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Ägypten: Menschenrechtler weiter in Haft
Der Aktivist Alaa Abdel Fattah und der Anwalt Mohamed el-Baqer aus Ägypten
© privat
Der bekannte ägyptisch-britische Aktivist Alaa Abdel Fattah ist nach wie vor willkürlich im Gefängnis Wadi al-Natroun inhaftiert und hat noch immer keinen Zugang zu konsularischem Beistand erhalten. Am 20. Juli wurde der Menschenrechtsanwalt Mohamed al-Baqer im Zuge einer Präsidialamnestie vom 19. Juli freigelassen. Er hatte sich allein wegen seiner friedlichen Menschenrechtsarbeit 45 Monate willkürlich in Haft befunden. Mohamed al-Baqer war am 29. September 2019 von der Obersten Staatsanwaltschaft für Staatssicherheit (SSSP) festgenommen worden. Er hatte die Staatsanwaltschaft aufgesucht, um Alaa Abdel Fattah, der zuvor am gleichen Tag festgenommen worden war, rechtlich zu vertreten. Beide Männer waren in der Haft einer Fülle von Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt. Dazu gehören die willkürliche Inhaftierung, ein unfaires Verfahren, Folter und andere Misshandlungen sowie das zeitweilige Untersagen von Familienbesuchen. Alaa Abdel Fattah muss unverzüglich und bedingungslos freigelassen werden, da seine Inhaftierung allein auf der friedlichen Wahrnehmung seiner Menschenrechte beruht.
Appell an
Präsident
Abdel Fattah al-Sisi
Office of the President
Al Ittihadia Palace
Kairo
ÄGYPTEN
Sende eine Kopie an
Twitter: @AlsisiOfficial
BOTSCHAFT DER ARABISCHEN REPUBLIK ÄGYPTEN
S.E. Herrn Khaled Galal Abdelhamid
Stauffenbergstraße 6-7
10785 Berlin
Fax: 030-477 1049
E-Mail: embassy@egyptian-embassy.de
Amnesty fordert:
- Ich fordere Sie höflich auf, Alaa Abdel Fattah umgehend und bedingungslos freizulassen, da er nur wegen der friedlichen Ausübung seiner Menschenrechte inhaftiert ist.
- Sorgen Sie dafür, dass er bis zu seiner Freilassung regelmäßigen Zugang zu seinen Rechtsbeiständen und seiner Familie sowie zu einer angemessenen medizinischen Versorgung erhält und unter Bedingungen inhaftiert ist, die den internationalen Standards für die Behandlung von Gefangenen entsprechen. Alaa Abdel Fattah muss außerdem unverzüglich konsularischer Besuch gewährt werden.
- Darüber hinaus möchte ich Sie bitten, dafür zu sorgen, dass Mohamed al-Baqer Zugang zu einem Rechtsmittel für die Schäden erhält, die er während seiner 45-monatigen willkürlichen Inhaftierung erlitten hat.
Sachlage
Der Menschenrechtsaktivist und Anwalt Mohamed al-Baqer wurde am 20. Juli im Zuge einer Präsidialamnestie vom 19. Juli freigelassen. Er war fast vier Jahre lang zu Unrecht inhaftiert und muss Zugang zu einem Rechtsbehelf für den erlittenen Schaden erhalten. Der bekannte Aktivist Alaa Abdel Fattah befindet sich nach wie vor rechtswidrig in Haft. Er war im September 2019 allein wegen der Wahrnehmung seiner Menschenrechte inhaftiert worden. Alaa Abdel Fattah wurde am 20. Dezember 2021 nach einem äußerst unfairen Verfahren von einem Sondergericht wegen "Verbreitung falscher Nachrichten" zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt. Er war einen Großteil der letzten zehn Jahre willkürlich inhaftiert und einer Fülle von Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt. Dazu gehören Folter und andere Misshandlungen, eine verlängerte willkürliche Inhaftierung, ein unfaires Verfahren, das Untersagen von Familienbesuchen sowie die Haft unter grausamen und unmenschlichen Bedingungen.
Seiner Schwester zufolge, die ihn im Juli besuchte, haben sich die Haftbedingungen von Alaa Abdel Fattah im Gefängnis Wadi al-Natroun und auch seine psychische Verfassung verbessert. Nach wie vor finden Besuche jedoch hinter einer Trennscheibe statt, so dass er seine Familie nicht in den Arm nehmen kann. Die Behörden verweigern ihm auch den Zugang zu seinen Rechtsbeiständen und zu konsularischem Beistand sowie zu Telefongesprächen mit seiner Familie. Bei Familienbesuchen äußerte Alaa Abdel Fattah große Frustration angesichts des Ausbleibens konsularischen Beistands durch die britischen Behörden, obwohl er und seine Familie wiederholt darum gebeten hatten.
Hintergrundinformation
Alaa Abdel Fattah, ein bekannter politischer Aktivist und Regierungskritiker, wurde in den letzten Jahren wiederholt festgenommen, unter anderem wegen seiner Rolle beim Aufstand von 2011, der zum Sturz des damaligen Präsidenten Hosni Mubarak führte – nach fast 30 Jahren im Amt. Mohamed al-Baqer ist Menschenrechtsanwalt und Direktor des Adalah Center for Rights and Freedoms, das er 2014 gründete. Alaa Abdel Fattah und Mohamed al-Baqer befinden sich seit dem 29. September 2019 wegen konstruierter terrorismusbezogener Vorwürfe in Haft. Die Ermittlungen laufen unter der Nummer 1356/2019 der Obersten Staatsanwaltschaft für Staatssicherheit (SSSP), einer auf die Untersuchung von Bedrohungen der nationalen Sicherheit spezialisierten Abteilung der Staatsanwaltschaft.
Die SSSP leitete unter der neuen Fallnummer 1228/2021 weitere Ermittlungen wegen ähnlicher Anschuldigungen gegen die beiden Männer ein. Dies ist Teil einer von den Behörden zunehmend angewandten Strategie, die als "Rotation" bezeichnet wird, um die nach ägyptischem Recht zulässige zweijährige Untersuchungshaft zu umgehen und die Inhaftierung von Aktivist*innen auf unbestimmte Zeit verlängern zu können. Am 28. Oktober 2021 begann das Gerichtsverfahren gegen Alaa Abdel Fattah und Mohamed al-Baqer im Fall Nr. 1228/2021 zeitgleich mit dem Verfahren gegen einen anderen Angeklagten: Der Blogger und Aktivist Mohamed Ibrahim Radwan "Oxygen" wurde ebenfalls wegen Anklagen der "Verbreitung falscher Nachrichten" im Zusammenhang mit Beiträgen in den Sozialen Medien zu vier Jahren Gefängnis verurteilt. Verfahren vor den Staatssicherheitsgerichten sind grundsätzlich nicht fair, denn ihre Urteile können nicht vor einem höheren Gericht angefochten werden. Den Angeklagten wurde ihr Recht auf angemessene Verteidigung verweigert, da ihre Rechtsbeistände daran gehindert wurden, vertraulich mit ihnen zu kommunizieren und ihre Fallakten, Anklageschriften und Urteilssprüche zu kopieren. Am 3. Januar 2022 bestätigte Präsident Abdel Fattah al-Sisi die Urteile gegen die drei. Aus einem von Amnesty International eingesehenen Dokument geht hervor, dass der Beginn der Haftstrafe auf das Datum der Ratifizierung gelegt worden war anstatt auf das Datum der Festnahmen.
Alaa Abdel Fattah und Mohamed al-Baqer waren vom September 2019 bis Mai bzw. Oktober 2022 unter menschenunwürdigen Bedingungen im Hochsicherheitsgefängnis Tora 2 in Kairo inhaftiert. Die Gefängnisbehörden hielten sie in kleinen, schlecht belüfteten Zellen fest und verweigerten ihnen Betten und Matratzen. Anders als andere Gefangene durften sie weder Sport im Gefängnishof treiben noch die Gefängnisbibliothek nutzen oder Bücher und Zeitungen von außerhalb auf eigene Kosten im Gefängnis erhalten. Auch angemessene Kleidung, ein Radio, eine Uhr, Zugang zu warmem Wasser und jedwede persönliche Gegenstände, wie z. B. Familienfotos, wurden ihnen verweigert. Am 12. Mai 2022 berichtete Alaa Abdel Fattah seiner Mutter, dass er von der stellvertretenden Gefängnisaufsicht des Hochsicherheitsgefängnisses Tora 2 geschlagen worden war, während er Handschellen trug. Nach großem öffentlichem Druck wurde er am 18. Mai 2022 ins Gefängnis Wadi al-Natroun verlegt. Mohamed al-Baqer wurde am 2. Oktober 2022 ins Gefängnis Badr 1 verlegt. Dort beschweren sich Häftlinge, dass sie unter konstanter Kameraüberwachung stehen und ständiger Neonbeleuchtung ausgesetzt sind. Am 10. April wurde Mohamed al-Baqer von den Gefängnisbehörden im Gefängnis Badr 1 entkleidet, geschlagen und auf weitere Arten misshandelt und anschließend in Einzelhaft gesteckt. Am 17. April nahmen die Behörden auch Mohamed al-Baqers Frau, Neama Hisham, fest, nachdem sie über den Angriff berichtet hatte, und hielten sie rund 13 Stunden lang fest.
Seit der Reaktivierung des präsidialen Begnadigungsausschusses im April 2022 durch den Präsidenten haben die ägyptischen Behörden viele bekannte gewaltlose politische Gefangene und Hunderte aus politischen Gründen Inhaftierte freigelassen. Dennoch sind Tausende weiter willkürlich inhaftiert – und das nur, weil sie friedlich ihre Menschenrechte ausübten, oder nach grob unfairen Gerichtsverfahren oder komplett ohne rechtliche Grundlage.
Im Vorfeld der UN-Klimakonferenz (COP27) wurden Hunderte von Menschen verhaftet und in Untersuchungshaft genommen, weil sie am 11. November zu friedlichen Protesten aufgerufen hatten. Während der COP27 wurden viele Stimmen laut, die die ägyptischen Behörden aufforderten, Alaa Abdel Fattah freizulassen, der sich zu Beginn der Konferenz am 6. November 2022 seit sieben Monaten im Hungerstreik befand. Am 8. November drückte der UN-Hochkommissar für Menschenrechte, Volker Türk, sein Bedauern angesichts der andauernden Inhaftierung von Alaa Abdel Fattah aus und forderte dessen umgehende Freilassung. Volker Türk forderte die Behörden auch auf, Alaa Abdel Fattah jedwede nötige medizinische Versorgung zukommen zu lassen. Alaa Abdel Fattah trat am 2. April 2022 in den Hungerstreik, um gegen seine unfaire Inhaftierung und die Kontaktsperre zu Vertreter*innen der britischen Botschaft zu protestieren. Am 1. November verschärfte er seinen Hungerstreik und nahm auch die 100 Kalorien, die er seit April noch zu sich genommen hatte, nicht mehr zu sich. Ab dem 6. November trank er auch kein Wasser mehr. Am 11. November 2022 verlor Alaa Abdel Fattah in der Dusche das Bewusstsein. Als er wieder zu sich kam, hatte sich eine Menschenmenge um ihn gebildet und er wurde von einem Mitgefangenen gehalten. Außerdem hatte man ihm eine Ernährungssonde gelegt. Nach dieser Nahtoderfahrung entschied Alaa Abdel Fattah, seinen Hungerstreik nicht unmittelbar fortzusetzen. Er blieb aber entschlossen, wieder in den Hungerstreik zu treten, falls "es weiterhin keine erkennbaren Fortschritte in seinem Fall gibt".
Am 24. März 2023 veröffentlichte der UN-Menschenrechtsausschuss seine abschließenden Beobachtungen zur Einhaltung der Verpflichtungen Ägyptens im Rahmen des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte. Darin hob er mehrere Probleme hervor, die seit 2013 von Amnesty International und anderen ägyptischen und internationalen Menschenrechtsgruppen angemahnt wurden, darunter willkürliche Inhaftierungen und der Missbrauch der Antiterrorgesetze, um tatsächliche oder vermeintliche Kritiker*innen der ägyptischen Behörden zum Schweigen zu bringen.