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Nicaragua 2023

© Amnesty International
Berichtszeitraum: 1. Januar 2023 bis 31. Dezember 2023
Das Land befand sich in einer anhaltenden politischen Krise, die von schweren Menschenrechtsverletzungen geprägt war. So wurde politischen Gegner*innen die nicaraguanische Staatsbürgerschaft entzogen, und Menschenrechtsverteidiger*innen sowie religiöse und indigene Sprecher*innen wurden willkürlich festgenommen und inhaftiert. Die katholische Kirche war von Verstößen gegen das Recht auf Religionsfreiheit betroffen, und NGOs wurden von der Regierung weiterhin geschlossen. Verbrechen gegen die Menschlichkeit blieben straflos. Bewaffnete Gruppen verübten weiterhin tödliche Angriffe auf indigene Gemeinschaften.
Hintergrund
Seit Beginn der politischen Krise im Jahr 2018 gehen die Behörden gewaltsam und repressiv gegen Andersdenkende vor. Diese brutale Unterdrückung hat seither zu mindestens 355 dokumentierten Todesfällen, mehr als 2.000 Verletzten und einer Welle willkürlicher Festnahmen und ungerechtfertigter Entlassungen geführt. Zudem wurden mehr als 300 Menschen willkürlich des Landes verwiesen, denen darüber hinaus die Staatsangehörigkeit entzogen wurde.
Willkürlicher Entzug der Staatsbürgerschaft
Am 9. Februar 2023 ließ die Regierung unerwartet mehr als 200 politische Gegner*innen frei, die zwischen 2018 und 2021 willkürlich inhaftiert worden waren, und verwies sie des Landes. Den meisten von ihnen waren in Prozessen, die gegen das Recht auf ein faires Verfahren verstießen, Straftaten wie Verrat und Terrorismus vorgeworfen worden.
Das Parlament Nicaraguas (Asamblea Nacional) billigte eine Verfassungsänderung, wonach Personen, die wegen politischer Straftaten verurteilt wurden, ihre nicaraguanische Staatsbürgerschaft verlieren. Diese politisch motivierte Bestimmung wurde willkürlich angewandt, um sowohl allen im Februar 2023 ausgewiesenen als auch bereits im Exil lebenden Personen die Staatsangehörigkeit abzuerkennen. Betroffen waren u. a. politische Gegner*innen, Journalist*innen, Menschenrechtsverteidiger*innen und Mitglieder der katholischen Kirche.
Als Reaktion auf den Entzug der Staatsbürgerschaft boten Drittländer den staatenlos gewordenen Personen ihre Staatsangehörigkeit an. Dennoch sahen sich viele der exilierten Nicaraguaner*innen mit schwerwiegenden Hindernissen wie Sprachbarrieren und Diskriminierung konfrontiert, die ihre Integration und ihren Zugang zu Menschenrechten wie Bildung, Arbeit und Gesundheit behinderten. Die von den Vereinten Nationen beauftragte Gruppe von Menschenrechtsexpert*innen für Nicaragua (GHREN) forderte die Aufnahmeländer dringend auf, den Betroffenen Unterstützung zu gewähren, einschließlich Sprachunterricht und beruflicher Bildung. Auch müsse Diskriminierung bekämpft werden, um eine wirksame Integration der Nicaraguaner*innen in ihre neuen Gesellschaften zu erleichtern.
Gleichzeitig begann die Regierung Nicaraguas damit, das Vermögen dieser Personen ohne ordnungsgemäßes Verfahren zu beschlagnahmen, sodass viele von ihnen in eine Situation wirtschaftlicher Bedürftigkeit gerieten. Die Interamerikanische Menschenrechtskommission bezeichnete den Entzug der Staatsangehörigkeit und die Beschlagnahme von Vermögenswerten als "schwere Menschenrechtsverletzungen" und forderte die Regierung auf, den betroffenen Personen eine sichere und freiwillige Rückkehr nach Nicaragua zu ermöglichen. Gleichzeitig müsse die Regierung die aktuellen Praktiken einstellen und die Rechte der Betroffenen wiederherstellen.
Der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte bestätigte erneut die erlassenen Schutzmaßnahmen für Menschenrechtler*innen, denen die Staatsbürgerschaft entzogen worden ist. Dazu zählten u. a. die Menschenrechtsverteidiger*innen Guillermo Gonzalo Carrión Maradiaga und Vilma Núñez de Escorcia. Das Gericht forderte Nicaragua auf, die Strafverfahren gegen sie einzustellen und von ihrer Inhaftierung abzusehen.
Recht auf Vereinigungsfreiheit
Die Interamerikanische Menschenrechtskommission bezeichnete die Situation in Nicaragua als einen der gravierendsten Fälle der Einengung des zivilgesellschaftlichen Handlungsspielraums in der Region. Die Stellungnahme gründete sich auf die massenhafte Aberkennung des Rechtsstatus zivilgesellschaftlicher Organisationen sowie deren erzwungene Auflösung.
Zwischen August 2022 und September 2023 entzog Nicaragua mehr als 2.000 NGOs die Zulassung, sodass sie ihre Tätigkeit einstellen mussten. Damit stieg die Gesamtzahl der zivilgesellschaftlichen Organisationen, die seit 2018 schließen mussten, auf 3.394.
Im Jahr 2023 schlossen die Behörden auch die Zentralamerikanische Universität (Universidad Centroamericana) mit der Begründung, sie sei ein "Terrorismuszentrum", und beschlagnahmten Eigentum von Organisationen wie dem Roten Kreuz und der Wirtschaftshochschule Instituto Centroamericano de Administración de Empresas (INCAE).
Willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen
Die Vereinten Nationen berichteten über Verletzungen des Rechts auf Religionsfreiheit. Kleriker und Lai*innen der katholischen Kirche mussten mit Sanktionen, Schikane und willkürlicher Festnahme rechnen.
Mindestens 119 Personen waren 2023 weiterhin willkürlich in Haft, nachdem sie in unfairen Verfahren verurteilt worden waren. Darunter befand sich z. B. Rolando Álvarez, der katholische Bischof von Matagalpa, der wegen mutmaßlicher Verschwörung und Verbreitung falscher Nachrichten (conspiración y difusión de noticias falsas) zu 26 Jahren Gefängnis verurteilt worden war. Im August 2023 wurden drei Studierende aufgrund ähnlicher Anschuldigungen nach der Schließung der Zentralamerikanischen Universität festgenommen. Im Dezember verurteilte das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte (OHCHR) das Verschwindenlassen von Bischof Isidoro Mora und die Inhaftierungswelle gegen religiöse Sprecher*innen, u. a. Monsignore Carlos Avilés.
Straflosigkeit
Im März 2023 stellte GHREN fest, dass es hinreichende Gründe für die Annahme gebe, dass Instanzen auf höchster Ebene, darunter Präsident Daniel Ortega und Vizepräsidentin Rosario Murillo, seit April 2018 in Menschenrechtsverletzungen und Handlungen verwickelt waren, die Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellten. GHREN empfahl der internationalen Gemeinschaft, die Menschenrechtsverletzungen in Nicaragua zu untersuchen und die Zivilgesellschaft zu unterstützen.
Das OHCHR, die Interamerikanische Menschenrechtskommission und die EU forderten die Regierung von Präsident Ortega auf, die Menschenrechtsverletzungen in Nicaragua zu untersuchen und Gerechtigkeit zu gewährleisten. Bis Ende 2023 waren jedoch weder Untersuchungen eingeleitet noch mutmaßliche Verantwortliche zur Rechenschaft gezogen worden. Außerdem setzte die Regierung ihre repressiven Maßnahmen fort, was die Verteidigung der Menschenrechte in Nicaragua so gut wie unmöglich machte.
Rechte indigener Gemeinschaften
Trotz internationaler Kritik waren indigene Gemeinschaften in Nicaragua auch 2023 schweren Menschenrechtsverstößen ausgesetzt. Berichten zufolge wurden indigene Sprecher*innen willkürlich festgenommen und in unfairen Gerichtsverfahren verurteilt. Auch wurden sie immer wieder zum Ziel tödlicher Angriffe durch bewaffnete Gruppen. Trotz der Todesopfer und Verletzten in den Gemeinden Musawas, Wilú und Sabakitang herrschte Straflosigkeit, da die Regierung keinerlei Maßnahmen zur Untersuchung oder Wiedergutmachung der Verstöße ergriff. Die Situation wurde durch repressive gesetzliche Maßnahmen noch weiter verschlimmert, z. B. durch die Schließung indigener Organisationen und das Verbot öffentlicher Demonstrationen, das in dem seit Juli 2018 geltenden Gesetz gegen Geldwäsche, Terrorismusfinanzierung und Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen enthalten ist.