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Amnesty-Researcherin Haimanot Bejiga: "Die äthiopischen Behörden betrachten Amnesty als Staatsfeind"
Eine Frau geht im Mai 2023 durch in Dorf in der äthiopischen Region Tigray, in der die humanitäre Lage katastrophal ist.
© IMAGO / ZUMA Wire
Die Situation für Menschenrechtsverteidiger*innen und kritische Stimmen in Äthiopien ist äußerst gefährlich. Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty dürfen dort nicht arbeiten. Haimanot Bejiga arbeitet seit 2023 als Amnesty-Researcherin für Äthiopien. Wie sie es trotz dieser Herausforderungen schafft, über Menschenrechtsverletzungen zu berichten und was ihre Arbeit für die Überlebenden von Menschenrechtsverletzungen bedeutet, erzählt sie im Interview.
Haimanot Bejiga ist seit 2023 Amnesty-Researcherin für Äthiopien. Sie stammt aus Äthiopien und arbeitete vor ihrer Amnesty-Tätigkeit als Chefredakteurin einer Zeitung. Haimanot Bejiga ist außerdem ausgebildete Rechtsanwältin. Sie war auch als investigative Journalistin für die BBC in der kenianischen Hauptstadt Nairobi tätig.
Fragen: Ralf Rebmann
Die äthiopische Regierung unter Präsident Abiy Ahmed geht massiv gegen zivilgesellschaftliche und oppositionelle Stimmen im Land vor. Wie ist die aktuelle Situation?
Die Menschenrechtslage in Äthiopien bleibt angespannt, mit willkürlichen Festnahmen, außergerichtlichen Hinrichtungen und sexualisierter Gewalt als anhaltenden Problemen. Journalist*innen werden angegriffen, willkürlich festgenommen und monatelang ohne Gerichtsverfahren in Militärlagern inhaftiert. Selbst ausländische Korrespondent*innen sind nicht sicher - kürzlich wurde ein französischer Journalist verhaftet. Menschenrechtsverteidiger*innen sind ständigen Repressalien wie Folter und Tötungen ausgesetzt. Die Bedrohung ist immens für alle, die nicht der Linie der Regierung folgen oder kritisch die Stimme erheben.
Der Äthiopische Menschenrechtsrat (Ethiopian Human Rights Council, EHRCO) hat im Jahr 2022 den Menschenrechtspreises von Amnesty International in Deutschland erhalten. Wie hat sich die Situation für die Mitarbeiter*innen seither entwickelt?
Die Situation für die Mitarbeiter*innen von EHRCO hat sich ebenso verschlechtert. Obwohl der Preis EHRCO viel Anerkennung und auch finanzielle Unterstützung gebracht hat, sind die Herausforderungen für Menschenrechtsverteidiger*innen in Äthiopien wie bereits erwähnt insgesamt größer geworden. Wir beobachten einen koordinierten Angriff auf zivilgesellschaftliche Akteur*innen seitens der äthiopischen Behörden. Der Geschäftsführer des EHRCO, Dan Yirga Haile, musste sich im Sommer 2024 nach monatelanger Verfolgung und psychischer Folter in Sicherheit bringen und ist nach Kenia geflohen. Amnesty International hat ihn dabei unterstützt.
Geehrt für sein mutiges Engagement: Dan Yirga, geschäftsführender Direktor des Äthiopischen Menschenrechtsrates (EHRCO), wurde am 30. Mai 2022 in Berlin mit dem Amnesty-Menschenrechtspreis 2022 ausgezeichnet.
© Amnesty International, Foto: Henning Schacht
Sie sind seit 2023 als Amnesty-Researcherin für Äthiopien im Einsatz. Was beschäftigt Sie im Moment besonders?
Aktuell arbeiten wir an mehreren Berichten – zum Beispiel zum Thema sexualisierte Gewalt im Kontext bewaffneter Konflikte. Dabei haben wir mit etwas 40 Überlebende gesprochen – und sie gefragt, wie Gerechtigkeit für sie aussieht. Die Antworten zeigten, dass Gerechtigkeit für jeden Menschen etwas anderes bedeuten kann – von juristischer Aufarbeitung bis hin zum Gefühl, gehört zu werden. Besonders berührt hat mich die Aussage einer Frau aus einem abgelegenen Dorf, die sich um die Zukunft junger Mädchen weltweit sorgt. Solche Zeugnisse motivieren uns, trotz aller Widrigkeiten weiterzumachen. Sie verdeutlichen die globale Dimension unserer Arbeit und wie wichtig es ist, dass wir uns füreinander einsetzen – über Grenzen hinweg. Neben diesen Berichten haben wir kürzlich auch einen dringenden Hilfsfall bearbeitet.
Um was ging es dabei?
Eine äthiopische Frauenrechtsaktivistin ist selbst Opfer schwerer Menschenrechtsverletzungen geworden. Nach ihrer Flucht nach Kenia unterstützte Amnesty sie umfassend. Wir leisteten sechs Monate lang finanzielle und psychosoziale Hilfe, um ihr einen Neuanfang zu ermöglichen. Es ist beeindruckend zu sehen, wie sie sich trotz ihrer traumatischen Erfahrungen zu einer starken Stimme für andere Betroffene entwickelt hat. Zudem konnten wir ihr ein Stipendium in Deutschland vermitteln, wo sie die nächsten sechs Monate verbringen und an einem Buchprojekt arbeiten wird.
Wie recherchieren Sie und verifizieren Informationen, wenn die äthiopischen Behörden Amnesty-Vertreter*innen gar nicht ins Land lassen?
Ich greife auf ein bestehendes Netzwerk an vertrauenswürdigen Kontakten im Land zurück. Insbesondere zivilgesellschaftliche Organisationen in den betroffenen Regionen sind wertvolle Partner*innen für uns. Sie organisieren Sicherheitsmaßnahmen und helfen mir, vertrauenswürdige Informant*innen zu identifizieren. Sie machen Fotos, Videos und Aufnahmen und bringen mich manchmal mit Behörden in Kontakt. Wir müssen kreativ vorgehen, um die Sicherheit der Beteiligten nicht zu gefährden. Auch das Evidence Lab von Amnesty ist eine große Hilfe: Das Team analysiert zum Beispiel Satellitendaten oder Berichte in sozialen Medien und der Presse.
Diese Frau ist eine von tausenden Frauen, die in den vergangenen Jahren im Krieg in der äthiopischen Region Tigray vergewaltigt wurden. Sie wurde schwanger. Ihr Sohn , den sie auf diesem in der Stadt Mekele aufgenommen Foto auf dem Rücken trägt, ist mittlerweile zwei Jahre alt. Die Eltern der Frau lehnen ihn ab (Aufnahme vom 4. November 2023).
Was motiviert Sie diese Arbeit zu machen?
Meine Aufgaben bestehen hauptsächlich darin, Beweise zu sammeln und rechtliche Analysen durchzuführen. Obwohl dies eine eher technische Arbeit ist, hat sie für viele Menschen eine sehr persönliche Bedeutung. Für mich bedeutet es sehr viel, für die Opfer und Hinterbliebenen einzutreten. Die Arbeit ist zwar anspruchsvoll. Aber die persönlichen Begegnungen motivieren mich, weiterzumachen und mich für die Rechte der Betroffenen einzusetzen.
Haben Sie selbst Angst vor Repression seitens der äthiopischen Behörden?
Bevor ich als Amnesty-Researcherin angefangen habe, musste ich die Konsequenzen sorgfältig abwägen. Es gibt tatsächlich Drohungen, so dass ich mir gut überlege, ob ich nach Hause zurückkehren kann, um meine Familie zu besuchen. Auch meine Angehörigen sind potenziell gefährdet. Die äthiopischen Behörden betrachten Amnesty als Staatsfeind, da wir die Regierung für ihre Verbrechen gegen die Bevölkerung zur Rechenschaft ziehen wollen. Das Hauptproblem ist, dass die Regierung ein Klima der Angst schafft. Dies führt zu einem Umfeld, in dem man sich selbst zensieren muss und ständig Furcht verspürt. Es ist eine subtile Form der Unterdrückung.
Wie beurteilen Sie die Haltung der deutschen Bundesregierung hinsichtlich der Menschenrechtssituation in Äthiopien?
Die Haltung der deutschen Bundesregierung ist äußerst enttäuschend. Deutschland hat sich ursprünglich für die Einrichtung eines UN-Mechanismus zur Untersuchung der Menschenrechtsverletzungen in Äthiopien eingesetzt, diesen aber im vergangenen Jahr aufgegeben. Obwohl ein neuer bewaffneter Konflikt ausbrach, versäumte es Deutschland, das Mandat zu verlängern. Besonders kritikwürdig ist Deutschlands Unterstützung für den äthiopischen Übergangsjustizprozess, dem wichtige Elemente für Rechenschaftspflicht und Gerechtigkeit fehlen. Die Betroffenen haben kein Vertrauen in diesen Prozess. Dennoch ist Deutschland eines der wenigen Länder, die ihn öffentlich, finanziell und politisch unterstützen. Diese Haltung ist schockierend, da sie die Situation vor Ort völlig ignoriert. Wir fordern die deutsche Regierung auf, diese falsche Entscheidung zu überdenken und die Verantwortlichen von Menschenrechtsverletzungen nicht weiter zu belohnen, indem ihr Narrativ unterstützt wird. Stattdessen sollte sich Deutschland für echte Gerechtigkeit stark machen.