Amnesty Report Madagaskar 29. März 2022

Madagaskar 2021

Das Bild zeigt in schwarz-weiß eine ausgetrocknete Ackerfläche, davor kniet ein Kind.

Nach der Dürre kommt die Hungersnot: Ausgetrocknete Ackerflächen in Ambovombe, im Süden Madagaskars (Juni 2021).

Berichtszeitraum: 01. Januar 2021 bis 31. Dezember 2021

Die schwere Dürre im Süden Madagaskars hatte verheerende Auswirkungen auf die Rechte auf Leben, Gesundheit, Nahrung, Wasser, Sanitärversorgung und andere Menschenrechte. Mindestens 2.747 Gefangene wurden begnadigt, doch die Haftanstalten waren nach wie vor überbelegt und die Haftbedingungen schlecht. Medienschaffende wurden schikaniert, wenn sie über die Coronapandemie und diverse andere Themen berichteten. Geschlechtsspezifische Gewalt, insbesondere gegen Frauen und Mädchen, war noch immer weit verbreitet, und Schwangerschaftsabbrüche blieben strafbar. LGBTIQ+ waren nach wie vor Diskriminierung ausgesetzt.

Hintergrund

Im Juni 2021 verhinderten die Sicherheitskräfte nach eigenen Angaben ein mutmaßliches Attentat auf Präsident Andry Rajoelina und Regierungsmitglieder, darunter den damaligen Minister für Inneres und Dezentralisierung, den Verteidigungsminister und die Ministerin für Kommunikation und Kultur. Gegen zahlreiche Personen, u. a. Polizei- und Militärangehörige, wurde wegen Beteiligung an dem mutmaßlichen Mordversuch ermittelt.

Klimakrise

Der Süden Madagaskars wurde von der schlimmsten Dürre seit mehr als 40 Jahren heimgesucht. In der Folge standen mehr als 1 Million Menschen am Rand einer Hungersnot, und mehr als 14.000 Menschen litten unter hungersnotähnlichen Bedingungen.

Rechte auf Nahrung, Wasser, Bildung und Sanitärversorgung

Die Bevölkerung im Süden Madagaskars, die größtenteils von Ackerbau, Viehzucht und Fischfang lebte, wurde von der Dürre schwer getroffen. Ihr international anerkanntes Recht auf eine saubere, gesunde und nachhaltige Umwelt, welches grundlegend ist, um die Rechte auf Leben, Gesundheit, Wasser, Sanitärversorgung und andere Rechte wahrnehmen zu können, war massiv beeinträchtigt.

Kinder und Frauen waren in besonderem Maße von den Folgen der Dürre betroffen. Kinder gingen nicht mehr zur Schule und beteiligten sich stattdessen an der Suche nach Nahrung für ihre Familien. Frauen mussten zu Bewältigungsstrategien mit negativen Auswirkungen greifen. So teilten sie z. B. erwachsenen Familienmitgliedern weniger Essen zu, um ihre Kinder versorgen zu können, und wichen auf billigere und weniger nahrhafte Lebensmittel aus. Außerdem wanderten immer mehr Familien in andere Regionen ab, um dem Hunger zu entfliehen.

Rechte von Inhaftierten

Die Haftanstalten waren von Überbelegung und schlechten Bedingungen gekennzeichnet. Laut einer Statistik der Strafvollzugsbehörde wurden im Juli 2021 in den Gefängnissen, die für insgesamt 10.645 Häftlinge ausgelegt waren, 27.611 Personen unter unmenschlichen Bedingungen festgehalten, darunter 918 Minderjährige. Tausende Menschen befanden sich weiterhin in Haft, ohne dass man sie vor Gericht stellte. Im Juli 2021 waren etwa 45 Prozent aller Inhaftierten Untersuchungshäftlinge, bei den Minderjährigen betrug die Quote 77 Prozent.

Im Juni 2021 wandelte Präsident Rajoelina die Strafen von 10.840 Häftlingen um und begnadigte mindestens 2.747 verurteilte Strafgefangene. Dazu gehörten Personen, die wegen kleinerer Vergehen verurteilt worden waren und noch drei Monate oder weniger verbüßen mussten, Frauen über 55 und Männer über 60, die bereits zehn Jahre oder länger im Gefängnis verbracht hatten, sowie Minderjährige, die mindestens die Hälfte ihrer Strafe verbüßt hatten.

Recht auf freie Meinungsäußerung

Medien

Ein interministerieller Beschluss verbot am 22. April 2021 die Ausstrahlung diverser Radio- und Fernsehsendungen in den Regionen Analamanga, Atsinanana, Sava, Boeny und Sofia, da sie nach Ansicht der Ministerien "die öffentliche Ordnung und Sicherheit und die nationale Einheit" bedrohten. Nach heftiger Kritik von Medienorganisationen und seitens der Zivilgesellschaft wurde der Beschluss am 26. April wieder rückgängig gemacht.

Die Regierung nutzte das Gesetz 91-011 aus dem Jahr 1991, das nur in Ausnahmefällen angewandt werden sollte, um die Verbreitung von Informationen über die Coronapandemie einzuschränken. Erlaubt war lediglich die Weitergabe offizieller Regierungsinformationen. Journalist_innen, die versuchten, nicht genehmigte Informationen zu veröffentlichen, wurden eingeschüchtert und schikaniert.

Am 30. Mai 2021prangerte das madagassische Journalistenkollektiv (Collectif des Journalists de Magadascar) Schikanen gegen Medienschaffende an. Die Polizei erklärte, Journalist_innen dürften sich während des pandemiebedingten Lockdowns nicht auf der Straße aufhalten. Ebenfalls im Mai wurde eine Journalistin der Zeitung Basy Vava schikaniert. Die Behörden drohten, wegen öffentlicher Verleumdung gegen sie zu ermitteln, nachdem sie einen Artikel über die mutmaßliche Veruntreuung von Steuergeldern durch die ehemalige Kommunikationschefin des Präsidenten veröffentlicht hatte.

Sexualisierte und geschlechtsspezifische Diskriminierung und Gewalt

Sexuelle und reproduktive Rechte

Am 28. September 2021 veröffentlichte die Organisation Nifin'Akanga, die für die Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen eintritt, die Ergebnisse einer von ihr durchgeführten landesweiten Umfrage. Demnach fanden 52,5 Prozent der Schwangerschaftsabbrüche unter unhygienischen Bedingungen außerhalb von Gesundheitseinrichtungen statt, z. B. in den Wohnungen der betreffenden Frauen und Mädchen oder derjenigen Personen, die den Abbruch vornahmen. In 31 Prozent der Fälle verfügte die Person, die den Abbruch vornahm, über keinerlei medizinische Ausbildung. Der Bericht wies außerdem darauf hin, dass Schwangerschaftsabbrüche unter unsicheren Bedingungen in vielen Fällen schwere Komplikationen nach sich zogen, wie Blutungen, körperliche Beeinträchtigungen und psychische Traumata, oder sogar zum Tod führen konnten. Der Umfrage zufolge wandten mehr als 90 Prozent der Frauen und Mädchen keine Verhütungsmethoden an und konnten sich deshalb auch nicht gegen ungewollte Schwangerschaften schützen. Grund dafür war, dass sie keinen Zugang zu Verhütungsmitteln hatten und es an Sexualaufklärung mangelte.

Am 19. Oktober 2021 wurde der Gesetzentwurf 004-2021/PL in das Parlament eingebracht, der vorsah, Paragraf 317 des Strafgesetzbuchs zu reformieren und Schwangerschaftsabbrüche unter bestimmten Bedingungen straffrei zu stellen. Laut Entwurf sollte dies gelten, wenn Gefahr für das Leben der Schwangeren besteht, der Fötus schwere Schädigungen aufweist oder die Schwangerschaft eine Folge von Vergewaltigung oder Inzest ist.

Geschlechtsspezifische Gewalt

Nach Angaben lokaler Organisationen und Medien stieg die Zahl der Fälle häuslicher Gewalt während der Pandemie an. Einer der Gründe war, dass aufgrund der Pandemie immer mehr Menschen von Armut betroffen waren.

Rechte von LGBTIQ+

Die Diskriminierung und Stigmatisierung von Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung und Geschlechtsidentität war in der madagassischen Gesellschaft nach wie vor weit verbreitet. Am 1. Juli 2021 sagte das Innenministerium eine jährlich stattfindende LGBT-Veranstaltung ab, die für den 3. Juli in der Hauptstadt Antananarivo geplant war. Der Generaldirektor für Kultur begründete die Entscheidung des Ministeriums damit, dass "Aktivitäten in Bezug auf Homosexualität in Madagaskar noch nicht erlaubt" seien. Die Veranstaltung werde abgesagt, weil sie "gegen die guten Sitten" verstoße.

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