Deutschland 26. Oktober 2018

Charlie

Porträtfoto einer Person auf einer Holzbank an einer Straßenkreuzung mit Altbauhäusern

"Du siehst aus wie eine Frau, also bist du eine Frau", sagen Leute manchmal, als ob sie mich als inter* Person wegleugnen könnten. Dann versuche ich klarzumachen, dass ich zwar so aussehe, mein Körper aber trotzdem besonders ist. Ich habe einen XY-­Chromosomensatz und im Alter von einem Jahr wurden mir meine im Bauchraum liegenden Hoden entfernt. Die Operation war medizinisch nicht notwendig, die Folgen beschäftigen mich mein ganzes Leben. Mein Körper kann keine Geschlechtshormone mehr produzieren, deshalb substituiere ich seit dem zwölften Lebensjahr mit Östrogenen. Dafür versuche ich ein Bewusstsein zu schaffen – dort, wo es möglich ist.

Denn für mich ist es ein Wunschtraum, dass jeder Mensch weiß: Es gibt inter* Menschen – und das ist ganz normal, wie es Frauen und Männer gibt. Es wäre klar, dass alle inter* Menschen einzigartig sind und dass man die Geschlechtsidentität einer Person nicht von außen erkennen kann. Und dann gäbe es dieses krasse Er­ staunen nicht mehr, mit dem Leute dich angucken wie ein Auto und sagen: "Was, so etwas gibt es?"

Wenn nicht darüber geredet wird, wenn es de facto totgeschwiegen wird, dann wird es für die Betroffenen unglaublich schwierig, sich selbst und den eigenen Körper zu akzeptieren – also zu sagen, mein Körper ist gut, wie er ist, und nicht erst, wenn eine Operation durchgeführt wurde oder ich irgendwelche Hormone nehmen muss, um der zweigeschlechtlichen Norm zu entsprechen.

Zu Schulzeiten habe ich immer wieder Rechtfertigungen und Ausreden gesucht: Wenn ich zum Arzt musste, sagte ich, dass ich in den Zoo fahre. Die Termine lagen in den Ferien, sodass es keine Probleme mit der Abwesenheit in der Schule gab.

Ich musste mich verstellen und anpassen, habe meine Hormontabletten als "die Pille" getarnt und so getan, als hätte ich längst meine Periode, obwohl ich diese naturgemäß niemals bekommen habe. Das funktionierte, aber für mich war es nicht cool, meine Freund*innen zu belügen – aus Sorge, stigmatisiert, ausgeschlossen oder gemobbt zu werden.

Ich habe mein Inter*­Sein verleugnet, mir eine mentale Wand gebaut. Es gab niemanden, mit dem ich neutral über mich und meinen Körper reden konnte.

Es gab nur die Ärzt*innen und meine Eltern. Also habe ich mit niemandem geredet. Das war nicht gut für mich. Nach und nach wurde ich offener und redete mit meinen Freund*innen über meinen Körper. Schließ­lich fand ich auch Anschluss an die inter* Community und lernte viele beeindrucken­de Menschen und neue Freund*innen kennen. All das hat dazu beigetragen, dass ich mittlerweile zu mir und meinem Körper stehen kann. Ich weiß jetzt, dass ich mich nicht verstecken muss.

Dennoch kann ich nie wissen, wie mein Gegenüber reagiert, wenn ich erzähle, dass ich intergeschlechtlich bin. Deshalb checke ich Personen auch heute noch ab, bevor ich mich ihnen gegenüber oute. In einigen Situationen habe ich einfach keine Lust, wieder alles erklären zu müssen, weil es in der Gesellschaft zu wenig Basiswissen über Inter* gibt. Dieses mangelnde Wissen über Inter* ist besonders im medizini­schen Bereich ein Problem. Zu oft werden inter* Menschen stigmatisiert und patho­logisiert und es wird nicht ausreichend Rücksicht auf ihre Wünsche und Bedürfnisse genommen. Das muss sich dringend ändern, damit inter* Menschen nicht mehr diskriminiert werden.

Ich bin sehr gern in LGBT(I)-­Kontexten unterwegs, weil Menschen dort anders mit Diversität umgehen. Sie sind entspannt, was das Thema angeht. Und ich freue mich jedes Mal, wenn ich in ein Café gehe und es gibt All­-Gender-­Toiletten. Das ist ja nicht so schwierig und im Zug klappt es ja auch ganz selbstverständlich. Wenn es auch ge­samtgesellschaftlich mehr Awareness für Inter* gäbe, würde das viel verändern.



Protokoll: Andreas Koob

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