Amnesty Report Ägypten 26. Mai 2016

Ägypten 2016

 

Die Menschenrechtslage verschlechterte sich 2015 noch weiter. Die Regierung schränkte die Rechte auf freie Meinungsäußerung, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit willkürlich ein und setzte ein drakonisches neues Antiterrorgesetz in Kraft. Regierungskritiker, führende Vertreter der Opposition und politische Aktivisten wurden festgenommen und inhaftiert, einige von ihnen wurden Opfer des Verschwindenlassens. Sicherheitskräfte gingen mit exzessiver Gewalt gegen Protestierende, Flüchtlinge, Asylsuchende und Migranten vor. Häftlinge wurden gefoltert und auf andere Weise misshandelt. Gerichte verhängten gegen Hunderte Personen in grob unfairen Massenprozessen lange Gefängnisstrafen und Todesurteile. Menschenrechtsverletzungen wurden so gut wie nie geahndet, es herrschte ein besorgniserregendes Klima der Straflosigkeit. Frauen und Angehörige religiöser Minderheiten wurden diskriminiert und waren nicht ausreichend gegen Gewalt geschützt. Die Behörden nahmen Personen aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität fest und stellten sie wegen "Ausschweifung" vor Gericht. An der Grenze zum Gazastreifen führte die Armee rechtswidrige Zwangsräumungen durch. Es wurden Todesurteile vollstreckt, die in grob unfairen Gerichtsverfahren ergangen waren.

Hintergrund

Die Sicherheitslage blieb 2015 angespannt, insbesondere auf der Sinai-Halbinsel. Nach Angaben der Behörden töteten die Armee und andere Sicherheitskräfte Hunderte "Terroristen", vor allem im Norden des Sinai, wo ein Ableger der bewaffneten Gruppe Islamischer Staat (IS), der sich "Provinz Sinai" nannte, die Verantwortung für mehrere schwere Angriffe übernahm.

Ägypten hielt die Grenze zum Gazastreifen 2015 fast das gesamte Jahr über geschlossen. Die Armee zerstörte Hunderte Tunnel zwischen dem Gazastreifen und Ägypten, die zum Schmuggel genutzt wurden, und setzte sie dem Vernehmen nach unter Wasser.

Im Februar 2015 flog Ägypten Luftangriffe auf Ziele in Libyen, nachdem eine bewaffnete Gruppe dort koptische Christen aus Ägypten enthauptet hatte. Bei den Luftschlägen wurden mindestens sieben Zivilpersonen getötet.

Im März 2015 schloss sich Ägypten einer von Saudi-Arabien angeführten Militärallianz an, die in den bewaffneten Konflikt im Jemen eingriff. Präsident Abdel Fattah al-Sisi gab bekannt, die Arabische Liga habe sich auf die Bildung einer "gemeinsamen arabischen Militärstreitmacht" geeinigt, um Gefahren in der Region zu bekämpfen.

Am 13. September 2015 töteten die Armee und andere Einheiten bei einem Angriff in der Wüstenregion im Westen des Landes zwölf Personen, darunter acht Touristen aus Mexiko. Die Sicherheitskräfte hatten die Touristen offenbar irrtümlicherweise für eine bewaffnete Gruppe gehalten.

Am 23. September 2015 begnadigte Präsident al-Sisi 100 Männer und Frauen, darunter Journalisten und zahlreiche Aktivisten, die inhaftiert worden waren, weil sie sich an Demonstrationen beteiligt hatten. Von der Amnestie ausgenommen waren die inhaftierten führenden Mitglieder der ägyptischen Jugendbewegung sowie führende Mitglieder der Muslimbru-derschaft.

Von Oktober bis Dezember 2015 fanden Parlamentswahlen statt. Nach offiziellen Angaben lag die Wahlbeteiligung bei 28,3 %.

Antiterrormaßnahmen und Sicherheit

Im August 2015 setzte die Regierung ein neues Antiterrorgesetz (Gesetz 94/2015) in Kraft, das den Straftatbestand "terroristische Handlung" vage und extrem weitgefasst definiert. Das neue Gesetz ermächtigt den Präsidenten, "notwendige Maßnahmen zu ergreifen, um die öffentliche Ordnung und Sicherheit zu gewährleisten". Dies entspricht den Vollmachten im Rahmen des Ausnahmezustands. Außerdem sieht das Gesetz vor, neue Sondergerichte zu schaffen. Für Journalisten, die in ihrer Berichterstattung über "Terrorismus" von der offiziellen Darstellung abweichen, sind hohe Geldbußen vorgesehen.

Menschenrechtsverletzungen durch bewaffnete Gruppen

Bewaffnete Gruppen verübten Angriffe, die sich gezielt gegen Zivilpersonen richteten. Am 29. Juni 2015 wurde der Generalstaatsanwalt bei einem Bombenanschlag in der ägyptischen Hauptstadt Kairo getötet. Wer für das Attentat verantwortlich war, blieb unklar.

Die bewaffnete Gruppe Provinz Sinai bekannte sich zu mehreren Anschlägen, u. a. zu einem Attentat am 29. Januar 2015, bei dem Berichten zufolge 40 Menschen getötet wurden, darunter Zivilpersonen, Soldaten und Polizeibeamte. Ein Angriff der bewaffneten Gruppe auf die Stadt Sheikh Zuweid im Norden des Sinai kostete am 1. Juli 2015 laut Verteidigungsministerium 17 Angehörigen der Armee und der Sicherheitskräfte das Leben, außerdem wurden mindestens 100 Kämpfer der bewaffneten Gruppe getötet. Die Gruppe gab außerdem an, den Absturz eines russischen Passagierflugzeugs am 31. Oktober 2015 verursacht zu haben. Alle 224 Insassen kamen dabei ums Leben, die meisten von ihnen waren russische Staatsangehörige. Der russische Geheimdienst erklärte am 17. November 2015, der Absturz sei durch eine Bombe an Bord verursacht worden.

Recht auf freie Meinungsäußerung

Journalisten, die für regierungskritische Medien arbeiteten oder Kontakte zur Opposition unterhielten, wurden wegen Verbreitung "falscher" Nachrichten oder anderer politisch motivierter Anklagen strafrechtlich verfolgt. Einige von ihnen wurden zu langen Haftstrafen verurteilt, gegen einen Journalisten erging die Todesstrafe. Von strafrechtlicher Verfolgung waren auch Personen betroffen, die lediglich friedlich von ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch gemacht hatten. Ihnen wurde "Diffamierung der Religion" oder "sittenwidriges Verhalten" zur Last gelegt. Im November 2015 hielten der Militärgeheimdienst und die Staatsanwaltschaft einen bekannten Investigativjournalisten wegen eines Artikels, den er über die Armee verfasst hatte, kurzzeitig fest.

Im August 2015 wurde der Fall des Fotojournalisten Mahmoud Abu Zeid, auch bekannt unter dem Namen Shawkan, an ein Strafgericht überwiesen. Gemeinsam mit ihm waren 738 weitere Personen angeklagt, darunter führende Vertreter und Anhänger der Muslimbruderschaft. Mahmoud Abu Zeid war festgenommen worden, als er über die gewaltsame Niederschlagung von Protesten durch die Sicherheitskräfte am 14. August 2013 berichtet hatte, und saß fast zwei Jahre lang ohne Anklageerhebung in Haft, bevor die Staatsanwaltschaft seinen Fall vor Gericht brachte. Die Gerichtsverhandlung sollte im Dezember 2015 beginnen, wurde jedoch verschoben, da der Gerichtssaal zu klein war, um allen Angeklagten Platz zu bieten.

Am 1. Januar 2015 hob das Kassationsgericht, Ägyptens oberstes Berufungsgericht, die Urteile gegen die Journalisten Peter Greste, Mohamed Fahmy und Baher Mohamed auf und ordnete eine Neuverhandlung an. Die drei Inhaftierten hatten für den Fernsehender Al-Jazeera gearbeitet. Am 1. Februar 2015 wurde Peter Greste ausgewiesen. Mohamed Fahmy und Baher Mohamed kamen am 12. Februar gegen Kaution frei, wurden jedoch am 29. August zu Gefängnisstrafen von drei bzw. dreieinhalb Jahren wegen "Verbreitung falscher Nachrichten" und "Arbeiten ohne Genehmigung" verurteilt. Präsident al-Sisi begnadigte die beiden Männer am 23. September 2015.

Am 11. April 2015 wurden 14 Journalisten, die der Opposition nahestanden, von einem Kairoer Gericht für schuldig befunden, "falsche Nachrichten verbreitet" zu haben, und zu 25 Jahren Haft verurteilt. Ein weiterer Journalist erhielt die Todesstrafe, weil er "Medienkomitees" gebildet und eine "verbotene Gruppe geführt und finanziert" haben soll. Das Gericht verurteilte mehrere Angeklagte in Abwesenheit. Die Journalisten waren Teil einer Gruppe von insgesamt 51 Angeklagten, zu denen auch führende Vertreter der Muslimbruderschaft zählten. Diejenigen, die zu Haftstrafen verurteilt worden waren, legten Rechtsmittel beim Kassationsgericht ein, das die Urteile im Dezember 2015 aufhob und eine Neuverhandlung anordnete.

Recht auf Vereinigungsfreiheit

Die Arbeit und die Finanzierungsmöglichkeiten von Menschenrechtsorganisationen waren willkürlichen Einschränkungen unterworfen, gemäß dem Gesetz über Vereinigungen (Gesetz 84/2002). Mitarbeiter von Menschen-rechtsorganisationen wurden festgenommen und von den Sicherheitskräften verhört. Außerdem wurden sie von einem "Expertenkomitee" vernommen, das die Behörden im Rahmen der laufenden strafrechtlichen Ermittlungen zur Arbeit von Menschenrechtsgruppen und deren Finanzierung aus dem Ausland eingesetzt hatten. Die Behörden hinderten 2015 einige Menschenrechtsverteidiger und politische Aktivisten daran, ins Ausland zu reisen.

Die Regierung teilte mit, sie habe bis Ende 2015 mehr als 480 NGOs geschlossen, weil diese in Verbindung zur verbotenen Muslimbruderschaft gestanden hätten.

Am 21. Oktober 2015 stürmten Sicherheitskräfte die Büros der Mada Foundation for Media Development in Kairo, einer NGO zur Weiterbildung von Journalisten. Alle Anwesenden wurden festgenommen und mehrere Stunden lang verhört, bevor sie wieder freikamen, mit Ausnahme des Leiters der Organisation. Er wurde wegen "internationaler Bestechung und Geldannahme aus dem Ausland" und Mitgliedschaft in der Muslimbruderschaft inhaftiert, aber nicht unter Anklage gestellt.

Exzessive Gewaltanwendung

Die Behörden schränkten das Recht auf Versammlungsfreiheit 2015 willkürlich ein und beriefen sich dabei auf das Protestgesetz (Gesetz 107/2013). Es gab weniger Demonstrationen als in den vergangenen Jahren. Die Sicherheitskräfte wendeten jedoch weiterhin unverhältnismäßige und unnötige Gewalt an, um "nicht genehmigte" Demonstrationen und andere öffentliche Versammlungen aufzulösen, dabei wurden Menschen getötet oder schwer verletzt.

Am 24. Januar 2015 erschossen Sicherheitskräfte Shaimaa al-Sabbagh, als sie an einer Demonstration in der Kairoer Innenstadt teilnahm. Videoaufzeichnungen und Fotografien, die ihre Tötung dokumentierten, sorgten weltweit für Empörung. Zwischen dem 23. und 26. Januar 2015 starben in ganz Ägypten mindestens 27 Menschen durch Gewalt bei Protestaktionen, für die meisten Todesfälle war exzessiver Gewalteinsatz der Sicherheitskräfte verantwortlich. Auch zwei Angehörige der Sicherheitskräfte fanden dabei den Tod.

Bei einer Massenpanik im Stadion in Neu-Kairo kamen am 8. Februar 2015 mindestens 22 Anhänger des Fußballvereins Zamalek SC ums Leben, nachdem Sicherheitskräfte rücksichtslos Tränengas eingesetzt hatten, um die Menge auseinanderzutreiben.

Willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen

Der für öffentliche Sicherheit zuständige stellvertretende Innenminister teilte mit, die Sicherheitskräfte hätten zwischen Januar und Ende September 2015 insgesamt 11 877 Mitglieder "terroristischer Gruppen" festgenommen. Das harte Durchgreifen galt offenbar vor allem Mitgliedern und mutmaßlichen Anhängern der Muslimbruderschaft sowie anderen Regierungsgegnern. Offiziellen Angaben zufolge waren 2014 mindestens 22 000 Personen aus ähnlichen Gründen festgenommen worden.

In einigen Fällen waren politische Gefangene oft über lange Zeiträume hinweg ohne Anklageerhebung oder Gerichtsverfahren inhaftiert. Ende 2015 befanden sich mindestens 700 Personen seit mehr als zwei Jahren in Haft, ohne dass ein Gericht sie verurteilt hatte, und damit länger als die gesetzlich zulässige Maximaldauer für eine Untersuchungshaft.

Der Student Mohamed Ahmed Hussein war bereits seit mehr als 700 Tagen ohne Anklageerhebung oder Gerichtsverfahren inhaftiert. Im Januar 2014 war der damals 18-Jährige in einem Kleinbus festgenommen worden, weil er ein T-Shirt mit der Aufschrift "Nation ohne Folter" trug. Nach Angaben seiner Familie wurde er im Juli 2015 vom Gefängnispersonal geschlagen.

Verschwindenlassen

2015 dokumentierten Menschenrechtsorganisationen Dutzende Fälle, in denen Personen von Sicherheitskräften festgenommen und anschließend ohne Kontakt zur Außenwelt inhaftiert wurden. In einigen Fällen erfüllte dies den Straftatbestand des Verschwindenlassens.

Die Studentin Israa al-Taweel und die beiden Studenten Sohaab Said und Omar Mohamed Ali wurden am 1. Juni 2015 in Kairo festgenommen und blieben 15 Tage lang "verschwunden". Sohaab Said sagte später aus, er und Omar Mohamed Ali seien während dieser Zeit gefoltert worden. Beiden Männern drohte ein unfaires Verfahren vor einem Militärgericht. Israa al-Taweel, die 2014 bei einer Protestaktion eine Schussverletzung erlitten hatte und seither gehbehindert ist, kam im Dezember 2015 zwar aus der Haft frei, wurde aber unter Hausarrest gestellt.

Folter und andere Misshandlungen

Gefangene in Gewahrsam der Sicherheitskräfte und des militärischen Geheimdienstes wurden Opfer von Folter. Zu den Foltermethoden zählten Schläge, Elektroschocks und das erzwungene Verharren in schmerzhaften Positionen. Häufig wurden Personen bei der Festnahme und während des Transports zu anderen Polizeistationen und Gefängnissen von Sicherheitskräften verprügelt. Das gesamte Jahr 2015 über gingen Berichte über Todesfälle in Gewahrsam ein, die auf Folter und andere Misshandlungen oder mangelnde medizinische Versorgung zurückzuführen waren.

Die Haftbedingungen in den Gefängnissen und Polizeistationen waren weiterhin sehr schlecht. Die Zellen waren stark überbelegt und unhygienisch. In einigen Fällen untersagten Gefängnispersonal oder Leiter von Polizeiwachen den Familien oder Rechtsbeiständen der Häftlinge, diese mit Nahrung, Medikamenten oder anderen Gegenständen des persönlichen Bedarfs zu versorgen.

Unfaire Gerichtsverfahren

Das Strafjustizwesen fungierte 2015 weiterhin als Werkzeug staatlicher Unterdrückung. Gerichte sprachen Hunderte Angeklagte wegen "Terrorismus", "nicht genehmigten Protests", politisch motivierter Gewalt und Mitgliedschaft in einer verbotenen Gruppe schuldig. In unfairen Massenprozessen machte sich die Staatsanwaltschaft nicht die Mühe, die Schuld in jedem Einzelfall nachzuweisen.

Mindestens 3000 Zivilpersonen wurden vor Militärgerichte gestellt und mussten sich wegen "Terrorismus" und anderer Anklagepunkte verantworten, in denen ihnen politisch motivierte Gewalttaten zur Last gelegt wurden. Viele der Angeklagten wurden in Massenprozessen verurteilt, darunter auch führende Vertreter der Muslimbruderschaft. Prozesse gegen Zivilpersonen vor Militärgerichten sind grundsätzlich unfair.

Der frühere Präsident Mohamed Mursi stand in fünf verschiedenen Prozessen gemeinsam mit Hunderten Mitangeklagten und Führungspersönlichkeiten der Muslimbruderschaft vor Gericht. Am 21. April 2015 verurteilte ihn ein Gericht im Zusammenhang mit den bewaffneten Zusammenstößen vor dem Kairoer Präsidentenpalast im Dezember 2012 zu 20 Jahren Haft. Am 16. Juni wurde er zum Tode verurteilt, weil er nach Ansicht der Richter während der Unruhen im Jahr 2011 einen Gefängnisausbruch organisiert hatte. Zudem erging gegen ihn eine 25-jährige Gefängnisstrafe wegen Spionage. Die Prozesse waren unfair, da sie sich auf Beweise stützten, die in den Monaten nach seiner Absetzung durch die Armee 2013 zustande gekommen waren, als Mohamed Mursi Opfer des Verschwindenlassens geworden war. In weiteren Prozessen gegen den ehemaligen Präsidenten standen die Urteile Ende 2015 noch aus.

Straflosigkeit

In den meisten Fällen von Menschenrechtsverletzungen leiteten die Behörden keine wirksamen, unabhängigen und unparteiischen Untersuchungen ein. Dies galt auch für die exzessiven Gewalteinsätze der Sicherheitskräfte, bei denen seit Juli 2013 Hunderte Protestierende getötet worden waren. Stattdessen konzentrierte sich die Generalstaatsanwaltschaft bei ihren Ermittlungen zu Protesten und Vorfällen politisch motivierter Gewalt auf mutmaßliche Verstöße von Regierungsgegnern und Kritikern. Einige wenige Angehörige der Sicherheitskräfte mussten sich wegen rechtswidriger Tötungen vor Gericht verantworten. Dabei ging es um vereinzelte Fälle, die im In- und Ausland für besonders starke Empörung gesorgt hatten.

Am 11. Juni 2015 verurteilte ein Gericht einen Angehörigen der Sicherheitskräfte wegen der tödlichen Verletzung der Demonstrantin Shaimaa al-Sabbagh zu 15 Jahren Gefängnis. Gleichzeitig leiteten die Behörden jedoch gegen die Menschenrechtsverteidigerin Azza Soliman und 16 weitere Personen, die Augenzeugen der Tötung waren, ein strafrechtliches Verfahren wegen "Teilnahme an illegalen Protesten" und "Störung der öffentlichen Ordnung" ein. Am 23. Mai 2015 sprach ein Gericht alle 17 Augenzeugen frei. Die Staatsanwaltschaft legte ein Rechtsmittel gegen die Freisprüche ein, die jedoch von einem Berufungsgericht am 24. Oktober bestätigt wurden.

Im Dezember 2015 wurden zwei Angehörige der Sicherheitskräfte zu fünf Jahren Haft verurteilt, weil sie im Februar in einer Polizeiwache des Kairoer Stadtteils Mattareya einen Rechtsanwalt zu Tode gefoltert hatten.

Im November 2015 wurde vor dem Kassationsgericht der Prozess gegen den ehemaligen Präsidenten Hosni Mubarak und einige ehemalige ranghohe Sicherheitsbeamte aus seinem Umfeld neu aufgerollt. Ihnen wurde vorgeworfen, für die Niederschlagung der Proteste und die Tötung von Protestierenden während der "Revolution des 25. Januar" im Jahr 2011 verantwortlich zu sein. Das Verfahren war Ende 2015 noch nicht abgeschlossen.

Rechte von Frauen und Mädchen

Frauen und Mädchen wurden weiterhin durch Gesetze und im täglichen Leben diskriminiert und waren nicht ausreichend gegen sexuelle Gewalt und andere Gewalttaten geschützt. Obwohl Präsident al-Sisi eine nationale Strategie angekündigt hatte, um Gewalt und Diskriminierung von Frauen und Mädchen zu bekämpfen, wurden so gut wie keine wirksamen Maßnahmen ergriffen. Auch das Personenstandsgesetz, das Frauen hochgra-dig benachteiligte, war unverändert in Kraft. Es hinderte Frauen daran, sich von gewalttätigen Ehemännern scheiden zu lassen, weil sie dadurch ihr Recht auf finanzielle Versorgung verlieren.

Diskriminierung religiöser Minderheiten

Religiöse Minderheiten wie Kopten, Schiiten und Baha’is wurden weiterhin diskriminiert und an der Ausübung ihrer Religion gehindert. Es kam erneut zu gewaltsamen Angriffen auf Gemeinden koptischer Christen. Sie hatten außerdem beim Wiederaufbau ihrer Kirchen und anderer Gebäude, die bei gewaltsamen Angriffen im Jahr 2013 beschädigt worden waren, mit Schwierigkeiten zu kämpfen.

Das Ministerium für religiöse Stiftungen ließ die Hussein-Moschee in Kairo vom 22. bis zum 24. Oktober 2015 schließen, um Schiiten davon abzuhalten, dort das Aschura-Fest zu feiern. Zur Begründung hieß es, man wolle damit die Verbreitung "schiitischer Unwahrheiten" verhindern.

Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgeschlechtlichen und Intersexuellen Die Behörden nahmen weiterhin Personen aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität fest, inhaftierten sie und stellten sie wegen "Ausschweifung" vor Gericht. Als Grundlage diente das Gesetz Nr. 10 von 1961.

Am 12. Januar 2015 sprach ein Gericht 26 Männer, die im Dezember 2014 in einem Kairoer Badehaus festgenommen worden waren, vom Vorwurf der "Ausschweifung" frei.

Rechte von Flüchtlingen und Migranten

Die Behörden gingen weiterhin mit unverhältnismäßiger und unnötiger tödlicher Gewalt gegen Flüchtlinge, Asylsuchende und Migranten vor, die ohne die entsprechenden Dokumente ein- oder ausreisen wollten. Bei Versuchen, das Land auf inoffiziellem Weg zu verlassen, wurden mindestens 20 sudanesische Staatsangehörige und ein syrisches Mädchen getötet.

Rechtswidrige Zwangsräumungen

Die Armee setzte 2015 die rechtswidrigen Zwangsräumungen entlang der Grenze zum Gazastreifen fort, um dort aus Sicherheitsgründen eine "Pufferzone" einzurichten. Die Regierung beriet weiterhin über Stadtentwicklungspläne für Kairo, die jedoch keine ausreichenden Schutzmechanismen zur Verhinderung von rechtswidrigen Zwangsräumungen enthielten.

Todesstrafe

Gerichte verhängten 2015 Hunderte von Todesurteilen wegen "Terrorismus" und anderen Vorwürfen im Zusammenhang mit den politischen Unruhen nach dem Sturz von Präsident Mohamed Mursi im Juli 2013. Auch gegen Angeklagte, denen Mord und andere Straftaten zur Last gelegt wurden, ergingen Todesurteile. Unter den Hingerichteten befanden sich Häftlinge, die von Strafgerichten und Militärgerichten in unfairen Gerichtsverfahren zum Tode verurteilt worden waren.

Mindestens sieben Männer wurden im Zusammenhang mit politisch motivierter Gewalt hingerichtet, einer von ihnen am 7. März 2015 nach einem unfairen Gerichtsverfahren. Sechs Männer, die am 17. Mai 2015 exekutiert wurden, waren in einem grob unfairen Gerichtsverfahren von einem Militärgericht zum Tode verurteilt worden, obwohl es Beweise dafür gab, dass Sicherheitskräfte sie unter Folter gezwungen hatten, Kapitalver-brechen zu "gestehen", und die Daten ihrer Festnahme in den offiziellen Dokumenten gefälscht hatten.

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