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Äthiopien: Eritreische Streitkräfte begehen nach Waffenstillstand Kriegsverbrechen in Tigray
Eine Frau geht im Mai 2023 durch in Dorf in der äthiopischen Region Tigray, in der die humanitäre Lage katastrophal ist.
© IMAGO / ZUMA Wire
Trotz Waffenstillstandsabkommen ist die Zivilbevölkerung in Tigray Gräueltaten ausgesetzt gewesen. Auch nach der Unterzeichnung des Abkommens haben eritreische Streitkräfte monatelang Zivilpersonen außergerichtlich hingerichtet und Frauen sexuell versklavt, so ein neuer Bericht von Amnesty International. Der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen muss das Mandat der Internationalen Expert*innenkommission für Menschenrechte in Äthiopien (ICHREE) erneuern, damit die Kommission weiter Beweise sichern kann. Der Bericht kann hier als PDF-Datei heruntergeladen werden.
Unmittelbar vor und nach der Unterzeichnung des Waffenstillstandsabkommens zwischen der äthiopischen Regierung und der Volksbefreiungsfront von Tigray (Tigray People’s Liberation Front – TPLF) im November 2022 haben eritreischen Streitkräfte Kriegsverbrechen und möglicherweise Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen. Die eritreischen Streitkräfte waren zu diesem Zeitpunkt mit der äthiopischen Regierung verbündet.
Der Bericht "'Today or Tomorrow, They Should Be Brought Before Justice' – Rape, Sexual Slavery, Extra-Judicial Executions and Pillage by Eritrean Forces" in Tigray dokumentiert, dass eritreische Streitkräfte für Vergewaltigungen, sexuelle Sklaverei, außergerichtliche Hinrichtungen und Plünderungen verantwortlich waren. Angehörigen der eritreischen Streitkräfte haben in den drei Monaten nach Unterzeichnung des Waffenstillstandes Frauen vergewaltigt und sexuell versklavt. In den Distrikten Kokob Tsibah und Mariam Shewito wurden zahlreiche Zivilpersonen außergerichtlich hingerichtet.
Verstöße müssen wirksam untersucht werden
Julia Duchrow, stellvertretende Generalsekretärin von Amnesty International in Deutschland, sagt: "Angesichts der anhaltenden schweren Menschenrechtsverletzungen sowie der geringen Aussichten auf Rechenschaftslegung im Land fordert Amnesty International den UN-Menschenrechtsrat auf, das Mandat der Internationale Expert*innenkommission für Menschenrecht in Äthiopien (ICHREE) zu verlängern und zu unterstützen. Die Afrikanische Kommission für Menschenrechte und Rechte der Völker sollte zudem das Mandat ihrer Untersuchungskommission zur Lage in der Region Tigray wiederherstellen und dafür sorgen, dass die Kommission einen Bericht mit Ergebnissen und Empfehlungen vorlegen kann."
Die Expert*innenkommission ICHREE wurde vom Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen im Dezember 2021 eingesetzt. Ihr Mandat läuft Ende Dezember diesen Jahres aus. Der Untersuchungskommission der Afrikanischen Kommission wurde im Juni 2023 das Mandat entzogen, noch bevor sie einen Abschlussbericht vorgelegt hatte.
Vergewaltigung und sexuelle Versklavung von Frauen
Amnesty International hat mit elf Frauen aus Kokob Tsibah gesprochen, die Vergewaltigung und sexuelle Sklaverei überlebten. Mehr als 40 Frauen in Kokob Tsibah berichteten einer lokalen zivilgesellschaftlichen Organisation, dass sie in der Zeit nach der Unterzeichnung des Waffenstillstandsabkommens vergewaltigt und sexuell versklavt worden waren. Einige Frauen wurden in einem Militärlager der eritreischen Streitkräfte vergewaltigt, andere in ihren eigenen Häusern oder in von den Streitkräften eingenommenen Häusern. In Verbindung mit weiteren von Amnesty International durchgeführten Recherchen sind die dokumentierten Fälle von Vergewaltigung und sexueller Sklaverei möglicherweise als Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu betrachten.
Außergerichtliche Hinrichtungen von Zivilpersonen und Plünderungen
Angehörige der eritreischen Streitkräfte, die in Mariam Shewito und Kokob Tsibah stationiert waren, töteten bei Hausdurchsuchungen vorsätzlich Zivilpersonen, zumeist Männer. So wurden in Kokob Tsibah 24 Zivilist*innen getötet. Amnesty International hat mit Zeug*innen, Überlebenden und Familienangehörigen aus Mariam Shewito gesprochen, die Angaben zu der außergerichtlichen Hinrichtung von mindestens 20 Zivilpersonen machten. Den Aussagen zufolge sind diese Personen zwischen dem 25. Oktober und 1. November 2022 durch eritreische Streitkräfte in Mariam Shewito getötet worden. Darüber hinaus trug ein Sozialarbeiter eine Liste mit mehr als 100 Namen von Personen zusammen, die im selben Zeitraum in Mariam Shewito außergerichtlich hingerichtet worden sein sollen. Amnesty International war nicht in der Lage, aus der Ferne alle diese Fälle unabhängig zu bestätigen. Diese Tötungen im Rahmen eines nicht-internationalen bewaffneten Konflikts stellen das Kriegsverbrechen des Mordes dar.
Die meisten der 49 Überlebenden, Zeug*innen und Familienangehörigen der Opfer, mit denen Amnesty International über Telefon gesprochen hat, gaben an, dass eritreische Streitkräfte auch ihr Eigentum geplündert und ihr Vieh gestohlen haben. Viele Menschen müssen sich nun von ihren Familienmitgliedern Unterkunft und Nahrung erbitten. Andere müssen betteln gehen, um zu überleben.
Seit dem Ausbruch des bewaffneten Konflikts in der Region Tigray im November 2020 hat Amnesty International Völkerrechtsverbrechen und andere Menschenrechtsverletzungen durch alle Konfliktparteien dokumentiert. Eritrea und Äthiopien sind verpflichtet, Verbrechen gegen das Völkerrecht wirksam zu untersuchen und bei ausreichender Beweislage strafrechtlich zu verfolgen.
Weitere Informationen über Menschenrechtsverletzungen in den Regionen Tigray und Amhara sind unter anderem hier und hier zu finden.