Ägypten: Inhaftierter Aktivist in Lebensgefahr

Eine Collage von zwei Porträts zweier Männer, die in die Kamera lachen

Der Aktivist Alaa Abdel Fattah und der Anwalt Mohamed el-Baqer aus Ägypten

Der Menschenrechtsverteidiger Alaa Abdel Fattah befindet sich seit dem 2. April im Hungerstreik, um gegen seine willkürliche Inhaftierung und die grausamen Haftbedingungen zu protestieren. Der ägyptisch-britische Staatsbürger war im Dezember 2021, gemeinsam mit dem Menschenrechtsanwalt Mohamed al-Baqer, zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt worden. Vorausgegangen war ein grob unfaires Verfahren vor einem Staatssicherheitsgericht. Amnesty International fordert die umgehende und bedingungslose Freilassung der beiden gewaltlosen politischen Gefangenen.

Appell an

Abdel Fattah al-Sisi

Office of the President

Al Ittihadia Palace

Cairo, ÄGYPTEN

Sende eine Kopie an

Botschaft der Arabischen Republik Ägypten

S.E. Herr Khaled Mohamed Galaleldin Abdelhamid

Stauffenbergstraße 6-7

10785 Berlin

Fax: 030-477 1049

E-Mail:
embassy@egyptian-embassy.de

Amnesty fordert:

  • Ich fordere Sie höflich auf, Alaa Abdel Fattah und Mohamed Baker umgehend und bedingungslos freizulassen, das Urteil gegen sie für nichtig zu erklären und alle Anklagen gegen sie fallen zu lassen, da sie nur aufgrund der friedlichen Ausübung ihrer Menschenrechte inhaftiert sind.
  • Bis zu ihrer Freilassung fordere ich Sie nachdrücklich auf, sicherzustellen, dass sie unter Bedingungen festgehalten werden, die den internationalen Standards für die Behandlung von Gefangenen entsprechen. Dazu gehört auch, ihnen eine angemessene Gesundheitsversorgung in einem Krankenhaus außerhalb des Gefängnisses zu ermöglichen, sie vor Folter und anderen Misshandlungen zu schützen und ihnen den regelmäßigen Kontakt zu ihren Familienangehörigen und Rechtsbeiständen zu gewähren.
  • Außerdem muss Alaa Abdel Fattah Zugang zu qualifiziertem medizinischen Fachpersonal erhalten, das seine medizinische Versorgung im Einklang mit der Medizinethik gewährleistet. Dazu gehören die Grundsätze der Vertraulichkeit, der Selbstbestimmung und der Einwilligung nach Aufklärung. Darüber hinaus muss ihm unverzüglich ein konsularischer Besuch im Einklang mit dem Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen gewährt werden.

Sachlage

Im Dezember 2021 wurden der Menschenrechtsverteidiger Alaa Abdel Fattah und der Menschenrechtsanwalt Mohamed al-Baqer durch ein Staatssicherheitsgericht für die "Verbreitung falscher Nachrichten, die die nationale Sicherheit untergraben" zu einer Strafe von fünf bzw. vier Jahren Gefängnis verurteilt, obwohl sie nur friedlich ihre Menschenrechte ausgeübt hatten. Die beiden sind bereits seit September 2019, d.h. mehr als 31 Monate willkürlich inhaftiert. Währenddessen wird aufgrund haltloser Vorwürfe in mehreren weiteren Fällen gegen sie ermittelt.

Der Gesundheitszustand von Alaa Abdel Fattah hat sich massiv verschlechtert, seit er am 2. April in den Hungerstreik getreten ist. Er nimmt nur Wasser und Salz zu sich, um gegen seine willkürliche Inhaftierung und die grausamen und unmenschlichen Haftbedingungen zu protestieren, denen er ausgesetzt ist. So hat er seit zweieinhalb Jahren keinen Zugang zu Lesematerial, außerdem wird ihm die Möglichkeit verweigert, sich an der frischen Luft zu bewegen. Die Gefängnis- und Sicherheitsbehörden gestatten ihm nur einen Familienbesuch pro Monat – und zwar ausschließlich unter Aufsicht und durch eine Glaswand getrennt, was jeglichen Körperkontakt mit seinen Angehörigen verhindert. Beim letzten Besuch seiner Mutter am 12. Mai wirkte er gebrechlich und hatte offensichtlich erheblich an Gewicht verloren. Die Sorge um sein Leben wird täglich größer.

Bei diesem Besuch berichtete Alaa Abdel Fattah seiner Mutter, dass ihn der stellvertretende Gefängnisdirektor des Hochsicherheitsgefängnisses Tora 2 am 7. Mai zusammengeschlagen habe, während er Handschellen trug. Auslöser war seine Bitte, im Freien Sport machen zu dürfen. Demgegenüber behauptete der Vorsitzende des staatlichen Nationalen Menschenrechtsrats in einer Erklärung vom 15. Mai, dass ihm die Einhaltung der Rechte von Alaa Abdel Fattah offiziell bestätigt worden sei. Amnesty International ist der Ansicht, dass die Gefängnisbeamten Alaa Abdel Fattah foltern, um ihn für seinen Aktivismus und seine prominente Rolle in der Revolution des 25. Januar zu bestrafen. Die Folter besteht darin, ihn absichtlich unter grausamen und unmenschlichen Haftbedingungen festzuhalten und ihm schwere Schmerzen und Leiden zuzufügen.

Nachdem Alaa Abdel Fattah durch seine in Großbritannien geborene Mutter die britische Staatsbürgerschaft erhalten hatte, wurde im Dezember 2021 offiziell ein konsularischer Besuch beantragt. Die Antwort durch die ägyptischen Behörden steht noch aus.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Mohamed al-Baqer und Alaa Abdel Fattah befinden sich seit dem 29. September 2019 in Haft. Neben der Verurteilung wegen "Verbreitung falscher Nachrichten, die die nationale Sicherheit untergraben" wird gegen sie wegen "Beitritts zu einer terroristischen Vereinigung", "Finanzierung einer terroristischen Vereinigung" und "Nutzung Sozialer Medien zum Verüben eines Veröffentlichungsdelikts" ermittelt. Dies geschieht unter der Fallnummer 1356/2019 der Obersten Staatsanwaltschaft SSSP, einer auf die Untersuchung von Bedrohungen der nationalen Sicherheit spezialisierten Abteilung der Staatsanwaltschaft. Die SSSP leitete unter der neuen Fallnummer 1228/2021 weitere Ermittlungen wegen ähnlicher Anschuldigungen gegen sie ein. Dies ist Teil einer von den Behörden zunehmend angewandten Strategie, die als "Rotation" bezeichnet wird, um die nach ägyptischem Recht zulässige zweijährige Untersuchungshaft zu umgehen und die Inhaftierung von Aktivist_innen auf unbestimmte Zeit verlängern zu können.

Am 28. Oktober 2021 begann das Gerichtsverfahren von Alaa Abdel Fattah und Mohamed al-Baqer im Fall Nr. 1228/2021 zeitgleich mit dem Verfahren gegen einen anderen Angeklagten: Der Blogger und Aktivist Mohamed Ibrahim Radwan "Oxygen" wurde ebenfalls wegen Anklagen der "Verbreitung falscher Nachrichten" im Zusammenhang mit Beiträgen in den Sozialen Medien zu vier Jahren Gefängnis verurteilt. Verfahren vor den Staatssicherheitsgerichten sind grundsätzlich nicht fair, denn ihre Urteile können nicht vor einem höheren Gericht angefochten werden. Den Angeklagten wurde ihr Recht auf angemessene Verteidigung verweigert, da ihre Rechtsbeistände daran gehindert wurden, vertraulich mit ihnen zu kommunizieren und ihre Fallakten, Anklageschriften, und Urteilssprüche zu kopieren. Die Rechtsbeistände reichten Beschwerden bei der Behörde ein, die für die Bestätigung der Urteile von Staatssicherheitsgerichten (Emergency State Security Courts, ESSC) zuständig ist. Das Ziel war dabei, Präsident Abdel Fattah al-Sisi dazu zu bewegen, diese Urteile gemäß Artikel 14 des Notstandsgesetzes für nichtig zu erklären. Doch am 3. Januar 2022 bestätigte Präsident Abdel Fattah al-Sisi die Urteile gegen die drei. Aus einem von Amnesty International eingesehenen Dokument geht hervor, dass der Beginn der Haftstrafe auf das Datum der Ratifizierung gelegt worden war anstatt auf das Datum der Festnahme. Die Rechtbeistände von Mohamed al-Baqer haben vor dem Staatsrat – dem Oberverwaltungsgericht – beantragt, dass die 31 Monate, die er bereits in Untersuchungshaft verbracht hat, auf seine Strafe angerechnet werden. Die nächste Anhörung wurde auf den 14. Mai anberaumt.

Alaa Abdel Fattah und Mohamed al-Baqer sind unter menschenunwürdigen Bedingungen im Hochsicherheitsgefängnis Tora 2 in Kairo inhaftiert. Die Gefängnisbehörden halten sie in kleinen, schlecht belüfteten Zellen fest und verweigern ihnen Betten und Matratzen. Anders als andere Gefangene dürfen Mohamed al-Baqer und Alaa Abdel Fattah weder Sport im Gefängnishof treiben noch die Gefängnisbibliothek nutzen oder Bücher und Zeitungen auf eigene Kosten im Gefängnis erhalten. Auch angemessene Kleidung, ein Radio, eine Uhr, Zugang zu warmem Wasser und jedwede persönlichen Gegenstände, wie z.B. Familienfotos, werden ihnen verweigert. Mohamed al-Baqer erzählte seiner Ehefrau während eines Gefängnisbesuchs, dass er aufgrund der schlechten Haftbedingungen und begrenzten Bewegungsmöglichkeiten inzwischen Schmerzen in Muskeln und Gelenken habe. Die Familien von Mohamed al-Baqer und Alaa Abdel Fattah haben offizielle Beschwerde wegen deren Behandlung im Gefängnis eingereicht. Dazu gehört auch, dass sie keine Corona-Impfung erhalten, obwohl Sorge darüber besteht, dass die Gefangenen in sehr beengten und unhygienischen Bedingungen untergebracht sind und ohne persönliche Schutzausrüstung aus den Gefängnissen in die Gerichte gebracht werden. Es wurden keine Informationen über den Stand ihrer Beschwerden veröffentlicht.

In der letzten Aprilwoche 2022 ließen die ägyptischen Behörden Dutzende von Personen frei, die aus politischen Gründen inhaftiert waren. Darunter befanden sich der Journalist Mohamed Salah, der Menschenrechtsverteidiger Ibrahim Ezz El-Din sowie der Journalist und Politiker Hossam Moanis, die zwischen 29 und 34 Monate willkürlich inhaftiert waren. Am 26. April rief Präsident Abdel Fattah al-Sisi zu einem "nationalen Dialog" mit Oppositionspolitiker_innen auf und kündigte die Reaktivierung des 2016 gegründeten "Begnadigungsausschusses des Präsidenten" an. Am 5. Mai forderte eine Gruppe von acht ägyptischen Nichtregierungsorganisationen die Behörden auf, die Freilassung aller willkürlich Inhaftierten zu veranlassen. Dabei veröffentlichten sie ihren Vorschlag für einen rechtsbasierten Ansatz für das Freilassungsverfahren.

Am 23. November 2020 war im Amtsblatt die Entscheidung des Kairoer Strafgerichts veröffentlicht worden, Mohamed al-Baqer und Alaa Abdel Fattah im Rahmen des Falls Nr. 1781/2019 der SSSP ohne rechtsstaatliches Verfahren für fünf Jahre auf die "Terroristenliste" zu setzen. Am 18. Januar 2022 lehnte das Kassationsgericht die Rechtsmittel, die Alaa Abdel Fattah, Mohamed al-Baqer und 27 andere gegen ihre willkürliche Aufnahme in die "Terroristenliste" im November 2020 eingelegt hatten, endgültig ab. Diese Entscheidung hat unter anderem ein Reiseverbot, das Einfrieren von Vermögenswerten und ein fünfjähriges Verbot politischer oder zivilgesellschaftlicher Tätigkeit zur Folge.

Alaa Abdel Fattah, ein bekannter politischer Aktivist und Regierungskritiker, wurde in den letzten Jahren wiederholt festgenommen, unter anderem wegen seiner Rolle beim Aufstand von 2011, der zum Sturz des damaligen Präsidenten Hosni Mubarak führte – nach fast 30 Jahren im Amt. Mohamed al-Baqer ist Menschenrechtsanwalt und Direktor des Adalah Center for Rights and Freedoms, das er 2014 gründete. Die beiden gehören zu den Tausenden von Menschen, die in Ägypten nach grob unfairen Verfahren, einschließlich Massen- und Militärprozessen, willkürlich inhaftiert sind, weil sie ihre Menschenrechte wahrgenommen haben.