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Vernachlässigt und verfolgt
Angegriffen. Htay Htay Aung (links) mit ihrer Familie.
Vor zwei Jahren verübte Myanmars Militär im Bundesstaat Rakhine einen Völkermord an den muslimischen Rohingya. Nun geht die Armee dort auch gegen Buddhisten vor.
Aus Mrauk Oo Cape Diamond und Verena Hölzl
Der bordeauxrote Nagellack ist schon fast wieder abgeblättert. Htay Htay Aung trägt ihn nur an der linken, ihrer kaputten Hand. Seit die 14-Jährige vor ein paar Monaten von einer Gewehrkugel getroffen wurde, schlängelt sich auf ihrem Oberarm eine wulstige Zick-Zack-Narbe. Ihre Hand liegt wie leblos auf dem Plastiktisch vor ihr, Nagellack auftragen kann sie damit nicht mehr.
"Ich bin wütend, dass man das mit mir gemacht hat", sagt sie leise. Htay Htay Aung versteckte sich in ihrer Bambushütte, als im April Soldaten in ihr Dorf im Bundesstaat Rakhine kamen und anfingen zu schießen. "Einfach so", sagt das Mädchen. Auch in der Flüchtlingssiedlung nahe der Stadt Mrauk Oo, in der sie mittlerweile lebt, sind regelmäßig Schüsse zu hören.
Rakhine im Westen Myanmars kommt nicht zur Ruhe. Nach dem Völkermord an den muslimischen Rohingya vor zwei Jahren geht das Militär nun gegen buddhistische Bewohner in dem Bundesstaat vor, zu denen auch Htay Htay Aung und ihre Familie gehören. Der Konflikt eskalierte im Januar, als Aufständische der Arakan Army (AA), die mit ihrem Kampf für einen unabhängigen Staat Rakhine ein Ende der Diskriminierung der Bevölkerungsgruppe der buddhistischen Rakhine erreichen wollen, mehrere Polizeiposten angriffen. Die rund 2,3 Millionen Angehörigen dieser Ethnie konkurrieren im gleichnamigen Bundesstaat mit derzeit noch einigen Hunderttausend muslimischen Rohingya um knappe Ressourcen.
Die UN geht von 60.000 Menschen aus, die wie Htay Htay Aung und ihre Familie von den Kämpfen vertrieben wurden und jetzt in improvisierten Siedlungen im Norden des Bundesstaates leben. Myanmarische Medien berichten regelmäßig über getötete Soldaten und Zivilisten.
Plünderungen, Folter, Hinrichtungen
Amnesty International veröffentlichte im Mai einen Bericht, der schwere Menschenrechtsverletzungen dokumentiert, die als Kriegsverbrechen gelten können. Demnach macht das myanmarische Militär nicht nur bewusst Zivilisten zu Opfern seiner Angriffe, sondern ist auch für außergerichtliche Hinrichtungen, willkürliche Festnahmen, Folter und andere Misshandlungen, Plünderungen sowie Fälle von Verschwindenlassen verantwortlich.
Es ist nicht das erste Mal, dass dem Militär von Myanmar schwere Verbrechen in Rakhine vorgeworfen werden. Zwei Jahre sind vergangen, seit Soldaten in den Norden des Bundesstaates einmarschierten und mehr als 20.000 Angehörige der muslimischen Minderheit der Rohingya getötet haben sollen. 700.000 wurden nach Bangladesch vertrieben.
Die Regierung Myanmars beruft sich weiter darauf, dass der Westen die Situation im Land nicht verstehe. Eine interne Untersuchungskommission setze sich mit den "falschen Anschuldigungen der UN und der internationalen Gemeinschaft" auseinander, betonen Regierungssprecher immer wieder. Doch Myanmars Generäle wurden bis heute nicht zur Rechenschaft gezogen. Und so gehen die Menschenrechtsverletzungen weiter – dieses Mal gegen die Bevölkerungsgruppe der Rakhine. "Wenigstens interessiert man sich jetzt auch einmal für uns", sagt Maung Aye Kyaw. Der 24-Jährige ist Lehrer und als solcher auserkoren worden, sich um die Verwaltung der Flüchtlingssiedlung zu kümmern, in der Htay Htay Aung mit ihren Eltern und Geschwistern lebt. Die Vertriebenen haben sich in unmittelbarer Nähe zu buddhistischen Klöstern am Rande von Mrauk Oo angesiedelt. Die Hütten sind aus ganz frischem Bambus, im Hof des Klosters wird gehämmert und gehackt. Hinter Maung Aye Kyaw hängt eine weiße Tafel, auf der penibel die Anzahl der Flüchtlinge, Haushalte und ihre Ankunftsdaten vermerkt sind.
Regierung sperrt mobiles Internet
Was außerhalb von Mrauk Oo vor sich geht, können die Bewohner nur schwer verfolgen, denn die Regierung hat das mobile Internet gekappt. "Jetzt hören wir es nur noch am Lärm der Waffen", sagt Maung Aye Kyaw. Er mag keine Gewalt, aber für den Freiheitskampf der Arakan Army hat er dennoch Sympathie. "Wir werden unterdrückt. Man behandelt uns Rakhine nicht fair", sagt er.
Trotz seines Reichtums an natürlichen Ressourcen zählt der mehrheitlich von Buddhisten besiedelte Bundesstaat Rakhine zu Myanmars ärmsten Regionen. Im Rest des Landes werden seine Bewohner als ruppige, rückständige Provinzler mit merkwürdigem Akzent belächelt. Die Infrastruktur ist unterentwickelt. Wer sich keinen Flug leisten kann, muss mindestens einen Tag auf der Straße verbringen, um in Myanmars größte Stadt Rangun zu kommen. Die 200.000 Einwohner von Mrauk Oo haben erst seit 2013 Strom. Im Sommer, wenn der Monsun die Schulgebäude überflutet, kommen die Lehrer einfach nicht zur Schule. Die Rakhine fühlen sich vom Zentralstaat vernachlässigt – und vorgeführt.
Obwohl eine Partei der Rakhine bei den Parlamentswahlen 2015 eine Mehrheit der Stimmen gewonnen hat, setzte die myanmarische Zentralregierung den Rakhine einen Regierungschef aus ihren eigenen Reihen vor die Nase. "Wen wundert es, dass unsere jungen Männer zu den Waffen greifen", fragen viele in Rakhine. Der Arakan Army sollen bis zu 7.000 Mann angehören. Doch auch die bewaffneten Sezessionisten stellen eine Gefahr für die Zivilbevölkerung dar. Berichten zufolge entführen sie Zivilisten und zwingen sie dazu, die Rebellen zu unterstützen.
Immer wieder schlagen Granaten ein
In einem Café im Zentrum von Mrauk Oo sitzt der 48-jährige Aung Than Tun, der einen Rettungsdienst betreibt. Sich über politische Probleme den Kopf zu zerbrechen, dafür hat er keine Zeit. Er leistet lieber aktive Hilfe für Menschen in Notsituationen. "Wir haben viel zu tun, vor allem in letzter Zeit", sagt er. Denn immer wieder schlagen in Dörfern der Rakhine Granaten ein – einmal sogar im Stadtzentrum von Mrauk Oo. Aus Sorge, ins Kreuzfeuer zu geraten, müssen Aung Than Tun und seine Kollegen regelmäßig Notrufe ablehnen. Außerdem riskieren sie den Vorwurf, die Rebellen zu unterstützen. "Wir sind jedes Mal besorgt, besonders, wenn wir Mrauk Oo für einen Einsatz verlassen."
"Wir leben immer in Gefahr – egal was wir tun", sagt auch Yin Yin Khine*, eine Nachbarin von Htay Htay Aung. Ihr Bruder wurde beim Feuerholzsammeln von Soldaten angeschossen, die ihn für einen Kämpfer der Arakan Army hielten.
Auch Htay Htay Aungs Vater hat kein gutes Gefühl, wenn er die Flüchtlingssiedlung verlässt und zum Fischen an den Fluss geht. Das Militär verdächtige alle Rakhine, den sezessionistischen Rebellen anzugehören oder sie zumindest zu unterstützen. "Selbst dieses Baby hier würden sie als aufständisch bezeichnen", sagt er und deutet auf sein jüngstes Kind, das in einer Hänge-Wiege schläft.
Manchmal geht der Vater dennoch zurück in sein Dorf. Wenn er draußen ist auf den Feldern, kommen die Erinnerungen zurück. An die Nacht im April, als er und seine Familie sich unter seinem Stelzenhaus vor den Soldaten versteckten. Die Kinder hätten damals am ganzen Körper gezittert. Und still war es. Nicht einmal das kleine Baby habe einen Mucks von sich gegeben. "Wenn das Baby geschrien hätte, wären wir jetzt alle tot", sagt er.
*Name von der Redaktion geändert