Aktuell Ägypten 02. Januar 2019

"Die ägyptische Zivilgesellschaft agiert taff und mutig"

Frau mit Megafon und verklebtem Mund, dahinter ein gelbes Transparent und weitere Personen

"Unterdrückung der Zivilgesellschaft und der Meinungsfreiheit beenden": Amnesty-Protest anlässlich eines Staatsbesuches des ägyptischen Präsidenten Abdelfattah al-Sisi in Berlin (Archivaufnahme).

Ihnen droht Folter, Haft und tödliche Gewalt – trotzdem verteidigen sie die Menschenrechte: Mutige Aktivisten und insbesondere Aktivistinnen kämpfen für die ägyptische Zivilgesellschaft, sagt Hussein Baoumi, der für Amnesty zu Menschenrechtsverletzungen in Ägypten ermittelt.

Interview: Andreas Koob



Die Menschenrechte zu verteidigen – ist das in Ägypten gegenwärtig überhaupt möglich?

Trotz der systematischen Niederschlagung von Menschenrechtsarbeit und trotz aller Risiken sind es viele Personen, die die Menschenrechte verteidigen: Sie machen weiter unabhängig vom gewaltigen Ausmaß und Niveau der Repression, das kaum fassbar ist. Sie agieren unvergleichbar taff, widerständig und mutig. Viele Menschenrechtsverteidigerinnen und –verteidiger mussten das Land verlassen, andere kamen ins Gefängnis oder verschwanden; wieder andere dürfen nicht reisen oder haben keinen Zugriff auf eingefrorene NGO-Gelder. Aber die Arbeit für Menschenrechte geht weiter: Auch weil viele jungen Menschen gerade jetzt aktiv werden – die desolate Menschenrechtslage rüttelt sie wach. 

Sind aktive Frauen mehr Repression ausgesetzt als Männer?

Ägypten bleibt ein sehr konservatives, sehr patriarchales Land: Polizisten, Staatsanwälte, Richter sind ausschließlich Männer. Wenn Frauen Menschenrechte verteidigen – sprich die Verantwortlichen stören, ungehindert die Menschenrechte zu verletzen – widerspricht das auch den vorherrschenden ausschließenden Geschlechterverhältnissen – nach denen Frauen diese Arbeit, dieser Aktivismus nicht zusteht. Deshalb werden Menschenrechtsverteidigerinnen noch extremer angegriffen und niedergemacht – ohne dass die Verantwortlichen mit Konsequenzen rechnen müssen.

Die Menschenrechtsverteidigerin Amal Fathy postete auf Facebook ein Video, in dem sie eine von ihr erlebte sexuelle Belästigung thematisierte und forderte die Behörden auf, aktiv zu werden. Inzwischen ist sie deshalb zu zwei Jahren Haft verurteilt worden

Die Behörden drehen in ihrem Fall den Spieß um: Sie bezeichnen Fathys Vorwurf als Beleidigung und Angriff. Denn der staatliche Anspruch ist, öffentliche Plätze zu kontrollieren und sexuelle Übergriffe auf der Straße nicht zu dulden. Dabei geht es den Verantwortlichen gar nicht um gesellschaftliche Teilhabe und Schutz von Frauen, sondern schlicht um öffentliche Kontrolle. Jetzt offenbart sich mit Fathys Posting, dass die Behörden versagt haben. Und das wollen sie sich von einer Frau nicht sagen lassen und gehen jetzt gegen sie vor. Es ist paradox, wie die Betroffene selbst beschuldigt wird, statt das Problem der grassierenden sexuellen Belästigung und sexualisierten Gewalt zu bekämpfen.

Hussein Baoumi auf Twitter

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Amnesty protestierte Ende Oktober 2018 anlässlich des Staatsbesuchs von Präsident Al-Sisi in Berlin. Kann internationaler Protest etwas bewirken?

Es ist wichtig, dass Leute aktiv sind: Menschen können nur weggesperrt, gefoltert, oder getötet werden, wenn Europa und die USA weiterhin mit der ägyptischen Regierung kooperieren – egal, wie brutal sie auch gegen Menschen vorgeht. Der Angriff auf die Menschenrechte wäre sonst in dieser Form nicht möglich. Es ist bizarr: Die Menschenrechtsverletzungen sind international anerkannt, aber sie spielen kaum eine Rolle in den zwischenstaatlichen Beziehungen. Im Gegenteil: Berlin baut die Kooperation mit Präsident Al Sisi seit Jahren aus. Sei es wegen politischer oder wirtschaftlicher Interessen, wie Rüstungsexporten nach Ägypten. Das kommt einem Freibrief gleich. Stattdessen bräuchte es dringend klare Kritik an den Menschenrechtsverletzungen. Und genau dafür ist internationale Solidarität wichtig. 

Vergangenes Jahr zeichnete Amnesty in Deutschland die Menschenrechtsverteidigerinnen des Nadeem-Zentrums in Kairo mit dem Menschenrechtspreis aus. Das Zentrum unterstützt seit Jahrzehnten Menschen, die Folter überlebt haben. Was hat sich getan?

Das Zentrum ist weiterhin geschlossen und das Gerichtsverfahren dazu läuft. Wie sich inzwischen herausstellte, hat das Gesundheitsministerium kein offizielles Dekret zur Schließung erlassen – zumindest ist es nicht auffindbar. An der Schließung ändert das nichts. Das Nadeem-Zentrum ist eine der vielen zivilen Organisationen, die von der Regierung angegriffen wurden, weil sie angeblich ausländische Gelder erhalten, um dem Staat zu schaden. Die angeklagten Personen könnten bis zu 25 Jahre in Haft landen.


Wie recherchieren Sie für Amnesty in Anbetracht der harschen Repression im Land? 

Wir führen Interviews, verifizieren Informationen und sind so entsprechend unserer hohen Standards in der Lage Menschenrechtsverletzungen in Ägypten aufzudecken. Natürlich müssen wir die repressive Gesamtsituation berücksichtigen, improvisieren und mit der Kultur der Angst umgehen, die die Regierung schürt. Sie wollen die Leute zum Schweigen bringen, bis sich niemand mehr traut, mit Medienschaffenden und Menschenrechtsorganisationen zu reden oder es niemanden mehr gibt mit dem Interessierte reden könnten.

Welche Themen sind aktuell die wichtigsten?

Wir recherchieren zu Menschenrechtsverletzungen gegenüber Kindern: Es gibt viele Kinder, die gefoltert wurden oder verschwanden. Das Militär entführte etwa ein zwölfjähriges Kind, folterte es und steckte es mehr als vier Monate in Einzelhaft, während sich seine gesundheitliche Situation rapide verschlechterte. Auch sein Vater und Onkel waren zuvor schon verschwunden. Teils handelt es sich um völlig unerklärliche Festnahmen, teils werden die Kinder gezielt entführt, damit sich die politisch aktiven Eltern den Behörden stellen.

 

Werde aktiv! Beteilige dich an unserer Kampagne "Mut braucht Schutz" und unterstütze Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidiger!

 

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