Deutschland 26. Oktober 2018

Eves

Porträtfoto von Eves mit der Spiegelung eines Intercity-Zugs in einer Fensterscheibe

Vor einigen Jahren habe ich erkannt, wer ich bin. Bis dahin habe ich in einer Rolle gelebt, die mir als Kind zugewiesen wurde. Ich musste als Mädchen leben, obwohl ich immer wusste, dass ich keines bin. Mit 42 war es nicht mehr möglich, so wei­terzuleben: Ich brach zusammen – körperlich und auch psychisch. Es war ein langer Weg – zu erkennen, wer ich bin.

Und zu entscheiden, wie ich leben will, damit öffentlich zu werden und mich und andere damit zu konfrontieren: meine Familie und Freund*innen, die Nachbar*innen, Kindergärtner*innen, Ärzt*innen. Und ich rede auch gern mit den Jäger*innen, wenn ich sie im Dorfladen treffe. Das ist für mich Öffentlichkeitsarbeit.

Mich immer wieder hinzustellen und zu sagen: Ich bin hier, so wie ich bin – und darauf habe ich ein Recht. Das gibt mir Kraft.

Die Gesellschaft muss offener werden für die ganze Vielfalt, die das Menschsein bedeutet. Und Kinder müssen so aufwachsen können, wie sie sind.

Für mich war dieser Schritt nicht leicht, aber lebenswich­tig: Ich entschied mich, meinen Bart wachsen zu lassen und endlich ich zu sein – innen wie außen. Ich änderte meinen Namen, heiße jetzt Eves und bin weder Mann noch Frau.

Für meine Frau war das in Ordnung – sie liebt mich als der Mensch, der ich bin. Für unsere beiden Kinder bin ich manchmal noch Mama, neuerdings immer öfter Papa oder einfach Eves. Das braucht Zeit, und die können wir uns nehmen.

Ich wurde – als mittelalte, übergewichtige Frau – oft richtig schlecht behandelt. Denn als Frau wirst du in dieser Gesellschaft sehr auf deinen Körper reduziert und ent­ sprechend bewertet. Jetzt werde ich tatsächlich meistens als Mann wahrgenommen. Und als Mann kannst du auch dick sein. Das ist egal – freundlich behandelt werde ich jetzt trotzdem. Und es passiert mir sogar, dass ich von jungen Frauen angezwinkert werde. Ich hätte nie für möglich gehalten, dass es tatsächlich so viel einfacher in dieser Gesellschaft ist, als Mann rumzulaufen.

Als ich 18 war, habe ich schon einmal versucht, so zu leben, ohne dass ich einen Begriff von Intergeschlechtlichkeit hatte. Ich habe aufgehört, mich zu rasieren, und bin so los in den Alltag. Ich wurde ausgegrenzt, gemobbt, wie ein Monster behandelt. Das konnte ich nicht aufrechterhalten – ohne Unterstützung. Also habe ich mich gefügt und dachte, ich müsse nach außen hin als Frau leben.

Dadurch, dass ich als Baby wie ein Mädchen aussah, habe ich keine Operationen erlitten. Das ist gut. Aber als sich mein Körper in der Pubertät veränderte, musste ich sehr schmerzhafte Heißwachsbehandlungen über mich ergehen lassen. Eine verweib­lichende Hormonbehandlung brach ich damals sofort ab.

Schon als Kind habe ich mir einen Jungennamen gegeben. Ich nannte mich IF, gesprochen wie Yves.

So weit ich zurückdenken kann, ist mein Leben ein Kampf um meine Identität und meinen Körper. Ich hatte immer das Gefühl, falsch zu sein, schlecht, nicht richtig. Das ging so weit, dass ich das erste Mal mit fünf Jahren ver­sucht habe, mich umzubringen. Es hat nicht geklappt und das ist gut so. Aber es hat mich begleitet.

Porträtfoto von Eves

Du lernst, dich richtig zu hassen, wenn du nicht der Mensch sein kannst, der du bist. Durch all die Ablehnung mir selbst gegenüber habe ich mich zum Teil abgespalten von meinem eigenen Körper – kaum etwas gefühlt. Ich konnte im Winter im T­-Shirt rumrennen, ich habe die Kälte nicht gespürt.

Und auch dann, wenn man anfängt, sich zu fühlen, muss man damit erst mal umgehen. Schwere Phasen gibt es auch heute noch, aber ich habe jetzt Menschen um mich, die mich so lieben und unterstützen, in meinem Sein.

Auch heute muss ich weiter dafür kämpfen, der Mensch sein zu dürfen, der ich bin. Ich bin ziemlich schwer krank und muss häufig ins Kran­kenhaus. Dort werde ich immer wieder von Pfle­gekräften und Ärzt*innen extrem unter Druck gesetzt, mich in die Kategorie männlich oder weiblich einzuordnen. Ich soll mich entscheiden, ob ich im Männer­ oder Frauenzimmer unterge­bracht werden "will". Ich bin inter* und habe einen "Divers"­-Eintrag. Ich erwarte kein Einzel­zimmer und bin bereit, auf dem Flur oder hinter ei­nem Raumteiler in Männer­ oder Frauenzimmern zu liegen.

Es ist mehrfach passiert, dass meine Behandlung für Stunden unterbrochen und ich mit starken Schmerzen im Notfallbereich liegen gelassen wurde. Trotz akuter Lebensgefahr wurde mir mit Entlassung gedroht, wenn ich mich nicht einordne. Am Ende wurde ich gegen meinen Wil­len in ein Männerzimmer gebracht.

Auch andere inter* und queere Menschen er­leben Schlechterstellung, abfällige Äußerungen oder die Drohung, entlassen zu werden. Das muss sich dringend ändern.

 

Protokoll: Andreas Koob

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