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Kamerun 2021
Berichtszeitraum: 01. Januar 2021 bis 31. Dezember 2021
Die Armee und bewaffnete separatistische Gruppen begingen in den Regionen North-West und South-West schwere Menschenrechtsverstöße. In der Region Extrême-Nord verübten bewaffnete Gruppen weiterhin tödliche Überfälle auf Dörfer. Zahlreiche Oppositionelle und führende Vertreter_innen der englischsprachigen Gebiete des Landes blieben weiterhin in Haft. Die Behörden kündigten gerichtliche Untersuchungen wegen mutmaßlicher Unterschlagung von Finanzmitteln zur Bekämpfung der Coronapandemie an.
Hintergrund
In den englischsprachigen Regionen North-West und South-West setzten sich die Kämpfe zwischen bewaffneten separatistischen Gruppen und der Armee fort. Der bewaffnete Konflikt in der Region Extrême-Nord, in der die bewaffneten Gruppen Boko Haram und Islamischer Staat Provinz Westafrika (Islamic State West Africa Province – ISWAP) aktiv waren, wütete weiter. Am 31. Oktober 2021 lebten in Kamerun mehr als eine Million Binnenvertriebene in den Regionen North-West, South-West und Extrême-Nord.
Rechtswidrige Angriffe und Tötungen
Laut Angaben von Human Rights Watch töteten Soldaten am 10. Januar 2021 in der Region South-West mindestens neun Menschen und plünderten mehrere Häuser. Am 8. und 9. Juni töteten kamerunische Sicherheitskräfte zwei weitere Menschen, vergewaltigten eine 53-jährige Frau und zerstörten und plünderten mindestens 33 Häuser, Geschäfte und die Residenz eines Gemeindesprechers in der Region North-West.
Am 8. Dezember 2021 wurde in der Stadt Bamenda ein Konvoi der militärischen Spezialeinheit Brigade d’Intervention Rapide mit selbst gebauten Sprengkörpern angegriffen. Daraufhin brannten Angehörige der Streitkräfte Berichten zufolge zahlreiche Häuser in der Stadt nieder.
Menschenrechtsverstöße bewaffneter Gruppen
Regionen North-West und South-West
Bewaffnete Gruppen verübten in den Regionen North-West und South-West weiterhin schwere Menschenrechtsverstöße und griffen Menschen, Gesundheitseinrichtungen und Schulen an.
Von Januar bis Juni 2021 meldete das UN-Amt für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) 29 Angriffe auf Gesundheitseinrichtungen in der Region North-West und sieben in der Region South-West. Bei den Überfällen wurden medizinisches Personal und Patient_innen entführt und Einrichtungen niedergebrannt.
Am 9. Januar 2021 töteten Unbekannte Berichten zufolge den Leiter einer Schule in Ossing, Region South-West. Am 5. März entführten nach Angaben von OCHA unbekannte bewaffnete Männer eine_n Schüler_in aus einer Schule im Dorf Batoke in der Region South-West. Am 6. März entführten Bewaffnete zwei Lehrkräfte und eine_n Schüler_in aus einer Schule in Bamenda in der Region South-West. Am 24. November überfielen unbekannte Bewaffnete eine Schule in Ekondo Titi in der Region South-West und töteten dabei vier Schüler_innen und eine Lehrkraft.
Am 27. Februar 2021 entführten mutmaßliche bewaffnete Separatisten einen Arzt in der Region North-West und beschuldigten ihn, den Kampf für die Unabhängigkeit der anglophonen Landesteile nicht zu unterstützen. Er kam nach Zahlung eines Lösegelds frei. Am 13. März entführten mutmaßliche bewaffnete Separatisten laut Angaben der Nationalen Journalist_innengewerkschaft (Syndicat National des Journalistes) eine Journalistin der staatlichen Radio- und Fernsehanstalt Radiodiffusion-télévision du Cameroun aus ihrem Haus. Nach Zahlung eines Lösegelds kam sie wieder frei. Am 15. Juni wurden in Misore-Balue in der Region South-West sechs Staatsbedienstete entführt. Laut Berichten von staatlichen Medien und Menschenrechtsorganisationen wurde einer von ihnen hingerichtet.
Auch traditionelle Autoritäten, von denen vermutet wurde, dass sie auf der Seite der kamerunischen Regierung standen, wurden ins Visier genommen. Am 13. Februar entführten bewaffnete Männer in der Stadt Fontem in der Region South-West vier Gemeindesprecher. Drei von ihnen wurden Berichten zufolge später tot aufgefunden.
Diese Menschenrechtsverstöße fanden vor dem Hintergrund zunehmender Spannungen zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen des Landes statt. Zwischen dem 22. und 26. Februar 2021 griffen Bürgerwehren der ethnischen Gruppe der Fulani sieben Dörfer im Unterbezirk Nwa in der Region North-West an. Dabei wurden mindestens acht Menschen getötet und mehr als 4.200 Menschen vertrieben.
Am 5. März 2021 griffen bewaffnete Männer Fulani-Hirten im unteren Menchum-Tal in Boyo in der Region North-West an und töteten mindestens zehn Menschen. Anlass für den Angriff war die mutmaßliche Zerstörung der Ernte eines Bauern durch das Vieh der Hirten. Nach Angaben von OCHA griffen bewaffnete Männer zwei Tage später in derselben Gegend wiederum Fulani-Hirten an und töteten sechs Menschen, offenbar um den Tod einer Frau zu rächen, die in ihrem Haus in der Ortschaft Beneng lebendig verbrannt worden war.
Region Extrême-Nord
Die bewaffneten Gruppen Boko Haram und ISWAP verübten in der Region Extrême-Nord weiterhin schwere Menschenrechtsverstöße, darunter Tötungen, Entführungen, Plünderungen und Brandschatzungen von Häusern und Grundstücken. Betroffene waren hauptsächlich Bäuer_innen und Fischerleute in abgelegenen Gebieten.
Bis zum 24. Oktober 2021 sollen bei mehr als 50 Anschlägen mindestens 70 Zivilpersonen ums Leben gekommen sein. Am 8. Januar tötete eine Selbstmordattentäterin mindestens 15 Menschen in Mozogo.
Am 30. August 2021 wurden Berichten zufolge mindestens 15 Fischer aus der Ortschaft Blaram entführt. Am 10. November wurden in einem Dorf der Gemeinde Mokolo vier Dorfbewohner_innen bei einem Boko Haram zugeschriebenen Angriff getötet.
Eingeschränkter Zugang für Hilfsorganisationen
Am 3. August 2021 gab die NGO Ärzte ohne Grenzen bekannt, dass sie gezwungen sei, Mitarbeiter_innen aus der Region North-West abzuziehen, nachdem die Behörden die NGO im Dezember 2020 unter dem Vorwurf, lokale bewaffnete Gruppen unterstützt zu haben, suspendiert hatten.
Willkürliche Inhaftierungen
Die UN-Arbeitsgruppe gegen willkürliche Inhaftierungen hat in zwei Stellungnahmen von August 2019 und Mai 2021 die Freilassung von Mancho Bibixy Tse und Tsi Conrad gefordert. Die beiden Männer hatten in den Jahren 2016 und 2017 Proteste in den englischsprachigen Regionen angeführt und waren vor einem Militärgericht in der Hauptstadt Jaunde zu 15 Jahren Haft verurteilt worden. Ihnen waren "terroristische Handlungen, Sezession, Verbreitung falscher Informationen und Missachtung öffentlicher Einrichtungen und Staatsbediensteter" vorgeworfen worden. Auch zahlreiche weitere Gemeindesprecher_innen aus den anglophonen Gebieten blieben 2021 in Haft, nachdem sie von Militärgerichten verurteilt worden waren.
Mehr als 100 Mitglieder und Unterstützende der Oppositionspartei MRC (Mouvement pour la Renaissance du Cameroun) befanden sich Berichten zufolge weiterhin willkürlich in Haft. Sie wurden vor Militärgerichten wegen versuchter Revolution, Rebellion, Zusammenrottung oder Beteiligung an der Organisation einer nicht angemeldeten öffentlichen Versammlung angeklagt bzw. verurteilt. Die Vorwürfe bezogen sich auf ihr gesellschaftliches Engagement bzw. ihre Teilnahme an verbotenen Protesten im September 2020. Unter ihnen befanden sich Olivier Bibou Nissack, der Sprecher des MRC-Vorsitzenden Maurice Kamto, und Alain Fogué Tedom, Kassenwart der MRC, die beide zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt wurden.
Vier Mitglieder der Bewegung Stand Up For Cameroon wurden am 31. Dezember 2021 nach 15 Monaten in Untersuchungshaft vor einem Militärgericht wegen "Aufruhr" schuldig gesprochen und zu 16 Monaten Gefängnis verurteilt. Sie waren festgenommen worden, als sie an einem Treffen im Vorfeld der Proteste vom September 2020 teilnahmen.
Rechte auf Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit
Am 21. Juli 2021 verboten die Behörden eine von der MRC für den 25. Juli in Jaunde geplante Demonstration mit der Begründung, es bestehe "das Risiko einer schweren Störung der öffentlichen Ordnung" sowie "das Risiko der Ausbreitung von Covid-19". Im selben Monat wurden jedoch mehrere Demonstrationen zur Unterstützung der Regierungspartei genehmigt.
Am 26. August 2021 setzte das Ministerium für territoriale Verwaltung (Ministère de l'Administration Territoriale) den in Kamerun tätigen "Unterstützer_innen und Vertreter_innen ausländischer Vereinigungen" eine Frist von einem Monat, um ihm im Rahmen einer "Aktualisierungsmaßnahme" Informationen über ihre Hauptsitze und Büros zu übermitteln und die Namen und privaten Kontaktdaten ihrer Mitarbeiter_innen zu nennen. Andernfalls erhielten sie keine Genehmigung, weiter im Land zu arbeiten. Menschenrechtler_innen und NGOs verurteilten dieses Vorgehen.
Recht auf Gesundheit
Staatsbedienstete beschwerten sich in den Medien, dass ihren jeweiligen Behörden von der Regierung nicht genügend Finanzmittel für die Bewältigung der Coronapandemie zur Verfügung gestellt wurden. Am 19. Mai 2021 wurde in den Sozialen Medien ein durchgesickerter Bericht der Rechnungskammer des Obersten Gerichtshofs veröffentlicht. Er enthüllte potenziell fragwürdige Verträge, gefälschte Geschäftsbücher und die mutmaßliche Veruntreuung von Milliarden CFA-Francs durch staatliche Stellen aus dem Sonderfonds für Nationale Solidarität. Diesen Sonderfonds hatte Präsident Paul Biya im März 2020 für den Kampf gegen das Coronavirus eingerichtet. Am 28. Mai kündigten die Behörden richterliche Untersuchungen zur Aufklärung der Vorwürfe über Misswirtschaft an.
Bis 28. Dezember 2021 wurden lediglich 1.020.007 Impfstoffdosen gegen Covid-19 verimpft.
Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans- und Intergeschlechtlichen (LGBTI+)
LGBTI+ wurden weiterhin zur Zielscheibe von Menschenrechtsverletzungen.
Am 8. Februar 2021 wurden zwei trans Frauen in einem Restaurant von Gendarmen festgenommen. Sie gaben an, tätlich und verbal angegriffen worden zu sein, bevor sie ins Gefängnis New Bell in Douala gebracht wurden. Beide wurden wegen "versuchter Homosexualität", "Verstoßes gegen die guten Sitten" sowie "Nichtmitführen von Ausweispapieren" angeklagt und zu fünf Jahren Haft und einer Geldstrafe von 200.000 CFA-Francs (rd. 300 Euro) verurteilt. Sie wurden im Juni bis zur Gerichtsentscheidung über das eingelegte Rechtsmittel freigelassen.
Am 24. Februar 2021 stürmten laut Human Rights Watch Polizeikräfte das Büro von Colibri, einer NGO für HIV/AIDS-Prävention und -Behandlung in Bafoussam in der Region Ouest, und nahmen 13 Personen unter dem Vorwurf der Homosexualität fest. Sie wurden einige Tage später wieder freigelassen. Die zuvor Inhaftierten gaben an, dass sie gezwungen worden seien, Erklärungen zu unterschreiben. Zudem seien sie tätlich und verbal angegriffen worden und hätten sich HIV-Tests und Analuntersuchungen unterziehen müssen. Nach Paragraf 347-1 des Strafgesetzbuchs wird "jede Person, die sexuelle Beziehungen zu einer Person des eigenen Geschlechts unterhält" mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft.