Aktuell 01. November 2019

Weltweite Proteste - Hintergründe und Fakten

Protestgruppe hält sich fest. Im Vordergrund geht ein Kind von links nach rechts mit einer Fahne.

Von Hongkong bis La Paz, von Port-au-Prince bis Quito, von Barcelona bis Beirut und Santiago de Chile – mit einer riesigen Protestwelle fordert die Zivilgesellschaft von den Verantwortlichen Veränderung. Die Anzahl derer, die weltweit auf die Straßen gehen, scheint in den letzten Monaten stetig zuzunehmen.

Leider ist der Umgang mit diesen Protesten überall ähnlich: Der Staat reagiert mit äußerster Härte, immer wieder werden schwere Menschenrechtsverletzungen gemeldet.

Bis Oktober 2019 hat Amnesty International bei Protesten in Bolivien, Libanon, Chile, Spanien, Irak, Guinea, Hongkong, Großbritannien, Ecuador, Kamerun und Ägypten Hinweise auf Menschenrechtsverletzungen dokumentiert.

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In Hongkong dauern die Proteste trotz des harten Vorgehens der Polizei noch immer an. In anderen Ländern wurden Proteste durch Maßnahmen wie Massenfestnahmen schnell unterbunden. So wurden in Ägypten im September mehr als 2.300 Menschen bei Demonstrationen festgenommen. Falls es zum Prozess kommt, wäre das das größte Strafverfahren im Zusammenhang mit Protesten in der Geschichte Ägyptens.

Amnesty International betont immer wieder, dass friedlicher Protest kein Verbrechen ist, sondern ein Menschenrecht. Doch die Reaktionen der Regierungen auf die Proteste waren größtenteils völlig unverhältnismäßig und ungerechtfertigt – und damit rechtswidrig.

Die Demonstrierenden üben ein Menschenrecht aus. Das sollte ihnen erlaubt werden. Und was genauso wichtig ist:

Auch die Gründe, warum die Menschen auf die Straße gehen, haben oft mit Menschenrechten zu tun.

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Welche gemeinsamen Gründe treiben die Menschen auf die Straße?

Korruption

Korruptionsvorwürfe gegen Regierungsvertreter_innen haben in Chile, Ägypten und im Libanon massive Proteste ausgelöst.

Ende September haben in Ägypten landesweit Tausende demonstriert. Viele von ihnen haben sich auf dem Tahir-Platz in Kairo versammelt, der durch die Proteste von 2011 – die zum Sturz des damaligen Präsidenten Hosni Mubarak führten – berühmt wurde. Ausgelöst wurden die Proteste diesmal durch Videos, die die Korruption unter hochrangigen Militärs anprangerten.

Im Libanon wird der Rücktritt der Regierung, beziehungsweise des politischen Establishments, gefordert. Auch hier prangert die Zivilgesellschaft die verbreitete Korruption sowie den mangelnden Willen der Eliten an, grundlegende soziale und wirtschaftliche Rechte zu garantieren. Die Protestierenden fordern, dass alle Minister_innen und Beamt_innen für den Raub öffentlicher Gelder verantwortlich gemacht werden sollen.

Die Veruntreuung öffentlicher Gelder ist nicht nur ein strafrechtliches Problem, sondern auch ein Menschenrechtsthema. Denn die abgezweigten Gelder sind oft die, die für grundlegende Versorgungsleistungen der Bevölkerung eingeplant waren. Nach den Menschenrechtsnormen sind Regierungen dazu verpflichtet, Ressourcen bestmöglich einzusetzen und sicherzustellen, dass die Bevölkerung in Würde leben kann.

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Lebenshaltungskosten

Wo Korruption ein Thema ist, sind auch die Lebenshaltungskosten von Bedeutung. In Chile löste eine geplante Preiserhöhung im öffentlichen Nahverkehr der Hauptstadt Santiago de Chile massive Proteste von Studierenden aus.

Die Proteste weiteten sich rasend schnell aus. Bald richteten sie sich gegen zahlreiche weitere politische Maßnahmen, die weite Teile der chilenischen Gesellschaft belasten.

Die Menschen forderten die Rücknahme der geplanten Preiserhöhung und weitere Maßnahmen zur Wahrung ihrer wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte. Der Unmut in der Bevölkerung über die wachsende Kluft zwischen arm und reich speist sich auch aus der Tatsache, dass Chile im weltweiten Vergleich eines der größten Einkommensgefälle aufweist.

Die berechtigten Sorgen der Zivilbevölkerung wegen der steigenden Lebenshaltungskosten werden dadurch noch weiter verschärft, dass viele Regierungen – wie zum Beispiel Ägypten und Ecuador – strenge wirtschaftliche Sparmaßnahmen angeordnet haben.

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In Ecuador führte die Regierungsentscheidung, die Subvention von Kraftstoffen einzustellen, zu massiven Protesten gegen ein ganzes Paket umstrittener Sparmaßnahmen. Inzwischen musste die Regierung dabei zurückrudern.

Doch die Auswirkungen von Sparmaßnahmen nehmen zu. In einem Bericht heißt es, dass 2021 mehr als zwei Drittel aller Länder mit den Folgen von Sparmaßnahmen zu kämpfen haben werden. Das wird mehr als sechs Milliarden Menschen betreffen. Eine weitere Auswirkung werden geschätzte mehrere Millionen zusätzliche Arbeitslose sein, die kaum Aussicht auf eine alternative Anstellung haben.

Klimagerechtigkeit

Auch die massiven Ungerechtigkeiten der Umweltzerstörung und Klimakrise sind in den vergangenen Jahren zunehmend Anlass für Proteste gewesen.

Viele verschiedene Menschen kämpfen für eine Sache - Umweltschutz und Klimagerechtigkeit:

Von indigene Aktivist_innen, die den Kampf gegen die Umweltzerstörung anführen. Über Gruppen des zivilen Ungehorsams, die die Titelseiten der britischen Presse füllen. Bis hin zu Massenprotesten gegen den Umgang der bolivianischen Regierung mit Flächenbränden. Immer mehr Menschen gehen auf die Straße, um zu kritisieren, wie die politisch Verantwortlichen mit dieser Klimakrise umgehen. 

Ein herausragender Moment war im September der Klimastreik von über 7,6 Millionen Menschen in 185 Ländern. Die Proteste wurden von der Jugendorganisation Fridays for Future angeführt. Deren Gründerin, die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg, hatte erst ein Jahr zuvor vor dem schwedischen Parlament mit diesen Streiks begonnen.

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Amnesty International hat der Bewegung Fridays for Future dieses Jahr die höchste Auszeichnung der Organisation verliehen, den Ambassador of Conscience Award. Bei der Preisverleihung sagte Greta Thunberg:

"Diese Auszeichnung ist für die Millionen Menschen, jungen Menschen, in der ganzen Welt, die zusammen die Bewegung Fridays for Future bilden. Die furchtlose Jugend, die für ihre Zukunft kämpft. Eine Zukunft, die eigentlich selbstverständlich sein sollte. Doch wie es zurzeit aussieht, ist sie das nicht."

Politische Freiheit

Im Oktober kam es zu massiven Mobilisierungen und Demonstrationen in Barcelona und dem übrigen Katalonien, als der Oberste Gerichtshof von Spanien zwölf führende katalanische Politiker_innen und Aktivist_innen zu langen Haftstrafen verurteilte.

In Indien kam es zu Protesten, nachdem die indische Regierung entschieden hatte, Artikel 370 der indischen Verfassung aufzuheben. Der Artikel gewährt Jammu und Kaschmir eine besondere Autonomie und richtet damit zwei Territorien in einem Staat ein. Diese Reformen und Veränderungen wurden inmitten eines Totalausfalls der Kommunikation, Ausgangssperren und Masseninhaftierungen von politischen Anführer_innen und Aktivist_innen in der Region durchgeführt.

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In Hongkong finden in diesem Jahr die wohl größten und anhaltendsten Proteste im Zusammenhang mit politischen Freiheiten statt. Die Proteste begannen im April 2019, nachdem die Regierung von Hongkong einen Gesetzentwurf eingebracht hatte, der Auslieferungen nach Festlandchina erlaubt hätte.

Daraufhin ging eine bislang nicht dagewesene Anzahl von Menschen auf die Straße. Die Regierung ließ diesen Gesetzentwurf schließlich fallen, doch die Proteste entwickelten sich zu umfangreicheren Forderungen nach Veränderung, darunter eine Überprüfung der Polizeieinsätze während der Proteste und politische Reformen, die es ermöglichen, dass die Hongkonger Bevölkerung die politische Führung in Hongkong selbst wählt.

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