Aktuell Russische Föderation 20. September 2021

Russland: Abgeordnete müssen repressive Gesetze aufheben!

Zwei Uniformierte mit verschlossenen Helmen führen einen Mann ab, im Hintergrund ein Hochhaus.

Die neu gewählten Abgeordneten des russischen Unterhauses, der Staatsduma, müssen ihren Verpflichtungen nachkommen und etwas gegen die haarsträubende Menschenrechtsbilanz des Landes unternehmen. Amnesty International fordert die Abgeordneten dazu auf, dafür zu sorgen, dass repressive Gesetze überarbeitet werden und die parlamentarische Kontrolle der Regierung wieder aufgenommen wird.

Amnesty International formulierte einige wichtige menschenrechtliche Prioritäten für Abgeordnete, die bei den Wahlen vom 17. bis 19. September in die Staatsduma gewählt wurden. Hierzu zählt die Achtung der Rechte auf Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit – Rechte, die derzeit mit Füßen getreten werden, indem der Kremlin scharf gegen Oppositionelle, unabhängige Medien und Menschenrechtsgruppen vorgeht.

"Diesen unablässigen Angriffen auf die Menschenrechte in Russland muss dringend ein Ende gesetzt werden. Die Gesetzgebung muss im großen Stil reformiert werden, damit in Russland die Menschenrechte gemäß internationaler Verpflichtungen geachtet, geschützt, gefördert und gewährleistet werden können", so Natalia Zviagina, Direktorin des Moskauer Büros von Amnesty International.

"Als erste Maßnahme sollte die Duma Gesetze überarbeiten, die die Rechte auf freie Meinungsäußerung, friedliche Versammlung und Vereinigungsfreiheit betreffen, wie zum Beispiel das Gesetz über Ordnungswidrigkeiten und das Strafgesetzbuch. Das Unterhaus sollte zudem alle weiteren Versuche zur Einschränkung der Menschenrechte blockieren. Wiedergewählte Abgeordnete, die in der Vergangenheit für repressive Gesetze gestimmt haben, sind aufgefordert, diese Chance zu nutzen, um den Schaden rückgängig zu machen, der bisher in Russland an den Menschenrechten entstanden ist."

Die russischen Behörden haben ihre harte Linie gegen kritische Stimmen im Vorfeld der Wahlen intensiviert. Auf der Grundlage neuer repressiver Gesetze wurden mehrere Oppositionsmitglieder von einer Kandidatur abgehalten. Einige mussten das Land verlassen, weil sie verfolgt wurden. Wieder andere kamen in Haft. Die Behörden unternahmen einiges, um kritische Stimmen zum Schweigen zu bringen, so zum Beispiel den gewaltlosen politischen Gefangenen Alexej Nawalny, dessen Anti-Korruptions-Stiftung und Büros als "extremistisch" eingestuft und verboten wurden.

Das Bild zeigt ein Graffiti von Alexej Nawalny, wie es gerade übermalt wird

In der russischen Stadt St. Petersburg wird ein Graffiti unkenntlich gemacht, das den Regierungskritiker Alexej Nawalny zeigt (28. April 2021).

Unabhängige Medien und Menschenrechtler_innen gerieten ebenfalls unter Druck. Mindestens 18 Medieneinrichtungen, darunter auch Dozhd TV, einer der letzten unabhängigen Fernsehkanäle in Russland, sowie Vazhnye Istorii, eine Nachrichtenwebsite, wurden als "ausländische Agenten" eingestuft. Zu den sogenannten "unerwünschten Organisationen" zählt auch die Investigativplattform Proekt.Media. Darüber hinaus wurden die Wohnungen von Journalist_innen durchsucht und weitere Repressalien vorgenommen.

Einschränkung der Rechte auf Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit aufheben!

Amnesty International fordert die Staatsduma auf, die fatalen Beschränkungen des Rechts auf freie Meinungsäußerung rückgängig zu machen. Hierzu sollte die Befugnis der Regierung und der Behörden, Online-Inhalte ohne gerichtliche Überprüfung zu blockieren, abgeschafft und der Tatbestand der Verleumdung, der häufig zur Unterdrückung kritischer Stimmen eingesetzt wird, entkriminalisiert werden. Neben einigen weiteren Maßnahmen sollten außerdem die Gesetze über "die Verletzung religiöser Gefühle" und "gefälschte Nachrichten" aufgehoben werden.

Repressive Gesetze haben die Aushöhlung der Rechte auf freie Meinungsäußerung, friedliche Versammlung und Vereinigungsfreiheit in Russland vorangetrieben und die Stimmen von Millionen Menschen unterdrückt.

Natalia
Zviagina
Direktorin des Moskauer Büros von Amnesty International

Darüber hinaus muss die Staatsduma umgehend die Gesetze über "ausländische Agenten" und "unerwünschte Organisationen" abschaffen, da sie dazu instrumentalisiert werden, den politischen Aktivismus auszumerzen und Menschenrechtsverteidiger_innen strafrechtlich zu verfolgen, was verheerende Konsequenzen für die Zivilgesellschaft und die unabhängige Medienlandschaft nach sich zieht. Das "Anti-Extremismus"-Gesetz, das gegen die Opposition eingesetzt wird, sollte entsprechend der Verpflichtungen Russlands unter internationalen Menschenrechtsnormen und der russischen Verfassung überarbeitet werden, um zu verhindern, dass es jemals wieder für politische Zwecke missbraucht wird.

Eine weitere Priorität für die Abgeordneten sollte es sein, die Gesetze über öffentliche Versammlungen umfassend zu reformieren, da diese Gesetze häufig gegen friedliche Protestierende eingesetzt werden und zu der willkürlichen Einschränkung, dem Verbot und der Verhängung hoher Geldstrafen für ihre Handlungen führen.

Amnesty International fordert zudem die Aufhebung von Paragraf 212.1 des Strafgesetzbuches (der sogenannte "Dadins Paragraf"), der wiederholte "Verstöße" gegen das übermäßig restriktive Versammlungsgesetz unter Strafe stellt, sowie die Abschaffung des Verbots spontaner und ungeplanter Proteste.

"Repressive Gesetze haben die Aushöhlung der Rechte auf freie Meinungsäußerung, friedliche Versammlung und Vereinigungsfreiheit in Russland vorangetrieben und die Stimmen von Millionen Menschen unterdrückt. Die Staatsduma muss signalisieren, dass der Status Quo nicht hinnehmbar ist, indem sie Reformen zur Abschaffung dieser Gesetze einleitet", so Natalia Zviagina.

Frauen und LGBTI schützen!

Alle Menschen müssen in der Lage sein, dieselben Rechte zu genießen, ungeachtet ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität, und dürfen aus keinerlei Gründen mit Gewalt oder Diskriminierung konfrontiert werden.

Amnesty International fordert die Aufhebung des homofeindlichen Gesetzes, das "die Förderung nicht-traditioneller sexueller Beziehungen unter Minderjährigen" verbietet und zu Hasskriminalität gegen LGBTI und der Einschränkung ihres Aktivismus geführt hat.

Die neue Duma muss außerdem ein lange überfälliges Gesetz über häusliche Gewalt annehmen und Maßnahmen ergreifen, um den Schaden rückgängig zu machen, der durch die Entkriminalisierung von Körperverletzung in der Familie im Jahr 2017 entstanden ist.

"Während des Wahlkampfs haben die neuen Abgeordneten der Staatsduma den Menschen in Russland wochenlang ein besseres Leben und eine schönere Zukunft versprochen. Nun ist es an der Zeit, diese Versprechungen einzulösen. Die von Amnesty International genannten Menschenrechtsprioritäten sind nicht allumfassend, stellen aber einen wichtigen ersten Schritt dar", meint Natalia Zviagina.

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