Amnesty Report Pakistan 16. April 2020

Pakistan 2019

Eine Menschengruppe, die meisten von ihnen Frauen, zieht mit Fahnen und Trommeln durch eine Straße, die Frau im Vordergrund hält ein Megafon in der Hand

Protestmarsch am internationalen Frauentag am 8. März 2019 in der pakistanischen Stadt Lahore

Die Behörden intensivierten ihr repressives Vorgehen gegen die Meinungsfreiheit. Das Verschwindenlassen unliebsamer Personen war auch 2019 gängige Praxis, und niemand wurde dafür zur Verantwortung gezogen. Die Regierung kam ihrem Versprechen nicht nach, gesetzliche Bestimmungen gegen Folter und Verschwindenlassen einzuführen. Gewalt gegen Frauen und Mädchen war noch immer weit verbreitet. Versuche zur Einschränkung von Kinderehen wurden vom Parlament blockiert. Religiöse Minderheiten wurden nach wie vor auf der Grundlage der Blasphemie-Gesetze strafrechtlich verfolgt und von nichtstaatlichen Akteuren attackiert. Der Kampf für Klimagerechtigkeit wurde auf den Straßen ausgetragen; in den Metropolen protestierten die Menschen und forderten die Regierung auf, sowohl im eigenen Land, das zu den am stärksten vom Klimawandel betroffenen Ländern gehört, als auch im Ausland eine führende Rolle zu übernehmen. Die Luftverschmutzung erreichte in den großen Städten so gefährliche Ausmaße, dass sie die Gesundheit und das Leben der Menschen sowie die Bildungsmöglichkeiten der Kinder gefährdete.

Hintergrund

Das Militär verschärfte die Kontrolle in den Bereichen Wirtschafts- und Außenpolitik sowie nationale Sicherheit und ließ der Zivilbevölkerung immer weniger Handlungsspielraum zur Verteidigung und Förderung der Menschenrechte. Mehrere Mitglieder der politischen Opposition wurden unter Anklagen, die sie für politisch motiviert hielten, in Haft genommen. Dies gab Anlass zu Befürchtungen, dass die Gerichtsverfahren nicht fair verlaufen würden.

Der Klimawandel und seine Auswirkungen auf Pakistan spielten in der öffentlichen Debatte eine immer größere Rolle. Im Mai 2019 machten sich etwa 1.500 Landwirte zu Fuß vom Indusdelta auf den Weg nach Thatta in der Provinz Sindh und forderten von der Regierung, einen Wassernotstand auszurufen und Maßnahmen gegen die Bodenerosion zu unternehmen. Für die pakistanische Landwirtschaft ist der Klimawandel eine große Bedrohung, und er hat unmittelbare Auswirkungen auf die Rechte auf Wasser und Nahrung von Millionen Menschen.

Im Laufe des Jahres fanden mehrere große, friedliche Demonstrationen für die Rechte von Frauen, von Studierenden und der Bevölkerung von Kaschmir sowie gegen das Verschwindenlassen statt.

Verschwindenlassen

Zu den Opfern des Verschwindenlassens gehörten politisch aktive Bürger_innen, Studierende, Journalist_innen, Menschenrechtsverteidiger_innen und schiitische Muslim_innen. Besonders viele Fälle gab es in den Provinzen Sindh und Belutschistan. Im Januar 2019 "verschwand" in der Provinz Punjab der politische Dissident Ahmad Mustafa Kanju aus seinem Haus in Rahim Yar Khan. Im März waren in Karatschi zwei Journalisten einen Monat lang verschwunden. Im Oktober wurde der junge Ingenieur Suleman Farooq Chaudhry außerhalb von Islamabad festgenommen, sein Aufenthaltsort ist unbekannt. Im November "verschwand" in der Nähe von Swabi in der Provinz Khyber Pakhtunkhwa der Menschenrechtsverteidiger und frühere Amnesty-Mitarbeiter Idris Khattak. Im Dezember wurde der Anwalt Shafiq Ahmed entführt, 17 Tage lang festgehalten und in dieser Zeit gefoltert. Hunderte weitere Menschen, die 2019 "verschwanden", kamen später wieder frei. Gegen zwei von ihnen wurden in der Folge Strafverfolgungsmaßnahmen eingeleitet und Anklage wegen Waffenbesitzes erhoben.

Für die Bevölkerung der Provinz Khyber Pakhtunkhwa stieg mit der Verabschiedung der Verordnung über Maßnahmen zur Stärkung der Staatsmacht (Khyber Pakhtunkhwa Actions [in Aid of Civil Power] Ordinance, 2019) die Gefahr, Opfer des Verschwindenlassens zu werden. Die Verordnung räumt den Sicherheitskräften eine Reihe von Befugnissen ein, die zum Missbrauch geeignet sind, so zum Beispiel das Recht, Verdächtige aus unklaren Gründen ohne Anklageerhebung oder Gerichtsverfahren in Haft zu nehmen. Die Häftlinge werden in Internierungslagern festgehalten, wo auch schon andere Opfer des Verschwindenlassens inhaftiert wurden. Gegen die Verordnung sind Rechtsmittel vor dem Obersten Gerichtshof anhängig.

Rechte auf Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit

Drakonische Gesetze wie das Gesetz gegen Cyberkriminalität (Prevention of Electronic Crimes Act – PECA), das Antiterrorgesetz und die Paragrafen des Strafgesetzes zu Aufwiegelung und Verleumdung wurden dazu benutzt, politische Aktivist_innen und Journalist_innen zu verfolgen und unter Anklage zu stellen. Die Regierung schränkte die Medienfreiheit ein, und Medienschaffende berichteten von einem um sich greifenden Klima von Zensur, Nötigung und Schikanierung vonseiten der Behörden.

Im Februar 2019 leitete die Bundespolizei (Federal Investigative Agency – FIA) Ermittlungen gegen Journalist_innen und Mitglieder politischer Parteien ein, die ihr Profilbild in sozialen Medien gegen das des ermordeten saudi-arabischen Journalisten Jamal Kaschoggi ausgetauscht hatten, um damit gegen den Staatsbesuch des saudi-arabischen Kronprinzen Mohammed bin Salman in Pakistan zu protestieren.

Im April 2019 legte die FIA dem Journalisten Shahzeb Jillani "Cyberterrorismus" und Hassreden zu Last, weil er beleidigende Kommentare in sozialen Medien gepostet haben soll. Im Mai ließ ein Gericht in Karatschi die Anklagen wegen Mangels an Beweisen fallen.

Gleichfalls im April wurden gegen Shafique Ahmed, einen Rechtsanwalt aus Okara, Anklagen nach dem PECA sowie Anklage wegen Verleumdung erhoben, weil man ihm vorwarf, "falsche und beleidigende Informationen" verbreitet und "verleumderische Posts" gegen Behördenvertreter_innen hochgeladen zu haben.

Die Behörden intensivierten ihr Vorgehen gegen das Pashtun Tahaffuz Movement (PTM), eine Bewegung, die mit friedlichen Mitteln gegen Menschenrechtsverstöße vorgeht. Dutzende Anhänger_innen der Bewegung wurden überwacht, eingeschüchtert, bedroht, Strafverfolgungsmaßnahmen unterworfen und willkürlich in Haft genommen.

Im Januar 2019 wurde der PTM-Aktivist Alamzaib Khan in Karatschi von der Polizei mit vorgehaltener Waffe festgenommen. Wegen seiner friedlichen Teilnahme an einer Demonstration beschuldigte man ihn des Randalierens und der Anstiftung zum Hass. Im September wurde er vom Obersten Gerichtshof unter Auflagen freigelassen. Im Februar starb Arman Luni, ein PTM-Aktivist aus Belutschistan, nachdem Angehörige der Polizei ihn im Zusammenhang mit seiner Teilnahme an friedlichen Protesten im Bezirk Lorelai geschlagen hatten.

Im Mai 2019 wurde in Bannu in der Provinz Khyber Pakhtunkhwa der für den Fernsehsender Khyber News TV tätige Journalist Gohar Wazir festgenommen, weil er den Abgeordneten und PTM-Anhänger Mohsin Dawar interviewt hatte.

Im selben Monat wurden die beiden Abgeordneten und PTM-Unterstützer Mohsin Dawar und Ali Wazir in Haft genommen, nachdem sie einen Protestmarsch in die Gegend von Khar Kamar in Nord-Waziristan (Provinz Khyber Pakhtunkhwa) angeführt hatten. Mindestens 13 Protestierende starben, als das Feuer auf den Protestmarsch eröffnet wurde, darunter auch drei PTM-Anhänger. Nach dem Vorfall schalteten die Behörden die Telefon- und Internet-Kommunikation in diesem Gebiet für mehrere Tage ab. Im September kamen die beiden Abgeordneten gegen Kaution aus der Haft frei.

Die Menschenrechtsverteidigerin Gulalai Ismail, die durch ihren Einsatz für Frauenrechte bekannt ist und insbesondere Gewalt gegen Frauen und Verschwindenlassen bekämpft, wurde im Mai 2019 wegen Aufwiegelung, Terrorismus und Verleumdung unter Anklage gestellt. Im Juli wurde gegen sie und ihre Eltern Muhammad und Uzlifat Anklage wegen Terrorismus erhoben. Im August floh sie in die USA. Ihre Angehörigen litten weiter unter Einschüchterungstaktiken der Strafverfolgungsbehörden. Im Oktober wurde Muhammad Ismail ein zweites Mal nach dem PECA wegen Hassreden und Cyberterrorismus angeklagt und inhaftiert.

Im November wurden 17 Studierende aus der Minderheit der Sindhi, die in der Universitätsstadt Jamshoro friedlich gegen die Wasserknappheit protestiert hatten, wegen Aufwiegelung angezeigt.

Gewalt gegen Frauen, Mädchen und Transgender-Personen

Auch 2019 wurden in Pakistan zahlreiche Frauen und Mädchen tätlich angegriffen, entführt, vergewaltigt oder getötet. Im Juni kündigte der Präsident des Obersten Gerichtshofs die Einrichtung von 1.016 Gerichten speziell für Fälle von häuslicher Gewalt an.

Im Juni 2019 wurde in Naushehra (Provinz Khyber Pakhtunkhwa) die 19-jährige Transfrau Maya von ihrem Vater erschossen. Mindestens vier weitere Transfrauen wurden 2019 getötet. Darüber hinaus wurden im Juni in Khyber Pakhtunkhwa zwei Transfrauen durch Schüsse schwer verletzt.

Im September untersagte ein Gericht den Eltern von Qandeel Baloch, dem Mörder ihrer Tochter nach Zahlung eines "Blutgeldes" zu vergeben. Nach einem Gesetz von 2016 ist das nicht mehr zulässig. Qandeel Baloch war 2016 von ihrem eigenen Bruder getötet worden, der erklärt hatte, sie habe Schande über ihre Familie gebracht. Der Bruder wurde zum Tode verurteilt.

Rechte von Kindern

Berichte über Gewalt gegen Kinder und ihren sexuellen Missbrauch waren weit verbreitet. Im Juli 2019 startete das Ministerium für Menschenrechte dazu eine landesweite Aufklärungskampagne unter dem Titel "Schutz von Kindern vor sexuellem Missbrauch".

Im Oktober 2019 wurde in Peschawar der bereits in Großbritannien verurteilte Sexualstraftäter Sohail Ayaz wegen sexuellen Missbrauchs von 30 Minderjährigen festgenommen. Er hatte seit seiner Rückkehr nach Pakistan drei Jahre lang als Berater für die Provinzregierung von Khyber Pakhtunkhwa gearbeitet.

Im Mai blockierte das Unterhaus des Parlaments einen Gesetzentwurf, mit dem das Mindestheiratsalter von Frauen wie bei Männern auf 18 Jahre angehoben werden sollte.

Die Provinzregierung von Punjab verabschiedete im Januar ein Gesetz zum Schutz von Hausangestellten, mit dem die Beschäftigung von Minderjährigen unter 15 Jahren in Haushalten verboten wurde. Dessen ungeachtet wurden weiterhin überall in Pakistan Minderjährige unter 15 als Hausangestellte beschäftigt.

Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit

Auch 2019 wurden unter Rückgriff auf die Blasphemiegesetze Menschen verfolgt und Menschenrechte missachtet. Bewaffnete Gruppen begingen Übergriffe auf religiöse Gemeinschaften, und sektiererische Organisationen konnten ungestraft zu Hass gegen religiöse Minderheiten aufstacheln. Im September wurde der Schuldirektor Nautan Lal aus Ghotki wegen Blasphemie unter Anklage gestellt, nachdem ein von einem religiösen Führer angestachelter Mob den örtlichen Hindu-Tempel zerstört und hinduistische Gebäude angegriffen hatte.

Im Mai konnte die Christin Asia Bibi, die wegen vermeintlicher Gotteslästerung acht Jahre im Todestrakt zugebracht hatte, endlich zusammen mit ihrer Familie das Land verlassen. Nachdem der Oberste Gerichtshof den Freispruch im Januar bestätigt hatte, kam es zu Protestkundgebungen bewaffneter Gruppen. Im Dezember wurde in Multan der Hochschuldozent Junaid Hafeez zum Tode verurteilt. Er befindet sich seit 2013 im Gefängnis, überwiegend in Einzelhaft.

Nach wie vor gingen nichtstaatliche Akteure gewalttätig gegen Angehörige religiöser Minderheiten vor. Im April kamen bei einem Selbstmordanschlag gegen die schiitische Hazara-Gemeinschaft im belutschischen Quetta mindestens 20 Menschen ums Leben; die bewaffnete Gruppe Islamischer Staat bekannte sich zu dem Anschlag. Vor allem in der Provinz Sindh wurden Frauen und Mädchen aus Christen-, Hindu- und Sikh-Gemeinden zu Opfern von Übergriffen und unter anderem zu Glaubensübertritten gezwungen.

Recht auf Gesundheit

Im November und Dezember 2019 waren die Luftverschmutzungswerte in den Metropolen, insbesondere in Lahore, gefährlich hoch. Die Schulen mussten für mindestens drei Tage geschlossen bleiben. Es kam zu einem starken Anstieg von Atemwegserkrankungen. Die Regierung kündigte besondere Vorkehrungen zur Krisenbekämpfung an, darunter das Verbot illegaler Brennstoffe und den verstärkten Übergang zu Elektrofahrzeugen.

Rechte von Arbeitnehmer_innen

Angemessener Arbeitnehmer_innenschutz, die Verabschiedung entsprechender Gesetze und ihre Umsetzung in allen Provinzen waren noch immer ein zentrales Ziel der Gewerkschaften in verschiedenen Branchen, auch im informellen Sektor.

Nach Angaben der Bergbaugewerkschaft kamen bei Arbeitsunfällen Dutzende von Bergleuten wegen Grubeneinstürzen, ungenügenden Schutzvorkehrungen und veralteten Arbeitstechniken zu Tode. Ein Bericht der pakistanischen Menschenrechtskommission vom August 2019 listete eine ganze Reihe menschenrechtsrelevanter Probleme der Bergleute des Landes auf, darunter Hindernisse für die gewerkschaftliche Organisierung, lebensgefährliche Krankheiten und gefährliche Arbeitsbedingungen.

In der Landwirtschaft und in der Backsteinindustrie gab es noch immer Fronarbeit, obwohl dieses menschenunwürdige Arbeitsverhältnis seit 1992 gesetzlich verboten ist.

Im Januar 2019 wurde in Punjab die zum informellen Sektor zählende Hausarbeit durch ein neues Gesetz (Domestic Workers Act) geregelt.

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