Amnesty Report Angola 24. April 2024

Angola 2023

Amnesty-Logo: Kerze umschlossen von Stacheldraht.

Berichtszeitraum: 1. Januar 2023 bis 31. Dezember 2023

Die Behörden wandten unverhältnismäßige und unnötige Gewalt an, um die Ausübung des Rechts auf friedliche Versammlung zu behindern oder zu unterbinden. In den meisten Fällen kam es dabei zur willkürlichen Festnahme oder Inhaftierung von Demonstrierenden. Mindestens fünf Demonstrierende und ein Unbeteiligter wurden rechtswidrig getötet, darunter mindestens zwei Minderjährige. Das Recht auf Vereinigungsfreiheit war bedroht. Lehrkräfte waren unterbezahlt und erhielten in manchen Fällen ihre Gehälter gar nicht. Hunderte Menschen wurden aus ihren Häusern vertrieben. Die schwere und lang anhaltende Dürre im Süden des Landes hatte verheerende Auswirkungen auf die Rechte auf Nahrung und Gesundheit, insbesondere für Kinder. 

Hintergrund

Nach einem Jahr der Unruhen im Zusammenhang mit den Parlamentswahlen 2022 gab es nur begrenzte Fortschritte bei der Menschenrechtslage. Der Nationale Aktionsplan für den Schutz und die Förderung der Menschenrechte von Menschen mit Albinismus (Plano de Apoio e Protecção a Pessoas com Albinismo) sowie der Nationale Aktionsplan zur Förderung der Menschenrechte von Personen mit Behinderungen (Plano de Inclusão e Apoio a Pessoas com Deficiência) wurden 2023 angenommen. Der UN-Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen stellte jedoch fest, dass die Behandlung von Menschen mit Behinderungen in Angola noch nicht den internationalen Standards entsprach.

Am 30. Mai 2023 erhöhte die Regierung die Kraftstoffpreise von 160 Kwanza (etwa 0,18 Euro) auf 300 Kwanza (etwa 0,33 Euro) pro Liter. Der Kostenanstieg, der zum Teil auf den Krieg Russlands gegen die Ukraine zurückzuführen war, führte zu höheren Lebenshaltungskosten. Die Situation verschärfte sich noch durch die hohe Arbeitslosigkeit, von der vor allem Jugendliche betroffen waren, und löste im Laufe des Jahres weitere soziale Unruhen aus. 

Recht auf Vereinigungsfreiheit

Am 25. Mai 2023 verabschiedete das Parlament den Entwurf eines Gesetzes über den Status von Nichtregierungsorganisationen (Lei do Estatuto das Organizações Não Governamentais). NGOs kritisierten das geplante Gesetz mit der Begründung, dass es das Recht auf Vereinigungsfreiheit einschränken und der Exekutive übermäßige Befugnisse zur Einmischung in ihre Aktivitäten einräumen würde. So hätte die Exekutive u. a. die Befugnis, die Tätigkeiten von Vereinigungen zu überprüfen und einzuschränken oder eine Organisation ganz aufzulösen. Ende 2023 musste die Gesetzesvorlage noch in einem Sonderausschuss des Parlaments diskutiert und abschließend durch den Präsidenten bewilligt werden.

Recht auf Versammlungsfreiheit

Die Behörden gingen mit exzessiver und unnötiger Gewalt gegen friedliche Protestveranstaltungen vor. In einigen Fällen kam es zu rechtswidrigen Tötungen, Einschüchterungen, tätlichen Angriffen und willkürlichen Festnahmen oder Inhaftierungen. Demonstrierende wurden allein wegen ihrer Teilnahme an Protesten festgenommen und Unbeteiligte nur, weil sie sich in der Nähe der Protestaktionen aufhielten. 

Am 10. Februar 2023 verhinderten Polizeikräfte die Durchführung von Mahnwachen in Benguela und der Hauptstadt Luanda aus Gründen der öffentlichen Sicherheit. Zu den Mahnwachen hatten drei NGOs – die Menschenrechtsorganisation OMUNGA, die Jugendbewegung für lokale Behörden (Movimento Jovens pelas Autarquias) und die zivilgesellschaftliche Organisation Amigos de Angola – aufgerufen, um die Übertragung von Entscheidungsbefugnissen an Lokalbehörden zu fordern.

Am 18. Februar 2023 hinderten Angehörige der Polizei Beschäftigte im Justizwesen daran, einen friedlichen Marsch in Luanda fortzusetzen, mit der Begründung, damit Anweisungen ihrer "Vorgesetzten" zu befolgen. Angestellte der Gerichte erster und zweiter Instanz, des Ministeriums für Justiz und Menschenrechte und der Generalstaatsanwaltschaft hatten ihren Marsch am Bezirksgericht Luanda begonnen, um bessere Arbeitsbedingungen, Aufstiegschancen und Bezahlung zu fordern.

Am 6. April 2023 verhinderte die Polizei eine geplante Mahnwache vor der Kirche Largo da Sagrada Familia in Luanda. Aktivist*innen wollten damit die Freilassung von Gilson da Silva Moreira (auch bekannt als Tanaice Neutro) fordern und die missbräuchliche Verhängung von Verwaltungshaft gegen Aktivist*innen anprangern. Gilson da Silva Moreira war am 13. Januar 2022 unter dem Vorwurf festgenommen worden, er habe "den Staat, seine Symbole und Organe verunglimpft". Im Oktober 2022 wurde er zu einer Bewährungsstrafe von 15 Monaten verurteilt. Er wurde jedoch weiterhin festgehalten, bis er am 23. Juni 2023 auf Druck nationaler und internationaler zivilgesellschaftlicher Organisationen freikam.

Am 22. April wandten Polizist*innen unverhältnismäßige bzw. unnötige Gewalt an, als sie in Luanda eine von der Bewegung angolanischer Studierender (Movimento dos Estudantes Angolanos) organisierte Demonstration auflösten. Sie nahmen fünf Teilnehmer fest und verletzten einen von ihnen. Die Demonstrierenden hatten eine friedliche Lösung in einem Gehaltsstreit zwischen der Regierung und der Gewerkschaft der Hochschullehrkräfte (SINPES) gefordert.

Am 17. Juni 2023 setzten Polizist*innen in Luanda und Benguela Tränengas gegen Hunderte Demonstrierende ein, um ihre friedlichen Proteste zu unterbinden. Diese richteten sich gegen die am 30. Mai erfolgte Erhöhung der Treibstoffpreise, gegen die Verabschiedung des NGO-Gesetzentwurfs durch das Parlament sowie gegen das am 22. Mai vom Stadtrat von Luanda beschlossene Verkaufsverbot für Straßenhändlerinnen (zungueiras). Berichten zufolge wurden Demonstrierende verletzt, und es kam zu Festnahmen, es lagen jedoch keine Zahlen dazu vor.

Am 16. September 2023 löste die Polizei eine friedliche Demonstration von Motorradtaxifahrer*innen in Luanda auf, die gegen die von der Stadtverwaltung verhängten Einschränkungen für verschiedene Strecken in der Stadt protestierten. Sieben zivilgesellschaftliche Aktivist*innen wurden festgenommen, darunter Gilson da Silva Moreira (siehe oben), Gildo das Ruas, Adolfo Campos und Abrao Pedro dos Santos. Am 19. September wurden die sieben von einem Gericht in Luanda zu jeweils zwei Jahren und fünf Monaten Haft verurteilt.

Rechtswidrige Tötungen

Die Sicherheitskräfte töteten 2023 bei ihren Einsätzen zur Beendigung von Protesten mindestens fünf Demonstrierende sowie einen Unbeteiligten.

Am 15. Februar 2023 bestätigte die Polizei, dass ein am Vortag in Luandas Stadtteil Uije getöteter Junge, der unter dem Namen Serginho bekannt war, von einem Polizisten erschossen worden war. Die Tat habe sich ereignet, als Polizeikräfte versuchten, Zusammenstöße zwischen rivalisierenden Gruppen während einer Demonstration von Anwohner*innen zu verhindern, die bessere Straßenverhältnisse forderten. Der Junge hatte sich nicht an dem Protest beteiligt. Die Polizei teilte mit, dass die Ermittlungen zur Identifizierung des verantwortlichen Polizisten Ende 2023 noch liefen.

Bei einer Demonstration in der Provinz Huambo töteten Angehörige der Polizei am 5. Juni 2023 fünf Personen, darunter einen zwölfjährigen Jungen, und verletzten acht weitere. Motorradtaxifahrer*innen hatten die Demonstration organisiert, um gegen die Erhöhung der Kraftstoffpreise zu protestieren. Polizeikräfte setzten Tränengas und scharfe Munition ein, um die Menschen zu vertreiben. Später erklärten sie, dass die Tötungen und Verletzungen "unvermeidlich" gewesen seien und sie diese "bedauerten". Die Behörden leiteten keine Untersuchungen ein. 

Willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen

Am 28. Januar 2023 nahm die Polizei zwölf Jugendliche fest, als diese sich am Denkmal Largo das Heroínas in Luanda zu einem Marsch versammelten, um die Freilassung zivilgesellschaftlicher Aktivist*innen zu fordern, die sie als "politische Gefangene" betrachteten. Die Polizist*innen setzten drei der Jugendlichen – Laurinda Gouveia, Geraldo Dala und Matulunga César – 60 km von Luanda entfernt in der Provinz Bengo ab. Über das Schicksal der übrigen neun war nichts bekannt.

Am 2. Juni 2023 nahmen Polizeikräfte fünf Aktivist*innen in der Provinz Benguela vor dem Büro der Provinzregierung fest, weil sie gegen die Verabschiedung des NGO-Gesetzentwurfs durch das Parlament protestierten. Sie kamen am 6. Juni per Gerichtsbeschluss frei, nachdem sie eine Geldstrafe von 50.000 Kwanza (etwa 55 Euro) gezahlt hatten.

Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte

Die Auseinandersetzung zwischen der Gewerkschaft der Hochschullehrkräfte SINPES und der Regierung, die am 27. Februar 2023 begonnen hatte, dauerte das gesamte Jahr über an. Die SINPES forderte von der Regierung, eine im November 2021 unterzeichnete Vereinbarung einzuhalten und ein monatliches Gehalt in Höhe von umgerechnet etwa 1.850 Euro für angehende Assistenzprofessor*innen und etwa 4.600 Euro für ordentliche Professor*innen zu zahlen. Außerdem forderte die Gewerkschaft die Zahlung aller ausstehenden Gehälter an Lehrkräfte und Verwaltungsangestellte. 

Rechtswidrige Zwangsräumungen

Am 27. Februar 2023 zerstörten Angehörige von Polizei und Kriminalpolizei mit Unterstützung der Stadtpolizei von Viana etwa 300 Häuser im Viertel Zango 3, Abschnitt B in Luanda. Hunderte Menschen wurden dadurch obdachlos. Anwohner*innen, die sich weigerten ihre Häuser zu verlassen oder die sich versammelten, um zu protestieren, wurden verprügelt und festgenommen. Ein Mann, der nur als Adilson bekannt ist, berichtete Menschenrechtsverteidiger*innen, dass er festgenommen und fünf Stunden lang in einer Polizeistation festgehalten worden sei. Nach Angaben der Anwohner*innen wurden die Abrissarbeiten durchgeführt, um Platz für ein Einkaufszentrum zu schaffen. 

Recht auf eine gesunde Umwelt

Im Süden des Landes litt die Bevölkerung auch 2023 unter den Auswirkungen schwerer und lang anhaltender Dürreperioden. Laut Angaben des UN-Kinderhilfswerks UNICEF waren 3,8 Mio. Menschen, darunter 2 Mio. Kinder, auf humanitäre Hilfe angewiesen. 600.000 Menschen benötigten medizinische Unterstützung, und 1 Mio. Menschen waren von Lebensmittelhilfe abhängig. Die Regierung stellte nicht rechtzeitig humanitäre Hilfe bereit, und der Bedarf wurde hauptsächlich durch NGOs oder UN-Organisationen wie UNICEF und das Welternährungsprogramm gedeckt.

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