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D.

© Amnesty International, Foto: Chris Grodotzki
In Alltagssituationen erlebe ich zwar Irritationen, bei denen nicht ganz klar ist, ob es an meiner Intergeschlechtlichkeit liegt. Für die meisten Menschen gibt es eben nur Männer oder Frauen und Intergeschlechtlichkeit ist in den Köpfen der Menschen nicht so selbstverständlich wie die beiden binären Geschlechter. Ich selbst weiß schon sehr lange, dass ich anders bin. Wenn ich weiter zurückblicke, empfand ich mich in der Kindheit mehr als Mädchen denn als Junge. Damit meine ich vom Verhalten und vom Gefühl her.
Und ich habe inzwischen auch festgestellt, dass, wenn es ums Verlieben geht, ich im Inneren mehr Frau bin. Trotzdem weiß ich, dass ich keine Frau bin. Nein! Anatomisch bin ich weder Mann noch Frau seit der Geburt. Von meiner Geschlechtsidentität her bin ich weiblich. Wird in Gesprächen mein Geschlecht explizit infrage gestellt, kläre ich das auf.
Das gilt etwa auch für Vorstellungsgespräche. Wenn es situativ passt, mache ich meine Intergeschlechtlichkeit zum Thema. Es zählt ja der erste Eindruck. Wenn dann hinterher ein großes Fragezeichen hängenbleibt, sind die Chancen nicht groß. Und überhaupt: Wenn die Person damit nicht umgehen kann – will ich dann acht Stunden täglich mit ihr zusammenarbeiten?
Das gilt auch für die letzten Operationen, für die ich mich selbst entschieden hatte. Sie brachten enorme seelische Belastungen mit sich. Aber ich kam mit dem mir Widerfahrenen und den Nachwirkungen viel besser klar, da ich mich selbst für diese Eingriffe entschieden hatte. Ärzt*innen sprachen all die Jahre nur von Fehlbildungen, nie von Intergeschlechtlichkeit.
Und auch ein Therapeut meinte zu mir, als ich Probleme während meiner Ausbildung hatte, dass mein Selbstwertgefühl darunter leide, weil ich nicht richtig operiert wurde, nicht als richtiger Mann dastünde. Das glaubte ich und war Anlass, mich noch einer Operationsepisode hinzugeben, was aber am Seelenleben nichts änderte.
Das Fatale war, dass ich es zu diesem Zeitpunkt überhaupt nicht adäquat einschätzen konnte, da ich nicht richtig über mein "So-Sein" aufgeklärt war. Von den Eingriffen während der Kindheit erinnere ich mich vor allem an die Schmerzen. Das waren höllische Schmerzen nach den Operationen, wenn ich mit frisch operierter Harnröhre und ohne Katheter entlassen wurde. Das glich Foltermaßnahmen.
Intergeschlechtlichkeit machte niemand zum Thema. Deshalb war es ein langer Selbstfindungsprozess. Ich hätte nicht sagen können: Ich bin homosexuell. Oder: Ich bin transsexuell. Weil es nicht passte. Trotzdem überlegte ich es, "outete" mich entsprechend gegenüber meinen Eltern. Aber das war immer wie ein Kleidungsstück, das immer eine Nummer zu klein oder zu groß war.
Inzwischen mache ich selbst Peer-Beratung: Ich berate erwachsene Personen, die gerade erfahren haben, dass sie intergeschlechtlich sind, oder Eltern, die ein intergeschlechtliches Kind haben. Gerade für die Eltern ist die Entscheidungsfindung bezüglich der Operationen oft kompliziert.

© Amnesty International, Foto: Chris Grodotzki
Ohne dass ich selbst in der Elternrolle wäre, frage ich mich immer: Was sollen Eltern einem Kind sagen, wenn es mit einer von den Eltern veranlassten, nicht lebensnotwendigen OP unzufrieden ist? Was geschnitten ist, ist geschnitten. Das macht einem doch Schuldgefühle bis zum Sankt-Nimmer-leins-Tag.
Wenn Eltern die OP aufschieben, bis ihr Kind eine eigene Entscheidung über seinen Körper treffen kann, können sie das Kind in seiner Entwicklung und in seinem Umfeld entsprechend unterstützen. Mit meinen Eltern habe ich heute auch mehr Austausch darüber: Sie erzählen, was sie damals bewegt hat, es gibt Zugeständnisse. Das bedeutet mir sehr viel und ich bin froh, dass ich das mit meinen Eltern gut aufgearbeitet und besprochen habe.
Protokoll: Andreas Koob