Ägypten: Menschenrechtler in Haft gefoltert

Eine Collage von zwei Porträts zweier Männer, die in die Kamera lachen

Der Aktivist Alaa Abdel Fattah und der Anwalt Mohamed el-Baqer aus Ägypten

Die ägyptischen Behörden haben den bekannten ägyptisch-britischen Aktivisten Alaa Abdel Fattah sowie den Menschenrechtsverteidiger und Rechtsanwalt Mohamed al-Baqer seit ihrer Festnahme am 29. September 2019 einer Fülle von Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt. Dazu gehören die willkürliche Inhaftierung, ein unfaires Verfahren, Folter und andere Misshandlungen sowie das zeitweilige Untersagen von Familienbesuchen. Bei ihrem jüngsten Angriff auf Gefangene am 10. April wurde Mohamed al-Baqer von den Gefängnisbehörden im Gefängnis Badr 1 entkleidet, geschlagen und auf weitere Arten misshandelt und anschließend in Einzelhaft gesteckt. Am 17. April nahmen die Behörden auch Mohamed al-Baqers Frau, Neama Hisham, fest, nachdem sie über den Angriff berichtet hatte, und brachten sie vorübergehend an einen unbekannten Ort.

Appell an

Präsident
Abdel Fattah al-Sisi
Office of the President
Al Ittihadia Palace
Cairo
ÄGYPTEN

 

Sende eine Kopie an

Twitter: @AlsisiOfficial
 

Botschaft der Arabischen Republik Ägypten
S.E. Herrn Khaled Galal Abdelhami
Stauffenbergstraße 6 – 7
10785 Berlin
Fax: 030-477 1049
E-Mail: embassy@egyptian-embassy.de

Amnesty fordert:

  • Ich fordere Sie höflich auf, Alaa Abdel Fattah und Mohamed al-Baqer umgehend und bedingungslos freizulassen, da sie nur wegen der friedlichen Ausübung ihrer Menschenrechte inhaftiert sind.
  • Sorgen Sie dafür, dass Sie bis zu ihrer Freilassung regelmäßigen Zugang zu ihren Rechtsbeiständen und Familien sowie zu einer angemessenen medizinischen Versorgung erhalten und unter Bedingungen inhaftiert sind, die den internationalen Standards für die Behandlung von Gefangenen entsprechen. Alaa Abdel Fattah muss außerdem unverzüglich konsularischer Besuch gewährt werden.
  • Bitte ordnen Sie eine sofortige, unparteiische, unabhängige und wirksame Untersuchung der Folter- und Misshandlungsvorwürfe von Mohamed al-Baqer und anderen Häftlingen im Gefängnis Badr 1 an, und bringen Sie alle Verantwortlichen in fairen Verfahren vor Gericht.

Sachlage

Der ägyptisch-britische Aktivist Alaa Abdel Fattah und der Menschenrechtsanwalt Mohamed al-Baqer wurden nach einem äußerst unfairen Verfahren im Dezember 2021 von einem Sondergericht wegen "Verbreitung falscher Nachrichten" zu fünf bzw. vier Jahren Gefängnis verurteilt. Die beiden Aktivisten befinden sich bereits seit 42 Monaten unter Bedingungen im Gefängnis, die gegen das absolute Verbot von Folter und anderen Misshandlungen verstoßen. Bei ihrem letzten Angriff auf Gefangene im Gefängnis Badr 1 schlugen die Gefängnisbehörden Mohamed al-Baqer und andere Gefangene, um sie zu bestrafen und zu erniedrigen, weil sie versucht hatten, einzugreifen und einen älteren Gefangenen vor Misshandlung zu schützen. Mohamed al-Baqer wurde dann bis auf die Unterwäsche entkleidet und drei Tage lang in eine "Strafzelle" ohne Fenster, Belüftung, Licht, Matratze oder Laken gesteckt. Außerdem erhielt er nicht genügend Trinkwasser und Nahrung. Seit seiner Verlegung aus der "Strafzelle" am 13. April befindet er sich in Einzelhaft, ohne Möglichkeit, im Gefängnishof Sport zu treiben. Nach einem Besuch am 16. April schrieb seine Frau Neama Hisham in den Sozialen Medien, dass er Verletzungen am Mund, links am Brustkorb sowie am Handgelenk erlitten habe, das noch immer erkennbar geschwollen sei. Sie wurde am nächsten Tag (17. April) bei Tagesanbruch von Sicherheitskräften festgenommen und an einen unbekannten Ort gebracht. Am 18. April erreichte Amnesty die Meldung, dass sie freigelassen wurde.

Die Behörden im Gefängnis Wadi al-Natroun, wo Alaa Abdel Fattah derzeit inhaftiert ist, erlauben nur Familienbesuche mit Trennung durch eine Glasscheibe. Dadurch hat Alaa Abdel Fattah seit anderthalb Jahren keine Möglichkeit, seinen autistischen Sohn, der nicht spricht, zu sehen und mit diesem zu kommunizieren. Seit seiner Verlegung ins Gefängnis Wadi al-Natroun im Mai 2022 wird Alaa Abdel Fattah der Zugang zu Sonnenlicht und frischer Luft verwehrt. Die Behörden verweigern ihm auch den Zugang zu seinen Rechtsbeiständen und zu konsularischem Beistand sowie zu Telefongesprächen mit seiner Familie. Bei einem Familienbesuch im Februar äußerte Alaa Abdel Fattah große Frustration angesichts des Ausbleibens konsularischen Beistands durch die britischen Behörden, obwohl seine Familie wiederholt darum gebeten hatte. Wie er seiner Familie erzählte, könnte er sich beim weiteren Ausbleiben eines angemessenen Engagements durch die britischen Behörden dazu genötigt sehen, erneut in den Hungerstreik zu treten. Er hatte erst im November 2022 einen siebenmonatigen Hungerstreik beendet.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Alaa Abdel Fattah, ein bekannter politischer Aktivist und Regierungskritiker, wurde in den letzten Jahren wiederholt festgenommen, unter anderem wegen seiner Rolle beim Aufstand von 2011, der zum Sturz des damaligen Präsidenten Hosni Mubarak führte – nach fast 30 Jahren im Amt. Mohamed al-Baqer ist Menschenrechtsanwalt und Direktor des Adalah Center for Rights and Freedoms, das er 2014 gründete. Alaa Abdel Fattah und Mohamed al-Baqer befinden sich seit dem 29. September 2019 wegen konstruierter terrorismusbezogener Vorwürfe in Haft. Die Ermittlungen laufen unter der Nummer 1356/2019 der Obersten Staatsanwaltschaft für Staatssicherheit (SSSP), einer auf die Untersuchung von Bedrohungen der nationalen Sicherheit spezialisierten Abteilung der Staatsanwaltschaft.

Die SSSP leitete unter der neuen Fallnummer 1228/2021 weitere Ermittlungen wegen ähnlicher Anschuldigungen gegen die beiden Männer ein. Dies ist Teil einer von den Behörden zunehmend angewandten Strategie, die als "Rotation" bezeichnet wird, um die nach ägyptischem Recht zulässige zweijährige Untersuchungshaft zu umgehen und die Inhaftierung von Aktivist*innen auf unbestimmte Zeit verlängern zu können. Am 28. Oktober 2021 begann das Gerichtsverfahren gegen Alaa Abdel Fattah und Mohamed al-Baqer im Fall Nr. 1228/2021 zeitgleich mit dem Verfahren gegen einen anderen Angeklagten: Der Blogger und Aktivist Mohamed Ibrahim Radwan "Oxygen" wurde ebenfalls wegen Anklagen der "Verbreitung falscher Nachrichten" im Zusammenhang mit Beiträgen in den Sozialen Medien zu vier Jahren Gefängnis verurteilt. Verfahren vor den Staatssicherheitsgerichten sind grundsätzlich nicht fair, denn ihre Urteile können nicht vor einem höheren Gericht angefochten werden. Den Angeklagten wurde ihr Recht auf angemessene Verteidigung verweigert, da ihre Rechtsbeistände daran gehindert wurden, vertraulich mit ihnen zu kommunizieren und ihre Fallakten, Anklageschriften und Urteilssprüche zu kopieren. Am 3. Januar 2022 bestätigte Präsident Abdel Fattah al-Sisi die Urteile gegen die drei. Aus einem von Amnesty International eingesehenen Dokument geht hervor, dass der Beginn der Haftstrafe auf das Datum der Ratifizierung gelegt worden war anstatt auf das Datum der Festnahmen.

Alaa Abdel Fattah und Mohamed al-Baqer waren vom September 2019 bis Mai bzw. Oktober 2022 unter menschenunwürdigen Bedingungen im Hochsicherheitsgefängnis Tora 2 in Kairo inhaftiert. Die Gefängnisbehörden hielten sie in kleinen, schlecht belüfteten Zellen fest und verweigerten ihnen Betten und Matratzen. Anders als andere Gefangene durften sie weder Sport im Gefängnishof treiben noch die Gefängnisbibliothek nutzen oder Bücher und Zeitungen von außerhalb auf eigene Kosten im Gefängnis erhalten. Auch angemessene Kleidung, ein Radio, eine Uhr, Zugang zu warmem Wasser und jedwede persönliche Gegenstände, wie z. B. Familienfotos, wurden ihnen verweigert. Am 12. Mai 2022 berichtete Alaa Abdel Fattah seiner Mutter, dass er von der stellvertretenden Gefängnisaufsicht des Hochsicherheitsgefängnisses Tora 2 geschlagen worden war, während er Handschellen trug. Nach großem öffentlichem Druck wurde er am 18. Mai 2022 ins Gefängnis Wadi al-Natroun verlegt. Mohamed al-Baqer wurde am 2. Oktober 2022 ins Gefängnis Badr 1 verlegt. Dort beschweren sich Häftlinge, dass sie unter konstanter Kameraüberwachung stehen und ständiger Neonbeleuchtung ausgesetzt sind. Da die Gefängniskantine häufig geschlossen ist und die Gefängnisbehörden nachweislich nicht in der Lage sind, die Häftlinge mit dem Nötigsten zu versorgen, muss Mohamed al-Baqer gelegentlich unsauberes Leitungswasser trinken und bekommt nicht genügend gehaltvolle Nahrung. Außerdem verweigern ihm die Gefängnisbeamten immer wieder ohne Erklärung Lesematerial sowie Briefe von Familie und Freund*innen. Die Gefängnisbehörden verwehren den Inhaftierten jegliche Telefonate, was gegen die Verpflichtungen Ägyptens nach internationalen Menschenrechtsabkommen und ebenfalls gegen Paragraf 38 des ägyptischen Gesetzes 38 396/1956 über Gefängnisse verstößt.

Seit der Reaktivierung des präsidialen Begnadigungsausschusses im April 2022 durch den Präsidenten haben die ägyptischen Behörden viele bekannte gewaltlose politische Gefangene und Hunderte aus politischen Gründen Inhaftierte freigelassen. Dennoch sind Tausende weiter willkürlich inhaftiert – und das nur, weil sie friedlich ihre Menschenrechte ausübten, oder nach grob unfairen Gerichtsverfahren oder komplett ohne rechtliche Grundlage.

Im Vorfeld der UN-Klimakonferenz (COP27) wurden Hunderte von Menschen verhaftet und in Untersuchungshaft genommen, weil sie am 11. November zu friedlichen Protesten aufgerufen hatten. Während der COP27 wurden viele Stimmen laut, die die ägyptischen Behörden aufforderten, Alaa Abdel Fattah freizulassen, der sich zu Beginn der Konferenz am 6. November 2022 seit sieben Monaten im Hungerstreik befand. Am 8. November drückte der UN-Hochkommissar für Menschenrechte, Volker Türk, sein Bedauern angesichts der andauernden Inhaftierung von Alaa Abdel Fattah aus und forderte dessen umgehende Freilassung. Volker Türk forderte die Behörden auch auf, Alaa Abdel Fattah jedwede nötige medizinische Versorgung zukommen zu lassen. Alaa Abdel Fattah trat am 2. April 2022 in den Hungerstreik, um gegen seine unfaire Inhaftierung und die Kontaktsperre zu Vertreter*innen der britischen Botschaft zu protestieren. Am 1. November verschärfte er seinen Hungerstreik und nahm auch die 100 Kalorien, die er seit April noch zu sich genommen hatte, nicht mehr zu sich. Ab dem 6. November trank er auch kein Wasser mehr. Am 11. November 2022 verlor Alaa Abdel Fattah in der Dusche das Bewusstsein. Als er wieder zu sich kam, hatte sich eine Menschenmenge um ihn gebildet und er wurde von einem Mitgefangenen gehalten. Außerdem hatte man ihm eine Ernährungssonde gelegt. Nach dieser Nahtoderfahrung entschied Alaa Abdel Fattah, seinen Hungerstreik nicht unmittelbar fortzusetzen. Er blieb aber entschlossen, wieder in den Hungerstreik zu treten, falls "es weiterhin keine erkennbaren Fortschritte in seinem Fall gibt".

Am 24. März 2023 veröffentlichte der UN-Menschenrechtsausschuss seine abschließenden Beobachtungen zur Einhaltung der Verpflichtungen Ägyptens im Rahmen des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte. Darin hob er mehrere Probleme hervor, die seit 2013 von Amnesty International und anderen ägyptischen und internationalen Menschenrechtsgruppen angemahnt wurden, darunter willkürliche Inhaftierungen und der Missbrauch der Antiterrorgesetze, um tatsächliche oder vermeintliche Kritiker*innen der ägyptischen Behörden zum Schweigen zu bringen.