, dass in der Duterte-Ära von 2016 bis 2022 etwa 30.000 Menschen getötet wurden.
Evangelistas Heimatland erlebte nach der Präsidentschaftswahl 2016 eine zivilisatorische Katastrophe. Rodrigo Duterte, zuvor Bürgermeister der Stadt Davao, hatte im Wahlkampf versprochen, Dealer*innen und Drogenabhängige erschießen zu lassen. "Kill them all!", rief er und wurde dafür immer wieder bejubelt. Als Duterte die Wahl gewonnen hatte, setzte er sein Versprechen in die Tat um: Todesschwadrone, die Polizei und andere töteten massenhaft Menschen, die in vielen Fällen keinerlei Verbindung zum Drogenhandel hatten.
Dutertes "Anti-Drogen-Krieg": Massenhafte Tötungen
Dutertes "Anti-Drogen-Krieg" sorgte nicht nur auf den Philippinen für Entsetzen. Der Internationale Strafgerichtshof erließ einen Haftbefehl gegen Duterte wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, der im März 2025 vollstreckt wurde. Dass ein Mann mit dem Versprechen des Tötens einen Wahlkampf gewinnen konnte, verblüfft. In ihrem Buch berichtet die Journalistin Evangelista von der Verdrossenheit der Menschen angesichts von Straßenkriminalität und Korruption, aber auch von der Macht der Online-Netzwerke. Und doch bleibt die Frage: Wie konnte all das passieren? Dutertes kompromisslose Ankündigung der massenhaften Tötungen und die daraus resultierende willkürliche Gewalt haben mehrere Autor*innen veranlasst, sich mit dieser Katastrophe auseinanderzusetzen. Und so wird der "Anti-Drogen-Krieg" nicht wenig Raum einnehmen, wenn sich die Philippinen im Oktober bei der Frankfurter Buchmesse präsentieren, zumal Dutertes Nachfolger Ferdinand Marcos Junior, Sohn des gleichnamigen Ex-Diktators, ihn auf niedriger Flamme bis heute fortführt.
Furchtlose Kritikerin: Die Journalistin Patricia Evangelista arbeitet den brutalen "Anti-Drogen-Krieg" Dutertes auf.
© Basso Cannarsa / opale.photo / laif
Die Philippinen bestehen längst nicht nur aus Grausamkeit. Das südostasiatische Land mit 115 Millionen Einwohner*innen, das von immer mehr Tourist*innen aus aller Welt als Strand- und Inselparadies geschätzt wird, hat auch eine Literaturlandschaft, die sich durch sprachliche Vielfalt auszeichnet und sich ihre Rechte nicht einfach nehmen lässt. Stoff bietet nicht zuletzt die Geschichte der Philippinen, die ab 1565 spanische, ab 1899 US-amerikanische und ab 1942 japanische Kolonie waren, bevor sie nach dem Zweiten Weltkrieg ein freies Land wurden. Ab 1965 regierte allerdings mit Ferdinand Marcos 21 Jahre lang ein brutaler Militär, die Hälfte der Zeit als Diktator, ehe er 1986 durch Straßenproteste aus dem Land gejagt wurde. Weil die darauffolgende Demokratie das Versprechen von Wohlstand und Gerechtigkeit nicht erfüllte, konnte Duterte ab 2016 Menschenrechte zu "Bullshit" erklären. Evangelistas "Some People Need Killing" diskutiert auch das.
Schlüsselwerk "Noli Me Tangere"
Wie viele andere Autor*innen packt sie damit ein Thema an, das nicht nur aktuell ist, sondern eine lange Vorgeschichte hat. Schließlich wurden Menschenrechte auf den Philippinen – und in der Literatur ihrer Menschen – schon thematisiert, bevor der Begriff nach dem Zweiten Weltkrieg in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte verbrieft wurde. Bereits im Jahr 1887 veröffentlichte José Rizal sein Buch "Noli Me Tangere", das vom idealistischen Crisóstomo Ibarra handelt, der nach mehreren Studienjahren in Europa in die philippinische Heimat zurückkehrt. Schnell bläst ihm dort der kompromisslose Machtanspruch der spanischen Regenten und der mit ihnen verbundenen Katholischen Kirche entgegen. Der Protagonist darf nicht sagen, was er denkt, und darf sich nicht für seine Überzeugungen einsetzen. Darin ähnelt Ibarra dem Autor: Denn Rizal war ein Revolutionär, der die Unabhängigkeit von der spanischen Krone wollte.
Nationalheld: José Rizal wurde für seinen Roman "Noli Me Tangere" 1896 von den spanischen Kolonialherren hingerichtet. Heute ist das Buch Schullektüre.
© Basso Cannarsa / opale.photo / laif
Fragt man philippinische Literat*innen, welches Buch alle im Land gelesen haben sollten, antworten die meisten: "Noli Me Tangere". Der gut 500-seitige Roman, in dem Rizal in klarer Sprache die Gesellschaft seziert und Korruption und Ungerechtigkeit beschreibt, die auch heute noch zu finden ist, steht auf dem Lehrplan philippinischer Schulen. Nicht zuletzt deshalb, weil er als Schlüsselwerk auf dem Weg zur Unabhängigkeit gilt. Rizal ist heute offiziell Nationalheld, der im ganzen Land mit Statuen geehrt wird.
Diesen Status erlangte der Autor auch, weil ihn dieser Roman sein Leben kostete. Rizal veröffentlichte ihn zuerst in Berlin, wohin es ihn im Zuge seines Medizinstudiums verschlagen hatte, kehrte aber 1892 in sein Heimatland zurück. Dort wurde er 1896 von einem spanischen Militärgericht wegen "Anstiftung zum Aufruhr" zum Tode verurteilt und hingerichtet. Nun hat der Suhrkamp-Verlag das philippinische Nationalepos in deutscher Übersetzung neu aufgelegt.
Schwules Leben: "Der Junge aus Ilocos"
Ebenfalls pünktlich zur Buchmesse ist der Roman "Der Junge aus Ilocos" von Blaise Campo Gacoscos auf Deutsch erschienen. Die Region Ilocos im Norden der Hauptinsel Luzon ist der Ausgangspunkt für die Geschichte des jungen Victor, der seine Sexualität entdeckt, allmählich zum schwulen Mann reift und als Erwachsener in die Hauptstadt Manila zieht. Homosexuelle Beziehungen sind auf den Philippinen nicht strafbar, doch kann Victor sein teils hedonistisches Leben so nur in Manila führen. Und selbst dort ist er benachteiligt, denn ein Antidiskriminierungsgesetz gibt es nicht. So ist Victor gut beraten, mit seiner sexuellen Orientierung nicht allzu offensiv umzugehen. Allerdings war das präkoloniale Geschlechterverhältnis auf den Philippinen eher fluid als binär. Dies konnten selbst die katholischen Kolonialist*innen aus Spanien nie ganz ausmerzen. Dies erfährt auch Victor. Und es hilft ihm, der zu sein, der er sein will.
Der Autor Blaise Campo Gacoscos beschreibt in "Der Junge aus Ilocos" schwules Begehren.
© Matthias Gränzdörfer / Imago
Sind die Philippinen heute ein Land der Freiheit? Die Literaturszene bewertet dies unterschiedlich. In Südostasien gehört der Inselstaat zu den liberaleren Ländern, zumindest formal sind Pressefreiheit, Wahlen und das (häufig ausgeübte) Recht auf Versammlungen und Demonstrationen garantiert. Man kann dort als trans Person Karriere machen und als schwuler Mann, wie Victor, zumindest in den Städten weitgehend unbehelligt leben.
Fragile Freiheit
Man kann inzwischen auch wieder prominente Vertreter*innen der Familien Duterte, Marcos oder anderer Dynastien in Zeitungen und Büchern kritisieren. Allerdings war José Rizal, der Nationalheld und Vater der unabhängigen Philippinen, längst nicht der letzte Autor, der für seine geschriebenen Worte einen hohen Preis bezahlen musste. Immer wieder kamen in den vergangenen Jahren Autorinnen und Autoren hinter Gitter – unter fadenscheinigen Vorwänden.
Es bleibt zu hoffen, dass im Jahr 2028, wenn auf den Philippinen wieder Präsidentschaftswahlen anstehen, nicht Rodrigo Dutertes Tochter Sara gewinnt. Die aktuelle Vizepräsidentin gilt als Favoritin für den Posten – nicht zuletzt dank Trollen und Influencer*innen, die Duterte bezahlt. Und wie ihr Vater geht Sara Duterte hart gegen alle vor, die ihre Familie kritisieren. Dass aber Bücher wie das von Patricia Evangelista in Zukunft nicht mehr erscheinen oder gar nicht mehr geschrieben werden, ist kaum zu befürchten. Dafür nimmt sich die philippinische Gesellschaft viel zu häufig einfach das, was sie will. Und für Autor*innen gibt es hier – groteskerweise – endlos viel Stoff für unglaubliche und dennoch realistische Geschichten.
Felix Lill ist freier Südostasien-Korrespondent. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung von Amnesty International wieder.
LITERATUR
Blaise Campo Gacoscos: Der Junge von Ilocos. Aus dem Englischen übersetzt von Andreas Diesel. Albino Verlag, Berlin 2025, 140 Seiten, 22 Euro.
José Rizal: Noli Me Tangere. Aus dem philippinischen Spanisch übersetzt von Annemarie del Cueto-Mörth. Suhrkamp, Berlin 2025, 542 Seiten, 28 Euro.
Patricia Evangelista: Some People Need Killing – Eine Geschichte der Morde in meinem Land. Aus dem philippinischen Englisch übersetzt von Zoë Beck. CulturBooks Verlag, Hamburg 2025, 456 Seiten, 28 Euro.

