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Menschenrechtliche Herausforderungen für die deutsche EU-Ratspräsidentschaft 2020
Wenige Tage vor der heute begonnenen EU-Ratspräsidentschaft der Bundesregierung hat Amnesty International ein Pressehintergrundgespräch abgehalten. Wir dokumentieren die Eingangsstatements des Generalsekretärs Markus N. Beeko, der Europa-Expertin Janine Uhlmannsiek und der Asien-Expertin Theresa Bergmann.
Die deutsche Bundesregierung tritt am 1. Juli die EU-Ratspräsidentschaft an. Zweifelsfrei wird sie ganz im Fokus der Bewältigung der Covid-19-Pandemie stehen. Dies ist eine immense Herausforderung, die nicht nur in einzelnen Ländern zu sozialer Unsicherheit und einschneidenden Maßnahmen führt, sondern auch geostrategische Rahmenbedingungen verändert. Denn es handelt sich um eine Gesundheitskrise und eine Wirtschaftskrise – aber auch um eine Menschenrechtskrise.
Die Bundesregierung ist daher gefragt, ihre Gestaltungsmacht während der Ratspräsidentschaft auch dafür zu nutzen, den Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf alle Menschenrechte und die Rechtsstaatlichkeit besondere Aufmerksamkeit zu widmen.
Während die meisten europäischen Staaten nun Einschränkungen wieder lockern, breitet sich die Pandemie in anderen Teilen der Welt weiter aus. Die EU muss darauf achten, dass alle Maßnahmen inner- und außerhalb der EU zur Verhinderung, Vorbereitung, Eindämmung und Bewältigung der Pandemie im Einklang mit internationalen Menschenrechtsverpflichtungen stehen. Sie müssen verhältnismäßig, befristet und notwendig sein. Und sie dürfen Menschen nicht diskriminieren. Besonders schutzbedürftige Personengruppen brauchen dabei besondere Aufmerksamkeit und Unterstützung.
Notstandsregelungen dürfen nicht für die Unterdrückung unangenehmer Informationen oder zur Bekämpfung von Menschenrechtsverteidigern missbraucht werden. Sie kümmern sich um Schutzbedürftige, decken Diskriminierung auf, bekämpfen Rassismus und setzen sich für den Zugang zum Gesundheitssystem für alle ein. Menschenrechtsverteidiger sind für die Umsetzung einer menschenrechtskonformen und solidarischen Pandemiebekämpfung zentral.
Die Bundesregierung setzt sich auf vielen Ebenen für den Schutz von Menschenrechtsverteidigern ein. Amnesty möchte sie ausdrücklich dazu ermuntern, auch die Ratspräsidentschaft für dieses Engagement zu nutzen und die Unterstützung der EU und der Mitgliedsstaaten für Menschenrechtsverteidiger zu stärken. Etwa durch die Verabschiedung von jährlichen Schlussfolgerungen zu Menschenrechtsverteidigern im Rat für Auswärtige Angelegenheiten.
Hier geht es um die Festlegung ganz konkreter Maßnahmen und Verbesserungen zu ihrem Schutz, insbesondere dann, wenn dies flankiert wird von der Entwicklung länderspezifischer Strategien und einer strategischen Kommunikation, die Menschenrechtsverteidiger als Schlüsselakteure für den Schutz von menschenrechtskohärenter Politik anerkennt.
Das Besondere an dieser deutschen Ratspräsidentschaft ist jedoch nicht nur die Herausforderung durch Covid-19. Denn die EU verhandelt gerade nicht nur über einen Recovery Fund, der ihr aus der Covid-19-Krise helfen soll, sondern auch über ihren Mehrjährigen Finanzrahmen – und damit über ihre Zukunft. Gleichzeitig fällt dieser Ratsvorsitz mit der Übernahme des Vorsitzes des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen im Monat Juli und der Mitgliedschaft im UN-Menschenrechtsrat zusammen.
Aus Sicht von Amnesty International gilt es diese Schlüsselpositionen in einer Weise auszufüllen, die Menschenrechte stärkt und die eine regelbasierte internationale Ordnung ausbaut.
Bekanntlich steht die regelbasierte und multilaterale Ordnung massiv unter Druck, einerseits durch Regierungen wie denen der USA, die sich aus Institutionen und Abkommen zurückziehen und versuchen, diese zu diskreditieren, aber andererseits durch Regierungen, die, wie China, versuchen, einen kritischen Dialog unter Beteiligung der Zivilgesellschaft in internationalen Foren zu verhindern.
Europa kommt jetzt stärker denn je eine entscheidende Rolle beim Erhalt und Ausbau von Völkerrechtsnormen und internationalen Institutionen zu. Umso mehr muss die EU den Angriffen auf Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit in ihren eigenen Reihen konsequent entgegentreten. Das ist eine Frage der Glaubwürdigkeit.
Dazu gehört es, laufende Verfahren – wie etwa gegen Polen und Ungarn – voranzutreiben. Dazu gehört auch, unabhängige Menschenrechtsexpertise, auch die der Zivilgesellschaft, in der Entwicklung neuer Mechanismen einzubeziehen und zu hören. Dies gilt beispielsweise für den deutsch-belgischen Vorschlag für einen Peer-Review-Mechanismus.
Gleichzeitig braucht es eine kohärente Menschenrechtspolitik nach außen, beispielsweise im Rahmen einer menschenrechtsbasierten Nachbarschaftspolitik, bei der Kooperation mit afrikanischen Staaten oder in der Beziehung zu strategischen Partnern wie China und Russland. Sowohl für die bilaterale Kooperation als auch in Fragen der Rüstungsexporte oder der Überwachungstechnologie müssen Menschenrechte zum Bewertungsmaßstab der Zusammenarbeit gehören. Der Blick nach Syrien und Hongkong zeigt deutlich, dass nicht nur die Menschenrechtsbilanz der Partner selbst berücksichtigt werden muss, sondern auch, wie ihr Handeln sich auf die Menschenrechte in anderen Ländern und Regionen auswirkt.
Bundeskanzlerin Merkel hat in ihrer Regierungserklärung zur EU-Ratspräsidentschaft selbst betont: Die Welt brauche gerade in dieser Zeit Europas starke Stimme für den Schutz der Menschenwürde, Demokratie und Freiheit. Diese starke Stimme möchte Amnesty International in den kommenden sechs Monaten hören.