Ägypten: Aktivisten vor Gericht

Eine Collage von zwei Porträts zweier Männer, die in die Kamera lachen

Der Aktivist Alaa Abdel Fattah und der Anwalt Mohamed el-Baqer aus Ägypten

Nach über zwei Jahren rechtswidriger Untersuchungshaft wurden im Oktober 2021 die Verfahren gegen den Aktivisten und Blogger Alaa Abdel Fattah und den Menschenrechtsanwalt Mohamed al-Baqer vor dem Staatssicherheitsgericht in Kairo eröffnet. Sie sind aufgrund ihrer Veröffentlichungen in den Sozialen Medien wegen "Verbreitung falscher Nachrichten, die die nationale Sicherheit untergraben" angeklagt. Sie werden wegen ihres Aktivismus und der Aufdeckung von Menschenrechtsverletzungen der ägyptischen Behörden strafrechtlich verfolgt. Im Falle einer Verurteilung droht ihnen eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren. Amnesty International fordert ihre umgehende und bedingungslose Freilassung.

Appell an

President Abdel Fattah al-Sisi

Al Ittihadia Palace

Cairo

ÄGYPTEN

Sende eine Kopie an

Botschaft der Arabischen Republik Ägypten

S.E. Herrn Khaled Mohamed Galaleldin Abdelhamid

Stauffenbergstraße 6-7, 10785 Berlin


Fax: 030-477 1049

E-Mail:
embassy@egyptian-embassy.de

Amnesty fordert:

  • Ich fordere Sie höflich auf, Alaa Abdel Fattah und Mohamed al-Baqer umgehend und bedingungslos freizulassen und alle Anklagen gegen die beiden Männer fallenzulassen, da sie nur wegen der friedlichen Ausübung ihrer Menschenrechte inhaftiert sind.
  • Ich fordere Sie höflich auf, dafür zu sorgen, dass sie unter Bedingungen festgehalten werden, die internationalen Standards entsprechen. Geben Sie ihnen Zugang zu angemessener medizinischer Versorgung, einschließlich Corona-Impfungen, und Zugang zu ihren Familien und Rechtsbeiständen.

Sachlage

Der bekannte Aktivist Alaa Abdel Fattah und der Menschenrechtsanwalt Mohamed al-Baqer befinden sich weiterhin in willkürlicher Haft und stehen jetzt unter der Anklage "Verbreitung falscher Nachrichten, die die nationale Sicherheit untergraben" von der Obersten Staatsanwaltschaft für nationale Sicherheit (Supreme State Security Prosecution – SSSP) im Fall Nr. 1228/2021 vor einem Staatssicherheitsgericht (Emergency State Security Courts – ESSC). Die Anklagen gegen Alaa Abdelfattah und Mohamed al-Baqer beruhen auf ihrer Kritik an der Behandlung von Gefangenen und an verdächtigen Todesfällen in Haft.

Sie haben im Zusammenhang mit Ermittlungen der SSSP in verschiedenen Fällen, darunter der Fall 1356 aus dem Jahr 2019, unter unbegründeten Terrorismusanschuldigungen bereits zwei Jahre in Untersuchungshaft verbracht.

Ihr Fall wird vor einem Notstandsgericht verhandelt, dessen Verfahren von Natur aus unfair sind, da gegen dessen Urteile keine Rechtsmittel vor einem höheren Gericht eingelegt werden können. Der Prozess, der am 28. Oktober begonnen hatte, wurde vertagt, nachdem die Rechtsbeistände beantragt hatten, Fotokopien der Akten machen zu können. Die Rechtsbeistände wiederholten ihren Antrag während der Anhörung am 1. November, jedoch ohne Erfolg. Das Gericht gestattete ihnen lediglich die Einsicht in die über 1.000 Seiten umfassenden Gerichtsakten und verstieß damit gegen das Recht der Angeklagten auf eine angemessene Verteidigung. Die Anhörung wurde erneut auf den 20. Dezember vertagt. Amnesty International hat erfahren, dass die Gerichtsverhandlungen unter strengen Sicherheitsvorkehrungen stattfanden und der Zugang zum Gerichtssaal von Beamt_innen der Nationalen Sicherheitsbehörde kontrolliert wurde. Sowohl Alaa Abdel Fattah als auch Mohamed al-Baqer wiesen auf ihre lange rechtswidrige Untersuchungshaft hin und forderten ihre sofortige Freilassung. Sie baten auch um ein Treffen mit ihren Rechtsbeiständen, die sie seit Februar 2020 nicht mehr unter vier Augen treffen können. Das Gericht ignorierte ihre Anträge. Ein dritter Angeklagter, der Blogger und Aktivist Mohamed "Oxygen" Ibrahim, ist zusammen mit ihnen wegen ähnlicher Vorwürfe aufgrund der friedlichen Ausübung seiner Menschenrechte angeklagt.

Alaa Abdel Fattah und Mohamed al-Baqer werden im Hochsicherheitsgefängnis Torah 2 unter Bedingungen festgehalten, die gegen das absolute Verbot von Folter und anderen Misshandlungen verstoßen. Sie sind in kleinen, schlecht belüfteten Zellen untergebracht und dürfen weder lesen noch außerhalb ihrer Zellen Sport treiben. Diese erschreckenden Bedingungen wirken sich nachteilig auf ihre psychische Gesundheit aus. Am 14. September äußerten sich der Rechtsbeistand und die Familie von Alaa Abdel Fattah besorgt über dessen Selbsttötungsgedanken, und auch die Angehörigen von Mohamed al-Baqer sind sehr besorgt über seinen psychischen Zustand.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Mohamed al-Baqer, Gründer und Direktor des Adalah-Zentrums für Rechte und Freiheiten, und Alaa Abdel Fattah, prominenter Aktivist und Blogger, sind seit dem 29. September 2019 in Haft. Gegen sie laufen Ermittlungen wegen der Vorwürfe "Beitritt zu einer terroristischen Vereinigung", "Finanzierung einer terroristischen Vereinigung", "Verbreitung falscher Nachrichten, die die nationale Sicherheit untergraben" und "Nutzung sozialer Medien zur Begehung einer Straftat im Zusammenhang mit der Veröffentlichung" unter der Fallnummer 1356/2019 der Staatsanwaltschaft der Staatssicherheit (SSSP), einer auf die Untersuchung von Bedrohungen der nationalen Sicherheit spezialisierten Abteilung der Staatsanwaltschaft. Die SSSP leitete unter der neuen Fallnummer 1228/2021 Ermittlungen wegen ähnlicher Anschuldigungen gegen sie ein. Dies ist Teil einer von den Behörden zunehmend angewandten Strategie, die als "Rotation" bezeichnet wird, um die nach ägyptischem Recht zulässige zweijährige Untersuchungshaft zu umgehen und die Inhaftierung von Aktivist_innen auf unbestimmte Zeit verlängern zu können.

Obwohl seine Bewährungsauflagen es vorsahen, durfte Alaa Abdel Fattah am 29. September 2019 die Dokki-Polizeistation in Groß-Kairo nicht verlassen. Dort hatte er nach seiner Haftentlassung am 29. März 2019 nach Verbüßung einer zu Unrecht verhängten fünfjährigen Haftstrafe wegen der friedlichen Teilnahme an einer Demonstration jede Nacht zwölf Stunden verbringen müssen. Die Polizei teilte seiner Mutter mit, dass Angehörige der Polizeisondereinheit National Security Agency (NSA) ihn zur SSSP gebracht hätten. Später an diesem Tag betrat Mohamed al-Baqer das SSSP-Gebäude, um ihn zu vertreten. Nach Angaben ihrer Familien und Freund_innen war der Aufenthaltsort von Alaa Abdel Fattah und Mohamed al-Baqer daraufhin bis zum 1. Oktober 2019, als sie im Hochsicherheitsgefängnis Tora 2 erschienen, unbekannt.

Vom 1. Oktober 2019 bis zum 9. Mai 2021 mussten sich Mohamed al-Baqer, Alaa Abdel Fattah und zwei weitere Gefangene eine kleine, schlecht belüftete Zelle von 3,5 x 5 Meter Durchmesser teilen. Die Gefängnisbehörden verweigern ihnen Bett und Matratze. Sie müssen auf rauen Decken auf dem Boden schlafen. Anders als andere Gefangene dürfen Mohamed el-Baqer und Alaa Abdel Fattah weder Sport im Gefängnishof treiben noch die Gefängnisbibliothek nutzen oder Bücher und Zeitungen auf eigene Kosten im Gefängnis erhalten. Auch angemessene Kleidung, ein Radio, eine Uhr, Zugang zu warmem Wasser und jedwede persönlichen Gegenstände, wie z.B. Familienfotos, werden ihnen verweigert. Am 11. Mai 2021 berichtete Mohamed al-Baqer seiner Frau bei einem Besuch, dass er in eine andere Zelle mit ähnlichen Bedingungen verlegt worden sei. Er erzählte ihr, dass er aufgrund der schlechten Haftbedingungen und begrenzten Bewegungsmöglichkeiten inzwischen Schmerzen in Muskeln und Gelenken habe. Die Familien von Mohamed al-Baqer und Alaa Abdel Fattah haben offizielle Beschwerde wegen deren Behandlung im Gefängnis eingereicht. Dazu gehört auch, dass sie keine Corona-Impfung erhalten, obwohl Sorge darüber besteht, dass die Gefangenen in sehr beengten und unhygienischen Bedingungen untergebracht sind und ohne persönliche Schutzausrüstung und unter beengten unhygienischen Bedingungen aus den Gefängnissen in die Gerichte gebracht werden. Die nächste Anhörung zu den Beschwerden ist für den 25. Dezember 2021 vorgesehen.

Trotz der Ankündigung des Präsidenten vom 25. Oktober, den seit April 2017 geltenden Ausnahmezustand aufzuheben, stehen Dutzende willkürlich inhaftierte Menschenrechtsverteidiger_innen, Aktivist_innen, Politiker_innen und Demonstrant_innen immer noch vor den Staatssicherheitsgerichten ESSC, die im Ausnahmezustand für zuständig erklärt wurden, vor Gericht. In Paragraf 19 des Notstandsgesetzes von 1958 ist festgelegt, dass Fälle, die während des Ausnahmezustands an den ESSC verwiesen wurden, dort weitergeführt werden. Zu den vor dem ESSC angeklagten Personen gehören der Student und Menschenrechtsforscher Patrick Zaki George, der ehemalige Parlamentsabgeordnete Zyad el-Elaimy, die Journalisten und Politiker Hisham Fouad und Hossam Moanis, der Menschenrechtsverteidiger Ezzat Ghoniem, die Menschenrechtsanwältin Hoda Abdelmoniem, der ehemalige Präsidentschaftskandidat Abdelmoniem Aboulfotoh und der Oppositionspolitiker Mohamed al-Kassas. Sie alle sind wegen "Verbreitung falscher Informationen" angeklagt. Es besteht große Sorge um die Gesundheit von Hoda Abdelmoniem. Sie wird bereits seit mehr als zwei Jahren ohne Gerichtsverfahren in Untersuchungshaft festgehalten. Dies verstößt gegen die gesetzliche maximale Untersuchungshaftdauer.

Am 23. November 2020 wurde im Amtsblatt die Entscheidung des Kairoer Strafgerichts veröffentlicht, Mohamed al-Baqer und Alaa Abdel Fattah im Rahmen des Falls Nr. 1781/2019 der SSSP ohne rechtsstaatliches Verfahren für fünf Jahre auf die "Terroristenliste" zu setzen. Mohamed al-Baqer und seine Rechtsbeistände wussten bis zur Veröffentlichung des Beschlusses nicht, dass gegen ihn auch in Verfahren Nr. 1781/2019 ermittelt wurde, und er wurde von der SSSP nie in Bezug auf diese Anschuldigung befragt oder über die genauen Vorwürfe gegen ihn informiert. Die Entscheidung hat unter anderem ein Einreiseverbot und ein fünfjähriges Verbot der politischen oder staatsbürgerlichen Tätigkeit zur Folge. Das Berufungsverfahren ist für den 23. November 2021 vor dem Kassationsgerichtshof angesetzt. Sollte das Gericht das Urteil aufrechterhalten, wird Mohamed al-Baqer seine Tätigkeit als Menschenrechtsanwalt für fünf Jahre nicht mehr ausüben können.