Aktuell Deutschland 26. Oktober 2018

Jede*r hat ein Geschlecht: das eigene

Intergeschlechtliche Menschen und ihre Rechte in Deutschland
Die Porträts von sechs Personen werden im Wechsel angezeigt

Von medizinisch nicht notwendigen, schädlichen Eingriffen bis hin zu alltäglichen Ausgrenzungen – intergeschlechtliche Menschen erfahren in Deutschland Menschenrechtsverletzungen und Diskriminierung. Sechs Personen teilen hier ihre individuellen Erfahrungen und ihre Wünsche nach politischen wie gesellschaftlichen Veränderungen. Ihre Perspektiven brauchen Gehör, um mehr Wissen und Akzeptanz zu schaffen. Bis allen klar wird: Jede*r hat ein Geschlecht: das eigene.

Lucie

Porträtfoto von Lucie

Jeder Mensch kommt mit einer Geschlechtlichkeit auf die Welt: der eigenen.

Charlie

Wenn nicht darüber geredet wird, wenn es de facto totgeschwiegen wird, dann wird es für die Betroffenen unglaublich schwierig, sich selbst und den eigenen Körper zu akzeptieren – also zu sagen, mein Körper ist gut, wie er ist.

Intergeschlechtlich – nicht männlich, nicht weiblich

Eine Grafik auf der das Symbol des weiblichen Geschlechts und des männlichen Geschlechts miteinander verbunden sind. Die Farben Rot und Blau laufen dabei ineinander und werden zu Violet.

Intergeschlechtliche Menschen werden mit einer Variation der Geschlechtsmerkmale geboren. Ihre Körper lassen sich nicht den vorherrschenden Definitionen von männlich und weiblich zuordnen. So variieren etwa die Chromosomen, der Hormonhaushalt oder das Aussehen der Genitalien.

Eine Grafik auf der das Symbol des weiblichen Geschlechts und des männlichen Geschlechts miteinander verbunden sind. Die Farben Rot und Blau laufen dabei ineinander und werden zu Violet.

Schätzungen zufolge kommen weltweit 1,7 Prozent der Menschen mit Geschlechtsmerkmalen zur Welt, die weder den konventionellen Vorstel­lungen eines Jungenkörpers noch denen eines Mädchenkörpers entsprechen.

Eine Grafik auf der das Symbol des weiblichen Geschlechts und des männlichen Geschlechts miteinander verbunden sind. Die Farben Rot und Blau laufen dabei ineinander und werden zu Violet.

Abgesehen von wenigen Ausnahmen sind intergeschlechtliche Menschen gesund. Doch bisher durften nur wenige so aufwachsen, wie sie sind: Seit Mai 2021 gibt es in Deutschland eine gesetzliche Regelung, welche die Möglichkeit für Eltern ein­schränkt, Operationen durchführen zu lassen – wenn keine akute gesundheitliche Notwendigkeit vorliegt.

Anjo

Porträtfoto von Anjo

Dass ich Hermaphrodit bin, fanden meine Eltern gleich total in Ordnung.

Steffi

Porträtfoto von Steffi mit einem Blätterzweig vor dem Gesicht

Ich verorte mich eher als weiblich, manchmal auch als männlich – aber das kann auch von Minute zu Minute wechseln.

Menschenrechtsverletzende medizinische Eingriffe

Eine Grafik auf der das Symbol des weiblichen Geschlechts und des männlichen Geschlechts miteinander verbunden sind. Die Farben Rot und Blau laufen dabei ineinander und werden zu Violet.

Die bisher gängige medizinische Praxis versuchte, eine ver­meintliche "Normalisierung" derjenigen Kinder zu bewirken, deren Geschlechtsmerk­male als "uneindeutig" galten. Für die Betroffenen begann damit eine Tortur: Hoden wurden entfernt, eine vergrößerte Klitoris chirurgisch reduziert. Teils wurden Vagina oder Penis modelliert.

Eine Grafik auf der das Symbol des weiblichen Geschlechts und des männlichen Geschlechts miteinander verbunden sind. Die Farben Rot und Blau laufen dabei ineinander und werden zu Violet.

Meist erfolgten mehrere Operationen über einen Zeitraum von Jahren. Sie sind die Ursache von Schmerzen, Narben und Nervenschäden und können zum Verlust der Sensibilität der Geschlechtsorgane führen.

Eine Grafik auf der das Symbol des weiblichen Geschlechts und des männlichen Geschlechts miteinander verbunden sind. Die Farben Rot und Blau laufen dabei ineinander und werden zu Violet.

Die Entfernung von Keim­drüsen führt zu Unfruchtbarkeit und macht eine lebenslange künstliche Hormongabe notwendig. Aber vor allem sind die geschlechtszuweisenden Eingriffe unumkehrbar und verursachen gravierende, lebenslange körperliche und psychische Leiden für die betroffenen Menschen.

Eine Grafik auf der das Symbol des weiblichen Geschlechts und des männlichen Geschlechts miteinander verbunden sind. Die Farben Rot und Blau laufen dabei ineinander und werden zu Violet.

Das Gesetz ist ein Meilenstein für den Schutz intergeschlechtlicher Kinder. Un­gewiss ist, ob es ausreicht, um die bisher gängige medizinische Praxis vollständig zu beenden. Aus Sicht von Amnesty International handelt es sich bei Eingriffen ohne Zu­stimmung um Menschenrechtsverletzungen.

Eves

Porträtfoto von Eves

Die Gesellschaft muss offener werden für die ganze Vielfalt, die das Menschsein bedeutet. Und Kinder müssen so aufwachsen können, wie sie sind.

D.

Porträtfoto einer Person hinter Pampasgras

Ich hatte insgesamt neun Operationen. Wie ich es heute sehe, haben alle diese Eingriffe versucht, mich medizinisch in die männliche Rolle hineinzudrängen. Und das war unnötig.

Recht auf Gesundheit und Schutz vor Diskriminierung

Eine Grafik auf der das Symbol des weiblichen Geschlechts und des männlichen Geschlechts miteinander verbunden sind. Die Farben Rot und Blau laufen dabei ineinander und werden zu Violet.

Intergeschlechtliche Menschen haben ein Recht auf Selbstbestimmung, körperliche Unversehrtheit und Gesundheit. Die Eingriffe an gesunden intergeschlechtlichen Kindern müssen beendet werden.

Eine Grafik auf der das Symbol des weiblichen Geschlechts und des männlichen Geschlechts miteinander verbunden sind. Die Farben Rot und Blau laufen dabei ineinander und werden zu Violet.

Die Behandlungen sollten aufgeschoben werden: Wenn die Betroffenen alt genug sind, können sie aussagekräftig an der Entscheidungsfindung mitwirken und in­formiert sowie selbstbestimmt mögliche Eingriffe bewilligen. Doch auch für sie gilt: Der Druck ist groß, sich der herrschenden Norm der Zweigeschlechtlichkeit anzupassen.

Eine Grafik auf der das Symbol des weiblichen Geschlechts und des männlichen Geschlechts miteinander verbunden sind. Die Farben Rot und Blau laufen dabei ineinander und werden zu Violet.

Im alltäglichen Leben sind intergeschlechtliche Menschen immer wieder mit Ver­wunderung, Unwissen und Ignoranz konfrontiert: Sei es während des Check­ins am Flughafen, beim Bezahlen an der Supermarktkasse oder beim Anmelden in der Arzt­praxis.

Eine Grafik auf der das Symbol des weiblichen Geschlechts und des männlichen Geschlechts miteinander verbunden sind. Die Farben Rot und Blau laufen dabei ineinander und werden zu Violet.

Immer dann, wenn Ausweise vermeintlich nicht zur Person passen, sind in tergeschlechtliche Personen schnell in der Rolle, sich öffentlich erklären zu müssen. Das gilt auch oft dort, wo es keine All-­Gender-­Toiletten gibt.

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