Pressemitteilung Aktuell Iran 12. April 2022

Fehlende medizinische Versorgung in iranischen Gefängnissen: Menschen werden dem Tod überlassen

Mehrere Polizisten und Sicherheitsbeamte in unterschiedlichen Uniformen stehen verstreut auf einem asphaltierten Platz vor einem Gefängnistor

Das Evin-Gefängnis in der iranischen Hauptstadt Teheran (Archivaufnahme)

Iranische Gefängnisbehörden verletzen in schockierendem Ausmaß das Recht auf Leben, indem sie kranken Gefangenen die lebensrettende medizinische Versorgung verweigern. Die Behörden leiten weder Untersuchungen zu den Todesfällen in Haft ein noch ziehen sie die Verantwortlichen zur Rechenschaft, so Amnesty International in einem neuen Bericht.

Am 21. März starb der iranisch-australische Doppelstaatsbürger Shokrallah Jebeli im iranischen Evin-Gefängnis. Jebeli litt unter den Folgen von Schlaganfällen, Nierensteinen und hohem Blutdruck. Die Behörden hatten ihm angemessene fachärztliche Behandlung sowie Medikamente verweigert. Das iranische Evin-Gefängnis ist zum Synonym für Folter und Tod geworden, mit tausenden Hinrichtungen und dem Verschwinden zahlreicher politischer Gefangener. Unter den Insass_innen befinden sich auch mehrere politische Gefangene mit iranisch-europäischer Doppelstaatsbürgerschaft, darunter einige aus Deutschland und Österreich.

In dem neuen Bericht "In death’s waiting room: Deaths in custody following deliberate denial of medical care in Iran’s prisons" dokumentiert Amnesty International, wie die Gefängnisbehörden im Iran routinemäßig zu Todesfällen in Haft beitragen oder sie sogar herbeiführen. So verzögern sie beispielsweise Notfallbehandlungen im Krankenhaus oder verweigern diese ganz. Die Behörden weigern sich, unabhängige und transparente Untersuchungen zu Todesfällen in Haft durchzuführen. Sie sorgen nicht dafür, dass gegen die Verantwortlichen Ermittlungen eingeleitet werden.

Amnesty International fordert von der Bundesregierung, sich im Rahmen der Vereinten Nationen für die Einrichtung eines unabhängigen Untersuchungsmechanismus für den Iran einzusetzen, um gegen die systematische Straflosigkeit vorzugehen.

Katja
Müller-Fahlbusch
Expertin für die Region Naher Osten und Nordafrika bei Amnesty International in Deutschland

Katja Müller-Fahlbusch, Expertin für die Region Naher Osten und Nordafrika bei Amnesty International in Deutschland, sagt: "Die erschreckende Missachtung des menschlichen Lebens durch die iranischen Behörden hat die Gefängnisse für kranke Häftlinge in ein Wartezimmer des Todes verwandelt. Krankheiten, die gut zu behandeln sind, gehen in iranischen Gefängnissen tragischerweise oft tödlich aus. Todesfälle in Haft, die auf die Verweigerung von medizinischer Versorgung zurückzuführen sind, missachten das Recht auf Leben. Das ist gemäß dem Völkerrecht eine schwere Menschenrechtsverletzung. Wenn zudem die Verantwortlichen mit hinreichender Sicherheit wussten, dass ihr Handeln den Tod eines Menschen nach sich ziehen würde, käme dies sogar einer außergerichtlichen Hinrichtung gleich, was ebenso ein völkerrechtliches Verbrechen ist."

In dem Bericht werden die Todesumstände von 92 inhaftierten Männern und vier Frauen in insgesamt 30 Gefängnissen in 18 iranischen Provinzen seit Januar 2010 beschrieben. Die Ergebnisse basieren auf einer Auswahl aussagekräftiger Fälle, auf langfristigen Erkenntnissen über die bewusste Verweigerung angemessener medizinischer Versorgung in iranischen Gefängnissen sowie auf einer umfassenden Auswertung von Berichten unabhängiger Menschenrechtsgruppen. 

Die 96 untersuchten Fälle sind nur die Spitze des Eisbergs, die tatsächliche Zahl der Todesfälle in Gewahrsam liegt sicher weit höher. Hinzukommen auch noch die von Amnesty International International nicht berücksichtigten Tode, bei denen physische Folter oder Schusswaffen zum Einsatz kamen. Zu diesen hat Amnesty International im September 2021 einen eigenen Bericht veröffentlicht.  

Die grassierende Straflosigkeit führt dazu, dass diese Tode in aller Regel ungestraft bleiben. Müller-Fahlbusch sagt: "Amnesty International fordert von der Bundesregierung, sich im Rahmen der Vereinten Nationen für die Einrichtung eines unabhängigen Untersuchungsmechanismus für den Iran einzusetzen, um gegen die systematische Straflosigkeit vorzugehen."

Doppelstaatsbürger_innen in iranischen Gefängnissen

Derzeit befinden sich mindestens 17 Doppelstaatsbürger_innen aus Europa und Amerika in iranischer Gefangenschaft, darunter auch einige aus Deutschland und Österreich. Nach jahrelangen intensiven Verhandlungen zwischen Großbritannien und dem Iran wurden am 16. März zwei britisch-iranische Staatsbürger_innen, Nazanin Zaghari-Ratcliffe und Anoosheh Ashoori, freigelassen. Weitere Familien warten besorgt auf die Freilassung ihrer Angehörigen. 

Unter den Gefangenen des berüchtigten Evin-Gefängnisses im Iran befinden sich die österreichisch-iranischen Doppelstaatsbürger Kamran Ghaderi und Massud Mossaheb sowie die deutsch-iranische Doppelstaatsbürgerin Nahid Taghavi. Sie alle wurden nach mehrmonatiger Isolationshaft, Folter und grob unfairen Gerichtsverfahren zu zehn Jahren Haft verurteilt. Die drei politischen Gefangenen leiden unter schweren gesundheitlichen Problemen. Eine angemessene medizinische Versorgung wird ihnen von den iranischen Behörden weiterhin verweigert.

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