Amnesty Report Südsudan 24. April 2024

Südsudan 2023

Protestierende Menschen, eine Frau hält ein Schild hoch mit der Aufschrift: "We need reconciliation“.

Beim Besuch von Papst Franziskus fordern Protestierende am 4. Februar 2023 in der südsudanesischen Hauptstadt Juba Versöhnung.

Berichtszeitraum: 1. Januar 2023 bis 31. Dezember 2023

Die Rechte auf freie Meinungsäußerung, Vereinigungsfreiheit, friedliche Versammlung und Freizügigkeit wurden unterdrückt. Journalist*innen, Aktivist*innen, Kritiker*innen und Oppositionspolitiker*innen waren willkürlicher Festnahme und Inhaftierung sowie Folter und anderen Misshandlungen ausgesetzt. Ein Kritiker der Regierung wurde aus Kenia in den Südsudan abgeschoben und über einen längeren Zeitraum vom Geheimdienst in Haft gehalten. Sowohl Regierungstruppen als auch bewaffnete Gruppen waren für schwere Menschenrechtsverstöße verantwortlich, darunter außergerichtliche Hinrichtungen, rechtswidrige Tötungen, sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt sowie die Rekrutierung und den Einsatz von Minderjährigen. Ein UN-Menschenrechtsgremium wies darauf hin, dass hochrangige Amtsträger, die für schwere Menschenrechtsverletzungen verantwortlich waren, weiterhin Straflosigkeit genossen. Das Kabinett billigte Gesetzentwürfe über Wiedergutmachung für in der Vergangenheit verübte Verbrechen. Die humanitäre Lage war auch im Jahr 2023 katastrophal. Das Amt der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) schätzte, dass etwa 76 Prozent der Bevölkerung im Laufe des Jahres humanitäre Hilfe benötigten. Millionen Menschen waren von starker Ernährungsunsicherheit betroffen. Die Bereitstellung von Gesundheitsdiensten lag hauptsächlich in den Händen von internationalen Gebern. Es gab 2 Mio. Binnenvertriebene im Land, und etwa 2,23 Mio. Menschen hatten in Nachbarländern Zuflucht gesucht. Durch den Klimawandel verstärkte Naturereignisse wie Überschwemmungen und Dürren führten dazu, dass etwa 2 Mio. Menschen keinen Zugang zu Nahrung oder zu Anbauflächen für Nahrungsmittel hatten.

Hintergrund

Der UN-Menschenrechtsrat erneuerte im April 2023 das Mandat der Kommission für die Menschenrechtslage in Südsudan (CHRSS). 

Im Mai 2023 verlängerte der UN-Sicherheitsrat das gegen den Südsudan verhängte Waffenembargo um ein weiteres Jahr bis zum 30. Mai 2024.

Die Vorbereitungen für die ersten Wahlen im Südsudan im Dezember 2024 wurden fortgesetzt, auch wenn die Schaffung wichtiger, im Friedensabkommen von 2018 festgelegter Voraussetzungen für das Abhalten von Wahlen nur schleppend vorankam. Am 4. Juli 2023 stellte die Sudanesische Volksbefreiungsbewegung (Sudan People’s Liberation Movement) Präsident Salva Kiir als ihren Kandidaten für die Wahlen auf.

Nach UN-Angaben starben im Juni 2023 bei Ausschreitungen zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen am Schutzort für Zivilpersonen der UN-Mission im Südsudan (UNMISS) in Malakal (Bundesstaat Upper Nile) mindestens 20 Menschen. Im Landkreis Pochalla (Verwaltungsgebiet Pibor) brachen ebenfalls Kämpfe aus, bei denen mindestens 87 Menschen ums Leben kamen. 

Rechte auf Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit

Zwischen dem 3. und 4. Januar 2023 wurden sieben Journalisten des Senders South Sudan Broadcasting Corporation willkürlich in der Hafteinrichtung des Geheimdiensts (National Security Service – NSS) in der Hauptstadt Juba festgehalten. Joval Tombe, Joseph Oliver, Mustafa Osman, Victor Lado, Cherbek Ruben, Jacob Benjamin und John Garang wurden im Zusammenhang mit einem geleakten Video festgenommen, das in den Sozialen Medien kursierte und in dem zu sehen war, dass Präsident Salva Kiir bei einer Zeremonie seinen Harndrang offenbar nicht mehr kontrollieren konnte. Alle wurden zwischen dem 19. Januar und dem 18. März ohne Anklageerhebung freigelassen. John Garang, der bis zum 18. März festgehalten wurde, war offenbar gefoltert und auf andere Weise misshandelt worden.

Informationsminister und Regierungssprecher Michael Makuei Lueth drohte im April 2023 auf einer Pressekonferenz mit der Festnahme von Journalist*innen, die für den von der UNMISS betriebenen Radiosender Radio Miraya arbeiteten. Als Begründung führte er an, dass sie sich nicht wie angewiesen bei der Medienbehörde registriert hätten. Im Oktober gab er zu, dass die Regierung die Medien zensiert und Artikel entfernt, die als Aufstachelung zum Hass angesehen werden. 

Im Mai 2023 gab der politische Reporter Woja Emmanuel auf seinen Social-Media-Konten bekannt, dass er seinen Beruf aus Angst um sein Leben aufgegeben habe. Laut einem Bericht der CHRSS vom 5. Oktober könnte seine Entscheidung auf die Schikanen der Behörden gegen Journalist*innen und das daraus resultierende Trauma zurückzuführen sein.

Am 18. September 2023 löste der NSS eine vom Oppositionsbündnis South Sudan Opposition Alliance in Juba organisierte Versammlung auf, mit der das Bündnis seinen Generalsekretär Lam Akol willkommen heißen wollte, der nach einem jahrelangen Auslandsaufenthalt wieder in den Südsudan zurückgekehrt war.

Recht auf Freizügigkeit

Am 19. April 2023 hinderten am internationalen Flughafen in Juba Staatsbedienstete Kuel Aguer Kuel an der Ausreise, weil er ihren Angaben zufolge "keine Reisegenehmigung" hatte. Sein Reisepass wurde offenbar auf Anordnung des Präsidentenbüros am Flughafen beschlagnahmt. Er hatte sich in Indien medizinisch behandeln lassen wollen. Kuel Aguer Kuel ist Mitglied des Bündnisses People’s Coalition for Civic Action und befand sich in der Vergangenheit aus politischen Gründen in Haft.

Am 18. September gab die Sudanesische Volksbefreiungsbewegung in Opposition (Sudan People’s Liberation Movement-In Opposition – SPLM-IO) öffentlich bekannt, dass die Behörden es ihrem Anführer und ersten Vizepräsidenten Riek Machar Teny Dhurgon nicht gestatteten, Juba zu verlassen.

Willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen

Die Regierung hatte das Geheimdienstgesetz (National Security Services Act) von 2014 immer noch nicht reformiert, obwohl sie aufgrund der Friedensabkommen von 2015 und 2018 dazu verpflichtet war. Das Gesetz räumt NSS-Angehörigen polizeiähnliche Befugnisse bezüglich Festnahmen und Inhaftierungen ein, was dem in der Verfassung festgelegten Auftrag des Geheimdiensts, Informationen zu sammeln, widerspricht.

Am 4. Februar 2023 wurde der südsudanesische Staatsbürger und Regierungskritiker Morris Mabior Awikjok Bak von kenianischen Sicherheitskräften in Nairobi willkürlich festgenommen und am folgenden Tag in den Südsudan abgeschoben. Ende 2023 befand er sich immer noch in der als "Blue House" bekannten Hafteinrichtung des NSS in Juba, wo er wiederholt verhört wurde. Er hatte keinen Zugang zu einem Rechtsbeistand und wurde nicht vor Gericht gestellt. Im September wurde offensichtlich, dass sich sein Gesundheitszustand verschlechterte, er durfte jedoch weder ärztlich untersucht werden noch Medikamente erhalten.

Die Führung der SPLM-IO kam am 11. September 2023 in Juba zusammen und prangerte an, dass SPLM-IO-Mitglieder unablässig mit willkürlicher Festnahme oder Inhaftierung, Folter oder anderer Misshandlung und Verschwindenlassen rechnen mussten.

Außergerichtliche Hinrichtungen

Zwischen Januar und November 2023 dokumentierten die Vereinten Nationen 25 außergerichtliche Hinrichtungen. 16 Männer und eine Frau wurden im Bundesstaat Warrap rechtswidrig getötet, acht Menschen im Bundesstaat Lakes. Nach UN-Angaben sollen die Hinrichtungen von Angehörigen des südsudanesischen Sicherheitsapparats begangen worden sein.

Sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt

Die CHRSS wies in ihrem im April 2023 veröffentlichten Bericht auf die anhaltende sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt im Kontext des bewaffneten Konflikts in Teilen des Landes hin. In den meisten Fällen waren Angehörige der südsudanesischen Armee, der Sudanesischen Volksbefreiungsarmee in Opposition (SPLA-IO), mit der Regierung verbündete bewaffnete Jugendbanden, bewaffnete Oppositionsgruppen und andere Bewaffnete für diese Menschenrechtsverstöße verantwortlich.

Kinderrechte

Laut Berichten des UN-Generalsekretärs für das Jahr 2023 über die Lage im Südsudan wurden zwischen Juni und November schwere Menschenrechtsverstöße gegen 181 Minderjährige (154 Jungen und 27 Mädchen) begangen. Unter anderem wurden 103 Minderjährige (102 Jungen und ein Mädchen) im Rahmen des Konflikts rekrutiert und eingesetzt, 24 Minderjährige getötet und vier verstümmelt. Ein Mädchen wurde vergewaltigt. Für diese Menschenrechtsverstöße waren sowohl Regierungstruppen als auch bewaffnete Gruppen verantwortlich.

Straflosigekeit

Der CHRSS-Bericht vom April 2023 hob hervor, dass die Staatsführung nicht genug unternehme, um gegen die tief verwurzelte Straflosigkeit vorzugehen: Hochrangige Staats- und Militärbedienstete, die im Verdacht standen, für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich zu sein, verloren ihre Posten nicht, sondern wurden sogar noch mit Beförderungen oder anderen Ernennungen belohnt. Dies leistete weiteren Menschenrechtsverstößen Vorschub. In dem Bericht wurden drei hochrangige Amtsträger genannt, die nach Ansicht der CHRSS für schwere Menschenrechtsverletzungen zur Verantwortung gezogen werden müssen. 

Recht auf Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung

Eine Überlebende konfliktbezogener sexualisierter Gewalt appellierte im März 2023 an den UN-Menschenrechtsrat, dafür zu sorgen, dass Menschen, die im Südsudan Opfer völkerrechtlicher Verbrechen geworden sind, Gerechtigkeit erfahren.

Vom 15. bis 17. Mai 2023 richtete die Regierung in Juba die Konferenz über Mechanismen für eine Übergangsjustiz aus. Ziele der Konferenz waren u. a.: die Überprüfung der Fortschritte bei der Einrichtung der Mechanismen für eine Übergangsjustiz im Rahmen des "Neubelebten Abkommens zur Lösung des Konflikts in der Republik Südsudan"; das Lernen aus regionalen Erfahrungen; sowie Konsensbildung über den Inhalt und die Verabschiedung von Gesetzentwürfen zur Einrichtung der Kommission für Wahrheit, Aussöhnung und Heilung sowie der Behörde für Entschädigung und Wiedergutmachung. Im November 2023 billigte das Kabinett die Gesetzentwürfe zur Einrichtung der Kommission für Wahrheit, Aussöhnung und Heilung und zur Einrichtung der Behörde für Entschädigung und Wiedergutmachung. Die Gesetzentwürfe mussten noch im Parlament debattiert und dann dem Präsidenten vorgelegt werden, der die Gesetze genehmigen muss, bevor sie in Kraft treten können.

Eingeschränkter Zugang für Hilfsorganisationen

Laut OCHA war der Südsudan 2023 weiterhin das gefährlichste Land der Welt für Mitarbeiter*innen von Hilfsorganisationen: Mindestens 25 von ihnen wurden im Laufe des Jahres getötet. Am 23. September 2023 wurden zwei Lastwagen auf der Rückfahrt nach Juba angegriffen, nachdem sie im Auftrag des Kinderhilfswerks UNICEF wichtige Hilfsgüter an Kinder und ihre Familien im Landkreis Yei (Bundesstaat Central Equatoria) geliefert hatten. Zwei Fahrer wurden getötet, ein weiterer verletzt. 

Nach Schätzungen von OCHA waren 76 Prozent der Bevölkerung, d. h. 9,4 Mio. Menschen – darunter 4,9 Mio. Kinder – im Jahr 2023 auf humanitäre Hilfe und Schutz angewiesen. Der Ausbruch der Kämpfe im Sudan im April 2023 verschärfte die ohnehin schon ernste humanitäre Lage im Südsudan, da bis Jahresende 456.974 Menschen aus dem Sudan flohen und im Südsudan Zuflucht suchten (siehe "Recht auf Nahrung"). 80 Prozent der Flüchtlinge waren zurückkehrende südsudanesische Staatsangehörige. Bis Ende 2023 hatte der Humanitäre Hilfsplan der Vereinten Nationen für 2023 nur 53 Prozent der erbetenen 1,7 Mrd. US-Dollar erhalten, die benötigt wurden, um Millionen Menschen lebensrettende Hilfe und Schutz zu bieten.

Recht auf Nahrung

Im Dezember 2023 teilte OCHA mit, dass 5,83 Mio. Menschen (46 Prozent der Bevölkerung) von starker Ernährungsunsicherheit betroffen waren. Geschätzt 35.000 Menschen litten extremen Hunger, darunter 6.000 in den Landkreisen Duk und Nyirol (Bundesstaat Jonglie), 15.000 im Landkreis Rubkona (Bundesstaat Unity) sowie etwa 14.000 Südsudanes*innen, die aus dem Sudan zurückgekehrt waren. Wegen fehlender Finanzierung des Humanitären Hilfsplans der Vereinten Nationen waren die Ressourcen begrenzt, was bedeutete, dass die Nahrungsmittelsoforthilfe vorrangig den 3,2 Mio. Menschen zugutekommen musste, deren Ernährungslage am schlechtesten war.

Recht auf Gesundheit

Die Bereitstellung von Gesundheitsdiensten erfolgte hauptsächlich durch internationale Geber. 

Das Gesundheitsministerium bestätigte am 6. Juni 2023 einen Masernausbruch im Bundesstaat Upper Nile und am 20. Juli Ausbrüche in den Bundesstaaten Central Equatoria und Warrap. Das Ministerium und seine Partner verstärkten daraufhin ihre Aktivitäten durch mobile Klinikangebote für Sprechstunden, Impfungen, die Überweisung von Patient*innen und die Lieferung medizinischer Notfallausrüstung.

Nach UN-Angaben wurden am 16. Juni 2023 in der Darjo Primary Health Care Unit, einem Krankenhaus für Primärversorgung im Landkreis Longochuk (Bundesstaat Upper Nile) über 150 Fälle einer unbekannten Krankheit gemeldet, an der 23 Menschen starben.

Rechte von Binnenvertriebenen, Flüchtlingen und Migrant*innen

Der Südsudan erlebte 2023 die größte Flüchtlingskrise in Afrika. Beinahe 2,23 Mio. Menschen aus dem Südsudan lebten als Flüchtlinge in den Nachbarländern, die meisten von ihnen in Uganda. 2 Mio. Menschen waren im eigenen Land auf der Flucht.

Am 8. Oktober 2023 sagte die Regierung den vom 9. bis zum 20. Oktober geplanten Besuch der UN-Sonderberichterstatterin für die Menschenrechte von Binnenvertriebenen ab. Die Sonderberichterstatterin hatte vorgehabt, während ihres Besuchs Informationen aus erster Hand über die Notlage der Binnenvertriebenen zu sammeln, sich mit der Regierung und anderen Gesprächspartner*innen über die Prävention und die Ursachen von Binnenvertreibungen auszutauschen, sich mit den Bedürfnissen und Menschenrechten der Vertriebenen auseinanderzusetzen und nach dauerhaften Lösungen zu suchen. Bis Ende 2023 hatte die Regierung noch keine neuen Termine für einen Besuch der Sonderberichterstatterin vorgeschlagen.

Recht auf eine gesunde Umwelt

Der Südsudan war weiterhin mit Naturereignissen wie Überschwemmungen und Dürren konfrontiert, die durch den Klimawandel verursacht wurden. Das Land wurde 2023 zum vierten Mal in Folge von Überflutungen heimgesucht, die zwei Drittel des Landes erfassten und durch die vor allem in den Bundesstaaten Unity und Jonglei Millionen Menschen ihren Zugang zu Nahrung und zu Anbauflächen für Nahrungsmittel verloren. Die Überschwemmungen beschädigten Unterkünfte und Schulen, zerstörten Ernten und Haushaltsgegenstände, erschwerten den Zugang zu sauberem Wasser und behinderten die Zugangsmöglichkeiten für humanitäre Hilfe.

Auf dem afrikanischen Klimagipfel im September 2023 in Kenias Hauptstadt Nairobi sagte Präsident Kiir, der Klimawandel habe dazu geführt, dass mindestens 2 Mio. Menschen im Südsudan die Grundlagen für die Sicherung ihres Lebensunterhalts verloren hätten.

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