Menschenrechtler in Haft gefährdet

Alaa Abdel Fattah, Archivaufnahme

Alaa Abdel Fattah, Archivaufnahme

Der Aktivist Alaa Abdel Fattah ist seit September 2019 willkürlich im Hochsicherheitsgefängnis Tora 2 in Kairo inhaftiert. Am 15. April erfuhren seine Rechtsbeistände, dass er im Hungerstreik ist. Sowohl er als auch sein Mitgefangener, der Menschenrechtsanwalt Mohamed al-Baqer, sind gesundheitlich angeschlagen – was ihr Gefährdungsrisiko angesichts eines drohenden Ausbruchs von COVID-19 im Gefängnis erheblich erhöht.

Appell an

Hamada al-Sawi

Office of the Public Prosecutor

Madinat al-Rehab

Cairo, ÄGYPTEN

Sende eine Kopie an

Botschaft von Ägypten

S.E. Herr Khaled Mohamed Galaleldin Abdelhamid

Stauffenbergstraße 6-7, 10785 Berlin

Fax: 030-477 1049

E-Mail:
embassy@egyptian-embassy.de

Amnesty fordert:

Sachlage

Die ägyptischen Behörden setzten am 10. März 2020 alle Besuche in den Gefängnissen aus, um die Verbreitung des Corona-Virus zu begrenzen. Sie stellen den Häftlingen und ihren Angehörigen und Rechtsbeiständen jedoch keine alternativen Kommunikationskanäle zur Verfügung. Dazu gehören auch Telefongespräche alle zwei Monate, die im ägyptischen Gesetz vorgeschrieben sind.

Die Familie von Alaa Abdel Fattah konnte ihn am 4. März zuletzt besuchen. Seine Angehörigen machen sich große Sorgen um seinen Gesundheitszustand und sein Wohlergehen. Sie wissen nicht, ob er die Desinfektionsmittel und Hygieneartikel erhalten hat, die sie ihm seit der Aussetzung der Besuche wöchentlich schicken, oder ob er sich über mögliche Vorsorgemaßnahmen gegen einen potenziellen Ausbruch von COVID-19 informieren kann. Die Staatsanwaltschaft von Maadi informierte am 15. April die Rechtsbeistände von Alaa Abdel Fattah darüber, dass dieser in den Hungerstreik getreten ist. Über den Beginn oder die Gründe des Streiks sagten sie nichts. Der Hungerstreik könnte das Immunsystem von Alaa Abdel Fattah schwächen, sodass sein Gefährdungsrisiko im Falle einer Ansteckung mit COVID-19 hoch ist.

Auch Mohamed el-Baqer ist im Hochsicherheitsgefängnis Tora 2 in der ägyptischen Hauptstadt Kairo inhaftiert. Er hatte am 7. März 2020 zum letzten Mal Besuch von seinen Angehörigen. Am 18. April erlaubten die Gefängnisbehörden seiner Familie, ihm Nahrungsmittel, Vitamine und einen Brief zu schicken, nachdem sie dies eine Woche zuvor verweigert hatten. Seine Angehörigen erhielten ebenfalls einen Brief von ihm. Mohamed el-Baqer leidet an einer Reihe von Gesundheitsproblemen wie Asthma, Brust-, Rücken- und Lendenwirbelsäulenschmerzen sowie Nierenproblemen. Einige seiner Symptome sind in der Liste der Weltgesundheitsorganisation zur Ermittlung der Risikogruppen im Zusammenhang mit COVID-19 aufgeführt. Die ausführlich dokumentierten miserablen Haftbedingungen in den überfüllten ägyptischen Gefängnissen fördern die Verbreitung von Infektionskrankheiten.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Die Inhaftierung von Alaa Abdel Fattah und Mohamed el-Baqer steht im Kontext der größten Festnahmewelle seit dem Amtsantritt von Präsident Abdel Fattah al-Sisi im Jahr 2014. Am 20. und 21. September 2019 brachen in mehreren ägyptischen Städten Proteste aus, bei denen der Rücktritt des Präsidenten gefordert wurde. Aller Wahrscheinlichkeit nach waren die Korruptionsvorwürfe des Armeelieferanten Mohamad Ali der Anlass für die Proteste. Er beschuldigte die ägyptische Militärführung und den Präsidenten, öffentliche Gelder für den Bau von Luxusimmobilien zu verschwenden.

Alaa Abdel Fattah ist in Ägypten ein bekannter politischer Aktivist und Regierungskritiker. Im Februar 2015 wurde er zu fünf Jahren Haft verurteilt, weil er in einer Twitternachricht die Justiz als "befangen" bezeichnet und angedeutet hatte, dass die Richter_innen "sich dem Militär unterordnen" würden. Er kam am 29. März 2019 frei, muss aber über einen Zeitraum von fünf Jahren Bewährungsauflagen erfüllen, die vorschreiben, dass er sich jeden Abend um 18 Uhr auf der Polizeiwache von Dokki melden und dort bis 6 Uhr morgens bleiben muss. Am 29. September 2019 wurde er dort festgenommen. Die Polizei sagte seiner Mutter, dass der Aktivist von Angehörigen des Geheimdiensts NSA zur Staatsanwaltschaft der Staatssicherheit (SSSP) gebracht worden sei. Später am selben Tag erschien Mohamed el-Baqer, einer der Rechtsbeistände von Alaa Abdel Fattah, bei der SSSP, woraufhin man ihm einen Haftbefehl vorlegte und ihn im selben Fall festnahm und befragte. Beiden Männern wird vorgeworfen, "einer illegalen Organisation beigetreten" zu sein, "ausländische Finanzmittel erhalten" zu haben, "falsche Nachrichten verbreitet" und "die Sozialen Medien missbraucht" zu haben.

Laut Angaben von Familienangehörigen und Freund_innen war der Verbleib von Alaa Abdel Fattah und Mohamed el-Baqer bis zum 1. Oktober 2019 unbekannt, als sie zum ersten Mal seit ihrer Festnahme im Hochsicherheitsgefängnis Tora 2 wieder auftauchten. Man befragte Mohamed el-Baqer hauptsächlich zu seiner Arbeit, und der Staatsanwalt legte außer einer Ermittlungsakte des Geheimdienstes keinerlei Beweise gegen den Anwalt vor. Weder Mohamed el-Baqer noch sein Rechtsbeistand durften Einsicht in die Akte nehmen.

Am 18. März 2020 wurden Alaa Abdel Fattahs Mutter Laila Soueif, seine Schwester Mona Seif, seine Tante Ahdaf Soueif und die Universitätsprofessorin Rabab el-Mahdi vor dem Kabinettsgebäude in Kairo von Sicherheitskräften festgenommen, wo sie angesichts der Corona-Pandemie die Freilassung der Gefangenen gefordert hatten. Die Staatsanwaltschaft warf den vier Frauen "Anstiftung zu einem Protest", "Verbreitung falscher Informationen" und "Besitz von Materialien mit falschen Informationen" vor. Der Staatsanwalt ordnete an, sie gegen eine Kaution von umgerechnet knapp 300 Euro für die Dauer der Untersuchung wieder auf freien Fuß zu setzen. Obwohl sie die Kautionszahlung noch am selben Tag leisteten, behielt man die Frauen ohne triftige Rechtsgrundlage über Nacht in Haft. Am 19. März wurde Laila Soueif zu dem Büro der Staatsanwaltschaft der Staatssicherheit in New Cairo gebracht, wo eine Kaution von umgerechnet knapp 180 Euro festgesetzt wurde. Alle vier Frauen wurden am Abend freigelassen.

Amnesty International hat dokumentiert, wie die ägyptischen Sicherheitskräfte im Rahmen der Proteste im September 2019 zahlreiche Protestierende, Journalist_innen, Menschenrechtsanwält_innen, Aktivist_innen und politische Persönlichkeiten festnahmen, um Kritiker_innen zum Schweigen zu bringen und von weiteren Protesten abzuschrecken. Allein zwischen dem 19. und 29. September 2019 wurden in sechs Städten 76 Personen festgenommen. Laut der Ägyptischen Kommission für Rechte und Freiheiten (ECRF) wurden in Verbindung mit den Protesten insgesamt mindestens 2.300 Menschen festgenommen. Nach Angaben von Rechtsanwält_innen sind zahlreiche Inhaftierte ohne Befragung wieder freigelassen worden, doch viele andere wurden der Staatsanwaltschaft vorgeführt.

Alaa Abdel Fattah ist ein bekannter Aktivist und Regierungskritiker, der in den letzten Jahren mehrmals festgenommen wurde, unter anderem wegen seines Engagements bei den Protesten 2011.

Mohamed el-Baqer ist Menschenrechtsanwalt und Direktor des Adalah Center for Rights and Freedoms, das von ihm 2014 gegründet wurde und zu Strafjustiz, Bildung und den Rechten von Studierenden arbeitet.