Ägypten: Gesundheitszustand verschlechtert sich rapide

Das Bild zeigt eine Frau, die zwei Protesplakate in der Hand hält.

Sanaa Seif, die Schwester des in Ägypten inhaftierten Aktivisten Alaa Abdel Fattah, demonstriert in London für seine Freilassung (26. Oktober 2022). 

Nach über sieben Monaten im Hungerstreik befindet sich Alaa Abdel Fattah in einem kritischen Gesundheitszustand, der sich durch einen kürzlichen Durststreik noch weiter verschlechterte. Der bekannte Aktivist mit ägyptischer und britischer Staatsangehörigkeit ist ein gewaltloser politischer Gefangener. Er war den Großteil der vergangenen neun Jahre willkürlich inhaftiert. Nach einem Besuch im Gefängnis am 17. November macht sich seine Familie große Sorgen um seine körperliche und psychische Gesundheit.

Appell an

Abdel Fattah al-Sisi

Office of the President


Al Ittihadia Palace

Cairo, ÄGYPTEN

Sende eine Kopie an

Botschaft der Arabischen Republik Ägypten

S.E. Herrn Khaled Mohamed Galaleldin Abdelhamid

Stauffenbergstraße 6-7

10785 Berlin

Fax: 030-477 1049

E-Mail:
embassy@egyptian-embassy.de

Amnesty fordert:

  • Ich fordere Sie höflich auf, Alaa Abdel Fattah und Mohamed al-Baqer umgehend und bedingungslos freizulassen, da sie nur aufgrund der friedlichen Ausübung ihrer Menschenrechte inhaftiert sind.
  • Bis zu seiner Freilassung müssen die Behörden Vertreter*innen der britischen Botschaft erlauben, Alaa Abdel Fattah sofort zu besuchen.
  • Bitte sorgen Sie dafür, dass Alaa Abdel Fattah vor Folter und anderen Arten der Misshandlung geschützt wird und er Zugang zu einer angemessenen medizinischen Versorgung in einem von seiner Familie ausgesuchten Krankenhaus erhält, wo er von qualifizierten medizinischen Fachkräften behandelt werden kann, die im Einklang mit der Medizinethik handeln. Dazu gehören die Grundsätze der Vertraulichkeit, der Selbstbestimmung und der Einwilligung nach Aufklärung.

Sachlage

Der ägyptisch-britische Aktivist Alaa Abdel Fattah trat im April 2022 in den Hungerstreik, um gegen seine unfaire Inhaftierung und die Kontaktsperre zu Vertreter*innen der britischen Botschaft zu protestieren. Am 6. November, dem Eröffnungstag des UN-Klimagipfels (COP27) in Ägypten, verschärfte er seinen Hungerstreik und nahm ab diesem Zeitpunkt nicht mal mehr Flüssigkeit zu sich. Seitdem hat sich Alaa Abdel Fattahs körperliche und psychische Gesundheit massiv verschlechtert.

Die ägyptischen Behörden verweigerten Alaa Abdel Fattah zwei Wochen lang jeglichen Kontakt zur Außenwelt, den Empfang von Besuch und den Erhalt von Post. Zwischen dem 10. und 14. November hielten Sicherheitskräfte Alaa Abdel Fattahs Rechtsbeistand drei Mal von einem Besuch bei ihm ab, obwohl die Staatsanwaltschaft diese Besuche erlaubt hatte.

Am 17. November 2022 durfte Alaa Abdel Fattahs Familie ihn endlich wieder besuchen. Seine Angehörigen konnten durch eine Glasscheibe mit ihm sprechen, und berichtete später, dass er "erschöpft, schwach und verletzlich" gewesen sei. Bei dem Besuch erzählte der Aktivist seiner Familie, was er in den letzten Wochen durchmachen musste. So kam es am 8. November zu einem verstörenden Zwischenfall: Alaa Abdel Fattah war immer verzweifelter geworden, begann seinen Kopf gegen die Wand zu schlagen und drohte mit Suizid, weil die Gefängnisbehörden sich weigerten, seinen Hungerstreik und seine Ablehnung der Flüssigkeitsaufnahme zu Protokoll zu nehmen. Daraufhin wurde er vom Gefängnispersonal fixiert. Am nächsten Tag schlug Alaa Abdel Fattah erneut seinen Kopf gegen die Wand, um die Gefängnisbehörden endlich zum Handeln zu bewegen. Am 10. November befragte ihn dann ein*e Ermittler*in der Staatsanwaltschaft und nahm seinen Hungerstreik und seine Forderungen offiziell zu Protokoll. Einen Tag später verlor er unter der Dusche das Bewusstsein. Als er wieder zu sich kam, hatte sich eine Menschenmenge um ihn gebildet und er wurde von einem Mitgefangenen gehalten. Außerdem hatte man ihm eine Ernährungssonde gelegt.

Nach dieser Nahtoderfahrung entschied Alaa Abdel Fattah, seinen Hungerstreik nicht unmittelbar fortzusetzen. Er bleibt aber entschlossen, wieder in den Hungerstreik zu treten, falls "es weiterhin keine erkennbaren Fortschritte in seinem Fall gibt".

Alaa Abdel Fattah und der Menschenrechtsanwalt Mohamed al-Baqer (auch: Baker) waren am 20. Dezember 2021 auf Grundlage konstruierter Anklagen in einem unfairen Gerichtsverfahren zu fünf bzw. vier Jahren Gefängnis verurteilt worden. Beide Männer sind gewaltlose politische Gefangene, die nur wegen der Ausübung ihres friedlichen Aktivismus zur Zielscheibe der Behörden wurden. Sie müssen umgehend und bedingungslos freigelassen werden.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Alaa Abdel Fattah, ein bekannter politischer Aktivist und Regierungskritiker, wurde in den vergangenen zehn Jahren wiederholt festgenommen, unter anderem wegen seiner Rolle beim Aufstand von 2011, der zum Sturz des damaligen Präsidenten Hosni Mubarak führte – nach fast 30 Jahren im Amt. Mohamed al-Baqer ist Menschenrechtsanwalt und Direktor des Adalah Center for Rights and Freedoms, das er 2014 gründete.

Alaa Abdel Fattah und Mohamed al-Baqer befinden sich seit dem 29. September 2019 in Haft. Ihnen wird u. a. "Beitritt zu einer terroristischen Vereinigung", "Finanzierung einer terroristischen Vereinigung", "Verbreitung falscher Nachrichten, die die nationale Sicherheit untergraben" und "Nutzung Sozialer Medien zum Verüben eines Veröffentlichungsdelikts" zur Last gelegt; dies geschieht unter der Fallnummer 1356/2019 der Staatsanwaltschaft der Staatssicherheit (SSSP), einer auf die Untersuchung von Bedrohungen der nationalen Sicherheit spezialisierten Abteilung der Staatsanwaltschaft.

Die SSSP leitete unter der neuen Fallnummer 1228/2021 weitere Ermittlungen wegen ähnlicher Anschuldigungen gegen die beiden Männer ein. Dies ist Teil einer von den Behörden zunehmend angewandten Strategie, die als "Rotation" bezeichnet wird, um die nach ägyptischem Recht zulässige zweijährige Untersuchungshaft zu umgehen und die Inhaftierung von Aktivist*innen auf unbestimmte Zeit verlängern zu können. Am 28. Oktober 2021 begann das Gerichtsverfahren gegen Alaa Abdel Fattah und Mohamed al-Baqer im Fall Nr. 1228/2021 zeitgleich mit dem Verfahren gegen einen anderen Angeklagten: Der Blogger und Aktivist Mohamed Ibrahim Radwan "Oxygen" wurde ebenfalls wegen Anklagen der "Verbreitung falscher Nachrichten" im Zusammenhang mit Beiträgen in den Sozialen Medien zu vier Jahren Gefängnis verurteilt.

Verfahren vor den Staatssicherheitsgerichten sind grundsätzlich nicht fair, denn ihre Urteile können nicht vor einem höheren Gericht angefochten werden. Den Angeklagten wurde ihr Recht auf angemessene Verteidigung verweigert, da ihre Rechtsbeistände daran gehindert wurden, vertraulich mit ihnen zu kommunizieren und ihre Fallakten, Anklageschriften und Urteilssprüche zu kopieren. Am 3. Januar 2022 bestätigte Präsident Abdel Fattah al-Sisi die Urteile gegen die drei. Aus einem von Amnesty International eingesehenen Dokument geht hervor, dass der Beginn der Haftstrafe auf das Datum der Ratifizierung gelegt worden war anstatt auf das Datum der Festnahmen.

Alaa Abdel Fattah und Mohamed al-Baqer waren bis Mai 2022 unter menschenunwürdigen Bedingungen im Hochsicherheitsgefängnis Tora 2 in Kairo inhaftiert. Die Gefängnisbehörden hielten sie in kleinen, schlecht belüfteten Zellen fest und verweigerten ihnen Betten und Matratzen. Anders als andere Gefangene durften sie weder Sport im Gefängnishof treiben noch die Gefängnisbibliothek nutzen oder Bücher und Zeitungen von außerhalb auf eigene Kosten im Gefängnis erhalten. Auch angemessene Kleidung, ein Radio, eine Uhr, Zugang zu warmem Wasser und jedwede persönliche Gegenstände, wie z. B. Familienfotos, wurden ihnen verweigert. Am 12. Mai 2022 berichtete Alaa Abdel Fattah seiner Mutter, dass er von der stellvertretenden Gefängnisaufsicht des Hochsicherheits-gefängnisses Tora 2 geschlagen worden war, während er Handschellen trug. Nach großem öffentlichen Druck wurde er am 18. Mai 2022 ins Gefängnis Wadi al-Natrun verlegt. Am 2. Oktober 2022 wurde Mohamed al-Baqer ins Gefängnis Badr 1 verlegt. Seine Frau durfte ihn das erste Mal seit zwei Jahren ohne trennende Gitterstäbe zwischen den beiden besuchen. Und nach drei Jahren konnte er das erste Mal wieder Tageslicht sehen.

Die Gefängnisbehörden verwehrten den Inhaftierten jegliche Telefonate, was gegen die Verpflichtungen Ägyptens nach internationalen Menschenrechtsabkommen und ebenfalls gegen Paragraf 38 des ägyptischen Gesetzes 38 396/1956 über Gefängnisse verstößt. Amnesty International hat immer wieder dokumentiert, dass Inhaftierten eine angemessene medizinische Versorgung im Gefängnis verwehrt wird, und hat wiederholt Zweifel an der Unabhängigkeit des medizinischen Personals in ägyptischen Gefängnissen geäußert, das dem Innenministerium untersteht. Es gibt Berichte, dass Gefängnisaufsicht und Sicherheitspersonal sich in die medizinische Beurteilung und Behandlung von Insassen einmischen und Verlegungen Schwerkranker in externe Krankenhäuser verzögern oder verweigern. Somit ist davon auszugehen, dass medizinische Entscheidungen über Alaa Abdel Fattah nicht von unabhängigen medizinischen Expert*innen im Einklang mit der Medizinethik und frei von Zwang oder Einmischung durch die Behörden getroffen werden.

Seit der Reaktivierung des präsidialen Begnadigungsausschusses im April 2022 durch den Präsidenten haben die ägyptischen Behörden viele bekannte gewaltlose politische Gefangene und Hunderte aus politischen Gründen Inhaftierte freigelassen. Dennoch sind Tausende weiter willkürlich inhaftiert – und das nur, weil sie friedlich ihre Menschenrechte ausübten, oder nach grob unfairen Gerichtsverfahren oder komplett ohne rechtliche Grundlage.

Während der UN-Klimakonferenz (COP27), die vom 6. bis 18. November 2022 im ägyptischen Sharm-el-Sheik stattfand, haben zahlreiche Menschen die ägyptischen Behörden dazu aufgerufen, Alaa Abdel Fattah freizulassen. Am 8. November drückte der UN-Hochkommissar für Menschenrechte, Volker Türk, sein Bedauern angesichts der andauernden Inhaftierung von Alaa Abdel Fattah aus und forderte dessen umgehenden Freilassung. Volker Türk forderte die Behörden auch auf, Alaa Abdel Fattah jedwede nötige medizinische Versorgung zukommen zu lassen.